22.03.2014

Close your eyes and see the beauty



BROCK VAN WEY - HOME

“And those who were seen dancing were thought to be insane by those who could not hear the music.”  Friedrich Nietzsche

Am liebsten will ich das Licht löschen. Und ich möchte nur hier sitzen, im Dunkeln. Und ich möchte diese Musik so laut hören, dass jemand die Bullen ruft. Oder die Aliens vom Nachbarplaneten aufmerksam werden und mal schnell auf einen Kaffee vorbeifliegen. Ich mache ja ganz guten Kaffee - Bio, Fairtrade, das Gewissen trinkt und ritualisiert mit. Sehen die Aliens ganz bestimmt ähnlich.

Erstaunlich, wie aus einem halbwegs normalen Abend ein melancholisches, wohliges Zusammenkuscheln werden kann, obwohl ich mittlerweile weiß, was mich erwartet, wenn ich mich dazu entschließe, "Home" aufzulegen. Dabei ist es keine leichte Aufgabe, diese Platte am Stück und in einem Rutsch zu hören; zum einen sind zweieinhalb Stunden verteilt auf zwei CDs zumindest im Alltag fast nicht zu bewältigen, zum anderen, und das ist der größere Hügel, über den wenigstens der Kröterich aus Sossenheim drüber muss, verwandelt mich die Musik van Weys innerhalb weniger Minuten in einen verletzlichen, grüblerischen, romantischen, introvertierten Menschenklumpen, der in diesen Momenten glaubt, nie wieder eine andere Musik hören zu wollen, als immer wieder nur "Home", in einer nie enden wollenden Schleife, "Spiral Out, Keep Going" (Maynard). Und vor die Tür will ich dann bitteschön auch nicht mehr, denn die Illusion der Schönheit der Welt, der Natur und des Lebens soll bitte von meinem antrainierten, abscheulichen Zynismus verschont werden.

“I do not believe this darkness will endure.” J.R.R. Tolkien

Ich werde mit zunehmendem Alter offensichtlich immer sensibler - und das, obwohl ich noch nie zu den toughen Lautsprechern zählte, die emotions- und empathiebefreit auf die Pauke hauen. Aber die nach oben offene Sensibilitätsskala schaukelt sich seit einigen Jahren immer wieder in neue Höhen, und sei es nur beim freien Blick auf Wald, Hügel, Hund und Katze, wenn sich also die Größe und Schönheit von LEBEN offenbart und wenn ich sie - selten genug - zwischen all dem Wirrwarr von Alltag, Arbeit, Handy und selbstgewählter Emailsklaverei auch noch entdecke und mir eine Träne ins Knopfloch rutscht.

Brock van Weys Musik auf "Home" schleudert mich selbst dann ins Tal der Freudentränen, wenn der Blick schlicht auf die mausgraugestrichene Wand gegenüber fällt, weil mich diese unermessliche Weite und Tiefe seines Sounds auf das Leben und die Natur und die Existenz und den Tod blicken lässt und mich bei der Auseinandersetzung mit all dem, worüber Florian eben immer noch keinen blassen Dunst hat, also dem Leben, der Natur, der Existenz und dem Tod, immer wieder grandios scheitern lässt. Das klingt ganz schön dick aufgetragen für einen Musiker, der nach eigenen Angaben fast nie das Haus verlässt und Videospiele spielt, wenn er nicht gerade neue Musik komponiert, aber ich hatte dieses Gefühl schon ab der allerersten Begegnung mit seiner Kunst: "The Art Of Dying Alone" aus dem Jahr 2011 traf mich wie ein Schlag, wie ein Blitz aus dem hellsten Licht des Universums. "Home" gelingt ähnliches.

Und wie lange musste ich hierauf warten: "Home" war seit Jahren auf Brocks Website angekündigt, genauso früh stand auch schon fest, dass es nach seinem Echospace-Debut "White Clouds Drift On And On" die zweite Arbeit für das legendäre Label aus Michigan werden sollte. Der britische Mailorder Boomkat listete "Home" seit dem Spätsommer 2013 in seinem Katalog, versah es dennoch immer wieder mit den Ankündigungen "Ships in 17 days..." und setzte den Versandtermin praktisch jedes Mal kurz vor Erreichen desselben wieder nach hinten. Das Label selbst hüllt sich traditionell in Schweigen und von Brock hört man für gewöhnlich so oder so nicht viel, wenn er nicht gerade eine neue Platte unter seinen Pseudonymen BVDUB, Earth House Hold oder East Of Oceans herausbringt. Der Grund für das "Chinese Democracy" des Ambient: Labelchef Stephen Hitchell war mit dem Mastering überfordert. In einem Facebook-Post spricht er später vom härtesten Mastering-Job, der er jemals zu bewältigen hatte - und wer alleine die ersten Minuten von "Home" hört, der versteht, dass dieses Dickicht aus Schleiern, Nebelkerzen, Wind, doppelten Böden und Fluchtpunkten, vor allem aber Emotion, Sehnsucht und Liebe unüberwindbar sein kann.

Out in February, the best work I've ever heard from Brock. This was the hardest mastering job I've ever done, it took months and months, I had tears in my eyes through the entire process, the emotion felt here is unlike anything I've heard before. If this doesn't capture the heart and souls of people, well, I don't know what will. -Stephen Hitchell

Erschienen auf Echospace, 2014.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Ich lese deine Texte immer gern, auch wenn die Musik nicht mein Fall sein sollte oder ich sie gar nicht kenne (kommt öfters vor).
Brock van Wey klingt ja selbst auf youtube gut! Ich glaube, da muss ich mich mal näher mit beschäftigen...
Ein schönes Wochenende wünscht dir
Peter W.