06.10.2013

Blank When Zero support Sea Shepherd



Im japanischen Taiji läuft auch in diesem Jahr das große Abschlachten von Walen und Delfinen. Sea Shepherd ist erneut mit einem Team vor Ort und dokumentiert die Ereignisse.

Ich schrieb es erst vor kurzem, dass ich mich normalerweise nicht durch diese Schreckensbilder/-videos klicke, weil ich damit schlicht nicht klarkomme. Hier habe ich ein paar Minuten überlegt, mich dann am Ende dafür entschieden. Ich kann es im Grunde niemandem empfehlen, sich das wirklich anzuschauen, andererseits dann aber eben doch. Es ist manchmal nicht so schlecht, sich darüber Gedanken zu machen, zu was der Mensch fähig ist. Und wenn ich sage "der Mensch", dann meine ich damit uns. Uns alle. Wir sind das. Und es wird endlich mal Zeit, auch dafür Verantwortung zu übernehmen.

Der Nachteil: man fühlt sich sofort schuldig. Und mit was? Mit Recht.


Blank When Zero, unsere kleine Punkband mit den kleinen Songs und großen Vinylschallplatten, unterstützt seit einiger Zeit Sea Shepherd, eine Umweltschutzorganisation, die sich den Schutz der Meere zum Auftrag gemacht hat. Ich hatte Sea Shepherd schon im letzten Jahr auf diesem Blog erwähnt.

Nun ist's so, dass sich Simon, Marek und meinereiner dazu entschlossen haben, unsere letzte und immer noch aktuelle Platte via Bandcamp zum Download anzubieten. Bislang war der Download exklusiv mit einem Kauf der Schallplatte verbunden.

Wir möchten im Zuge der Ereignisse in Taiji Sea Shepherd mit einer Spende unterstützen und bieten deshalb auf unserer Bandcamp Seite unser "Einerseits..."-Album als "Name Your Price"-Download an. Das heißt: ihr bestimmt, wieviel Geld ihr bereit seid, für die digitale Version der Platte zu zahlen und wir übergeben den kompletten Erlös dieser Aktion an Sea Shepherd. Der Minimalbetrag pro Download ist 1 Euro.


Blank When Zero - Bandcamp

Die Aktion wird bis zum 31.12.2013 laufen. Alle eingegangenen Beträge werden über Bandcamp direkt auf das Konto von Sea Shepherd geleitet. Das heißt, wir fallen als Durchlauferhitzer weg. Damit habt Ihr mehr Transparenz (und die Paypal-Ficker weniger von ihren Scheißgebühren).

Was Ihr nun tun müsst, wenn Ihr wollt: teilt diesen Blog-Link und den Bandcamp-Link mit Euren Freundinnen und Feunden. Meinetwegen auch mit irgendwelchen anderen Menschen. Ist uns egal.

Spread the word. Und saugt uns kaputt.

P.S.: Natürlich könnt ihr auch weiterhin das blaue DIY Vinyl für 10 Euro inklusive Versand bei uns bestellen. Ihr könnt dafür auch Bandcamp verwenden - oder kontaktiert uns direkt via Facebook, oder unter flow [at] dreikommaviernull [dot] de. Bitte verwendet diese Kontaktdaten auch dann, wenn Ihr Fragen zu dieser Aktion habt, oder wenn irgendwas auf Bandcamp nicht funktionieren sollte.

Vielen Dank von
Simon, Marek & Flo

04.10.2013

Four Tet - Beautiful Rewind


Ich hatte Kieran Hebdens Four Tet-Moniker nach dem ziemlich schwachen "Pink"-Album aus dem Jahr 2012 etwas aus den Augen verloren. Die Magie, die er auf dem immer noch fantastischen "There Is Love In You" entfesselte, konnte ich auf "Pink" nicht heraushören - zu zerfasert und orientierungslos erschienen mir die Tracks, die mir bisweilen auch hinsichtlich der ausgewählten Sounds faustgröße Löcher in mein Nervenkostüm frästen.

Das in den kommenden Tagen erscheinende neue Werk "Beautiful Rewind" macht nach den ersten Durchläufen einen bedeutend besseren Eindruck auf mich und spielt sich damit in die Kandidatenreihe für die Jahres-Top 20. Neu-Deutsch und Alt-Behindert heißt sowas im Jahr 2013: es ist shortlisted.

Hebden hat für eine begrenzte Zeit den kompletten Albumstream auf Soundcloud gewuchtet. Viel Spaß beim Hören (und gebt dem dusseligen Soundcloud-Geschwerrl hier unten drunter ein paar Sekunden Zeit zum Laden).

Anmerkung: hier war mal eine Soundcloud-Box mit dem Komplettstream des neuen Four Tet Albums hinterlegt. Mittlerweile ist das Album offiziell digital verfügbar, weshalb Hebden den Soundcloud-Link wieder von Netz nahm. Ihr findet die Platte, sowohl physikalisch als auch digital bei den einschlägigen Mailorders.

03.10.2013

Urban Haschisch


BRAZZAVILLE - EAST L.A. BREEZE

Ich weigere mich ja noch standhaft, die Heizung anzuknipsen, wenngleich es hier und da schon etwas arg frisch in der just neu bezogenen Höhle werden kann. Ehrlich gesagt wäre ich unter normaleren Umständen schon vor zwei Wochen zum ersten Mal im Keller vor dem Heizboiler aufgetaucht, aber die drei Millionen Kubik an Pressspanplatten aus der Vormieterwohnung versperren den Weg dahin. Das habe ich superclever gemacht, ich weiß. Aber hey, es war Ende Juli, als ich den Kellerraum zurammelte, wer denkt da schon an den Herbst?! Wer dem Sommer jedenfalls noch die ein oder andere Träne nachweinen möchte, sich mit aller Gewalt auch noch im Oktober in Badeshorts und -latschen schießen und sich einen eiskalten Cuba Libre in die Unnerbüx gießen will, dem kann geholfen werden, wenigstens hinsichtlich des Rubrums "vom Feeling her hab ich ein gutes Gefühl": Brazzavilles "East L.A. Breeze" aus dem Jahr 2006 macht selbst aus meinem Keller eine stickige, schummrige Strandbar. Hochsommer, drei Uhr in der Nacht, Strohhut, weißer Rum. Und draußen schwappt das halbe Klärwerk durchs Mittelmeer.

Dabei machte "East L.A. Breeze" eine erstaunliche Metamorphose durch. Das sechste Studioalbum der Band mit dem im selbstauferlegten spanischen Exil lebenden Sänger, Gitarristen und Songwriter David Brown sorgte zunächst alleine ob des schwer in den Vordergrund gerollten Gesangs für mittelschwere Skepsis, die Herzallerliebste rümpfte aufgrund der Intonation und des bassigen, extra_extra_extralässigen Timbres Browns gar ausgiebig die Nase. Der Gewöhnungseffekt arbeitet jedoch gemeinsam mit der Aura dieses Albums erfolgreich daran, die Stimme nicht nur als Teil des Ganzen, sondern als fundamentalen Bestandteil dessen zu sehen, was diese Musik in erster Linie ausstrahlt. Wer sich darauf einlässt bekommt einen tiefenentspannten, zu gleichen Teilen emotionalen und gar hedonistischen Seelenschmeichler geschenkt, der introvertiert und reflektiert von der Liebe und von der Welt erzählt. Brown, der seit Ende 2003 seine Zelte in Barcelona aufgeschlagen hat, begeistert dabei mit seiner beeindruckenden Lebenserfahrung und -weisheit, die aus nahezu jedem Ton rinnt. Sein Leben als Ausreißer auf den Straßen von Hollywood, seine musikalischen Erfahrungen (u.a. als Saxofonist in der Tourband von Beck), sein völker- und kulturverbindendes Leben und Schaffen lassen sich in seinen Kompositionen, seinem Gesang und seinem Auftreten wieder entdecken.

Heute ist "East L.A. Breeze" fester Bestandteil der Sammlung, hat bislang jede große Verkaufsrunde überstanden, und ist mittlerweile sogar bei meiner Mitbewohnerin zumindest respektiert. Ich erinnere mich daran, wie wir im letzten, schon viel zu lange zurückliegenden Urlaub, diesen hyperleicht vor sich hin groovenden Track zum Aufwachen hörten, während draußen sich das Meer an die Küste kräuselte. Wunderbare Tage in Clichy.





Brown, der Brazzaville im Mai 2009 auflöste, bevor er sie im Juni (!) des gleichen Jahres wiederbelebte, feiert mit seiner Musik seit Jahren größere Erfolge in Russland und in den Gebieten der ehemaligen Sowjetunion, nachdem der Radio-DJ und Kritiker Artemy Troitsky die Band für sich entdeckte und immer öfter in seiner Radioshow spielte. Auch in der Türkei sind Brown und Brazzaville längst keine Unbekannten mehr. Brown ist Lebemann, Kreativexplosion, Macher, Romantiker, Utopist in einem. In wenigen Wochen erscheint das via Kickstarter vorfinanzierte Konzeptalbum "Morro Bay", im Sommer 2014 wird die Band auf der Wolga und auf dem vielleicht eigens umgebauten und eigenen Schiff für Waisenkinder und Senioren spielen, und im Bandmanifest heißt es:

Brazzaville is dedicated to the naïve idea that the world is a beautiful place filled with wonder. We believe that there is another reality, just below the surface of our waking world, in which all is well. This is the true reality for us. We are committed to becoming less afraid of the world around us by helping others whenever possible. We love playing music and we dream of having a ship that runs on waste oil so that we may travel the seven seas making new friends and eating salted cod and mangosteen.





Man kann das alles nun wirklich schlechter machen.

Erschienen auf Vendlus Records, 2006.

02.10.2013

Ich habe Sex mit Rosenkohl

"Wie die Hausfrau, die die Stube gescheuert hat, Sorge trägt, dass die Tür zu ist, damit ja nicht der Hund hereinkomme und das getane Werk durch die Spuren seiner Pfoten entstelle, also wachen die europäischen Denker darüber, dass ihnen keine Tiere in der Ethik herumlaufen."
Albert Schweitzer

Fast vierzehn Monate sind's, um wenigstens halbwegs genau zu sein - eigentlich wollte ich diesen Text bereits zum einjährigen, hrrrch, Jubiläum geschrieben haben, aber das haute aus den bekannten Gründen nicht hin. Ich weiß jedenfalls noch, was das letzte Lebensmittel war, in dem Spuren von Tieren enthalten waren: ein Nutellabrot. So lautete nämlich meine Abmachung mit mir selbst. Das offene Nutellaglas wird noch leergemacht, danach ist Schluss damit. Schluss mit Käse, Milch, Joghurt. Auf Eier hatte ich schon knapp zwei Jahre zuvor verzichtet. Fleisch wurde ab 1.1.2010 vom Speiseplan gestrichen. Dass Nutella ebenfalls in den Orkus des Vergessens wanderte, ist doppelt prima: Ferrero und ihr CDU-Spendensumpf können mich seitdem mal gepflegt sonstwo. Nik-Nak.

Die Entscheidung, den wenigstens für mich logischen Schritt vom Vegetarier zum Veganer zu gehen, fällte ich in Rekordzeit, praktisch im Affekt. Und das, obwohl ich furchtbar schlecht im Entscheiden bin. Was deutlich untertrieben ist, denn Entscheidungen sind der Teufel. Ich kann soviel logisch abwägen, wie ich will, mein Herz macht mir meistens einen Strich durch die Rechnung. Diesmal hielt es erstaunlicherweise die, haha: Klappe. Ich lag also mit der Herzallerliebsten an einem Samstagnachmittag auf unserem Bett (wir hatten unsere Klamotten noch an, das nur für die Freaks unter meinen Lesern, die sowas gerne in eine Exceldatenbank einpflegen), ich sinnierte ein paar Minuten vor mich hin und plötzlich, richtigerweise von jetzt auf gleich, war ich davon überzeugt, dass ich jetzt vegan leben will. Beziehungsweise muss. Sobald dieses vermaledeite Nutellaglas leer ist, geht's los. Die Moral: wenn's wichtig wird, geht's halt auch ohne wochenlang andauernde Mehrheitsentscheidung. Die Diktatur des Herzens, ein dolles Ding.

Meine Gewissensbisse als Fleischesser waren enorm, tatsächlich wurden sie von Jahr zu Jahr größer. Aber es ist, vor allem nachträglich, verblüffend zu erkennen, zu welchen absurden Verhaltensweisen einen das eigene Bewusstsein bringen kann. Man schiebt einfach alles weg. Es ist alles egal. Solange einem die Fleischbrühe nur das Kinn runterläuft, ist alles gut. Wie es sich so lebt, in Saus und Braus, als selbstgerechtes Arschloch. Ich wusste das alles, ich wusste, wie es in Schlachthäusern zugeht, wie wir als Gesellschaft grundlegend mit Tieren umgehen, wie viele von ihnen wir knöcheltief in der eigenen Scheiße stehen lassen und dann in große Transporter einpferchen. Und je deutlicher und plastischer die Bilder in meinem Kopf wurden, umso mehr hat es mich zerrissen. Es hat so wehgetan, dass mein Kopf den "Erase All"-Schalter drückte. Was ich nicht sehe, existiert nicht. Alles ist gut, weitermachen.


Ich habe oft versucht, Earthlings zu schauen. Ich hielt es nie länger als zehn Minuten aus.


Dann wird anschließend mit traurigem Blick die eigene Katze geherzt und geknuddelt, ich bin ja schließlich Tierfreund - Was essen wir heute Abend eigentlich? Hack! Super! Und mit noch viel traurigerem Blick höre ich mich heute noch sagen:"Ich komm' einfach nicht davon los. Ich komm' von der Scheiße einfach nicht los." Und es stimmt ja auch, es ist nicht einfach, sich aus dieser hierzulande manifestierten Fleischkultur herauszuziehen. Fleisch ist immerhin ein Stück Lebenskraft. Und wer kein Fleisch isst, wird krank. Oder schwul. Am Ende gar beides, da müssen wir nochmal die CDU fragen. Oder Ferrero.

Alles ist aus Blut, Gedärm und Tier. Wenn wir Springbrunnen bauen könnten, aus denen abwechselnd Schmelzkäse und Leberwurstsaft emporsprudelt, unsere Kinderspielplätze wären voll davon. Wir würden's tun, logisch. Damit auch die Kleinen schon lernen, wie man wie die Klingonen alles vollfurzt und zukackt. Am besten fragen wir dazu mal die beiden kleinen Bälger, die in der Fernsehwerbung dem Journalistendarsteller Jörg "Fleischwurst" Pilawa (Disclaimer: Link führt zu einem Youtube-Video und zu Werbung, wenn Du das nicht sehen willst, dann klick' den Mist nicht an) an irgendeinem zugeschissenen aber irrsinnig idyllischen See entgegengerannt kommen, weil der liebe Onkel mit Süßigkeiten Frikadellen in der Plastikhdose in der Gegend rumwedelt. Vielleicht wäre es ja aber auch viel eher angemessen, Hänsel und Gretel nebst ihren Scheißeltern mal für einen Tag in einem Geflügelmastbetrieb einzuschließen und ihnen die Augenlider am Hinterkopf festzutackern, damit sie bloß nicht auf die Idee kommen, angesichts dieser abgrundtiefen Schweinereien die Matzelaugen zu schließen. Einfach mal zwei Stunden an den Schredderautomaten anbinden, in den lebende männliche Küken zu Tausenden reingefeuert werden, dann ein Leben lang eine schöne Verhaltenstherapie.

“I don't mean to sound bitter, cold, or cruel, but I am, so that's how it comes out.”
(Bill Hicks)

Der Auslöser, zu Beginn des Jahres 2010 endlich auf Fleisch zu verzichten, war eine Verkehrsdurchsage im Radioprogramm des Hessischen Rundfunks. Es war ein Freitagabend im Dezember 2009, und ich kann mich noch daran erinnern, ziemlich lange im Büro gewesen zu sein. Auf der Heimfahrt berichtete die Frau im Radio über einen Stau auf irgendeiner Autobahn, es sei ein Viehtransporter verunglückt. Bis hierhin nimmt man das vielleicht noch bräsig-dampfend hin, ohne sich in die nächste Familienpackung Rasierklingen zu stürzen; wie gesagt, das Hirn kann ganz schön viel wegstecken, im wahrsten Sinne des Wortes.

Dann fuhr die Stimme aber fort:"150 Kälber überlebten das Unglück, 150 Kälber wurden getötet." Der Tag war lang, wahrscheinlich war er auch gar nicht so erfüllend, und ich war im Grunde auch gar nicht mehr aufnahmebereit, für was auch immer. Aber die Information konnte ich dann glücklicherweise noch verarbeiten: 300 Kälber. Dreihundert Kälber? Auf einem LKW? Etwa zwanzig Minuten später schloss ich die Wohnungstür hinter mir und mein erster Satz zur Herzallerliebsten lautete:"Ich höre auf mit Fleischessen." Und dann wurde ich krank. Und schwul. Wenn nicht gar beides. Und ich treibe es mit Rosenkohl.


Was ich eigentlich mit all dem sagen wollte: von mir wird es kein "Mir geht's so gut wie noch nie!" geben, ich laufe neuerdings auch nicht nackig durch die Straßen und schmeiße mit Räuchertofu um mich, und ich gebe mir auch Mühe, Fleischesser nicht in die moralische Strafecke zu stellen, jedenfalls solange sie nicht immer noch die Grünen wählen. Mein Körperbewusstsein hat sich nicht so irrsinnig geändert, auch wenn ich seit der Umstellung von vegetarisch zu vegan knappe neun Kilo abgenommen habe. Der geistige Wandel ist indes viel deutlicher zu spüren, und das ist mir bereits nach wenigen Tagen aufgefallen. Es mag sich nach der Verarbeitung eines bösen Klischees anhören, aber ich empfinde unseren gesellschaftlichen Umgang mit Tieren aus ethischer Sicht, inklusive der ökonomischen Potenz der Massentierhaltung, des Konsums und der medialen Aufbereitung durch Werbung, Redaktionen und auch politischer Meinungshoheit praktisch mit jedem Tag abstoßender, bizarrer, verantwortungsloser und inakzeptabler. Franz Alt, zugegebenermaßen keine gute Quelle für allzu Hellsichtiges, sagte mal, dass er der festen Überzeugung sei, es käme der Tag, an dem sich die Menschheit kollektiv bei den Tieren entschuldigen würde. Ich weiß nicht, ob ich diesen Tag noch erlebe, auch wenn ich gleichfalls daran glaube, dass er auf jeden Fall kommt.

Aber ich stände mittlerweile vermutlich in der ersten Reihe.

16.09.2013

Last Exit Sossenheim




Das dürfte so ziemlich der längste August aller Zeiten gewesen sein, aber es kommt eben doch so einiges anders, als man das fürs Erste voraussehen kann. Der Plan, nach dem vollzogenen Umzug in die neuen Räumlichkeiten sofort wieder mit dem Hören und Schreiben zu beginnen, fiel angesichts der Mammutaufgaben "Renovieren, Auspacken, Kochen, Sortieren, Essen, Einräumen, Bumsen" grandios ins Wasser, und just als das Licht am Ende des Tunnels eine dreiviertel Lumensekunde heller wurde, und ich also schließlich noch drei freie Tage vor mir hatte, hat mir die olle Körper-Mistsau noch eine wunderbare Erkältung auf den wortwörtlichen Hals gehetzt, die mich für eine gute Woche außer Gefecht setzen sollte.

Alles keine guten Voraussetzungen, um mal Durchzuatmen, und wenn es auch noch so nötig gewesen wäre. Es scheint sich indes zur Routine zu entwickeln, dass ich in Phasen, in denen wenigstens mein Geist ausnahmsweise mal im Begriff ist sich langsam zurückzulehnen, für die nächsten Tage das Krankenbett hüten darf. Ich finde das ja ehrlich gesagt ein wenig beängstigend, sacknervend sowieso, aber das macht auch nicht gerade den Eindruck, als könnte ich daran mit einem Fingerschnippsen etwas ändern. Was es an schlechten Tagen sogar noch eine Spur beängstigender macht.

Nun hat mich seit zwei Wochen das heiß und fettig geliebte Arbeitsleben wieder und ich kann nicht behaupten, dass sich seitdem an meinem leicht aus dem Rahmen geplumpsten Leben etwas geändert hat. Nach elf Jahren Wiesbaden fällt es mir alten Sicherheitsfanatiker offenschtlich nicht so irrsinnig leicht, die neue Umgebung mit einem satten Schmatzer und einer Büchse Konfetti zu begrüßen. Noch ist alles so furchtbar neu, die Wege sind noch so schrecklich ungewohnt und tatsächlich habe ich sogar noch nie in einer Wohnung gelebt, in der es statt Teppichboden einen (zugegebenermaßen schicken) Laminatboden gab. Und der gar nicht mal so kleine Kirschlorbeerbaum vor der Tür trug noch vor wenigen Tagen fast genausoviele Blätter wie Wespen, die sich an seinem Saft labten - sie ließen mich zwar weitestgehend in Ruhe, aber darum geht es meinem kleinen Hirnschiefstand im Dachgeschoss ja auch nicht. Kurz: meine sich jedes Jahr stärker ausgeprägt zeigende Wespenphobie tanzte den eingesprungenen Kasatschok. Mittlerweile sind die Wespen weg, dafür lässt der Kamerad seit ein paar Tagen seine Beeren auf die Erde fallen und ich bräuchte dann mal jemanden, der unserem Fibbel-Hund mitteilt, er möge die kleinen schwarzen Dinger nicht fressen, weil er sich sonst eine schöne Vergiftung mit Blausäure einfängt. Dühüüüses Läben - es ist schon eines der Verrücktesten.

Trotz all dieses banalen Scheißdrecks, der mich nun seit Mitte Juli auf Trab hält, habe ich natürlich das Musikhören nicht aufgegeben. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall: ich habe sogar sehr ausgiebig Musik gehört, aber ich kam ums Verrecken nicht zum Schreiben. Was gibt's also Neues?

Zunächst wäre da meine erneut entflammte Sucht für alten Thrash Metal erwähnenswert. Es hagelte neue alte Scheiben von Flotsam And Jetsam, Assassin, Fear Of God (Yeah!), Tankard, Obituary, Sacrosanct, Paradox, Assorted Heap (Doppelyeah!) - was mich unter anderem auch daran erinnert, dass meine Top 20 des Thrash immer noch darauf wartet, auf den Blog gewuchtet zu werden. Es wird kommen. Noch in diesem Jahr.

Dazu gab es einige schöne Jazz-Klassiker. Thelonious Monks legendäre "Monk"-Aufnahme für Columbia aus dem Jahr 1964 versüßte der Herzallerliebsten und mir das ein oder andere Urlaubsfrühstück, Jackie McLeans "Bluesnik" wurde für einige Wochen Stammgast auf dem Plattenteller, das neue Gregory Porter Werk ist trotz der zu erwartenden Tendenz in Richtung des Jazz Mainstreams (EMI/Blue Note, q.e.d.) eine vor allem klangliche Sensation und im Stuttgarter 2nd Hand Records fand ich eine alte Zusammenstellung des Impulse-Labels, auf der mein Liebling Grachan Moncur III mit einem bislang unveröffentlichten Track  "The Intellect" zu finden ist. Freude.

Gleichzeitig wächst die Gil Scott Heron-Sammlung unaufhaltsam weiter. Neben der schon lange gesuchten und endlich von Freund Jens für mich geschossenen "Reflections" Platte von 1981 konnte ich noch "1980" von - Riesenüberraschung! - 1980 auftreiben, die mich allerdings vor einige Rätsel stellt. Weniger musikalisch - es ist die letzte Aufnahme mit Scott-Herons altem Sidekick Brian Jackson, bevor das Duo die Zusammenarbeit aufkündigen sollte - die Platte gehört sicher zu den besseren Werken des 2011 verstorbenen Sängers, aber ich habe es noch nicht erfasst, wie mir "1980" bis vor zwei, drei Monaten noch völlig unbekannt sein konnte. Ich suche nun schon seit Jahren nach seinen alten Aufnahmen und bin eigentlich so schlecht nicht informiert, aber "1980" hatte ich bis dato noch nicht mal irgendwo gesehen. Ganz zu schweigen gehört. Was nun noch zur Komplettierung der Sammlung aussteht: "Bridges", "Real Eyes" und "Secrets". Nicht, dass ich ohne diese drei Platten nachts nicht mehr ruhig schlafen könnte, aber. Punkt.

Ernstzunehmende Kandidaten für die Jahresbestenliste flatterten mir außerdem von Stephan Mathieu in den neuen Wespenbau. Seine Kollaboration mit David Sylvian "Wandermüde" und die Doppel-LP "The Falling Rocket" unter eigenem Namen sind zwei der schönsten Platten des laufenden Jahres. Und wo das gesagt ist gibt's noch einen fast exklusiven Tipp von mir für euch: Die Absolute Boys aus Australien haben mit "Heavy Flow" meine Sommerplatte des Jahres 2013 geschrieben. Ist für alle total super, die auf einen schwül-fiebrigen Young Marble Giants-Shoegaze-Indiestoner abrumpeln. Außerdem sieht die Platte "totally like" (Miley Cyrus) wunderbar aus.

Das war also der kurze Rundflug durch das neue, frische, tolle Plattenregal, das übrigens immer noch wie Kraut und Rüben aussieht. Ich versuche mich bislang erfolgreich vor der Aufgabe zu drücken, das Alphabet als ordnungsstiftende Maßnahme einmarschieren zu lassen. Ich muss es tun, weil's mich so ein klein bisschen wahnsinnig macht, andererseits ist's ja nun im Prinzip auch schon scheißegal.

Immer diese Zwiespalte. Immer dieses Leben.

"Es geht weiter, Weiter, immer weiter." (Oliver "Ich habe das Wurstabitur" Kahn)

23.07.2013

Sommerloch

Es ist in den letzten drei Wochen etwas still hier geworden, und ich glaube, es ist angemessen, mich mal flott in den Blogurlaub zu verabschieden. Der feine Herr Dreikommaviernull zieht nämlich um, also von Stadt A nach Stadt B; ich kehre der Hessen-Hitler-City den Rücken, der Stadt der Adlerträger also den Pimmel (wieder) zu, und zwischen zusammengeschobenen Kisten, Möbeln, Baustoffen, Farbeimern und Haustieren auf der einen, und einem nach wie vor nicht still vor sich hin dämmernden, sondern im Gegentum ausgesprochen lebhaft agierenden Arbeitshandy auf der anderen Seite, lässt es sich nicht gut Musik genießen - und noch viel weniger darüber schreiben.

Anfang August ist der ganze Irrsinn vorbei, und da mich im Anschluss volle drei Wochen Urlaub angrinsen, freue ich mich jetzt schon auf viele um die Ohren geschlagene Nächte, tolle neue Platten und einen wachsweichen Restsommer in Chlodwig Poths ehemaligem Kiez. Es dauert nicht mehr lange und ich freue mich darauf.

Wir lesen uns wieder im August.

"Bleibt so schön!" (Wayne Lovett)

06.07.2013

End Of An Age



METAL CHURCH - HANGING IN THE BALANCE

"Ich werde ja oft gefragt...eigentlich werde ich oft gar nichts gefragt, aber ich muss sagen, ich werde oft gefragt, sonst geht's nicht weiter." (Harald Schmidt)


Ich werde ja oft gefragt, ob es in den 90er Jahren eigentlich noch gute Metalalben gab. Metalalben, die abseits des Grunge, des Crossover und des langsam aufkommenden Metalcore existieren konnten, und die das vielleicht letzte Ausrufezeichen eines Genres setzen konnten, das heute wie vom Erdboden verschluckt erscheint: Power Metal. Ein Sound, der von Bands wie Sanctuary, Lethal, Vicious Rumors, Jag Panzer, Armored Saint, Heretic, Metal Church oder den frühen Virgin Steele und Iced Earth geprägt wurde. Oft an der Grenze zum Speed und Thrash Metal, aber eben auch mit einem Bein in der Welt des Melodic Rock oder des ganz klassischen Hardrocks der 70er und frühen 80er Jahre. Trotz der nahezu vollumfänglichen Auflösung dieser Spielart kann ich meine Antwort auf die eingangs gestellte Frage nur positiv fomulieren. Ja, es gab noch großartige Metalaben in den neunziger Jahren und "Hanging In The Balance" ist eines davon; genaugenommen ist es möglicherweise sogar eines der zehn besten Metalalben aller Zeiten.

Metal Church litten ab dem Zeitpunkt der Veröffentlichung ihres selbstbetitelten Debutalbums an einem grundsätzlichen Phänomen, von dem nicht nur Bands wie Mr.Big oder Extreme, unter entgegengesetzten Voraussetzungen aber auch Slayer oder Metallica ein Liedchen singen können. Wenngleich die beiden letztgenannten Kapellen angesichts der angezeigten Nullen auf dem Bankkonto vermutlich vor Lachen vom vergoldeten Scheißhaus 'runterplumpsen, werden sie von der eingeschworenen, sich dem Mainstream vermeintlich entziehenden Fangruppe der "Early Birds" (ein Fachausdruck aus der Mykologie, Google hilft, oder eben auch nicht) immer und vor allem: FÜR IMMER (Hallo Doro! *stöhn*) an ihren frühen Werken gemessen, die allesamt soviel größer, geiler, wahnsinniger, jaleckmichamarschwiegeildiemalwaren sind als der ganze "angepasste", "weichgespülte" oder "kommerzielle" Mist, der danach kam. Mr.Big und Extreme sind nach ihren One Hot Wonders an ebenjener "Kommerzialität" gescheitert, denn wenn die Industrie dank eines schmusigen Schnulzenknallers mal schnell zehn Millionen Platten verkauft, dann schleift der Major-Boss bei den lumpigen drei Millionen des Nachfolgers mal fröhlich die Axt. Und weil sich genau dieser Typ um Qualität und Anspruch soviel schert wie unser Innenpudel Friedrich um Intelligenz, Logik und saubere Unterhosen sind ihm die leisen Proteste, die ihm zur Tante Araya und Onkel Hutfeld aus der Trinkhalle Essen-Karnap entgegenplärren aufs Geradewohl heraus latte, bums, schietegal, denn hier richtet es dann eben der Mainstream im Sinne der Industrie, der Anklage und des Künstlers. Alle Wege führen nach Rom, beziehungsweise in die Bedeutungslosigkeit - bei den einen in die künstlerische, bei den anderen in die soziale.

Metal Church aus dem US-amerikanischen Seattle mussten mit ihrer Auflösung im Jahr 1995 zunächst das soziale Nirwana in Kauf nehmen, bevor es nach der komplett missglückten Reunion mit Originalsänger David Wayne vier Jahre später auch künstlerisch begeisternd rasant bergab ging. Der weitere Versuch mit Sänger Ronny Munroe ist und war gleichfalls nicht von Erfolgen gekrönt, zumal das Line-Up mittlerweile mehr als nur ausgedünnt ist: Graig Wells und John Marshall haben ihre Gitarren schon lange an den Nagel gehängt, der zuckerkranke Kirk Arrington bekam das Touring  nicht mehr zusammen und was aus Basser Duke Erickson geworden ist, weiß nur der Wind. Einzig Songwriter und Gründungsmitglied Kurdt Vanderhoof ist noch (oder besser: wieder) an Bord. Über die Qualität der späteren Platten darf man ruhigen Gewissens den Mantel des Schweigens legen.

Was das Quintett jedoch nach 1985 auch anpackte, die Reaktionen waren schon aus der Ferne deutlich zu vernehmen.

"So geil wie das Debut wird's wohl nicht mehr werden."

Bei jeder neuen Platte, in jeder Rezension dasselbe Spiel.

"Gute Platte, kommt aber nicht an die Genialität des Erstlings heran."

Damit waren die Weichen gestellt und es sickerte so langsam in jedes verpickelt-pubertäres Kinderzimmer, dass es die Band einfach nicht mehr bringt. Die hatten eben ihren Höhepunkt mit der ersten Platte.

"Da kommt nicht mehr viel."(Antitainment). 

Das ist und war bei aller prinzipiellen Irrelevanz der Diskussion inhaltlich natürlich alles kompletter Quatsch - "The Dark" und vor allem die beiden mit Neusänger Mike Howe eingespielten Alben "Blessing In Disguise" und "The Human Factor" sind Power Metal Alben aus dem vielzitierten Bilderbuch, die, bei selbst bei gedimmten Licht betrachtet, keinen Zentimeter hinter dem freilich beeindruckenden Debut stehen. Aber so ist es keine Überraschung, dass die Verkaufszahlen hinter den berühmten Erwartungen blieben und Epic Records als Konsequenz die Reißleine zogen. Metal Church verloren nach dem fantastischen "The Human Factor" und einer stellenweise katastrophal besuchten "Operation Rock'n'Roll"-Tour (u.a. mit Judas Priest, Alice Cooper und Motörhead) ihren Plattenvertrag, immerhin ein Majordeal. Da schlackert man heute auch mal schön mit dem Kirschkernkissen - solche Bands bekamen mal Majordeals. Von dem Aufprall, den Metal Church oder auch Vicious Rumors nach dem Rausschmiss hinnehmen mussten, erholte sich so schnell niemand mehr.

Es waren die Damen und Herren von Blackheart Records, das Label von Joan Jett, die den fünf Helden einen Anschlussvertrag anboten, um "Hanging In The Balance" zu veröffentlichen, 1993 zunächst in Japan, ein knappes halbes Jahr später in Europa. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass ich im Februar/März 1994 mit einer Erkältung flach lag und meine Eltern darum bat, dass sie mir von ihrem Frankfurter Einkaufsbummel eine CD mitbringen - es war "Hanging In The Balance". Ich brauche außerdem kein überbordendes Erinnerungsvermögen, um ohne jede Übertreibung festzustellen, dass ich diese Platte für mindestens ein komplettes Jahr fast täglich mindestens ein Mal hörte. Ich weiß das nicht nur deshalb so genau, weil ich als 16-jähriger dank langsam einsetzender Pubertät, Grunge-Wahn, den ersten durchgefeierten Nächten und immer länger werdenden Haaren eine sehr intensive Zeit verlebte, sondern auch darum, weil ich schon damals so bekloppt wie heute war und Woche für Woche meine (meist)gehörten Platten in einen karierten Schreibblock reinkritzelte. "Hanging In The Balance" war dort Stammgast, bis ich damit aufhörte - und das muss etwa im Frühling 1995 gewesen sein. Außerdem wuchs dann "Dopes To Infinity" von Monster Magnet gerade über sich selbst hinaus. Aber das ist vielleicht eine Geschichte, die ich mir für einen späteren Zeitpunkt aufhebe. Ich kann mich aber auch deshalb noch so gut daran erinnern, weil ich selbst heute noch jedes Wort mitsingen kann.

Alles an dieser Platte ist pures Gold. Ausdrücklich auch das Cover, über das die Hirnniedrigwasser-Gemeinde des Heavy Metal seit jeher Kübel voller Hohn und Spott ausschüttet. Jeder Song ist eine Sternstunde des Power Metal, geschrieben von einem der damals besten Songwriter, gespielt von zwei "Mega-Gitarristen" (Götz Kühnemund), einem Monsterdrummer und einem legendären Bassisten, gesungen von einem der besten Metal-Sänger aller Zeiten: Mike Howe, der nach dem Rausschmiss von David Wayne so böse damit zu kämpfen hatte, die Puristen von seinen Qualitäten zu überzeugen. Der sich nach der zwischenzeitlichen Auflösung der Band komplett aus der Musikszene verabschiedete und seitdem mit seiner Familie auf einer Farm in Tennessee lebt und nicht mal mehr gesichtet wurde. Er singt auf dieser Platte perfekt.

Alle spielen perfekt. Die Tracks sind perfekt. Makellos. Unglaubliche Riffs. Unglaubliche Melodien. Unglaubliche Power. Komplexe, leicht progressive Epen wie "Little Boy" und "End Of The Age" (Großer Gott!), straighte Power Metal Granaten wie "Conductor" oder "Down To The River", dazu mit dem düsteren und groovigen Opener "Gods Of Second Chance" (inklusive Gitarrensolo von Alice in Chains-Gitarrist Jerry Cantrell) und den filigranen Rockern "Losers Of The Game" und "A Subtle War" - Metal war danach nur ganz selten wieder so unfassbar großartig.

Erschienen auf Blackheart Records, 1993

04.07.2013

...and Jean-Luc says: do not engage!

Vor fast exakt drei Jahren hatte ich schon mal einen Mix von Northern Shore hier auf Dreikommaviernull veröffentlicht - damals wie heute habe ich keinen blassen Schimmer, wer sich hinter diesem Namen verbirgt, aber immerhin lässt sich die Selbstbeschreibung nachlesen:

"My project is about deep journeys into electronic music. Deeply influenced by the kinds of Echospace, Intrusion, DeepChord & Bvdub these journeys are mainly created for home listening and escaping everyday life. My mixes focus on Deep Hypnotic Techno but also on the ambient and experimental part of electronic music and try to create the image that the listener walks alone over an empty long Northern shore while listening to the soundscapes... Don't expect technical perfection as I'm a bedroom mixer who just does this for fun..."

Nun dürfte meine Vorliebe für die Musik eines Brock Van Weys (aka BVDUB) meinen Lesern mittlerweile geläufig sein, also muss ich alleine wegen dieser Erwähnung ziemlich reflexartig die Ohren spitzen. Und ich sollte es aus gutem Grund tun, denn der aktuelle Mix "Lighthouse Arrangements VII" ist erneut ein Seelenöffner. Ein Wachmacher, ein der dein drittes Auge mit Spiritus und Rosenwasser klärt. Wie sonnenklar das hier alles sein kann...

Die Tracklist:

01 Steve Roach - Cloud Cover
02 Thom Brennan - Raingardens
03 cv313 - Beyond the Clouds
04 Tobias Hornberger - Unknown
05 Ohrwert - Mistral
06 Stefan Gubatz - Cologne
07 Michael Mantra - Mountain Version III (Djorvin Clain Version)
08 S/EXP - Distant Horizon
09 Sven Weisemann - Light Sway
10 Deepchord - Spiral 2
11 Deepchord pres Echospace - BCN Dub
12 S.A.M. - Nangijala
13 Deepchord pres Echospace - Rippling (Live)
14 Ian Hawgood - Red Rugs of Infinite Grass (bvdub's Titans of Dahlia Hold You To The Sky - For Ian)


Zu finden (und downzuloaden) ist die Zusammenstellung auf Northern Shores Soundcloud-Seite - und natürlich hier:







Wer nach diesem Irrsinn noch klar denken kann, kann sich durch die beiden BVDUB-Tributes "Bvdub Against The Vanity Of Our Kingdom I +II" durchwühlen, die gleichfalls zum Download angeboten werden:









Und jetzt? Jetzt einfach mal bis zum kommenden Wochenende abwarten, Freitagabend zwei, drei Kannen Grüntee kochen, das verkackte Telefon gegen die Wand schmeißen, die Türklingel anzünden, den Internetrouter in fünf Liter kochendes Wasser legen, den Computer in der gefüllten Badewanne versenken, die Fenster verrammeln, frisches Klopapier kaufen und vor Montagmorgen nicht mehr das Haus verlassen. Einfach nur mal für zweieinhalb Tage stumm rumliegen und die knappen sechs Stunden Musik auf Endlosrepeat laufen lassen. Tag und Nacht.

Es reinigt. Es heilt. Es heilt den Wahnsinn in uns, unser Streben, immer vorne dabei sein müssen. Es heilt unseren Konsumwahn. Es heilt Gürtelrose und juckende Ekzeme. Es heilt den Wortsalat in unseren Köpfen, unsere Geschäftssucht. Es bringt uns Luft, Tiefe und Weite. Irgendwie....irgendwie bringt es das Leben zurück.

Erschienen 2011 (BVDUB) & 2013 (Lighthouse Arrangements VII)


NORTHERNSHORE


30.06.2013

Segue - Pacifica

Kumpel Oli machte mich kürzlich auf eine Platte aufmerksam, die überaus gute Chancen hat, am Ende des Jahres auf meiner berühmten Top 20 Liste zu stehen:


Dabei war es bis vor kurzem gar nicht so einfach, an Segue's "Pacifica"-Platte ranzukommen. Das Silent Season Label hatte sich zwar eine gar wunderbare Behausung für die CD-Version des Albums ausgedacht und diesem Dub-Techno Juwel ein handgemachtes Artwork auf den Leib geschneidert, die Auflage allerdings bei schlanken 300 Stück gehalten. Und diese 300 Exemplare waren in Windeseile ausverkauft.

Die Mädels und Jungs bei Silent Season waren nach eigener Aussage extrabaff über die Geschwindigkeit, in der ihnen "Pacifica" aus den Händen gerissen wurde und entschieden anschließend, eine Sonderauflage auf Doppelvinyl zu veröffentlichen. Die LP ist mittlerweile erschienen und kann bei einschlägigen Mailorders bestellt werden - es ist auch hier anzunehmen, dass man sich nicht allzu viel Zeit lassen sollte.

Als Download ist das Album nachwievor auf legalem Wege nicht zu erhalten. Weil das so ein kleines bisschen schade, und angesichts der vermuteten und hausgemachten Exklusivitätswichse des Labels sogar ein wenig ärgerlich ist, möchte ich auf das unten verlinkte Set hinweisen, das im Rahmen des "A Motion to Stillness" Festivals am 21.12.2012 mitgeschnitten wurde. Und ja, man kann es downloaden.

Einige der "Pacifica"-Stücke sind hier erhalten, also hop-hop, bevor das auch wieder verschwindet.




Ein Satz noch zur Qualität: erinnert sich noch jemand an das großartige Voices From The Lake Album aus dem vergangenen Jahr? Das hier ist sein legitimer Nachfolger. Und jetzt looooooooos!

Erschienen auf Silent Season, 2013.

29.06.2013

Arme Ritter



IMPERMANENCE TRIO/TRICKO-TARECO
Ich muss zugeben, dass ich den Anschluss an neue Veröffentlichungen aus dem Jazz in den letzten Jahren zwischen den ganzen hippen Elektroheinis, Soulfiffies, Funkuschis und Thrasheumels verloren habe. Kritiker könnten nun argumentieren, dass ich ihn sowieso noch nie gefunden, sondern mich immer an den alten Schinken orientiert habe, und ich könnte den Vorwurf, wenn's denn als solcher gemeint ist, nur schwerlich zurückweisen. Dabei ist das gar nicht per se so geplant, denn ich stehe wie der Holzlöffel in der Buttermilch, wenn ich über interessante Sachen stolpere. Gestolpert bin ich auch über die hier und heute vorliegende Split-LP aus dem Hause Impossible Ark. Das Impermance Trio mit Matthew Bourne am Piano, Riaan Vosloo, Schlagzeug und Tim Giles am Bass spielt freie Interpretationen von Sun Ra und Duke Ellington und zieht dabei alles auseinander, was vorher schon nicht so irrsinning eng miteinander verwoben war. Ihre Musik erscheint wie ein Mobilee im Kinderzimmer, das sich selbst vom Flügelschlag einer Fruchtfliege in Bewegung setzen lässt; freie Radikale, und das Schlagzeug klingt wie ein zusammenstürzender Turm von Legosteinen. Ein sehr überlegtes, dunkles und nachdenkliches Set.

Kit Downes sagt über sein Projekt Tricko-Tareco:"Tricko Tareco enjoys simple things put in weird ways." - "weird" ist seine Musik allerhöchstens im Vokabular einiger Jazz-Granitköpfe, die auch beispielsweise beim Auftritt von Nik Bärtsch's Ronin im Innenhof des Frankfurter Historischen Museums mit den Worten "Nächsten Sonntag gibt's auch wieder richtigen Jazz zu hören." besänftigt werden mussten. Tricko-Tareco, neben Downes sind Cellistin Lucy Railton und Soundspezialist Alex Killpartrick mit von der Partie, erscheinen im Vergleich mit dem Impermance Trio klassischer, vielleicht auch starrsinniger in ihrem Ansatz. Vor allem ihr permanenter Drang zur Auflösung der Gegensätze aus moderner, freier Interpretation und einem hinsichtlich ihrer Melodien fast schon barocken Edelstil ist auffällig sorgsam ausgearbeitet. Auch hier überrascht die Souveränität und Ruhe, die von ihren Kompositionen ausstrahlt - ich möchte nicht sagen, dass es sich um niedergeschlagene Musik handelt, aber an einem sonnigen Sonntagmorgen würde ich ehrlich gesagt zu anderer Musik greifen. Für die Nacht indes - eine perfekte Platte.

Erschienen auf Impossible Ark, 2013.

23.06.2013

Suck Satan's Cock!

"Here's the deal, folks: you do a commercial, you're off the artistic roll call forever. End of story. Okay? You're another corporate fucking shill, you're another whore in the capitalist gangbang, and if you do a commercial, there's a price on your head, everything you say is suspect and every word that comes out of your mouth is now like a turd falling into my drink."

22.06.2013

Kartoffelsalat & Architektur



CHICAGO UNDERGROUND DUO - AGE OF ENERGY

"Grauer Wollpullover. Dünner Stoff, ziemlich eng anliegend. Darunter ein weißes Hemd, der Kragen schaut oben raus. Unten sieht man die linke Hälfte des Stoffs rausschauen. Lässig. Aber glasklar strukturiert. Wie in Kunstharz eingegossen. Dazu passend die schmale, rahmenlose Brille, die Haare etwas länger als sie wenigstens meine Oma zu akzeptieren bereit wäre. Leicht zerzauselt, aber Barbara Schöneberger würde für ihn die absurde und kriminell zugerichtete Kartoffelpampe aus der Plastikschale stehen lassen, für die sie offensichtlich noch immer Werbung macht. Vor allem, weil er keine Hose trägt. Und sie, die Schöneberger, übrigens auch nicht. Ich natürlich auch nicht." Juli Zeh hätte für diese Textpassage den Nobelpreis für die erotischste Erzählung seit Didi Hallervordens Drehbuch zu "3 heiße Hexen auf dem Elektro-Tischgrill" bekommen (der ihr zweifellos zusteht). Ich bekomme dafür eine Tracht Prügel (die mir ebenso zusteht) --> Win-Win. Apropos Grillen (die Aktivität, nicht das Insekt): geht's hier auch nochmal um Musik?

Aus den Lautsprechern fließt ein leises Zischen, das sich nach wenigen Augenblicken in ein Brummen, ein Brodeln verwandelt. Die Melodie will sich neue Freunde besorgen, es ist immerhin Frühling. Die Bäume haben sich von Claudia Roth höchtpersönlich grün anmalen lassen und durch das Fenster zieht der Duft des sich anschleichenden Heuschnupfens herein. "Vielleicht einfach die Nasenlöcher zubetonieren, wär' auch total crazy und die Weiber stehen vielleicht drauf." Er trägt den Kaffeepott nicht am Henkel durch das Zimmer, das wäre viel zu konventionell, aber dafür am oberen Tassenrand. Der Tag kann kommen. Wie man so langsam an den Sekunden und Minuten entlangfließt, ohne sie wirklich wahrzunehmen.

Dies ist nicht der Beipackzettel zu einer Randvoll gefüllten Flasche Lachgas, sondern in Wirklichkeit ein kleiner Ausschnitt eines Einblicks in einen ganz typischen Tagesbeginn meines extra abgefahrenen Lebens. Bis auf die Sache mit dem grauen Pullover, der Brille, der Schöneberger und dem Beton in der Nase. Und ich würde auch niemals "Weiber!" sagen, dramaturgisch war es aber nötig. Und ob Didi Hallervorden wirklich dieses besondere Drehbuch geschrieben hat - naja. Ich wäre ja "zumindestens" (Pudel Friedrich) skeptisch. Bevor es nun allerdings allzu doll in die eh schon prallgefüllte Schwachsinnskiste des Musikjournalismus (oder des Wahnsinns - was praktisch dasselbe ist) abgleitet: "Age Of Energy" ist Musik für Architekten mit Kuschelfimmel. Wie aus dem Klischeebilderbuch rausgehüpft. Nun bin ich kein Architekt, aber Kuscheln finde ich total prima.

Was sich auf das erste Anhören wie ein durchgestyltes Stahlgerüst anfühlt (sic!), ein kunstvoll drappiertes meinetwegen, aber nicht besonders einladendes oder anziehendes, ergibt bei der weiteren Auseinandersetzung eine Entwicklung in Richtung eines organischen Freejazz-Entwurfs, dem es weniger um Technik, sondern tatsächlich um Emotionen geht. Es ist der größtmögliche Kompromiss, den Chad Taylor und Rob Mazurek im fünfzehnten Jahr ihres gemeinsamen Musizierens unter dem Banner des Chicago Underground Duos eingehen mögen, und er zeigt sich, gar nicht mal so schlecht versteckt, unter den kraftvollen und ästhetisch zusammengestellten Ebenen ihrer Improvisationen, die durchweg den Weg als Ziel ausgeben ohne dabei ziellos zu sein. "Age Of Energy" balanciert auf der dünnen Linie zwischen glasklarer Anordnung von Elementen auf der einen, und der direkten Ansprache und einem euphorisierten Gefühl der Lebensfreude auf der anderen Seite. Mal geht ein Schritt daneben, aber das ist eben das Risiko, das diesen Ansatz so reizvoll macht. Womit die Analogie zum Leben an sich auch hergestellt ist.

Juli Zeh würde kotzend applaudieren.


Erschienen auf Northern Spy, 2012.


18.06.2013

Todeszungen aus Engelslava



VESTALS - FOREVER FALLING TOWARD THE SKY

Der eine nennt es "kreativen Ausbruch", der andere, also ich, "Rückkehr ins Leben mit kreativem Auswurf" - es flutscht heute obenrum ganz gut, mag an dem Kaffee gelegen haben - und deshalb nehmen wir nochmal flott die Abfahrt ins Shoegaze- und Dream Pop-Land: wer "Forever Falling Toward The Sky" zum ersten Mal hört, schwört Stein und Steißbein, dass sich da eine Band verträumt an den Genitalien herumspielt, aber falsch geschwört, drei Mal schwarzer Kater: Vestals ist das Soloprojekt von Lisa McGee, der einen Hälfte von Higuma. Die andere Hälfte hört am Wegesrande auf den Namen Evan Caminiti und ist meinen Lesern spätestens seit meinen Einlassungen zu dessen "Night Dust" Platte wenigstens namentlich geläufig.  Rämmpämmpämmpämm.

Die fünf Songs auf dieser ganz wunderbaren EP sind hochmelodische Shoegaze-Tortenheber, ungeschliffen und dabei trotzdem himmelhochjauchzend poppig. Selbst das Kratzen der im Hintergrund herumgrummelnden Noise-Gitarre wird von den traumhaft perlenden Gesangs- und Gitarrenarrangements gezähmt. Es regiert die schwüle Sommernacht, der leise Vulkanausbruch mit ausgespuckten und in Äther getauchten Wattebällchen, das glühende Rot hält das Zepter in der Hand, in der Ferne flirrt die Luft, die Augen schließen sich und wollen am liebsten nie wieder geöffnet werden. Genug Klischees und bescheuerte Bilder verbraten? So einen Mist liest man ja ansonsten nur in der Intro. Oder bei, haha: Plattentests. Ich hatte es eingangs erwähnt: Auswurf. Gelber Auswurf. Oder "Schmackes" (G.Knebel). Sei's drum. Was ich sagen wollte: wenn der Mojito gerade frisch durch das Glas schwappt, wenn es eine laue Sommernacht an einem Samstag ist, wenn Dir die Uhr in ihrer ohnmächtigen Kraft "ES IST HALB VIER MORGENS, DU PENNER!" entgegenbrüllt, dann ist das genau, aber mal sowas von GENAU die Platte, die den Abend ausknipsen und Dich ins Bett schicken wird.

Das Tolle daran: "Forever Falling Toward The Sky" funktioniert auch an winterlichen und schneeversunkenen Abenden im Dezember. In Embryonalstellung auf der Couch zusammengerollt, wenn der Wind da draußen die Leere im Innern spürbar und offensichtlich werden lässt, dann, lassen wir's gerade nochmal ernst werden, spenden diese unaufgeregten und umarmenden Kompositionen Trost und Licht.

Ist wirklich so. Ich hab's getestet.

Erschienen auf Root Strata, 2012.