02.10.2013

Ich habe Sex mit Rosenkohl

"Wie die Hausfrau, die die Stube gescheuert hat, Sorge trägt, dass die Tür zu ist, damit ja nicht der Hund hereinkomme und das getane Werk durch die Spuren seiner Pfoten entstelle, also wachen die europäischen Denker darüber, dass ihnen keine Tiere in der Ethik herumlaufen."
Albert Schweitzer

Fast vierzehn Monate sind's, um wenigstens halbwegs genau zu sein - eigentlich wollte ich diesen Text bereits zum einjährigen, hrrrch, Jubiläum geschrieben haben, aber das haute aus den bekannten Gründen nicht hin. Ich weiß jedenfalls noch, was das letzte Lebensmittel war, in dem Spuren von Tieren enthalten waren: ein Nutellabrot. So lautete nämlich meine Abmachung mit mir selbst. Das offene Nutellaglas wird noch leergemacht, danach ist Schluss damit. Schluss mit Käse, Milch, Joghurt. Auf Eier hatte ich schon knapp zwei Jahre zuvor verzichtet. Fleisch wurde ab 1.1.2010 vom Speiseplan gestrichen. Dass Nutella ebenfalls in den Orkus des Vergessens wanderte, ist doppelt prima: Ferrero und ihr CDU-Spendensumpf können mich seitdem mal gepflegt sonstwo. Nik-Nak.

Die Entscheidung, den wenigstens für mich logischen Schritt vom Vegetarier zum Veganer zu gehen, fällte ich in Rekordzeit, praktisch im Affekt. Und das, obwohl ich furchtbar schlecht im Entscheiden bin. Was deutlich untertrieben ist, denn Entscheidungen sind der Teufel. Ich kann soviel logisch abwägen, wie ich will, mein Herz macht mir meistens einen Strich durch die Rechnung. Diesmal hielt es erstaunlicherweise die, haha: Klappe. Ich lag also mit der Herzallerliebsten an einem Samstagnachmittag auf unserem Bett (wir hatten unsere Klamotten noch an, das nur für die Freaks unter meinen Lesern, die sowas gerne in eine Exceldatenbank einpflegen), ich sinnierte ein paar Minuten vor mich hin und plötzlich, richtigerweise von jetzt auf gleich, war ich davon überzeugt, dass ich jetzt vegan leben will. Beziehungsweise muss. Sobald dieses vermaledeite Nutellaglas leer ist, geht's los. Die Moral: wenn's wichtig wird, geht's halt auch ohne wochenlang andauernde Mehrheitsentscheidung. Die Diktatur des Herzens, ein dolles Ding.

Meine Gewissensbisse als Fleischesser waren enorm, tatsächlich wurden sie von Jahr zu Jahr größer. Aber es ist, vor allem nachträglich, verblüffend zu erkennen, zu welchen absurden Verhaltensweisen einen das eigene Bewusstsein bringen kann. Man schiebt einfach alles weg. Es ist alles egal. Solange einem die Fleischbrühe nur das Kinn runterläuft, ist alles gut. Wie es sich so lebt, in Saus und Braus, als selbstgerechtes Arschloch. Ich wusste das alles, ich wusste, wie es in Schlachthäusern zugeht, wie wir als Gesellschaft grundlegend mit Tieren umgehen, wie viele von ihnen wir knöcheltief in der eigenen Scheiße stehen lassen und dann in große Transporter einpferchen. Und je deutlicher und plastischer die Bilder in meinem Kopf wurden, umso mehr hat es mich zerrissen. Es hat so wehgetan, dass mein Kopf den "Erase All"-Schalter drückte. Was ich nicht sehe, existiert nicht. Alles ist gut, weitermachen.


Ich habe oft versucht, Earthlings zu schauen. Ich hielt es nie länger als zehn Minuten aus.


Dann wird anschließend mit traurigem Blick die eigene Katze geherzt und geknuddelt, ich bin ja schließlich Tierfreund - Was essen wir heute Abend eigentlich? Hack! Super! Und mit noch viel traurigerem Blick höre ich mich heute noch sagen:"Ich komm' einfach nicht davon los. Ich komm' von der Scheiße einfach nicht los." Und es stimmt ja auch, es ist nicht einfach, sich aus dieser hierzulande manifestierten Fleischkultur herauszuziehen. Fleisch ist immerhin ein Stück Lebenskraft. Und wer kein Fleisch isst, wird krank. Oder schwul. Am Ende gar beides, da müssen wir nochmal die CDU fragen. Oder Ferrero.

Alles ist aus Blut, Gedärm und Tier. Wenn wir Springbrunnen bauen könnten, aus denen abwechselnd Schmelzkäse und Leberwurstsaft emporsprudelt, unsere Kinderspielplätze wären voll davon. Wir würden's tun, logisch. Damit auch die Kleinen schon lernen, wie man wie die Klingonen alles vollfurzt und zukackt. Am besten fragen wir dazu mal die beiden kleinen Bälger, die in der Fernsehwerbung dem Journalistendarsteller Jörg "Fleischwurst" Pilawa (Disclaimer: Link führt zu einem Youtube-Video und zu Werbung, wenn Du das nicht sehen willst, dann klick' den Mist nicht an) an irgendeinem zugeschissenen aber irrsinnig idyllischen See entgegengerannt kommen, weil der liebe Onkel mit Süßigkeiten Frikadellen in der Plastikhdose in der Gegend rumwedelt. Vielleicht wäre es ja aber auch viel eher angemessen, Hänsel und Gretel nebst ihren Scheißeltern mal für einen Tag in einem Geflügelmastbetrieb einzuschließen und ihnen die Augenlider am Hinterkopf festzutackern, damit sie bloß nicht auf die Idee kommen, angesichts dieser abgrundtiefen Schweinereien die Matzelaugen zu schließen. Einfach mal zwei Stunden an den Schredderautomaten anbinden, in den lebende männliche Küken zu Tausenden reingefeuert werden, dann ein Leben lang eine schöne Verhaltenstherapie.

“I don't mean to sound bitter, cold, or cruel, but I am, so that's how it comes out.”
(Bill Hicks)

Der Auslöser, zu Beginn des Jahres 2010 endlich auf Fleisch zu verzichten, war eine Verkehrsdurchsage im Radioprogramm des Hessischen Rundfunks. Es war ein Freitagabend im Dezember 2009, und ich kann mich noch daran erinnern, ziemlich lange im Büro gewesen zu sein. Auf der Heimfahrt berichtete die Frau im Radio über einen Stau auf irgendeiner Autobahn, es sei ein Viehtransporter verunglückt. Bis hierhin nimmt man das vielleicht noch bräsig-dampfend hin, ohne sich in die nächste Familienpackung Rasierklingen zu stürzen; wie gesagt, das Hirn kann ganz schön viel wegstecken, im wahrsten Sinne des Wortes.

Dann fuhr die Stimme aber fort:"150 Kälber überlebten das Unglück, 150 Kälber wurden getötet." Der Tag war lang, wahrscheinlich war er auch gar nicht so erfüllend, und ich war im Grunde auch gar nicht mehr aufnahmebereit, für was auch immer. Aber die Information konnte ich dann glücklicherweise noch verarbeiten: 300 Kälber. Dreihundert Kälber? Auf einem LKW? Etwa zwanzig Minuten später schloss ich die Wohnungstür hinter mir und mein erster Satz zur Herzallerliebsten lautete:"Ich höre auf mit Fleischessen." Und dann wurde ich krank. Und schwul. Wenn nicht gar beides. Und ich treibe es mit Rosenkohl.


Was ich eigentlich mit all dem sagen wollte: von mir wird es kein "Mir geht's so gut wie noch nie!" geben, ich laufe neuerdings auch nicht nackig durch die Straßen und schmeiße mit Räuchertofu um mich, und ich gebe mir auch Mühe, Fleischesser nicht in die moralische Strafecke zu stellen, jedenfalls solange sie nicht immer noch die Grünen wählen. Mein Körperbewusstsein hat sich nicht so irrsinnig geändert, auch wenn ich seit der Umstellung von vegetarisch zu vegan knappe neun Kilo abgenommen habe. Der geistige Wandel ist indes viel deutlicher zu spüren, und das ist mir bereits nach wenigen Tagen aufgefallen. Es mag sich nach der Verarbeitung eines bösen Klischees anhören, aber ich empfinde unseren gesellschaftlichen Umgang mit Tieren aus ethischer Sicht, inklusive der ökonomischen Potenz der Massentierhaltung, des Konsums und der medialen Aufbereitung durch Werbung, Redaktionen und auch politischer Meinungshoheit praktisch mit jedem Tag abstoßender, bizarrer, verantwortungsloser und inakzeptabler. Franz Alt, zugegebenermaßen keine gute Quelle für allzu Hellsichtiges, sagte mal, dass er der festen Überzeugung sei, es käme der Tag, an dem sich die Menschheit kollektiv bei den Tieren entschuldigen würde. Ich weiß nicht, ob ich diesen Tag noch erlebe, auch wenn ich gleichfalls daran glaube, dass er auf jeden Fall kommt.

Aber ich stände mittlerweile vermutlich in der ersten Reihe.

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