13.11.2013

Thrash'n'Spekulatius - Plätze 16 - 20

Bevor es losgeht nur noch zwei Kleinigkeiten, quasi der Disclaimer.

Erstens gilt die "linke Reihe anstellen, jeder nur ein Kreuz"-Regel. Das heißt: von jeder Band findet nur eine ihrer Platten den Weg in die Top 20. Andernfalls könnte ich hier komplette Diskografien unterbringen - und glaubt mir, ich würde es tun. Will ja aber keiner lesen. Was uns zu zwotestens führt. Was nämlich ebenfalls keiner lesen will, sind Reviews über Megadeth. Nachdem Dave Mustaine die Ausfahrt zur Intelligenz, Weitsicht, Empathie und mentaler Gesundheit nicht genommen hat und stattdessen mit Karacho in Richtung Religion, Patriotismus, vielleicht sogar Faschismus und grundlegender bodenloser, strunzdummer Quadratblödheit unterwegs ist, und darüber hinaus seit eh fast 20 Jahren nur noch Scheißplatten macht, gibt's auch von ihm nix weiter zu lesen. "Rust In Peace" hin, "Peace Sells..." her. Ende.

Und jetzt viel Spatz!



Platz 20:
CYCLONE TEMPLE - I HATE THEREFORE I AM

Aus der Asche der Speed Metaller Znöwhite (hervorragendes Album: "Act Of God") erhoben sich Ende der 80er Jahre Cyclone Temple, die gleich mit dem Debut "I Hate Therefore I Am" einen feinen Underground-Klassiker erschufen. Herausragend: das Gitarrenspiel von Greg Fulton, einem überaus talentierten Gitarristen mit der vielleicht akzentuiertesten Anschlagtechnik der gesamten Szene, sowie der Drang der Band, in das komplexe Geschreddere Melodien und Hooklines einzuhäkeln. Cyclone Temple waren weder die härteste noch schnellste Band der Welt, aber sie waren zumindest auf ihrem Debut sehr virtuos - und sehr eigenständig. Der Nachfolger "My Friend Lonely" (1994) ist dagegen mit den hilflosen, aber damals typischen Verweisen in Richtung Pantera ein ziemlich unguter Witz. 

Erschienen auf Combat Records, 1991.




Platz 19:
FLOTSAM AND JETSAM - NO PLACE FOR DISGRACE

Diese Platte hatte ich bereits an anderer Stelle lobend erwähnt und ich kann es drehen und wenden, wie ich will: auch wenn Flotsam And Jetsam in ihrer Sturm & Drang-Phase Mitte/Ende der 80er Jahre immer eher dem Speed Metal zuzurechnen waren, müssen die Buben alleine wegen der Qualität ihrer beiden Erstlingswerke hier genannt werden. "No Place For Disgrace" klingt dabei ausgereifter und strukturierter als das forsche Debut und weist trotz des kurz vor den Aufnahmen zu Metallica gewechselten und damit abhanden gekommenen Hauptsongwriters Jason Newsted keinerlei Schwächen im Songwriting auf. Dafür bringen mich Granaten wie "Hard On You", "I Live, You Die" oder der Titelsong auch 25 Jahre nach Veröffentlichung immer noch zur Raserei. Menschen mit einer Allergie für hohe Metalstimmen sollten allerdings Turnschuhe anziehen, in denen sie schnell laufen können.

Erschienen auf Elektra, 1988.



Platz 18:
VIO-LENCE - ETERNAL NIGHTMARE

"Eternal Nightmare" ist eine oftmals übersehene Perle des Genres, gleichzeitig aber auch eine der energiereichsten Aufnahmen aus der Blütezeit des Thrash Metal. Vio-Lence wurden, vor allem in Europa, in erster Linie mit dem zweiten, immerhin auf dem Major Megaforce erschienenen Album "Oppressing The Masses" für einen Sommer bekannt - das Debut ging im direkten Verlgeich stets etwas unter. Die Problemzone der Band ist vor allem Sänger Sean Kilian, der auf "Eternal Nightmare" zwar noch einen guten und originellen Eindruck hinterlässt, auf späteren Alben aber wirklich kaum zu ertragen ist. Die Band haut auf "Eternal Nightmare" jedenfalls ein Wahnsinnsriff nach dem anderen raus und die physisch spürbare Energie der fünf Chaoten (einer von ihnen heißt übrigens Robb Flynn) überträgt sich automatisch auf den Hörer. Und wo die großen Vorbilder Exodus "Good, Friendly, Violent Fun" propagierten, ließen Vio-Lence davon nur "Violent" übrig.


Erschienen auf Megaforce, 1988.



Platz 17:
HEATHEN - VICTIMS OF DECEPTION

Als das zweite Heathen-Album "Victims Of Deception" 1991 erschien, hatte sich der Thrash Metal aus den ruppigen, schnellen, naiven Anfangstagen schon längst zu einem komplexen Groove- und Riffmonstrum wentwickelt - nicht zuletzt beeinflusst durch eine Platte wie Metallicas "...And Justice For All". "Victims Of Deception" ist eine dieser Platten, die jene Entwicklung mit hochverdichteten, überlangen Kompositionen und großen, ausladenden Riffschlachten aufgriff und sogar einen Schritt weiterführte. Alleine die ersten drei Songs rechtfertigen alle Huldigungen, die über diese Scheibe kursieren. "Hypnotized", "Opiate Of The Masses" und "Heathen's Song", jeweils zwischen knappen acht und neuneinhalb Minuten lang, gehören zum Besten, was dieses Genre bislang produziert hat. Schade, dass die 2010 erschienene Comebackscheibe mit patriotischem US-Bullshit kokettiert und darüber hinaus auch klanglich ein aufgeblasener, kaputtkomprimierter, phantasieloser Haufen Mist ist.

Erschienen auf Roadrunner, 1991. 



Platz 16:
MORBID SAINT - SPECTRUM OF DEATH

32 Minuten Tod, Hass, Zerstörung und "wahnsinnige Geschwindigkeit" (Lord Helmchen) - "Spectrum Of Death" ist eine der extremsten Thrashplatten aller Zeiten. Ungeheuer roh und wild jagt das Quintett durch sieben SOngs und ein kurzes Intro, als sei Markus Lanz persönlich hinter ihnen her. In so manchem Moment bleibt einem angesichts der schieren Gewalt der Songs nicht mehr viel anders übrig, als laut loszulachen, beispielsweise bei "Scars", der mit über sieben Minuten längste Track der Platte. Nicht, dass wir uns falsch verstehen: das ist kein lächerliches und kopfloses Gerumpel, die Jungs wussten im Gegensatz zum Produzenten (Eric Greif, Manager von Death) sehr genau, was sie hier tun. Aber die Intensität ihrer Attacken ist so glühend, so verzehrend...da muss man sich ab und zu nochmal daran erinnern, dass das alles nur Musik ist. Eine Platte, vor der man weniger aufgrund kompositorischer Leckerbissen, als vor ihrer Leidenschaft den Hut ziehen muss, und die außerdem wohl 98% der heutigen Plastikmetallerszene heillos überfordert.

Erschienen auf Avanzada Metallica, 1989.



11.11.2013

Thrash'n'Spekulatius



Ich hatte es ja erst seit einem knappen Jahr angekündigt, die Mühlen mahlen eben langsam auf Dreikommaviergähn: es ist Zeit für meine zwanzig liebsten Thrash Metal Platten. Bis schätzungsweise März gibt's nun also Listen, Listen, Listen und noch mehr Listen. Uhr ihr steht doch auf Listen, ich weiß es. Schließlich geht es Ende Dezember dann auch schon in die heiße Top 20 2013-Phase. Das wird alles so wunderschön, ich könnte mir jetzt schon in die Büx machen.

Der Grund, warum der ganze Quatsch so lange gedauert hat, ist übrigens der denkbar Offensichtlichste. Aus dem Fundus von über dreihundert genre-relevanten Scheiben in der Sammlung die zwanzig Güldenen auszuwählen ist eine Sache (die mich schon komplett überfordert hat), diese Kandidaten dann noch in eine schmissige und halbwegs nachvollziehbare Reihenfolge zu bringen eine ganz andere. Zudem kommt der ewige und überaus leidige Schubladenkampf, der selbst mich als nicht unbedingt schubladensüchtig bekannten Typen kirre macht: ist das schon Thrash, oder noch US-Metal? Was ist mit Speed Metal? Power Metal, anyone? Und was mach' ich mit diesem abgefahrenen Scheiß hier, der im Prinzip weder das eine, noch das andere ist - ganz zu schweigen von dem ganz anderen. Und trotzdem gehört's am Ende eben doch dazu. Es blieb erwartungsgemäß grotesk viel auf der Strecke, und wo so manches einfacher zu streichen war, musste ich bei der ein oder anderen Entscheidung manchmal wochenlang mit mir kämpfen. Und als ich mir in den letzten Tagen die finale Aufstellung nochmal genauer anschaute, ging der ganze Mist schon wieder von vorne los. Es hilft nichts - Strich drunter machen und einfach loslegen. Dacht' ich mir so. 

Noch ein kurzes Wort zum Prozedere: zu den Plätzen 6 - 20 gibt's Kurzreviews, die Plätze 1 - 5 werden ausführlicher angesprochen. Morddrohungen, weil Deine Lieblingslatte fehlt, gehen an die bekannte Adresse. In diesem Zusammenhang können Metallica-Fans schonmal ihr Mailprogramm öffnen. Pfrz! Gehen Sie bitte weiter, es gibt hier absolut nichts zu sehen.

Eine Sache gibt's jedoch, die ich jetzt noch kurz ansprechen muss. Um nicht Gefahr zu laufen, komplett zu vernerden, gibt es eine Platte, die strenggenommen zwar zu den Top20 gezählt werden könnte, die ich aber schlussendlich nicht in meine Hall Of Fame aufgenommen habe. Zum einen besitze ich sie nicht in physischer Form, was sich auf absehbare Zeit auch nicht ändern wird. "Vision" der längst aufgelösten Thrashcombo SILENCE aus Washington, USA gibt es erstens nur auf CD und kostet zweitens ein nicht mehr ganz so kleines Vermögen: zwischen 300 und 800 Dollar ist hier offensichtlich alles im Bereich des Möglichen. Zum anderen ist "Vision" eher ein Kandidat für die nächste "Vergessene Perlen"-Reihe und bis 2015 will ich nicht warten. Tatsächlich hat erst vor vier Tagen ein astreiner Typ (ich war's nicht!) die komplette Platte auf Youtube hochgewemmst, weshalb ihr sie jetzt ohne Runterladerei ganz entspannt hören könnt.

Ich bin jedenfalls bei jedem Hören immer wieder baff, wie die Buben sowas aus dem Ärmel schütteln konnten. Im Grunde ist "Vision" der missing link zwischen Dark Angel ab 1989 und Ostküstenherrlichkeit wie jener von Overkill oder den frühen Anthrax, qualitativ beinahe auf Augenhöhe. Hätte man den Jungs 1990 einen etablierten Produzenten vors Mischpult geknallt, der ihnen die Songs ein bisschen gestrafft und sie dynamischer zusammengebastelt hätte, wäre es garantiert nicht nur bei diesem einen Album geblieben, das heute komplett vergessen ist.

Enjoy!






07.11.2013

Nachtblüte



EVAN CAMINITI - DREAMLESS SLEEP


Falls sich noch jemand an meine mehr als nur lobenden Worte über und für Caminits "Night Dust" Album vom vergangenen Jahr erinnert, wird sich ein, zwei Gedankenfunken später möglicherweise gefragt haben, wo denn die zwangsläufige und damit konsequente Huldigung zum kurz darauf erschienenen "Dreamless Sleep" Album zu finden sei. Bis vor sechs Wochen hätte ich noch rotzfrech geantwortet, dass ich für so dicht aufeinanderfolgende Platten qualitativ keine Hand ins Feuer legen würde, und ich mir von einer Solotyp-streichelt-die-Gitarre-Musik jetzt auch nicht endgültig jede Veröffentlichung neben das Bio-Basilikum ins Regal stellen muss. Was natürlich alleine ob meiner BVDUB-Verehrung und dem damit verbundenem Konsumrausch hinsichtlich seiner mindestens drölf Trilliarden Platten pro Quartal wenigstens diskussionswürdig, wenn nicht gleich komplett plem-plem ist, aber das müssen wir jetzt nicht brutalstmöglich aufklären, am End' weint wieder jemand und dann haben wir den Salat. Außerdem hatte ich an "Night Dust" derart helle Freude, dass es einfach nicht mehr benötigte. Ich bin's selten genug, aber ich war halt mal total glücklich und zufrieden.

Ich wusste also, dass "Dreamless Sleep" existiert, aber ich ließ es links liegen - bis ich das Werk für schlappe 12 Euro beim guten Herrn Ratzer, besser gesagt in dessen Stuttgarter Plattencafé herumliegen sah. Und für 12 Euro, dazu ein gutes Jahr nach "Night Dust", würde ich mir selbst eine Maxisingle von Marianne & Michael andrehen lassen. Fast. Meine Reaktion nach alleine dem ersten Hördurchgang mag sich jetzt jeder selbst denken können; der freudetrunkene Gesichtsausdruck in Richtung der nebenan sitzenden Herzallerliebsten, verbunden mit einer prachtvollen Erektion, Quatsch: Endorphinquote im Hypothalamus (ich bin kein Wirbeltier, aber es passt halt dramaturgisch ganz gut rein, in den Text...Apropos: Schleimaale sind auch Wirbeltiere!) brachte mich auf Badeschaumwolke Sieben. Zunächst gilt es festzustellen: "Dreamless Sleep" ist weniger architektonisch als sein Vorgänger. Die räumliche Struktur von "Night Dust" hat sich an feinstofflichen Schwebeteilchen geheftklammert und sich somit zu tatsächlich nokturnen Zwischenwelten hinwegamorphelt, die Dich und die Deinen durch das tragen, was "zumindestens"(Tom Angelripper) in meinem Buch unter dem Rubrum "Leben" abgebildet ist: auf dem Musiksessel sitzen, die Kopfhörer auf den Ohren, die Lautstärke in einem Bereich gepegelt, der gesundheitlich sicherlich nicht so völlig astrein ist - aber wenn er dann kommt, dieser Erweckungsmoment, dieses Durchschlüpfen zu der Erkenntnis, gerade einem ziemlich Großen zuzuhören, wie er uns da mit perfekt ausbalancierter Ästhetik die Nacht erklärt, er uns wie Copperfield in der Schwebe hält, im Nebel, der Gischt, spürt man trotz des einen umgebenenden irdischen Irrsinns plötzlich die Erleichterung darüber, dass es die andere Seite eben auch noch gibt. Die lebendige, die aufgewachte und bewusste Seite. Mehr kann Musik nicht für Dich tun.

Erschienen auf Thrill Jockey, 2012.

04.11.2013

Die Vergessenen



FLOTSAM AND JETSAM - CUATRO


Als Einstimmung zur sich nunmehr wenigstens leise ankündigenden Thrash Metal Top 20, geht es heute mit Flotsam And Jetsam um eine Band, die seit beinahe dreißig Jahren zu den großen Konstanten des Heavy Metal zählt und gleichzeitig Anfang der neunziger Jahre einen beispiellosen Absturz hinnehmen musste. Das klingt kaum so, als sei es miteinander vereinbar, aber diese Band hat eben einen eisernen Durchhaltewillen. Dafür habe ich beispielhaft mit "Cuatro" ein Album ausgewählt, das so gemeinschaftlich wie grundlos als eines ihrer schwächeren gilt. Die Auswahl hat auch mit der Vinylanschaffung zu tun, die ich kürzlich tätigte. Die Kratzer in der Größe des verdammten Grand Canyons auf beiden Seiten können mir ehrlich gesagt mal den Schuh aufpumpen, denn selbst sie können mir den Hörspaß zu keiner Sekunde verhageln.

Flotsam And Jetsam aus Arizona starteten mit zwei Alben in ihre Karriere, die heute in aller Seelenruhe einstimmig zum Kanon des Speed Metal gezählt werden dürfen. Nach zwei Demos und Beiträgen auf den legendären Metal Massacre und Speed Metal Hell Samplern zeigt das Debut "Doomsday For The Deceiver", veröffentlicht im Juli 1986, eine hungrige, taufrische Band nebst blitzsauber komponierten, teils komplexen Sternstunden des Heavy Metal. Was folgte war der erste Bruch in einer an Brüchen nicht besonders ärmlichen Karriere: Bassist und Hauptsongwriter Jason Newsted wechselt wenige Monate nach Veröffentlichung des Debuts zu Metallica, um dort den verstorbenen Cliff Burton zu ersetzen; gleichzeitig der Startschuss für ein instabiles Line-Up, dem besonders die Position des Bassisten für die nächsten Jahre einige Sorgen bereitet. Das Zweitwerk "No Place For Disgrace" aus dem Jahr 1988 lässt indes qualitativ keinerlei Rückschlüsse auf den internen Zustand der Band zu, denn sie zeigt sich kompositorisch nochmals gereift und feuert ihren brettharten, dank Wundersänger Eric A. Knutson auch überaus orginellen Speed Metal aus allen Rohren. Das Seil, um sich an den "...And Justice For All"-Erfolg der großen Vorreiter Metallica zu hängen ist nicht nur geknüpft, es ist bereits gespannt: der Major MCA nimmt die Flots unter Vertrag und schickt sie mit Produzent Alex Perialas ins Studio, um das wegweisende und so wichtige dritte Album aufzunehmen. "When The Storm Comes Down" ist dann der zweite Nackenschlag, der allerdings nachhaltigere Konsequenzen als Newsteds Abgang für die Truppe bereithält. Nach Aussage der Band ist es vermutlich das Mastering, das kolossal in die Hose geht: der Klang der Snare ist ein Anschlag auf den guten Geschmack, dazu ist sie im Gesamtsound unverschämt präsent, der Gitarrensound ist dagegen verwaschen und so crisp wie ein vier Tage altes Heringsalatbrötchen und Eric A. Knutsons Stimme lässt an manchen Stellen Köpfe und Stahltanks explodieren. Die Songs? "Orientierungslos" trifft es wohl am besten. Einiges ist tatsächlich ausnehmend gut ("Suffer The Madness"), aber der eigentliche Schaden war mit dem Sound des Albums angerichtet.

Damit endet auch die lange Einflugschneise zu "Cuatro". 1992 hatte der Grunge seinen vorübergehenden Siegeszug angetreten, und zusammen mit seinem schlecht muffelnden Bruder Alternative Rock sollte er den verbliebenen Metal Bands für einige Jahre das Leben schwer machen. Metallica wurden als vielleicht einzige "alte" Band von dieser musikalischen Kontinentaldrift verschont: sie feierten mit dem schwarzen Album den endgültigen Einzug in den Mainstream. Nimmt man alleine diese beiden Faktoren zur Hand, hat man eine ziemlich genaue Vorstellung davon, wie "Cuatro" klingt. Wie groß der Einfluss des Labels auf das vierte Studioalbum ausfiel, ist schwer zu sagen, wenngleich man sich wohl nicht allzu weit aus dem Fenster lehnt, wenn man angesichts der miesen Verkaufszahlen des Vorgängers und des veränderten musikalischen Klimas von der ein oder anderen Sondersitzung des Labels mit der Band ausgeht. Die Tage des Thrash Metals waren jedenfalls gezählt, und wo schon auf "When The Storm Comes Down" das Tempo deutlich gedrosselt wurde, regierte auf "Cuatro" endgültig das Midtempo, das nur von einigen kurzlebigen oppositonellen Revolutionen unterbrochen wurde. Aber es ist wie so oft viel zu kurzsichtig, eine Platte nur an ihrem Tempo zu bewerten, denn das strahlendste Element auf "Cuatro" sind die Gitarren- und Gesangsarrangements, beide bedeutend vielschichter und komplexer als in der Vergangenheit. Es sind in erster Linie die etwas zurückgezogeneren Tracks wie "The Message", "Cradle Me Now" und vor allem das fantastische "Wading Through The Darkness", die der komplexen und tiefen, an das zweite Mind Funk-Album erinnernden  Gitarrenarbeit den erforderlichen Auslauf liefern, während Eric A.K. die verblüffend guten Hooklines zusammenknüpft und für Ohrwürmer en masse sorgt. Und auch wenn nicht jede Songidee den Weg in mein Herz findet, ist die Platte in ihrer Gesamtheit viel besser als ihr Ruf.

Ich stand immer sehr loyal zu Flotsam And Jetsam. Bis zum 1999er Album "Unnatural Selection" hatte ich jede ihrer Platten im Schrank stehen - erst danach verlies es mich. Wohl auch, weil die Band ab "Unnatural Selection" erstmalig ihr Mojo verlor. Die Platte klang so tragisch, so unvollständig, so sehr nach absteigendem Ast, nach aufgebrauchter Kraft. Dagegen halte ich die beiden Nachfolger von "Cuatro" - "Drift" aus dem Jahr 1995 und "High" (1997) - auch heute noch für gut- bis hochklassige Metalalben. Vor allem "Drift" hat einige ganz feine, kompakte, brilliant produzierte Hits, die im Gegensatz zu so manch anderer Scheibe aus dem Neunzigern auch überraschend gut gealtert sind. Womit wir beim Kern dessen sind, was ich mit dem ganzen Klimbim sagen möchte. Flotsam and Jetsam hatten in den Neunzigern ausgiebig mit jenen Betonköpfen zu kämpfen, die ihnen Ausverkauf und Anbiederung an den Zeitgeist vorwarfen. Im Vorfeld zu "Drift" wurde beispielsweise standhaft berichtet, die Band würde jetzt alternativen Rock spielen und sich an damals hippen Industrialelementen vergreifen. Und spätestens da war das Metal-Kind endgültig in den Glaubwürdigkeitsbrunnen gefallen. Die Truppe war schon nach den vieldiskutierten Alben drei und vier angeschlagen, nun war sie endgültig unten durch - und selbst der Labelwechsel in den Heimathafen Metal Blade zum 1997er "High"-Werk vermochte den Schaden nicht mehr gut zu machen. Seitdem krebsen Flotsam And Jetsam mehr schlecht als recht durch die Jahre, Platten und Clubs dieser Welt, verständlicherweise längst nicht mehr mit dem Feuer und der Eindringlichkeit früherer Jahre, dabei aber immer noch couragiert und leidenschaftlich. Und außerdem mit einem der besten, originellsten und kraftvollsten Sängern des Heavy Metal.

Ich muss das alles nicht mehr hören, aber ich verfolge ihre Karriere mindestens mit einem halben, aber dafür wachsamen Auge.

Erschienen auf MCA Records, 1992.

23.10.2013

OOOOOOOOOOOOOOOOOHHHHHHHHHH, CRIKEY!



LAWNMOWER DETH - OOH CRIKEY IT'S...LAWNMOWER DETH


Ich hatte gestern den gesamten Tag über einen (musikalischen) Ohrwurm im Schädel, den ich kurioserweise bis zum Verlassen des Büros nicht eine Sekunde hinterfragte, im Sinne von "was hörst Du denn da schon wieder für einen Mist?". Erst beim tatsächlich ersten Schritt vor die Tür dämmerte es mir: das ist die "Kids In America" Coverversion der britischen Moshcoreler von Lawnmower Deth. Der sich direkt daran anschließende "Wie geil ist das denn?"-Gedanke konnte mir zwar auch nicht erklären, wie ich nach jahrelanger Bandabstinenz plötzlich gerade auf die Chaostruppe kam, aber es war total super, an eine Platte erinnert zu werden, die meine Jugend maßgeblich begleitete.

Lawnmower Deth standen für ihre drei Langspielplatten und die "Kids In America"-Maxi bei der englischen Death'n'Grind-Labelinstitution Earache unter Vertrag und es war vor allem das Debut "Ooooohhhh Crikey It's...Lawnmower Deth!", das mich begeistern konnte. Die Bandmitglieder nannten sich Qualcast "Koffee Perkulator" Mutilator, Concorde Faceripper, Schizo Rotary Sprintmaster, Mightymo Destructimo und Explodin' Dr Jaggers Flymo, auf dem Cover machten ein paar wildgewordene Rasenmäher Supermann fertig, und Titel wie "Can I Cultivate Your Groinal Garden" oder mein persönlicher Favorit "Icky Ficky" waren selbst (oder besser: ganz besonders) für einen vierzehnjährigen Pubertätsbolzen genau das richtige. Ich meine, come on?!

Auch musikalisch hätte man die fünf Irren auch gleich ins entsprechende Haus einliefern lassen können - man wusste irgendwie nicht so richtig, wie man dieses Hardcore, Punk und Thrash-Klamaukgemisch nehmen sollte. Dabei lag die Antwort auf der Hand: am besten mit einem Zwerchfellriss. Im Grunde ist das Debut mit Hits, Hits und Hits gespickt - manchmal einfach nur sekundenlanger Trash, ein ander Mal patent gespielter, naiver und ungestümer Thrash. Ihre Unbeschwertheit fanden Lanmower Deth nach "Oooh Crikey..." nur noch selten. 1994 war nach dem deutlich konventionelleren Album "Billy" Schluss.










Die Band hat sich 2009 für ein paar Auftritte reformiert und gehört seitdem fast schon zum Inventar des Download-Festivals, was nicht verwundert, wenn man sich die Reaktionen des Publikums anschaut. Dabei ist es gleichfalls nicht wenig überraschend, dass die Truppe sich tatsächlich in exzellenter und lebhafter Form präsentiert. Keine Spur von den erwartbaren alten Männern. Hier habe ich euch eine Version von "Icky Ficky" beigefügt (es gab mal noch eine Aufnahme auf Youtube, die diesen Wahnsinn besser ins Bild brachte, aber sie ist dummerweise verschwunden), die total großartig finde:




Und zum Abschluss noch das eingangs erwähnte Cover von "Kids In America":





Auch solche Band werden heute irgendwie nicht mehr gebaut.

Erschienen auf Earache, 1990.

17.10.2013

Tout Nouveau Tout Beau (9)

dEUS - FOLLOWING SEA

dEUS sind für mich die europäische, aufgeräumte, intellektuelle Version der kaputten Afghan Whigs. Der zweifellos in ihrer Musik zu erkennende Hedonismus ist im Gegensatz zu jenem eines Greg Dulli dabei weniger zerstörerisch, dafür introspektiv und eine Spur überlegter. Wo sich Dulli im Heroinnebel die Arme mit einer geplatzten Vodkaflasche zerschnippelt, sitzt dEUS-Fronter Tom Barmann in einem Pariser Café, trinkt - Überraschung - Kaffee (schwarz, stark) und raucht Gitanes, wenn er in einem Pariser Café noch rauchen dürfte. Und er verzehrt sich. Innerlich. Nach Liebe und Freiheit und Ficken und Emotion. Es geht um die Verbindung von Pimmel, Kopf und Bauch und dEUS kämpfen um jedes Neuron. Oder Spermium. Oder meinetwegen auch: jeden Ton. Wie so manches auf ihren Platten nach der Wiedervereinigung ist vieles völlig vockstark, um nicht zu sagen: vegeisternd, so manches schießt in seiner Banalität auch über das Ziel der offenen Hose hinaus. Der auf französisch gesungene (und in meiner Wahrnehmung alleine deshalb irgendwie obszöne) Opener "Quatre Mains" und der Rausschmeißer "One Thing About Waves" sind große Intesitätsmonster, letzteres wird sogar von der Herzallerliebsten goutiert; dagegen ist "Girls Keep Drinking" ein nicht irrsinnig spannender Abklatsch von "The Architect" (von "Vantage Point"), und "Crazy About You" wirklich nur Kitsch, und ist darüber hinaus sehr übersichtlich veranlagt. Das wichtigste Element von "Following Sea" ist aber die Geschlossenheit nicht nur dieser Platte, sondern dieser Band im Allgemeinen. dEUS wissen hundertprozentig, wie sie klingen wollen, und wie sie klingen müssen. Und das bleibt auch auf "Following Sea" ihr inspirierendstes Element.

Erschienen auf Play It Again Sam, 2012.




BVDUB & LOSCIL - EREBUS

Google verrät mir, dass bislang noch niemand in deutscher Sprache über diese Platte geschrieben hat, und selbst wenn "Erebus" erst seit Anfang dieser Woche erhältlich ist, kann, nein muss ich es ändern. Über Brock van Weys BVDUB und seiner Armee an veröffentlichter Musik im Laufe des Jahres wird an anderer Stelle und zu einem späteren Zeitpunkt noch zu reden und schreiben sein. Dass mich diese Kooperation mit Loscil (aka Scott Morgan) sehr kurzfristig wieder an exakt jene Wand schleudert, an der noch heute ein Abdruck meines zerschmetterten Körpers zu finden ist, weil ich sein "The Art Of Dying Alone"-Album vielleicht das ein oder andere Mal zu oft, zu laut und zu endorphinisiert gehört habe, will ich jetzt schon loswerden. Es gibt Momente auf dieser Platte, die mir schier die seelenlose Hülle meines irdischen Daseins sprengen. Es ist laut, manchmal nah an der Unerträglichkeit. Ich will, ach was: ich muss platzen. Ich bekomme körperliche Reaktionen. Schweißausbruch. Husten. Jetzt könnte man sagen, ich soll aufhören das Poster von Kristina Köhler anzuschauen, aber was alleine "Aether" mit mir anstellt, ist beeindruckend, beängstigend und macht einen am Ende des Tages dann eben doch zwei Köpfe größer, mindestens aber zu einem besseren Menschen. Genug der Lobhudelei, nur eins noch: "Erebus" erscheint auf Glacial Movements. Spätestens jetzt wissen die Eingeweihten, was zu tun ist. Genau, Fieberthermometer und Wadenwickel. 

Erschienen auf Glacial Movement, 2013.




BOARDS OF CANADA - TOMORROW'S HARVEST

Ich habe lange darüber nachgedacht, was ich mit "Tomorrow's Harvest" anstellen soll und ehrlich gesagt weiß ich es immer noch nicht so genau. Mein Gefühl zu dieser Platte ist völlig indifferent, und ich habe mich für diesen Blogpost kurzerhand dazu entschieden, dass ich jenes Gefühl als kein allzu gutes Zeichen werte. Wenn ich auch nach mehreren Wochen des ausgiebigen Hörens immer noch nicht weiß, was das hier alles soll, ist für gewöhnlich Ärger im Verzug.

Zugegeben, der Hype um die Veröffentlichung dieses Comebacks der beiden Schotten Michael Sandison und Marcus Eoin Sandison machte es mir zunächst schwer, überhaupt vorurteilsfrei an "Tomorrow's Harvest" heranzutreten - dieser ganze Quatschhaufen aus limitierten LPs und Maxis, Streamingsessions in der Wüste, rätselhaften Zahlenkombinationen und dieser ganz grundlegend elitäre Dreck kann mich mal kreuzweise. Natürlich lebt der Mythos Boards Of Canada auch und insbesondere genau davon, aber trotzdem wäre man noch vor wenigen Jahren einhellig der Meinung gewesen, dass gerade die Musik dieser beiden Phantome all das nicht notwendig hat. Im Jahr 2013 gehört das Klappern aber eben auch (und insbesondere) zur Hipster-Internet-Welt der Pitchfork-Generation, und die erzielten Chartpositionen beweisen zumindest die geschäftliche Relevanz dieser Taktik.

Die künstlerische Seite ist schon eine Spur heikler, zumal die Platte den Hype im Prinzip zu keiner Sekunde rechtfertigt. Aber so ist es ja irgendwie immer. Welche Platte rechtfertigt schon einen übertriebenen Hype? Talking about Erwartungshaltung. Zumal es ja im Grunde auch keinen mehr interessiert, wenn die Platte mal im Schränkchen steht. Insofern passt "Tomorrow's Harvest" bestens in die heutige Zeit der Verschleierung und des Plastikwahns. Dabei stricken die beiden Brüder ihre Musik zwar immer noch eindeutig nach altbewährtem Muster, haben die interessanten, experimentelleren und tief eingegrabenen, verschlungenden Pfade der Vergangenheit mittlerweile aber weitgehend verlassen und setzen hinsichtlich Stimmung und Atmosphäre auf haudünn ausgerolltes musikalisches Butterbrotpapier. Vieles auf "Tomorrow's Harvest" ist für meinen Geschmack viel zu anschmiegsam, zu gefällig und in der Konsequenz genau so trüb wie die Skyline San Franciscos auf dem Coverartwork. Manches ist besser ("Nothing Is Real"), manches geradezu gruselig ("Split Your Infinities", "New Seeds"), während der vor sich hin dümpelnde Mittelteil der eindrücklichste Beweis dafür ist, dass einer wie Four Tets Kieran Hebden die beiden Brüder in Sachen Kreativität, Spielwitz und Tiefe mit Karacho rechts überholt hat.

"Tomorrow's Harvest" ist die generationsangepasste Light-Version der Boards Of Canada - man kann den jungen, wilden, kreativen Latte Macchiato Menschen von heute einfach nicht mehr zumuten. Sehen wir's ein. Marketing took over.

Erschienen auf Warp, 2013.

06.10.2013

Blank When Zero support Sea Shepherd



Im japanischen Taiji läuft auch in diesem Jahr das große Abschlachten von Walen und Delfinen. Sea Shepherd ist erneut mit einem Team vor Ort und dokumentiert die Ereignisse.

Ich schrieb es erst vor kurzem, dass ich mich normalerweise nicht durch diese Schreckensbilder/-videos klicke, weil ich damit schlicht nicht klarkomme. Hier habe ich ein paar Minuten überlegt, mich dann am Ende dafür entschieden. Ich kann es im Grunde niemandem empfehlen, sich das wirklich anzuschauen, andererseits dann aber eben doch. Es ist manchmal nicht so schlecht, sich darüber Gedanken zu machen, zu was der Mensch fähig ist. Und wenn ich sage "der Mensch", dann meine ich damit uns. Uns alle. Wir sind das. Und es wird endlich mal Zeit, auch dafür Verantwortung zu übernehmen.

Der Nachteil: man fühlt sich sofort schuldig. Und mit was? Mit Recht.


Blank When Zero, unsere kleine Punkband mit den kleinen Songs und großen Vinylschallplatten, unterstützt seit einiger Zeit Sea Shepherd, eine Umweltschutzorganisation, die sich den Schutz der Meere zum Auftrag gemacht hat. Ich hatte Sea Shepherd schon im letzten Jahr auf diesem Blog erwähnt.

Nun ist's so, dass sich Simon, Marek und meinereiner dazu entschlossen haben, unsere letzte und immer noch aktuelle Platte via Bandcamp zum Download anzubieten. Bislang war der Download exklusiv mit einem Kauf der Schallplatte verbunden.

Wir möchten im Zuge der Ereignisse in Taiji Sea Shepherd mit einer Spende unterstützen und bieten deshalb auf unserer Bandcamp Seite unser "Einerseits..."-Album als "Name Your Price"-Download an. Das heißt: ihr bestimmt, wieviel Geld ihr bereit seid, für die digitale Version der Platte zu zahlen und wir übergeben den kompletten Erlös dieser Aktion an Sea Shepherd. Der Minimalbetrag pro Download ist 1 Euro.


Blank When Zero - Bandcamp

Die Aktion wird bis zum 31.12.2013 laufen. Alle eingegangenen Beträge werden über Bandcamp direkt auf das Konto von Sea Shepherd geleitet. Das heißt, wir fallen als Durchlauferhitzer weg. Damit habt Ihr mehr Transparenz (und die Paypal-Ficker weniger von ihren Scheißgebühren).

Was Ihr nun tun müsst, wenn Ihr wollt: teilt diesen Blog-Link und den Bandcamp-Link mit Euren Freundinnen und Feunden. Meinetwegen auch mit irgendwelchen anderen Menschen. Ist uns egal.

Spread the word. Und saugt uns kaputt.

P.S.: Natürlich könnt ihr auch weiterhin das blaue DIY Vinyl für 10 Euro inklusive Versand bei uns bestellen. Ihr könnt dafür auch Bandcamp verwenden - oder kontaktiert uns direkt via Facebook, oder unter flow [at] dreikommaviernull [dot] de. Bitte verwendet diese Kontaktdaten auch dann, wenn Ihr Fragen zu dieser Aktion habt, oder wenn irgendwas auf Bandcamp nicht funktionieren sollte.

Vielen Dank von
Simon, Marek & Flo

04.10.2013

Four Tet - Beautiful Rewind


Ich hatte Kieran Hebdens Four Tet-Moniker nach dem ziemlich schwachen "Pink"-Album aus dem Jahr 2012 etwas aus den Augen verloren. Die Magie, die er auf dem immer noch fantastischen "There Is Love In You" entfesselte, konnte ich auf "Pink" nicht heraushören - zu zerfasert und orientierungslos erschienen mir die Tracks, die mir bisweilen auch hinsichtlich der ausgewählten Sounds faustgröße Löcher in mein Nervenkostüm frästen.

Das in den kommenden Tagen erscheinende neue Werk "Beautiful Rewind" macht nach den ersten Durchläufen einen bedeutend besseren Eindruck auf mich und spielt sich damit in die Kandidatenreihe für die Jahres-Top 20. Neu-Deutsch und Alt-Behindert heißt sowas im Jahr 2013: es ist shortlisted.

Hebden hat für eine begrenzte Zeit den kompletten Albumstream auf Soundcloud gewuchtet. Viel Spaß beim Hören (und gebt dem dusseligen Soundcloud-Geschwerrl hier unten drunter ein paar Sekunden Zeit zum Laden).

Anmerkung: hier war mal eine Soundcloud-Box mit dem Komplettstream des neuen Four Tet Albums hinterlegt. Mittlerweile ist das Album offiziell digital verfügbar, weshalb Hebden den Soundcloud-Link wieder von Netz nahm. Ihr findet die Platte, sowohl physikalisch als auch digital bei den einschlägigen Mailorders.

03.10.2013

Urban Haschisch


BRAZZAVILLE - EAST L.A. BREEZE

Ich weigere mich ja noch standhaft, die Heizung anzuknipsen, wenngleich es hier und da schon etwas arg frisch in der just neu bezogenen Höhle werden kann. Ehrlich gesagt wäre ich unter normaleren Umständen schon vor zwei Wochen zum ersten Mal im Keller vor dem Heizboiler aufgetaucht, aber die drei Millionen Kubik an Pressspanplatten aus der Vormieterwohnung versperren den Weg dahin. Das habe ich superclever gemacht, ich weiß. Aber hey, es war Ende Juli, als ich den Kellerraum zurammelte, wer denkt da schon an den Herbst?! Wer dem Sommer jedenfalls noch die ein oder andere Träne nachweinen möchte, sich mit aller Gewalt auch noch im Oktober in Badeshorts und -latschen schießen und sich einen eiskalten Cuba Libre in die Unnerbüx gießen will, dem kann geholfen werden, wenigstens hinsichtlich des Rubrums "vom Feeling her hab ich ein gutes Gefühl": Brazzavilles "East L.A. Breeze" aus dem Jahr 2006 macht selbst aus meinem Keller eine stickige, schummrige Strandbar. Hochsommer, drei Uhr in der Nacht, Strohhut, weißer Rum. Und draußen schwappt das halbe Klärwerk durchs Mittelmeer.

Dabei machte "East L.A. Breeze" eine erstaunliche Metamorphose durch. Das sechste Studioalbum der Band mit dem im selbstauferlegten spanischen Exil lebenden Sänger, Gitarristen und Songwriter David Brown sorgte zunächst alleine ob des schwer in den Vordergrund gerollten Gesangs für mittelschwere Skepsis, die Herzallerliebste rümpfte aufgrund der Intonation und des bassigen, extra_extra_extralässigen Timbres Browns gar ausgiebig die Nase. Der Gewöhnungseffekt arbeitet jedoch gemeinsam mit der Aura dieses Albums erfolgreich daran, die Stimme nicht nur als Teil des Ganzen, sondern als fundamentalen Bestandteil dessen zu sehen, was diese Musik in erster Linie ausstrahlt. Wer sich darauf einlässt bekommt einen tiefenentspannten, zu gleichen Teilen emotionalen und gar hedonistischen Seelenschmeichler geschenkt, der introvertiert und reflektiert von der Liebe und von der Welt erzählt. Brown, der seit Ende 2003 seine Zelte in Barcelona aufgeschlagen hat, begeistert dabei mit seiner beeindruckenden Lebenserfahrung und -weisheit, die aus nahezu jedem Ton rinnt. Sein Leben als Ausreißer auf den Straßen von Hollywood, seine musikalischen Erfahrungen (u.a. als Saxofonist in der Tourband von Beck), sein völker- und kulturverbindendes Leben und Schaffen lassen sich in seinen Kompositionen, seinem Gesang und seinem Auftreten wieder entdecken.

Heute ist "East L.A. Breeze" fester Bestandteil der Sammlung, hat bislang jede große Verkaufsrunde überstanden, und ist mittlerweile sogar bei meiner Mitbewohnerin zumindest respektiert. Ich erinnere mich daran, wie wir im letzten, schon viel zu lange zurückliegenden Urlaub, diesen hyperleicht vor sich hin groovenden Track zum Aufwachen hörten, während draußen sich das Meer an die Küste kräuselte. Wunderbare Tage in Clichy.





Brown, der Brazzaville im Mai 2009 auflöste, bevor er sie im Juni (!) des gleichen Jahres wiederbelebte, feiert mit seiner Musik seit Jahren größere Erfolge in Russland und in den Gebieten der ehemaligen Sowjetunion, nachdem der Radio-DJ und Kritiker Artemy Troitsky die Band für sich entdeckte und immer öfter in seiner Radioshow spielte. Auch in der Türkei sind Brown und Brazzaville längst keine Unbekannten mehr. Brown ist Lebemann, Kreativexplosion, Macher, Romantiker, Utopist in einem. In wenigen Wochen erscheint das via Kickstarter vorfinanzierte Konzeptalbum "Morro Bay", im Sommer 2014 wird die Band auf der Wolga und auf dem vielleicht eigens umgebauten und eigenen Schiff für Waisenkinder und Senioren spielen, und im Bandmanifest heißt es:

Brazzaville is dedicated to the naïve idea that the world is a beautiful place filled with wonder. We believe that there is another reality, just below the surface of our waking world, in which all is well. This is the true reality for us. We are committed to becoming less afraid of the world around us by helping others whenever possible. We love playing music and we dream of having a ship that runs on waste oil so that we may travel the seven seas making new friends and eating salted cod and mangosteen.





Man kann das alles nun wirklich schlechter machen.

Erschienen auf Vendlus Records, 2006.

02.10.2013

Ich habe Sex mit Rosenkohl

"Wie die Hausfrau, die die Stube gescheuert hat, Sorge trägt, dass die Tür zu ist, damit ja nicht der Hund hereinkomme und das getane Werk durch die Spuren seiner Pfoten entstelle, also wachen die europäischen Denker darüber, dass ihnen keine Tiere in der Ethik herumlaufen."
Albert Schweitzer

Fast vierzehn Monate sind's, um wenigstens halbwegs genau zu sein - eigentlich wollte ich diesen Text bereits zum einjährigen, hrrrch, Jubiläum geschrieben haben, aber das haute aus den bekannten Gründen nicht hin. Ich weiß jedenfalls noch, was das letzte Lebensmittel war, in dem Spuren von Tieren enthalten waren: ein Nutellabrot. So lautete nämlich meine Abmachung mit mir selbst. Das offene Nutellaglas wird noch leergemacht, danach ist Schluss damit. Schluss mit Käse, Milch, Joghurt. Auf Eier hatte ich schon knapp zwei Jahre zuvor verzichtet. Fleisch wurde ab 1.1.2010 vom Speiseplan gestrichen. Dass Nutella ebenfalls in den Orkus des Vergessens wanderte, ist doppelt prima: Ferrero und ihr CDU-Spendensumpf können mich seitdem mal gepflegt sonstwo. Nik-Nak.

Die Entscheidung, den wenigstens für mich logischen Schritt vom Vegetarier zum Veganer zu gehen, fällte ich in Rekordzeit, praktisch im Affekt. Und das, obwohl ich furchtbar schlecht im Entscheiden bin. Was deutlich untertrieben ist, denn Entscheidungen sind der Teufel. Ich kann soviel logisch abwägen, wie ich will, mein Herz macht mir meistens einen Strich durch die Rechnung. Diesmal hielt es erstaunlicherweise die, haha: Klappe. Ich lag also mit der Herzallerliebsten an einem Samstagnachmittag auf unserem Bett (wir hatten unsere Klamotten noch an, das nur für die Freaks unter meinen Lesern, die sowas gerne in eine Exceldatenbank einpflegen), ich sinnierte ein paar Minuten vor mich hin und plötzlich, richtigerweise von jetzt auf gleich, war ich davon überzeugt, dass ich jetzt vegan leben will. Beziehungsweise muss. Sobald dieses vermaledeite Nutellaglas leer ist, geht's los. Die Moral: wenn's wichtig wird, geht's halt auch ohne wochenlang andauernde Mehrheitsentscheidung. Die Diktatur des Herzens, ein dolles Ding.

Meine Gewissensbisse als Fleischesser waren enorm, tatsächlich wurden sie von Jahr zu Jahr größer. Aber es ist, vor allem nachträglich, verblüffend zu erkennen, zu welchen absurden Verhaltensweisen einen das eigene Bewusstsein bringen kann. Man schiebt einfach alles weg. Es ist alles egal. Solange einem die Fleischbrühe nur das Kinn runterläuft, ist alles gut. Wie es sich so lebt, in Saus und Braus, als selbstgerechtes Arschloch. Ich wusste das alles, ich wusste, wie es in Schlachthäusern zugeht, wie wir als Gesellschaft grundlegend mit Tieren umgehen, wie viele von ihnen wir knöcheltief in der eigenen Scheiße stehen lassen und dann in große Transporter einpferchen. Und je deutlicher und plastischer die Bilder in meinem Kopf wurden, umso mehr hat es mich zerrissen. Es hat so wehgetan, dass mein Kopf den "Erase All"-Schalter drückte. Was ich nicht sehe, existiert nicht. Alles ist gut, weitermachen.


Ich habe oft versucht, Earthlings zu schauen. Ich hielt es nie länger als zehn Minuten aus.


Dann wird anschließend mit traurigem Blick die eigene Katze geherzt und geknuddelt, ich bin ja schließlich Tierfreund - Was essen wir heute Abend eigentlich? Hack! Super! Und mit noch viel traurigerem Blick höre ich mich heute noch sagen:"Ich komm' einfach nicht davon los. Ich komm' von der Scheiße einfach nicht los." Und es stimmt ja auch, es ist nicht einfach, sich aus dieser hierzulande manifestierten Fleischkultur herauszuziehen. Fleisch ist immerhin ein Stück Lebenskraft. Und wer kein Fleisch isst, wird krank. Oder schwul. Am Ende gar beides, da müssen wir nochmal die CDU fragen. Oder Ferrero.

Alles ist aus Blut, Gedärm und Tier. Wenn wir Springbrunnen bauen könnten, aus denen abwechselnd Schmelzkäse und Leberwurstsaft emporsprudelt, unsere Kinderspielplätze wären voll davon. Wir würden's tun, logisch. Damit auch die Kleinen schon lernen, wie man wie die Klingonen alles vollfurzt und zukackt. Am besten fragen wir dazu mal die beiden kleinen Bälger, die in der Fernsehwerbung dem Journalistendarsteller Jörg "Fleischwurst" Pilawa (Disclaimer: Link führt zu einem Youtube-Video und zu Werbung, wenn Du das nicht sehen willst, dann klick' den Mist nicht an) an irgendeinem zugeschissenen aber irrsinnig idyllischen See entgegengerannt kommen, weil der liebe Onkel mit Süßigkeiten Frikadellen in der Plastikhdose in der Gegend rumwedelt. Vielleicht wäre es ja aber auch viel eher angemessen, Hänsel und Gretel nebst ihren Scheißeltern mal für einen Tag in einem Geflügelmastbetrieb einzuschließen und ihnen die Augenlider am Hinterkopf festzutackern, damit sie bloß nicht auf die Idee kommen, angesichts dieser abgrundtiefen Schweinereien die Matzelaugen zu schließen. Einfach mal zwei Stunden an den Schredderautomaten anbinden, in den lebende männliche Küken zu Tausenden reingefeuert werden, dann ein Leben lang eine schöne Verhaltenstherapie.

“I don't mean to sound bitter, cold, or cruel, but I am, so that's how it comes out.”
(Bill Hicks)

Der Auslöser, zu Beginn des Jahres 2010 endlich auf Fleisch zu verzichten, war eine Verkehrsdurchsage im Radioprogramm des Hessischen Rundfunks. Es war ein Freitagabend im Dezember 2009, und ich kann mich noch daran erinnern, ziemlich lange im Büro gewesen zu sein. Auf der Heimfahrt berichtete die Frau im Radio über einen Stau auf irgendeiner Autobahn, es sei ein Viehtransporter verunglückt. Bis hierhin nimmt man das vielleicht noch bräsig-dampfend hin, ohne sich in die nächste Familienpackung Rasierklingen zu stürzen; wie gesagt, das Hirn kann ganz schön viel wegstecken, im wahrsten Sinne des Wortes.

Dann fuhr die Stimme aber fort:"150 Kälber überlebten das Unglück, 150 Kälber wurden getötet." Der Tag war lang, wahrscheinlich war er auch gar nicht so erfüllend, und ich war im Grunde auch gar nicht mehr aufnahmebereit, für was auch immer. Aber die Information konnte ich dann glücklicherweise noch verarbeiten: 300 Kälber. Dreihundert Kälber? Auf einem LKW? Etwa zwanzig Minuten später schloss ich die Wohnungstür hinter mir und mein erster Satz zur Herzallerliebsten lautete:"Ich höre auf mit Fleischessen." Und dann wurde ich krank. Und schwul. Wenn nicht gar beides. Und ich treibe es mit Rosenkohl.


Was ich eigentlich mit all dem sagen wollte: von mir wird es kein "Mir geht's so gut wie noch nie!" geben, ich laufe neuerdings auch nicht nackig durch die Straßen und schmeiße mit Räuchertofu um mich, und ich gebe mir auch Mühe, Fleischesser nicht in die moralische Strafecke zu stellen, jedenfalls solange sie nicht immer noch die Grünen wählen. Mein Körperbewusstsein hat sich nicht so irrsinnig geändert, auch wenn ich seit der Umstellung von vegetarisch zu vegan knappe neun Kilo abgenommen habe. Der geistige Wandel ist indes viel deutlicher zu spüren, und das ist mir bereits nach wenigen Tagen aufgefallen. Es mag sich nach der Verarbeitung eines bösen Klischees anhören, aber ich empfinde unseren gesellschaftlichen Umgang mit Tieren aus ethischer Sicht, inklusive der ökonomischen Potenz der Massentierhaltung, des Konsums und der medialen Aufbereitung durch Werbung, Redaktionen und auch politischer Meinungshoheit praktisch mit jedem Tag abstoßender, bizarrer, verantwortungsloser und inakzeptabler. Franz Alt, zugegebenermaßen keine gute Quelle für allzu Hellsichtiges, sagte mal, dass er der festen Überzeugung sei, es käme der Tag, an dem sich die Menschheit kollektiv bei den Tieren entschuldigen würde. Ich weiß nicht, ob ich diesen Tag noch erlebe, auch wenn ich gleichfalls daran glaube, dass er auf jeden Fall kommt.

Aber ich stände mittlerweile vermutlich in der ersten Reihe.

16.09.2013

Last Exit Sossenheim




Das dürfte so ziemlich der längste August aller Zeiten gewesen sein, aber es kommt eben doch so einiges anders, als man das fürs Erste voraussehen kann. Der Plan, nach dem vollzogenen Umzug in die neuen Räumlichkeiten sofort wieder mit dem Hören und Schreiben zu beginnen, fiel angesichts der Mammutaufgaben "Renovieren, Auspacken, Kochen, Sortieren, Essen, Einräumen, Bumsen" grandios ins Wasser, und just als das Licht am Ende des Tunnels eine dreiviertel Lumensekunde heller wurde, und ich also schließlich noch drei freie Tage vor mir hatte, hat mir die olle Körper-Mistsau noch eine wunderbare Erkältung auf den wortwörtlichen Hals gehetzt, die mich für eine gute Woche außer Gefecht setzen sollte.

Alles keine guten Voraussetzungen, um mal Durchzuatmen, und wenn es auch noch so nötig gewesen wäre. Es scheint sich indes zur Routine zu entwickeln, dass ich in Phasen, in denen wenigstens mein Geist ausnahmsweise mal im Begriff ist sich langsam zurückzulehnen, für die nächsten Tage das Krankenbett hüten darf. Ich finde das ja ehrlich gesagt ein wenig beängstigend, sacknervend sowieso, aber das macht auch nicht gerade den Eindruck, als könnte ich daran mit einem Fingerschnippsen etwas ändern. Was es an schlechten Tagen sogar noch eine Spur beängstigender macht.

Nun hat mich seit zwei Wochen das heiß und fettig geliebte Arbeitsleben wieder und ich kann nicht behaupten, dass sich seitdem an meinem leicht aus dem Rahmen geplumpsten Leben etwas geändert hat. Nach elf Jahren Wiesbaden fällt es mir alten Sicherheitsfanatiker offenschtlich nicht so irrsinnig leicht, die neue Umgebung mit einem satten Schmatzer und einer Büchse Konfetti zu begrüßen. Noch ist alles so furchtbar neu, die Wege sind noch so schrecklich ungewohnt und tatsächlich habe ich sogar noch nie in einer Wohnung gelebt, in der es statt Teppichboden einen (zugegebenermaßen schicken) Laminatboden gab. Und der gar nicht mal so kleine Kirschlorbeerbaum vor der Tür trug noch vor wenigen Tagen fast genausoviele Blätter wie Wespen, die sich an seinem Saft labten - sie ließen mich zwar weitestgehend in Ruhe, aber darum geht es meinem kleinen Hirnschiefstand im Dachgeschoss ja auch nicht. Kurz: meine sich jedes Jahr stärker ausgeprägt zeigende Wespenphobie tanzte den eingesprungenen Kasatschok. Mittlerweile sind die Wespen weg, dafür lässt der Kamerad seit ein paar Tagen seine Beeren auf die Erde fallen und ich bräuchte dann mal jemanden, der unserem Fibbel-Hund mitteilt, er möge die kleinen schwarzen Dinger nicht fressen, weil er sich sonst eine schöne Vergiftung mit Blausäure einfängt. Dühüüüses Läben - es ist schon eines der Verrücktesten.

Trotz all dieses banalen Scheißdrecks, der mich nun seit Mitte Juli auf Trab hält, habe ich natürlich das Musikhören nicht aufgegeben. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall: ich habe sogar sehr ausgiebig Musik gehört, aber ich kam ums Verrecken nicht zum Schreiben. Was gibt's also Neues?

Zunächst wäre da meine erneut entflammte Sucht für alten Thrash Metal erwähnenswert. Es hagelte neue alte Scheiben von Flotsam And Jetsam, Assassin, Fear Of God (Yeah!), Tankard, Obituary, Sacrosanct, Paradox, Assorted Heap (Doppelyeah!) - was mich unter anderem auch daran erinnert, dass meine Top 20 des Thrash immer noch darauf wartet, auf den Blog gewuchtet zu werden. Es wird kommen. Noch in diesem Jahr.

Dazu gab es einige schöne Jazz-Klassiker. Thelonious Monks legendäre "Monk"-Aufnahme für Columbia aus dem Jahr 1964 versüßte der Herzallerliebsten und mir das ein oder andere Urlaubsfrühstück, Jackie McLeans "Bluesnik" wurde für einige Wochen Stammgast auf dem Plattenteller, das neue Gregory Porter Werk ist trotz der zu erwartenden Tendenz in Richtung des Jazz Mainstreams (EMI/Blue Note, q.e.d.) eine vor allem klangliche Sensation und im Stuttgarter 2nd Hand Records fand ich eine alte Zusammenstellung des Impulse-Labels, auf der mein Liebling Grachan Moncur III mit einem bislang unveröffentlichten Track  "The Intellect" zu finden ist. Freude.

Gleichzeitig wächst die Gil Scott Heron-Sammlung unaufhaltsam weiter. Neben der schon lange gesuchten und endlich von Freund Jens für mich geschossenen "Reflections" Platte von 1981 konnte ich noch "1980" von - Riesenüberraschung! - 1980 auftreiben, die mich allerdings vor einige Rätsel stellt. Weniger musikalisch - es ist die letzte Aufnahme mit Scott-Herons altem Sidekick Brian Jackson, bevor das Duo die Zusammenarbeit aufkündigen sollte - die Platte gehört sicher zu den besseren Werken des 2011 verstorbenen Sängers, aber ich habe es noch nicht erfasst, wie mir "1980" bis vor zwei, drei Monaten noch völlig unbekannt sein konnte. Ich suche nun schon seit Jahren nach seinen alten Aufnahmen und bin eigentlich so schlecht nicht informiert, aber "1980" hatte ich bis dato noch nicht mal irgendwo gesehen. Ganz zu schweigen gehört. Was nun noch zur Komplettierung der Sammlung aussteht: "Bridges", "Real Eyes" und "Secrets". Nicht, dass ich ohne diese drei Platten nachts nicht mehr ruhig schlafen könnte, aber. Punkt.

Ernstzunehmende Kandidaten für die Jahresbestenliste flatterten mir außerdem von Stephan Mathieu in den neuen Wespenbau. Seine Kollaboration mit David Sylvian "Wandermüde" und die Doppel-LP "The Falling Rocket" unter eigenem Namen sind zwei der schönsten Platten des laufenden Jahres. Und wo das gesagt ist gibt's noch einen fast exklusiven Tipp von mir für euch: Die Absolute Boys aus Australien haben mit "Heavy Flow" meine Sommerplatte des Jahres 2013 geschrieben. Ist für alle total super, die auf einen schwül-fiebrigen Young Marble Giants-Shoegaze-Indiestoner abrumpeln. Außerdem sieht die Platte "totally like" (Miley Cyrus) wunderbar aus.

Das war also der kurze Rundflug durch das neue, frische, tolle Plattenregal, das übrigens immer noch wie Kraut und Rüben aussieht. Ich versuche mich bislang erfolgreich vor der Aufgabe zu drücken, das Alphabet als ordnungsstiftende Maßnahme einmarschieren zu lassen. Ich muss es tun, weil's mich so ein klein bisschen wahnsinnig macht, andererseits ist's ja nun im Prinzip auch schon scheißegal.

Immer diese Zwiespalte. Immer dieses Leben.

"Es geht weiter, Weiter, immer weiter." (Oliver "Ich habe das Wurstabitur" Kahn)

23.07.2013

Sommerloch

Es ist in den letzten drei Wochen etwas still hier geworden, und ich glaube, es ist angemessen, mich mal flott in den Blogurlaub zu verabschieden. Der feine Herr Dreikommaviernull zieht nämlich um, also von Stadt A nach Stadt B; ich kehre der Hessen-Hitler-City den Rücken, der Stadt der Adlerträger also den Pimmel (wieder) zu, und zwischen zusammengeschobenen Kisten, Möbeln, Baustoffen, Farbeimern und Haustieren auf der einen, und einem nach wie vor nicht still vor sich hin dämmernden, sondern im Gegentum ausgesprochen lebhaft agierenden Arbeitshandy auf der anderen Seite, lässt es sich nicht gut Musik genießen - und noch viel weniger darüber schreiben.

Anfang August ist der ganze Irrsinn vorbei, und da mich im Anschluss volle drei Wochen Urlaub angrinsen, freue ich mich jetzt schon auf viele um die Ohren geschlagene Nächte, tolle neue Platten und einen wachsweichen Restsommer in Chlodwig Poths ehemaligem Kiez. Es dauert nicht mehr lange und ich freue mich darauf.

Wir lesen uns wieder im August.

"Bleibt so schön!" (Wayne Lovett)