GIL SCOTT-HERON - SPIRITS
Geld soll man ausgeben. Immer. Ich horte so gut wie nichts, denn das letzte Hemd hat keine Taschen. *phrasenschwein* Und Platten soll man hören. Immer. Ich kaufe nichts, um es hinterher im Schrank verstauben zu lassen. Das passiert sowieso zwangsläufig, weil ich keine 1700 Alben auf einen Schlag hören kann. Aber jede Platte kommt auf den Teller, egal, wie wertvoll sie auch sein mag, sei es monetär oder emotional.
Nun gibt es aber eine kleine virtuelle Schranke in meinem Kopf, die mich vor all zu großen Dummheiten in Sachen Plattenkauf bewahrt. Ab 30 Euro wird die Luft ziemlich dünn, was andererseits auch bedeutet, dass sich Florian mal eine (oder sechs) Thrashplatten zu 25 Euro das Stück rauslässt - ist ja unter 30 Euro. Kurz gesagt: finde ich einen heiligen Gral für einen Preis um die 30 Euro, kann es schon mal passieren, dass ich schwach werde. Vier Mal habe ich die Schranke bisher gerissen und "Spirits" des großen Poeten Gil Scott-Heron ist eine meiner Niederlagen, die spätestens beim Aufsetzen der Nadel in einen triumphalen Sieg umgewandelt wurde. Schlimm genug, dass ich Gil erst mit seinem "I'm New Here"-Album aus dem Jahr 2010 auf das Radar genommen habe, umso besser indes, dass ich seitdem meinem alten Komplettistenwahn verfallen bin und nach und nach seine umfangreiche Diskografie heim ins Reich hole.
"Spirits" wurde im Jahr 1994 veröffentlicht, und wer mich kennt weiß von meiner nasagenwirmal: Macke, dass ich also für gewöhnlich und nicht nur bei Soul/Jazz Musik aus den neunziger Jahren ausgesprochen skeptisch bin, weil viele der alten Stars aus den Siebzigern und Achtzigern schon lange auf der Rolltreppe ins Nichts standen und mit orientierungslosen und anbiedernden Platten krampfhaft versuchten, wie der neue heiße Scheiß zu klingen. Das Rad drehte sich 1994 eben schon deutlich schneller als 1974 - und nicht alle konnten mit der Geschwindigkeit umgehen. Ich hatte das Album, mit dem Scott-Heron nach seinem "Moving Target" Werk und damit nach zwölf Jahren Studiopause wie aus dem Nichts wieder an die Oberfläche der Musikwelt zurückkehrte, schon seit einiger Zeit auf dem Zettel. Nicht zuletzt wegen genau dieser Geschichte: da taucht einer unter, tourt hier und da mal um die Welt, schüttelt sich für das Anti-Apartheidsalbum "Sun City" eine Textzeile wie "The first time I heard there was trouble in the Middle East, I thought they were talking about Pittsburgh." aus dem Ärmel, wird 1985 von der Plattenfirma aus den Verträgen entlassen und steht ausgerechnet 1994 mit neuer Musik wieder auf der Matte, als der sozial- und gesellschaftlichskritische Hip Hop der East Coast gegen den Gangstaschrott der West Coast allmählich ins Hintertreffen geriet. Scott-Heron galt nicht erst seit gestern als einer der Urväter der Hip Hop-Bewegung (auch wenn er es nicht gerne hörte, als solcher bezeichnet zu werden), und das erste Stück von "Spirits", "Message To The Messengers", spricht genau die Generation schwarzer Jugendlicher an, die plötzlich den Faden aus der Hand legte
und mit Waffen auf die eigenen Reihen losging:
Hey, yeah, we the same brothas from a long time ago
We was talkin' about television and doin' it on the radio
What we did was to help our generation realize
They had to get out there and get busy cause it wasn't gonna be televised
We got respect for you rappers and the way they be free-weighin'
But if you're gon' be teachin' folks things, make sure you know what you're sayin'
Older folks in our neighborhood got plenty of know-how
Remember if it wasn't for them, you wouldn't be out here now
And I ain't comin' at you with no disrespect
All I'm sayin' is that you damn well got to be correct
Because if you're gonna be speakin' for a whole generation
And you know enough to try and handle their education
Make sure you know the real deal about past situations
It ain't just repeatin' what you heard on the local TV stations
...Sometimes they tell lies and put 'em in a truthful disguise
But the truth is that's why we said it wouldn't be televised
(...)
And if they look at you like you're insane
And they start callin' you scarecrow and say you ain't got no brain
Or start tellin' folks that you suddenly gone lame
Or that white folks had finally co-opted your game
Or worse yet implying that you don't really know...
That's the same thing they said about us...a long time ago
Young rappers, one more suggestion before I get out of your way
But I appreciate the respect you give me and what you got to say
I'm sayin' protect your community and spread that respect around
Tell brothas and sistas they gotta calm that bullshit down
Cause we're terrorizin' our old folks and brought fear into our homes
And they ain't got to hang out with the senior citizens
Just tell them, ?Dammit...leave the old folks alone?
"Message To The Messengers" setzt damit ein erstes Ausrufezeichen auf einem frischen, wachen und zeitlosen Album. Der Titeltrack ist ein smoother, deeper Jazz-Schlitten aus der Feder von John Coltrane, "Give Her A Call" eine soulige Ballade für nächtliche Listening Sessions an der Lavalampe. Die beiden weiteren Höhepunkte finden sich auf der B-Seite: Die Trilogie "The Other Side" ist ein ausuferndes Remake seines alten Klassikers "Home Is Where The Hatred Is", in dem Gil auch seine eigenen Drogenprobleme thematisiert, und das einsichtige und gleichzeitig optimistische "Don't Give Up", für das er sich Ali von A Tribe Called Quest an seine Seite holte, klingt überraschend modern, ist dabei hochmelodisch und vielleicht die beste Nummer des Albums. Im Vordergrund der Produktion steht natürlich seine einzigartige, angekratzte und beschädigte Stimme, ein Instrument, das in seiner Ansprache lauter ist als das ganze Orchester, das den Boden dieser exzellenten Kompositionen aufbereitet.
Don’t give up
Yes it’s time to stop your fallin’
You’ve been down long enough
Can’t you hear the spirits callin’
Yes it’s the spirits
Can’t you hear it
Callin’ your name
Yeah talkin’ bout spirits
Gil Scott Heron starb am 27.Mai 2011, und ich glaube, wir haben noch nicht ganz verstanden, welchen Verlust wir damit erlitten haben.
Meine Entdeckungsreise hingegen hat im Grunde gerade erste begonnen, so bring it on!
Erschienen auf TVT, 1994.