13.04.2023

Best Of 2022 ° Platz 9: Cool Maritime - Big Earth Energy



COOL MARITME - BIG EARTH ENERGY

Das Cover kam, ich sah, und alle siegten. Ich musste nicht mal vorab in "Big Earth Energy" reinhören.

Beziehungsweise eben doch, aber - ich schwör's! - nur ganz knappe dreikommavier Sekunden und eigentlich auch nur, um sicherzustellen, nicht mit Reggae, Schrebergartenmetal oder tätowierten Karohemden-"Punk" für Bausparer zunächst über- und dann unterrascht zu werden. Über die Stilfrage hinaus musste ich mir indes keine Sorgen machen. Und ich kann meinen Leser*innen versichern, dass auch über ihren Köpfen nur die rosaroteste Wolke schweben wird, wenn diese Platte sich auf dem Plattenteller dreht. 
 
Vielleicht ist die Wolke aber auch eher grünlich (pun intended) anstatt rosarot, denn "Big Earth Energy" ist...grün. Von oben nach unten, rechts nach links, Westen nach Osten, Norden nach Süden: grün. Es klingt grün, es riecht grün, es schmeckt grün, es fühlt sich grün an. Es ist grün. Was es außerdem ist: voller Leben, voller Wärme, voller Wunder, voller Kraft und voller Bilder. 

Wir tauchen ein in einen tiefen, dichten, unberührten Urwald. Regenzeit. Über den Baumkronen räkeln sich Dunstfelder und wirken in den diffusen Sonnenstrahlen wie eine funkelnde Aura, eine Schutzschicht. Darunter tobt Leben, tausendfach, millionenfach. Eine Reizüberflutung aus Reflexen, Bewegungen, Intuitionen, Fluchtpunkten. Zur gleichen Zeit findet man in diesem tosenden Wirbel zur eigenen Mitte, spürt die Atmung, den Puls, den Herzschlag. Spürt den Boden unter den Füßen. Setzt vorsichtig einen Fuß vor den anderen, und entwickelt mit jedem Schritt diese fremde, mystische Welt von Neuem. Das Erleben ist unmittelbar. 

Der Kalifornier Sean Hellfritsch hat mit "Big Earth Energy" die vergegenwärtigendste Musik der letzten Jahre erfunden. Zwischen New Age und progressiver elektronischer Musik der 1980er Jahre tänzeln warme, perlende Synthie-Arpeggios wie Glühwürmchen durch die Nacht und setzen mit den lebhaften perkussiven Elementen kristalline Akzente voller Verve und Seligkeit. Darüber breitet sich ein Vibe aus, der mit melancholisch nur unzureichend beschrieben ist - es ist eher ein Innehalten, die Wahrnehmung von Zwischentönen, ein Aufsaugen, eine Verdichtung der Existenz. Eine Art universeller "What a time to be alive!"-Moment zwischen Euphorie, Demut, Empathie und Pathos. 

Das Universum sind wir. 



Vinyl: Obwohl bei der Pressung offenbar GZ Media die Griffel im Spiel hatte, ist meine grüne Vinylversion tadellos. Das Cover-Artwork, ganz besonders in Verknüpfung mit der grünen Schallplatte gehört zum Schönsten, was ich seit "A State Of Becoming" von Lav und Purl gesehen habe. Bekommt einen Ehrenplatz in der Sammlung. Gebe ich nie wieder her. (+++++)


 


Erschienen auf Western Vinyl, 2022.

Keine Kommentare: