MARILLION - SOUNDS THAT CAN'T BE MADE
Mit einem Fazit die Plattenbesprechung beginnen? Was bei der Belegschaft des einmalig behämmerten Musikexpress ein neuntägiges Martyrium nach sich zöge, dass also Friede "Schwarze Witwe" Springer höchstpersönlich den derart geächteten Redakteuren die gesammelten Kolumnen von Franz-Josef Wagner vorliest, nackt, ist mir als Hobby-Schmierfink schlicht schnurzpiep: "Sounds That Can't Be Made" ist kein weiterer Meilenstein im Universum von Marillion. Ebensowenig ist es die beste Platte seit dem 2004 Magnum Opus "Marbles". Das siebzehnte Studioalbum reiht sich bislang irgendwo zwischen dem Trio "Somewhere Else", "Marillion.Com" und "This Strange Engine" ein - was okay, ist, es könnte schließlich schlimmer kommen. Dummerweise aber eben auch ein ganzes Eckchen besser.
Mittlerweile kennt man das Spiel. Im Vorfeld einer jeden neuen Veröffentlichung der britischen Proglegende wirft die eingeschworene Fangemeinde mit Superlativen um sich, aus dem Inner Circle des Fanclubs hört man nichts als die Ankündigung, man habe bisher total aussagekräftige, repräsentative und knapp dreieinhalb Sekunden lange Schnipsel einer Proberaumaufnahme aus dem Herbst 2010 gehört und könne es nicht glauben, wie sich Marillion immer wieder selbst übertreffen und also mal wieder das stärkste Album ihrer gesamten Karriere und des Universums geschrieben haben. Der Luft, Liebe, Lümmeltüte-Schnarzkopp, der diese Zeilen hier gerade einpflegt, fällt jedenfalls in unschöner Regelmäßigkeit auf diese Form des Marketings herein. Im Falle von "Sounds That Can't Be Made" war die Vorfreude aufgrund des bevorstehenden Herbstes sogar noch ein bisschen größer. Melancholische Sonntagnachmittage mit einer Kanne Jasmintee, der Badewanne oder der Couch und der neuen Marillion zu verbringen, erschien mir als durchaus erstrebenswerte Option. Und "Power", ein Stück, das vor der Veröffentlichung des Albums als Appetithäppchen gereicht wurde, machte auch einen guten Eindruck. Nicht zuletzt schwärmt selbst die Band im Video-Trailer in den höchsten Tönen von ihrem Werk.
Also Hogi-Baby! Gib's mir! Gib's mir richtig!
Das Problem mit diesen euphorischen Vorabreaktionen ist offensichtlich: die Erwartungen wachsen nicht nur in den Himmel, wenigstens meine Wenigkeit hofft spätestens nach dem zehnten ekstatischen Jubelschrei auf nichts weniger als auf den Soundtrack zu einer Supernova. Als sich "Sounds That Can't Be Made" dann die ersten Male im Player drehte und die gewünschte Supernova eher einem Kühlschranklicht ähnelte, breitete sich zunächst Ernüchterung und Enttäuschung aus. Das mit allerlei Vorschusslorbeeren verzierte Eröffnungsstück "Gaza", ein über siebzehnminütiger Prog-Schinken, wirkt auch nach dem zehnten Durchlauf immer noch reichlich unfertig, als sei er mit einem Notenenzym behandelt worden, das die einzelnen Songteile wie durch Magie über Nacht in eine komplett zusammenhängende Mini-Oper verklebt hat, ohne jedoch allzu viel Wert auf Struktur, Kontinuität und Dramaturgie zu legen. Und egal, wie intensiv ich "Gaza" bislang hörte: spätestens wenn der Fünfer zum Grande Finale ansetzt, ist die Erinnerung an die ersten 12, 13 Minuten passé - das ist irgendwie kein gutes Zeichen. Ich bin darüber hinaus auch nicht mit der Produktion einverstanden, die besonders gegen Ende des Songs viel zu dick aufträgt und das Gitarrensolo von Steve Rothery unter zähflüssigem und viel zu laut aufgedrehtem Klangballast förmlich erdrückt. Abschließend noch ein Satz zum Text: ich kenne Menschen, die "Gaza" kristallklar als antisemitisch bewerten würden. Ob in diesen Fällen noch Glühdrähte im Oberstübchen müde vor sich hinglimmen oder schon zappendustere Nacht herrscht, ist wieder eine andere Diskussion; ob Hogarth sich mit seiner zwar legitimen, aber blinden Verkürzung einer derart komplexen, verästelten, unüberschaubaren und von unzähligen Faktoren beeinflussten Situation einen Gefallen getan hat, allerdings auch. Ich persönlich stehe ja eher dem Gedanken nahe, dass man die Klappe halten sollte, wenn man einem solch vielschichtigen Thema nichts anderes hinzufügen kann als ein "We all want peace and freedom" und ein "It just ain't right.". Andererseits: dem Publikum der Band, das im
Normalfall so politisch ist wie die Nummer 51 vom Asiaten um die Ecke (Gebackene Banane mit Honig und Mandeln), dürfte es darüber hinaus wohl sowieso egal sein. Mir verhagelt so manche lyrische Banalität eher den Spaß an der Auseinandersetzung mit der Musik. Und wo wir gerade bei lyrischen Banalitäten sind: ruhig mal "Montreal" und "Lucky Man" anhören. Oder auch nicht.
Musikalisch betrachtet gibt es auf "Sounds That Can't Be Made" wenige Überraschungen, qualitativ erfreulicherweise aber auch keinen wirklichen Ausfall, auch wenn der bluesige Trivialschunkler "Lucky Man" schon wenigstens mal die Falltür ins Nichts schnitzt. Etwas ratlos stehe ich aktuell noch "Pour My Love" und "Invisible Ink" gegenüber. Während der erstgenannte Song eine watteweiche Popnummer für die Ü50-Fraktion mit dem Tiefgang eines Tretboots ist, die trotz solcher Unzulänglichkeiten nicht uncharmant ist und mir sogar ganz gut gefällt, ist "Invisible Ink" ein reichlich unspektakulärer Eintagsfliegensong, der schneller von meinem Radar verschwunden ist, als die ersten Minuten von "Gaza". Der Titeltrack, das bereits erwähnte "Power" und der Abschluss mit "The Sky Above The Rain" sind allesamt gute bis sehr gute Marillion-Songs, mit denen man ganz hervorragend leben/in die Badewanne kann.
Vieles des eben ausgeführten klingt nun sehr böse und ungut, und ich will das hier nicht als Verriss verstanden wissen. "Sounds That Can't Be Made" ist ein gutes Album und scheitert, wie oben bereits angedeutet, in erster Linie an meiner eigenen Erwartungshaltung, wofür die Band schließlich nichts kann. Allerdings, und das gibt mir durchaus zu denken, habe ich bislang nur wenige Momente ausgemacht, in die ich mich wirklich unbeschwert reinplumpsen lassen kann, als wäre ich gerade im 45°C warmen Pipibecken des hiesigen Thermalbads. Marillion bleiben bis auf wenige Momente an der Oberfläche dessen, was sie für gewöhnlich zu Leisten imstande sind. Dem Intensitätsniveau von Meisterwerken wie "Neverland", "Quartz", Interior Lulu", "Afraid Of Sunlight", "King", "When I Meet God", "Somewhere Else" oder "A Voice From The Past" kann vorerst kein Stück auf "Sounds That Can't Be Made" das Wasser reichen. Wir sprechen uns allerdings nochmal, wenn ich mich um meine Jahresbestenliste kümmere - das kann irgendwie noch nicht alles gewesen sein.
Erschienen auf Intact Recordings/Edel, 2012.