30.11.2012

We Are Warrior Soul. We Are The Government - III



WARRIOR SOUL - SALUTATIONS FROM THE GHETTO NATION

But when the times are hard, take a look, remember how much I love you.

Warrior Souls drittes Album "Salutations From The Ghetto Nation" war dann der bereits angedeutete große Wurf für die Band. Der Sound war ungemein fett, das Songwriting endgültig unschlagbar. "Salutations From The Ghetto Nation" ist von der ersten Sekunde des Openers "Love Destruction" bis zum überragenden Finale des Titelsongs ein kompaktes, psychedelisches Rockjuwel mit großartigem Drumming des mittlerweile leider verstorbenen Mark Evans und Kory Clarkes bester Gesangsleistung. Von hymnischen und rotzigen Punkrockkrachern ("Punk And Belligerent", "Ass-Kickin'") bis zu psychedelischen Megasongs wie dem unglaublichen "Shine Like It", oder den beiden Sternstunden "The Golden Shore" und "The Fallen" kommt man aus der Dauererektion gar nicht mehr heraus. Trotz eines Starmanagements (Q-Prime), das auch für Größen wie Rush und Metallica zuständig war, lief die Band in kommerzieller Hinsicht völlig gegen die Wand. 

Natürlich waren diese bösartigen Texte und ein irrer Rebell wie Clarke als Frontmann nicht einfach zu vermarkten und mehr als nur einmal wurde er seitens des Labels und des Managements aufgefordert, seine politischen Auseinandersetzungen ruhen zu lassen. Auch innerhalb der Band war seine Art nicht unumstritten. Immer häufiger kam es zu heftigen Streitereien, wenn Clarke auf der Bühne minutenlang "Fuck Bush"-Sprechchöre anstimmte und dafür vom Publikum mit allem beworfen wurde, was der Konzertsaal hergab. Dass er dies wie selbstverständlich im Vorprogramm der US-Stadionrocker Queensryche tat, die zu jenem Zeitpunkt gerade mit ihrem "Silent Lucidity"-Schmachtfetzen die Charts stürmten und die im Begriff waren, das im besten Fall unpolitische, im weniger guten Fall rechtskonservative Mainstreampublikum Nordamerikas zu knacken, zeigt, dass es Clarke immer egal war, welche Reaktionen er mit seinen Aktionen provozierte. Dieser immerwährende interne Konflikt zermürbte die Band über die Jahre immer mehr und man muss heute feststellen, dass sie letzlich daran zerbrach. 

Hinzu kam eine Plattenfirma, die das gigantische kommerzielle Potential von "Salutations From The Ghetto Nation" gänzlich ignorierte, oder angesichts der unberechenbaren, oftmals in Drogeneskapaden versackenden Band schlicht komplett überfordert war und deshalb spätestens zur Produktion zum nächsten Album auf offene Konfrontation ging. Nichtsdestotrotz: Die Frische und Power dieser Scheibe wird selbst in 30 Jahren noch state-of-the-art sein. 

Ein unantastbares Meisterwerk. 

Erschienen auf Geffen Records, 1992.



We Are Warrior Soul. We Are The Government - II



WARRIOR SOUL - DRUGS, GOD AND THE NEW REPUBLIC

Jump For Joy, Jump For Joy, World's End

Nur ein Jahr nach "Last Decade Dead Century" ging es mit "Drugs, God And The New Republic" in Runde zwei. Das Album ist einen Tick härter, dunkler und atmosphärischer als das Debut und bietet mit dem Joy Division-Cover "Interzone", "Hero", "The Wasteland", "Jump For Joy", "Children Of The Winter" und dem grandiosen Titelsong unsterbliche Klassiker. Die Band fährt dabei im Grunde eine ähnliche stilistische Mischung aus wave-beeinflusstem Punk- und Heavy Rock wie bereits beim Debut und bleibt auch im Soundbereich im Rahmen dessen, was "Last Decade Dead Century" vorgegeben hat.

Was die Band allerdings hier prägnanter als noch auf dem Debut herausarbeitet ist der Weg, auf dem sich Warrior Soul 1991 befanden: harte, rotzige und breitbeinige Rocker vermischen sich mit psychedelischen, ungemein stimmungsvollen und gräulich schimmernden Post-Punkern. Es deutet sich an, dass besonders Clarke, auf dem Debut immerhin als Co-Produzent genannt, einen Plan in der Tasche hatte, den er erst mit der nächsten Platte in die Tat umsetzen sollte, dann aber mit geradewegs raubtierhafter Konsequenz. 

Auf "Drugs, God And The New Republic" sind darüber hinaus erneut seine zynische Betrachtungen über den sozialen und kulturellen Zerfall Amerikas unter der Bush-Regierung aufrüttelnd, rebellisch und höchst spannend zu lesen. Sowas nannte man zu jener Zeit ernsthaft "sozialkritisch", bevor Mittelklasse-Wannabe's "inhaltlich zynische Forderungen" (S.Gärtner) daraus formten. Aus heutiger Sicht kann man die Texte der Band als ruhigen Gewissens als prophetisch bezeichnen. Dass mir heute, über zwanzig Jahre später, nur noch die Beobachtungen der kanadischen Thrashpunker von Propagandhi in ihrer Kraft und Weitsicht wenigstens als ebenbürtig erscheinen, spricht Bände.

Erschienen auf Geffen Records, 1991.


29.11.2012

We Are Warrior Soul. We Are The Government.


WE ARE THE GOVERNMENT 

Willkommen zu den Warrior Soul Wochen auf 3,40qm. Nach Betätigung der Suchfunktion oben links fand ich heraus, dass bislang lediglich sechs Einträge zur eventuell allerbesten Rockband aller Zeiten auf diesem Blog erschienen sind; und nachdem mich Kory Clarke, das zerzauste Whiskeyfass auf zwei Beinen, vor gut einer Woche im Rahmen des Auftritts im Frankfurter Nachtleben erneut daran erinnerte, warum Warrior Soul eine der Top-Favoriten auf den Titel "Lieblingsband" sind, fasste ich den Entschluss, ein paar Worte über die einzelnen Alben der Truppe zu verlieren. 

Wer weiß schon, wofür's gut sein mag, aber für mich ist es der längst überfällige Kniefall vor einer Band, der ich nun seit 1992 nahezu auf Schritt und Tritt folge. Bis ich mich also zum obligatorischen Jahresrückblick aufschwinge, um die besten 20 Alben des Jahres 2012 mit allerhand Lobhudeleien zu überschütten, halte ich achteinhalb Sternstunden rebellischer, visionärer und intelligenter Rockmusik im Klammergriff. 

Seien Sie dabei, ich wart' solange.




WARRIOR SOUL - LAST DECADE DEAD CENTURY


A lullaby makes you feel better.

Den Anfang macht das Debut "Last Decade Dead Century", das im Jahr 1990 bei Eingeweihten wie eine Bombe einschlug. In einer Zeit, in der Guns'n'Roses und die verfluchten Mötley Crüe gerade mit Suff, Nutten und Koks die Kulturhoheit über Moral und Intellekt innehielten, sang Kory Clarke der Welt ein Gute Nacht-Lied. Seine zynischen, bitteren und poetischen Texte sollten in den nächsten Jahren sowohl Markenzeichen als auch Boomerang für die Band werden. Die einen liebten Warrior Soul genau wegen ihrem Anspruch und ihrer Ernsthaftigkeit, die eine Verbindung mit hartem, klischeefreiem Rock eingingen, während die anderen den politischen Anstrich verteufelten und der Band Schwarzmalerei vorwarfen.

"Last Decade Dead Century" ist auch 22 Jahre nach der Erstveröffentlichung immer noch ein mächtiger Brocken. Im Spoken Word-Track "Four More Years" haucht, kreischt, flüstert Clarke "Our need flows on, but we feel nothing / While emotion kills with no remorseful deathblow from Jesus / Only you can turn the key / to unlock the tortured riches inside your soul / And find the reason we live" und präsentiert nicht nur damit seine ungeheuere lyrische Kraft, die die Schlinge um den Hals mit jedem Wort immer fester zuzieht.

Musikalisch gibt es überaus eigenständigen Gitarrenrock mit Punk-, Wave- und Psychedelic-Rock Einflüssen und überlebensgroße Songs wie die traumhaften Halbballaden "The Losers" und "Lullaby", wave-trippiges ( "Trippin' On Ecstacy" ) oder simple Hits wie "I Saw The Ruins". Warrior Soul waren bereits auf ihrem Debut der restlichen Musikwelt eine Nasenspitze voraus, und es gehört zu den tragischsten Momenten der Musikgeschichte, dass sie diesen Vorsprung nicht nur nicht nutzen konnten, sondern dass er ihnen letztlich sogar Schaden zufügte.

Erschienen auf Geffen Records, 1990.



26.11.2012

Ich bleibe heute mal im Bett



ENSEMBLE - ENSEMBLE

Und das ist die richtige Musikwahl für diesen Plan: elektronisches Flimmern trifft Indiepop und zieht uns ganz nah an den Herbst heran. Augen schließen und abwarten, was passiert.

Es war schon kurios. Die erste Begegnung mit "Ensemble" fand während einer Autofahrt statt und bei Kichererbsen aus der Dose: sowas macht man nicht, eigentlich. Wenn schon unterwegs, wäre das Flugzeug das angemessenere Fortbewegungsmittel. Jaja, Klischee, ich weiß schon. Aber wenn's doch so ist? Olivier Alary, ursprünglich aus Toulouse, jetzt (natürlich!) im kanadischen Montreal residierend, hat mit seinem zweiten Album das Schwebeteilchen des Jahres 2006 veröffentlicht. Sowas hört man bevorzugt in ruhigen Stunden, wenn die Vorhänge zugezogen sind und das Licht uns erst am nächsten Morgen daran erinnert, dass wir ein Leben außerhalb der Schwerelosigkeit zu führen haben.

Es stimmt schon ein wenig sentimental, wenn sich nach diesen 44 Minuten das Bewusstsein wieder sammelt und ungefragt zurückkehrt. Fast schon tragisch, wie gerne hätte man hier noch weiter zugehört? Alray, dem ein oder anderen vielleicht bekannt durch seine Arbeiten mit Björk (unter anderem werkelte er an deren Album "Medullah" mit herum und remixte einige ihrer Stücke), hat mit knisternder Elektronik, dezentem Folkeinfluss und ganz viel Gespür für ein weites, wenn auch hauchdünnes Klanggewand ein flauschiges Ambient-Pop Album erdacht. Er kruschbelt sich seine Schichten nach und nach zusammen, lässt es fiepen und zerren, er türmt auf und dirigert. Danach kommt Stille. Alray deutet nur an, seine Motive sind hinter den vereisten Scheiben nicht immer leicht zu dechiffrieren.

Es sind die Stimmen seiner Gäste, die "Ensemble" Struktur im brodelnden Fluss geben. Lou Barlow zum Beispiel, der in "One Kind Two Minds" über den Soundteppich raunt. Oder Cat Power aka Chan Marschall in "Disown, Delete". Ihre Stimmen erscheinen wie kommentierende Beobachter, sie sind dezent, aber unverzichtbar. Dazwischen immer wieder Momente des Nichts, ebenso nicht wegzudenken. Das macht die große Faszination von "Ensemble" aus: Ihre Geschlossenheit, ihr in sich funktionierenes System, das zwar stetig im Wandel ist, das pulsiert und frei atmet, aber nur deshalb existieren kann. Alles fließt.

Erschienen auf Fat Cat, 2006

18.11.2012

Die Ruhe des Sturms



PAIN OF SALVATION - ONE HOUR BY THE CONCRETE LAKE


"Nein, der wahrscheinlich nuklear am stärksten verschmutze Ort der Erde liegt abseits bekannter Kernreaktoren im südlichen Ural Russlands. Es handelt sich um ein relativ unbekanntes Gewässer, dem Karatschai-See. Einem toten See, dessen Strahlung ungeschützten, nichts ahnenden Besuchern binnen einer Stunde das Leben aushaucht."
www.kronos-net.de


"One Hour By The Concrete Lake" tauchte für eine lange Zeit in meiner berüchtigten "Die 100 besten Platten aller Zeiten"-Liste auf, sie überstand sogar den großen CD-Räumungsverkauf im Jahr 2009 relativ unbeschadet und war also unverkäuflich. Ich muss zugeben, dass ich schon lange nicht mehr auf die Idee kam, die Platte nochmal zu hören - die Hörgewohnheiten haben sich in den letzten vierzehn Jahren geändert und von meiner Dream Theater-Sammlung konnte sich schließlich auch nur das Debut "When Dream And Day Unite" im Regal halten. Heute, so meine Vermutung bevor ich das Album erstmals seit sicherlich sieben oder acht Jahren wieder auflegte, sähe es sich bestimmt größerer Konkurrenz als vor 14 Jahren ausgesetzt und so würde das ganz bestimmt eng werden mit der Top 100-Liste. Ich bin gerade in der Mitte des zweiten Duchlaufs und ich bin ehrlich überrascht: "One Hour By The Concrete Lake" ist immer noch so beeindruckend, erschlagend und großartig wie am ersten Tag.

Das Konzeptalbum über den russischen Karatchai-See, in den die Regierung und das Militär der damaligen Sowjetunion über Jahrzehnte tonnenweise Atommüll und Abwässer aus dem nuklearen Zwischenlager Majak und der Wiederaufbereitungsanlage Osjorsk einleiteten und der heute fast vollständig mit Beton zugeschüttet ist, ist nicht nur musikalisch immer noch gnadenlos intensiv, packend und komplex, es ist in erster Linie textlich eines der brilliantesten Werke, die ich kenne. Der Kopf der Truppe heißt Daniel Gildenlöw, ein zum Zeitpunkt der Albumentstehung gerade mal 25-jähriger Schwede mit einer der unfassbarsten Gesangsstimmen aller Zeiten und einem geradewegs irrwitzigen musikalischen Talent. Gildenlöw begann 1997 sein Studium der Atomphysik an der Universität Göteborg und "One Hour By The Concrete Lake" ist das Ergebnis seiner Studien und der daraus resultierenden Schlussfolgerungen. Er führt das zugrundeliegende Thema weit in die Philosophie hinein, hinterfragt, reflektiert, klagt an - und verpackt all das in reine Poesie.

"Im Jahr 1986 wurde damit begonnen, den Karatschai-See mit mannsgroßen Betonhohlquadern und Steinen zuzuschütten. Mehr als 10 000 Betonklötze wurden seitdem im See versenkt. Ein Drittel des Wassers kann dabei in den Hohlräumen verbleiben; der Rest muß verdunsten, so daß man den See nicht schneller bedecken kann."
"Tag für Tag pendeln die mit fünf Tonnen Blei und zehn Zentimeter dicken Bleiglasfenstern geschützten Lastkraftwagen zwischen einem nahegelegenen Steinbruch und dem See, um ihn so bald wie möglich verschwinden zu lassen. Steine drauf, Lehmschicht und dann Mutterboden darüber und schließlich Rasen gesät, so stellt man sich bei Majak die Sanierung dieser dann wohl als Endlager zu bezeichnenden Altlast des Kalten Krieges vor."

DIE WELT

Wo spätere Pain Of Salvation-Alben unablässig um das Innenleben ihres Erschaffers kreisten und die Band immer introvertierter und in ihren inneren und äußeren Grenzen unüberschaubarer wurde, ist "One Hour By The Concrete Lake" der brüllende Klageschrei eines jungen Mannes, der sich für ein Wissen quälte, das ihm möglicherweise besser nie eingeflößt worden wäre. Der den Erkenntnissgewinn mit einem selbst heute noch faszinierenden Album herausschreien und - schreiben musste.

"One Hour By The Concrete Lake" ist Protest. Ein so großer und tiefgreifender Protest, der gegen die Schwärze der Welt Mut, Zorn und Selbstreflektion zusammenführt - die schärfsten Waffen gegen die Dunkelheit.

'They tell all the people of Europe, it's a good, clean industry, it's a great way to save the world. But I'm here to tell you that now they're knocking on our door because they can't find any place to store the damned stuff for eternity, They come to our homeland and they want to lease some land for 10,000 years!'
James Garritt

Erschienen bei Inside Out, 1998 

13.11.2012

Durch die Nacht



CHARLIE HADEN - NOCTURNE

Ich mach' dann mal das Licht aus.

Oder wenigstens schalte ich das Rotlicht ein, das mein altehrwürdiges (und nebenbei durchaus renovierungsbedürftiges) Wohnzimmer in einen verwinkelten Tanzschuppen verwandelt, in dem die Pärchen leisen Schrittes über eine ausgetretene Tanzfläche schlurfen, in sich versunken, in Liebe und kubanischem Rum.

Mir ist aufgefallen, dass ich "Nocturne" schon lange nicht mehr aufgelegt habe, dabei ist es eine zweifellos wichtige Platte für mich. Vor etwa sieben Jahren begann ich mich für den Jazz zu begeistern, und der Katalog des Resteverwerters von Zweitausendeins war über beinahe zwei Jahre eine monatliche Pflichtlektüre. Es gab keine andere Möglichkeit, so leicht an geradewegs unverschämt günstige Jazz CDs zu kommen - die großen Klassiker von Blue Note, Prestige und Impulse, durch die ich mich durchwühlen wollte wie durch eine Badewanne voll mit der Nummer 19 (Indisches Curry mit Gemüse und Reis) für schlappe fünf Euro pro Stück; das blanke Entsetzen für meine sowieso schon überfüllten CD-Regale, das Paradies für einen unbedarften Typen, der noch 1998 und offenkundig in totaler geistiger Windstille ein Stratovarius Album kaufte. Zweitausendeins bietet allerdings nicht nur der Billigheimerfraktion ein neues Mailorderzuhause, sie stellen auch in jedem Katalog eine Handvoll neuer Veröffentlichungen vor - in der Regel sind's irgendwelche Major-Jazzer, die auch mal eine wohlwollende Kritik in der HörZu oder der Süddeutschen bekommen (und ich wüsste jetzt adhoc nicht, was schlimmer ist), vom Untergrund muss man denen also nix erzählen. Ich denke, es war in diesem Rahmen, in dem ein gewisser Roger Willemsen über "Nocturne" schrieb, und der Mann schrieb gut:
"Havanna war einmal die Stadt auf dem Kreuzungspunkt aller Wege des künstlerischen Austausches zwischen den Amerikas. Der Bolero etwa, diese kubanische Lied-Variante, trat von hier aus seinen Siegeszug erst quer durch Lateinamerika, dann bis nach Europa an. Charlie Haden reanimiert ihn kompositorisch und er prägt diese Produktion mit seinem voluminösen Sound, der dunkel pochenden slow hand am Bass, der dialogischen Versunkenheit im Zwiegespräch mit Gonzala Rubalcaba am Klavier, Joe Lovano am Tenorsaxophon oder Pat Metheny an der Akustischen Gitarre."

Nun bin ich ein beinahe glühender Fan von Willemsen und wenn so einer von "Nachtmusik" schreibt, von musikalischer Poesie und Haden in diesem Zusammenhang einen "begnadeten Stimmungsmaler" nennt, dann drücke ich immer noch schneller den "Kauf' ich!"-Knopf als Frau Katrin Göring-Eckardt das Wort "Neokonservatismus" buchstabieren kann. Und ich sollte es bis zum heutigen Tag nicht bereut haben: der US-amerikanische Bassist Haden hat als Stamm dieses Projekts mit Gonzalo Rubalcaba am Piano und Ignacio Berroa am Schlagzeug zwei Musiker um sich versammelt, die die vier kubanischen und drei mexikanischen Boleros (zusätzlich stehen noch drei Eigenkompositionen auf "Nocturne") mit viel Spin und Verve interpretieren und sich mit Haden überaus harmonische, raffinierte Duelle liefern. Die Kompositionen tanzen wie von selbst, sie huschen und wackeln wie schwerelos durch die nächtlichen Metropolen. Am Tenorsaxofon spielt sich Joe Lovano lässig seufzend immer tiefer in einen Wirbel, der die ambivalente Atmosphäre der Nacht mit jedem Ton greifbarer macht. Es ist, als würden die Musiker tatsächlich tanzen, sich annähern und in den besonders kammermusikalischen Momenten von "Nocturne", in denen sie so intim schwingen, als passe kein Floh mehr in den Aufnahmeraum, miteinander verschmelzen, um im nächsten Augenblick sich gegenseitig die kalte Schulter zu zeigen, sich zu entfernen, wehmütig und trauernd.

Es ist wie ein Theater, ein großes, dunkles, mystisches und auch erotisches Stück voller Leben, voller Melancholie und voller Liebe. Es war überfällig, mich mal wieder daran zu erinnern.

Erschienen auf Universal Music, 2001.

10.11.2012

Schlammcatchen



WARRIOR SOUL - STIFF MIDDLE FINGER


Meine Enttäuschung über den aktuellen Versuch Warrior Souls, die Musikwelt doch noch auf ihre Seite zu ziehen, fiele nicht so groß aus, hätte die Band nicht mit dem immer noch großartigen "Chinese Democracy"/"Destroy The War Machine" aus dem Jahr 2009 einen so überaus würdigen Nachfolger zum 1995er "Space Age Playboys"-Album veröffentlicht. Wir erinnern uns: 2008 gab niemand mehr einen Pfifferling auf Kory Clarke und seine zusammengepuzzelte Band und meine Erwartungshaltung war entsprechend im eiskalten Keller. "Chinese Democracy" war aber ein derart starkes, frisches, melodisch brilliantes und authentisches Werk, dass ich mich wirklich auf "Stiff Middle Finger" freute. Die ersten kurzen Soundschnipsel, die es ab Anfang Oktober bei Amazon zu hören gab, zerschmetterten allerdings selbst die leiseste Hoffnung auf einen ähnlichen Überraschungscoup. Die Realität in Form der kompletten Platte ist in ihrer Dramatik sogar noch bedauerlicher: dagegen klingt selbst die sagenumwobene "Chill Pill" Scheibe aus dem Jahr 1993 wie eine ausgefeilte Hi-End-Produktion aus der Schatzkiste der angesagtesten Produzenten des Rock'n'Rolls.

Ich kann zugegebenermaßen fast nichts zur Qualität der einzelnen Tracks sagen, weil mich der unterirdische Sound des Albums nicht mal zum Kern eines Songs durchdringen lässt. Der Amerikaner würde es wohl "hilarious" nennen, denn "Stiff Middle Finger" ist in Sachen Klang nicht mal mit einer Demoproduktion aus dem Jahr 1988 auf Augenhöhe, und ich habe keinerlei Verständnis dafür, dass Musik im Jahr 2012 noch so klingen muss. Ich kann den Sound nicht mal angemessen beschreiben, weil mir ehrlich gesagt etwas die Worte fehlen: die Gitarren sind völlig totkomprimiert, dumpf und komplett unheavy, das Schlagzeug ist so spritzig wie eine drei Jahre alte Bio-Limette und auf Korys Gesang sind bisweilen undefinierbare Effekte geklatscht, die seine immer noch stark in Mitleidenschaft gezogene Stimme noch kaputter erscheinen lassen, als schon auf der gleichfalls miesen Liveplatte aus dem Jahr 2007. Vielleicht ist es aber auch ganz anders, ich kann hier echt nur spekulieren. Es ist eine große, dumpfe Schlammsoße.

Ich habe mich nun sicherlich bereits zehn Mal durch "Stiff Middle Finger" förmlich hindurchgekämpft und was ich zu den Songs sagen kann, ist nicht sehr schmeichelhaft, wenngleich ich die Kompositionen etwas in Schutz nehmen muss. Vielleicht sähe das mit einer wenigstens halbwegs anständigen Produktion gar nicht so übel aus, aber was sich die Band mit den wirklich miesen "Tear", "Planetary Revolution" oder der dreisten Selbstkopie "Junky Stripper" gedacht hat, ist mir beinahe unbegreiflich. Es macht einfach überhaupt keinen Spaß, diese Platte zu hören.

Warrior Soul sind eine meiner fünf Lieblingsbands aller Zeiten und Kory Clarke ist trotz seiner zur Schau gestellten Selbstzerstörung vielleicht mein definitiver Held - ein hochintelligenter Kopf mit beneidenswerter Beobachtungsgabe, ein Stehaufmännchen, ein resoluter Kämpfer, der seinen Standpunkt jederzeit selbst gegen verflixt mächtige Widerstände verteidigt. Als ich ihn 2006 im Rahmen eines Interviews an meinem Telefon hörte, kullerte mir eine Träne über das Gesicht, und als ich die Band, selbst wenn sie schon längst nicht mehr im Original-Lineup existierte, im März 2009 in Essen erstmals auf der Bühne erleben durfte, ging mein vielleicht letzter großer musikalischer Traum in Erfüllung. Fast 20 Jahre wartete ich darauf, diese Songs endlich live zu hören und plötzlich war es soweit. Es war wie im Traum.

Vielleicht kann der ein oder andere nach diesen letzten Worten nachvollziehen, wie schwer es mir gefallen ist, die ersten drei Absätze zu tippen. Ich liebe Warrior Soul und ich kniee bei der anstehenden Tour wieder im tobenden Mob und gröle mir die Seele aus dem Leib. "Stiff Middle Finger" bleibt trotzdem - oder gerade deswegen - die Enttäuschung des Jahres.

Long Live Warrior Soul.

Erschienen auf Livewire, 2012.

04.11.2012

Die Hoffnung



CIVIL DEFIANCE - THE FISHERS FOR SOULS


Mit den sogenannten "vergessenen Perlen" verhält es sich immer ein wenig problematisch. Zum einen sind sie oftmals gar nicht so "vergessen" wie mancher Musikjournalist es immer gerne in eine Zeitschrift hineinschreibt, sondern aus gutem Grund in den Archiven von Vollnerds gelagert, die sich beim Gedankenaustausch mit anderen Vollnerds die Augen über die Genialität von Komplettschranz ausheulen. Zum anderen ist's nicht selten ein bloßes Abwichsen auf die vermeintliche Exklusivität des Schreibers/Hörers, der halt doch so gerne den längsten Pimmel im ganzen Land hätte. Ich bin in solchen Fällen eigentlich immer auf der Hut. Und bevor einer greint: ich habe auf diesem Blog sicherlich auch schon mal auf eine "vergessene Perle" hingewiesen. Glashaus, Geisterfahrer, alles total schlimm. *erektion*

"The Fishers For Souls", das Debutalbum der mittlerweile aufgelösten kalifornischen Band Civil Defiance, dürfte, wenigstens in Deutschland, dem ein oder anderen langjährigen Rock Hard Leser noch ein Begriff sein, weil der damalige Redakteur Wolfgang Schäfer in seiner Rezension nicht nur die seltene Höchstpunktzahl aus dem Rauschebart zog, sondern den Vierer zu "DER Hoffnung fürs nächste Jahrtausend" hochjazzte - ein Witz, über den 1996 nur die lachen konnten, die auch schon im Falle von Watchtower und Atheist auf die Erstürmung der US-Billboardcharts warteten. Civil Defiance zogen im Sommer 1997 im Vorprogramm der Progressive-Legende Psychotic Waltz durch Europa und beim Auftritt in der Offenbacher Hafenbahn ließ ich mich durch ihren kurzen aber guten Gig zum Kauf der Platte hinreißen. Und tatsächlich wurde "The Fishers For Souls" Ende der neunziger Jahre zu einem guten Freund von mir - und da konnte ich "Exklusivität" nicht mal buchstabieren. Die Platte erschien mir vor 15 Jahren als irrer Husarenritt durch die Musikgeschichte, von Chansons zum Grindcore, vom Jazz zum modernen Alternative Rock, von Genesis zu Machine Head und das war selbst zu einer Zeit, in der man im Zuge der Explosion des Alternative Rocks schon viel abgedrehten Kram und krude Kombinationen gehört hatte (Metal und Hip Hop, haha, wie abgefahren ist DAS denn?!?!!), schon ein klein wenig aufsehenserregend. Besonders die völlig wirren "Man On Fire" und mit Abstrichen "Dreams Die Fast" verdrehten uns Grünschnäbeln böse die Köpfe, dazu gab es aber mit dem Opener "Days Of Rain" und dem folgenden "Death To The Clown" relativ aufgeräumte Smasher, die mit satthartem Gitarrenriffing und einem unwiderstehlichen Groove zu gleichen Teilen modern und doch klassisch erschienen. "Faith" streift gar den mainstreamigen Indiegitarrenrock der Mittneunziger, während "A Dry White Season" und "Man In The Moon" zwei ungewöhnliche und großartige Balladen sind - alleine wegen des Mannes im Mond lohnt es sich nach meiner Einschätzung, die Handvoll Groschen für den Erwerb dieser Platte bereit zu halten. Hauptsongwriter, Sänger und Gitarrist Gerry Nestler hatte eine durchaus variable und ganz sicher originelle Stimme und konnte wie eine leicht heisere Version des Blind Melon Sängers Shannon Hoon und keine drei Wimpernschläge später wie der Frontmann einer Thrashcombo aus der Bay Area klingen.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: ich rede hier nicht von der abgefahrensten Scheiße aller Zeiten und im Grunde bewegen wir uns immer noch im Rahmen des klassischen Rockkorsetts, aber, und das führt mich in Richtung des Schlussakkords, "The Fishers For Souls" ist bedeutend besser gealtert als so manch andere Mitt/Endneunziger Veröffentlichung, die über den damaligen Tellerrand der harten Musik hinausblicken wollte; an dieser Stelle sei ein schöner Gruß an die Buben von Faith No More erlaubt. Ich war jedenfalls kürzlich geradewegs überrascht, wie gut die straighten und ruhigen Songs der Platte immer noch funktionieren. Kann man selbst im Jahr 2012 noch ohne gröbere Verletzungen hören und goutieren. Das gilt übrigens ausdrücklich nicht für den Nachfolger "Circus Of Fear", aber das ist eine andere Geschichte.

Erschienen auf Dream Circle, 1996.

28.10.2012

Propaganda

"Ja, wenn einer mal sich in einen Gedanken förmlich hineinverrennt, dann ist er ja wie vernagelt!" (G.Polt)


Ich könnte mich wegen dieses nun folgenden Artikels zur Präventivbestrafung praktisch stundenlang auf ein Fahrrad ohne Sattel setzen, und ich möchte außerdem vehement darauf hinweisen, dass ich reflektiert genug bin, um alleine den Gedanken an eine Bearbeitung meinerseits im Rahmen eines Blogartikels als vollverblödeten Quadratquatsch abzustrafen. Andererseits sind wir alle viel zu schnell mit Bewertungen bei der Hand und im schnellen Internetdiskurs zählt neben der Lautstärke auch die Provokation und eben die Geschwindigkeit zum Kriterienkatalog der Kommentatoren, der Blogger und der Journalisten. In diesem Zusammenhang stieß ich also kürzlich auf die Seite Scienceblogs.de und auf den dort hinterlegten Artikel "Homöopathen ohne Grenzen helfen jetzt AIDS zu heilen". Mein Lieblingsabsatz geht übrigens so:

"Da mag ich nicht mehr viele Worte verlieren. Das ist einfach nur noch kriminell. Und daher will ich auch nur noch fragen, WIE man am besten vorgeht, wo man am besten hinschreibt, um das zu stoppen, und nicht mehr OB man das sollte. Und warum ein solch menschenverachtender Verein gemeinnützig sein darf. Vorschläge?
Die Kommentare hierzu dienen ausschließlich der Diskussion dieser Frage. Andere Kommentare und Antworten auf andere Kommentare, vor allem welche die Homöopathie oder diesen verein verteidigen, werden gelöscht, genauso wie solche die diese Regeln diskutieren."


Man fragt sich, von welcher Konsistenz der Schaum vor dem Mund sein muss.

Nun habe ich mit der Homöopathie und vergleichbaren alternativmedizinischen Ansätzen seit über zwanzig Jahren meine Erfahrungen gemacht - manche verliefen positiv, manche negativ, einige andere bleiben in der Nachbetrachtung indifferent. In meiner aktiven Sportlerzeit als Roll- und Eiskunstläufer war ich in manchen Monaten Kunde des Monats bei meiner damaligen Heilpraktikerin, die es nicht selten schaffte, mich innerhalb von ein, zwei Tagen von sturzverursachten Schmerzen zu befreien oder meine beinahe chronischen Knieprobleme in den Griff zu bekommen. Es gab aber auch Momente, in denen sich trotz einer Behandlung einfach gar nichts tat. So ist's halt mit diesem Wunderwerk Körper: mal will er, mal will er nicht, das muss man hin und wieder entspannt sehen und einordnen. Mein Körper wollte im Jahr 2000 offensichtlich nicht mehr und züchtete mir eine schöne Tumorerkrankung heran, und mir war von Anfang an klar, dass ich mehr als nur eine Möglichkeit der Behandlung in Erwägung ziehen werde, was meine Ärzte allesamt natürlich total prima fanden. Die zogen in den nächsten Jahren - der ganze Kladderadatsch zog sich bis Ende 2002 hin - alle Register: Einschüchterungen, Beschimpfungen, Bedrohungen und irgendwann saß auch mal ein Psychiater an meinem Krankenbett und hatte die Aufgabe, meine "Geschäftstüchtigkeit" zu überprüfen. Die Betreiber des Scienceblogs dürften spätestens jetzt Hirnkonfetti schmeißen und "Richtig so!" ausrufen, aber ich muss sie in zweierlei Hinsicht enttäuschen: weder war und/oder bin ich verrückt, durchgeknallt und gefährlich und wurde also zwangstherapiert, noch habe ich mich eingemauert und die schulmedizinische Behandlung abgelehnt - zugegebenermaßen hat die Entscheidung hierfür einige Zeit in Anspruch genommen und es lief auch alles nicht ohne Schmerzen, Verluste und seelische Narben ab, aber auf was ich hinaus will: es spricht gar nichts dagegen, die Emotionalität, mit der die Diskussionen geführt werden, mit dem ein oder anderen Meter Abstand zu betrachten und die Brandstifter und Hetzer da stehen zu lassen, wo sie hingehören: in der Ecke, im Sumpf, im Abseits. Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass sich die letztgenannte Gruppe in dramatischer Mehrheit aus der Gruppe der Schulmediziner rekrutierte, aber das möchte ich als persönliche Erfahrung und nicht als Pauschalisierung verstanden wissen. Ausgenommen sind Urologen, zu denen fällt mir tatsächlich wenig ein, was nicht rechtlich relevant sein könnte.

Die Gründe für diesen skizzierten Umstand sind vielfältig und worüber manch kluger Kopf ganze Bücher geschrieben hat, kann ein Hobbyblogger mit Hobbygedanken natürlich nicht in zwanzig Zeilen erläutern. Will ich auch gar nicht. Was angesichts des oben verlinkten Artikels allerdings auffällt und mich zur Raserei bringt, ist die totale Einseitigkeit, die zu keiner Sekunde die Strukturen der eigenen Welt hinterfragt, der Duktus, der in seiner Betriebsblindheit und mit seinem Vokabular gleichfalls von religiösen Fundamentalisten oder den Minderbemittelten von Politically Incorrect stammen könnte, die unerträgliche Bevormundung, das Infragestellen der freien Behandlungswahl und des freien Willens. Niemand hinterfragt die kriminellen Praktiken der Pharmaindustrie, niemand hinterfragt die allgegenwärtige Korruption, die wirtschaftliche Antriebsfeder, niemand hinterfragt die Kollateralschäden der Schulmedizin. Wenn im Wikipediaeintrag zur Homöopathie unter dem Absatz "Risiken der Homöopathie" geschrieben steht:

"2005 starb, ebenfalls in Australien, eine 45-jährige Frau an den Folgen einer Darmkrebserkrankung, die auch ausschließlich homöopathisch behandelt wurde."

dann muss das doch als im besten Fall tendenziös, im weniger guten Fall als kriminelle Propaganda und quatschdumme Irreführung bezeichnet werden, oder darf derselbe Artikel gleichfalls auf die schulmedizinischen Krebsopfer Bezug nehmen, die trotz, oder schlimmer noch: wegen der schulmedizinischen Behandlung verstarben? Ach so, die gibt es ja gar nicht. In unseren Krankenhäusern fließt Milch und Honig. Wie konnte ich es nur vergessen.

Es ist letzten Endes ein auf Angst und Panik aufgebauter Mechanismus, der um jeden Preis die eigenen Pfründe sichern und die Zentrierung auf das Ego und die damit einhergehenden Allmachtphantasien von so manchem Arzt und der Hände, die ihn füttern, am Leben erhalten muss. Das ist das Fundament, auf deren Basis die Argumentation geführt werden muss und nicht etwa auf der zynischen Betonung, es ginge um Recht, Wissenschaft und Menschenleben. Die Deutungshoheit liegt immer dort, wo das Geld wächst.

Meine Ärztin ist übrigens Allgemeinmedizinerin mit homöopathischer Zusatzausbildung. Sie nimmt sich das beste aus beiden Welten und hat es nicht nötig, die Angstmaschine auf Touren zu bringen. Genau deshalb hat sich mich in ihrer Patientenkartei.

Nachtrag um 21:30 Uhr: Meine liebgemeinte Nachfrage, ob die Netiquette des Blogs hinsichtlich der Propagandaregelung ("Jede Form von Propaganda (...) führt zur umgehenden Löschung des Kommentars und zur Sperrung des Accounts.") denn nicht auf Autoren der Seite zuträfe, wurde leider nicht beantwortet. Mein Kommentar wurde kommentarlos gelöscht. Die Jungs haben eine seltsame Auffassung von Kommunikation, freier Meinungsäußerung und Diskussion.

Tout Nouveau Tout Beau (6)


FLYING LOTUS -UNTIL THE QUIET COMES

Zugegeben: schon die drei vorangegangenen Alben des Kaliforniers Steven Ellison brachten mich ob ihrer musikalisch geschnitzten Falltüren und aufgestellten Beat-Bärenfallen in so manche Erklärungsnot - was übrigens hier und hier nachzulesen ist. "Cosmogramma" aus dem Jahr 2010 bekam den "Space Opera"-Sticker aufgeklebt, mit dessen Hilfe so mancher die komplette Ahnungslosigkeit hinsichtlich der Musik ganz gut überspielen und -schreiben konnte. Aber unabhängig von der Frage, ob die Musik von Flying Lotus an der ein oder anderen Stelle nicht vielleicht ein ganz kleines bisschen, nasagenwirmal: überambitioniert bewertet wird, ist "Cosmogramma" für mich, auch wenn ich es selten aufgelegt habe, ein großes Gesamtkunstwerk, eine irre Achterbahnfahrt durch 60 Jahre Musikgeschichte, elektronischer Free Jazz, spiritueller Post-Funk für eine Zeit, die wir alle nicht mehr erleben werden. Talking about "überambitionierte Bewertung".

"Until The Quiet Comes" stellt mich vor bedeutend größere Probleme, weil hier einerseits ein spiritueller, meinetwegen ideologischer, Überbau fehlt, der die Sache mit dem Verständnis (wenigstens für mich) vereinfachen könnte. Andererseits werkelt Ellison immer noch in der großen Kiste aus Sounds, Beats, Strukturen, Ideen, Varianten und Farben, dieses Mal aber deutlich entspannter und nokturner als in der Vergangenheit. Die Tunes sind zurückgezogener als auf dem Durchbruchsalbum "Los Angeles", sie wirken noch detaillierter und tiefer als die Schwestern und Brüder auf "Cosmogramma" - und wenn ich es mir recht überlege, ist das ein durchaus mutiger Schritt: Ellison rückt das grelle Blinken und Zischeln, den Krach, den Irrsinn in den Hintergrund, um möglicherweise erstmals den Blick auf das Wesentliche zu werfen. Ellisons Gespür für die akurate Darstellung hochkomplexer Momentaufnahmen seines Musikuniversums wurde vielleicht noch nie so glasklar auf eine schwarze Plastikscheibe gepresst, wie auf "Until The Quiet Comes". Paradoxerweise bedeutet das für mich bislang Kapitulation. Ich befürchte, dass ich diesen Brocken noch lange nicht verstanden habe. Und ich zweifle seit einigen Tagen, ob es mir jemals gelingen wird. Halten wir's mit den ollen Rochen von Asia: only time will tell.

Hoppala, das wichtigste hätte ich um ein Haar vergessen: wenn ich noch einmal die Rezension der Spex zu dieser Platte lesen muss, pisse ich mich ein. Schönen guten Abend.

Erschienen auf Warp Records, 2012.





HOLY OTHER - HELD

Die Debut-EP "With U" war eine der Sternstunden des Jahres 2011, und es ist geradeheraus ein Skandal mittelstrahligem Ausmaßes, dass ich bis heute noch kein Wort darüber verloren habe. Heute, im Oktober 2012, ist es angesichts des mittlerweile veröffentlichten ersten vollständigen Albums des britischen Produzenten auch schon eine Nussecke zu spät, aber dann soll nun wenigstens ebenjenes "Held" eine Handvoll Lob einfahren. Das Tri Angle Label dürfte meinen zweikommavierneun Lesern indes bekannt sein, denn immerhin fand Balam Acabs Debut den Weg in meine Jahresbestenliste 2011: Tri Angle wird in einschlägigen Kreisen seit der Musik von oOoOO, dem erwähnten Balam Acab oder auch Clams Casino als der heißeste Scheiß der neuen Elektronik gefeiert, was insofern verwundert, weil der ganze Beatsalat auf das erste Hören neu- und fremdartig erscheinen mag, er es sich aber Dank des flott einsetzenden Gewöhnungseffekts mittlerweile in der Sackgasse namens "Burial" gemütlich gemacht hat und dort langsam vor sich hinwelkt. "Held" leidet zu Beginn etwas an dieser Entwicklung, vor allem, weil sich "With U" zu dolle über die Gnade der frühen Geburt freuen darf. Was 2011 neu und aufregend war, ist 2012 eben weniger neu und weniger aufregend. Folglich bietet "Held" schlicht die Weiterführung des auf "With U" bereits ausgerollten Konzepts: dunkel verästelte Beats pumpen zwischen weiten Synthieflächen und verhallten Sprachfetzen das Blut der Finsternis durch brüchige Strukturen und opulente Arrangements, die trotz der Fülle an Winkeln und Schauplätzen nie überladen, sondern durchaus fokussiert und straff wirken.

"Held" ist zwar keine Überraschung mehr, aber wer einen Nachschlag zu "With U" braucht, wird hier bestens versorgt. Wenn es in diesem Stil aber weitergeht, bin ich bei der nächsten Scheibe raus. Was wir alle überleben werden, schätze ich.

Erschienen auf Tri Angle, 2012.





MONOPHONICS / DESTRUMENTS - LIKE YESTERDAY / FREEDOM

Das Konzert der Monophonics in Frankfurt wurde aufgrund des miesen Vorverkaufs ersatzlos gestrichen, was mich doppelt ärgert. Erstens grenzt es beinahe an ein Wunder, dass die Kalifornier bereits ein paar Monate nach Veröffentlichung des Debuts überhaupt eine Headlinertournee durch Europa durchziehen, und ich glaube nicht, dass die Band so schnell nochmal in die alte Welt übersetzen wird. Zweitens sah ich die Monophonics vor wenigen Wochen im Rahmen eines US-amerikanischen Festivals in dessen Livestream und war begeistert von ihrer Präsenz und ihrem Soul. Ein großes Ensemble mit fantastischen Musikern, die die Tracks des Debuts "In Your Brain" ausgesprochen lebendig und kraftvoll interpretierten. Das wäre sicherlich ein großartiger Abend im Frankfurter Zoom geworden. Es sollte aber nicht sein, weshalb ich aus Trotz die neu erschienene Splitsingle mit den Destruments einkaufen musste. Ein kleines, simples und doch authentisches Juwel aus Soul und Funk, das sich die Plattenladengräber sicherlich schon gesichert haben. Vielleicht wird man sich in 20, 30 Jahren an die Monophonics erinnern und "Mensch, das war auch eine arschcoole Band!" sagen. Meine anfängliche Reserviertheit bezüglich des Albums hat sich jedenfalls und mittlerweile fast in Luft aufgelöst. Ein echter Grower. Weitermachen, bitte. Und irgendwann mit den fantastischen Orgone nochmal auf Europatournee kommen. 

Erschienen auf Colemine, 2012.



03.10.2012

Von Autos und Menschen

Einen ganz wunderbaren Artikel habe ich gestern Nacht im Blog der Tageszeitung entdeckt, und ich möchte an dieser Stelle gerne darauf hinweisen.

Der Autor Karim El-Gawhary lebt in Kairo und schreibt in seiner Kolumne "Arabesken" über das Leben im Nahen Osten. In diesem speziellen Fall berichtet er über sein Erlebnis, als er mit seinem Auto im Halbschlaf ein anderen Auto beim Ausparken schrammte und wie sich der Dialog zwischen dem Geschädigten und dem Täter in der Folge weiterentwickelte.

Es ist nicht ausschließlich dieser Text, der wieder etwas Hoffnung in mir keimen lässt, dass die Welt eben doch nicht dieser kalte, hasszerfressene Ort ist, den ich manchmal am liebsten in rosafarbenen Watteplüsch einmümmeln würde. Es sind auch die vier Kommentare, in denen die Leser ihre Erlebnisse mit dem Kairo'schen Verkehrsgewusel erzählen, die ähnlich viel Herzlichkeit und Offenheit ausstrahlen, wie der Haupttext.

Ich find's jedenfalls total super.

“Wer anderen Autos eine Schramme zufügt”. Eine Liebeserklärung an Kairo

26.09.2012

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MARILLION - SOUNDS THAT CAN'T BE MADE

Mit einem Fazit die Plattenbesprechung beginnen? Was bei der Belegschaft des einmalig behämmerten Musikexpress ein neuntägiges Martyrium nach sich zöge, dass also Friede "Schwarze Witwe" Springer höchstpersönlich den derart geächteten Redakteuren die gesammelten Kolumnen von Franz-Josef Wagner vorliest, nackt, ist mir als Hobby-Schmierfink schlicht schnurzpiep: "Sounds That Can't Be Made" ist kein weiterer Meilenstein im Universum von Marillion. Ebensowenig ist es die beste Platte seit dem 2004 Magnum Opus "Marbles". Das siebzehnte Studioalbum reiht sich bislang irgendwo zwischen dem Trio "Somewhere Else", "Marillion.Com" und "This Strange Engine" ein - was okay, ist, es könnte schließlich schlimmer kommen. Dummerweise aber eben auch ein ganzes Eckchen besser.

Mittlerweile kennt man das Spiel. Im Vorfeld einer jeden neuen Veröffentlichung der britischen Proglegende wirft die eingeschworene Fangemeinde mit Superlativen um sich, aus dem Inner Circle des Fanclubs hört man nichts als die Ankündigung, man habe bisher total aussagekräftige, repräsentative und knapp dreieinhalb Sekunden lange Schnipsel einer Proberaumaufnahme aus dem Herbst 2010 gehört und könne es nicht glauben, wie sich Marillion immer wieder selbst übertreffen und also mal wieder das stärkste Album ihrer gesamten Karriere und des Universums geschrieben haben. Der Luft, Liebe, Lümmeltüte-Schnarzkopp, der diese Zeilen hier gerade einpflegt, fällt jedenfalls in unschöner Regelmäßigkeit auf diese Form des Marketings herein. Im Falle von "Sounds That Can't Be Made" war die Vorfreude aufgrund des bevorstehenden Herbstes sogar noch ein bisschen größer. Melancholische Sonntagnachmittage mit einer Kanne Jasmintee, der Badewanne oder der Couch und der neuen Marillion zu verbringen, erschien mir als durchaus erstrebenswerte Option. Und "Power", ein Stück, das vor der Veröffentlichung des Albums als Appetithäppchen gereicht wurde, machte auch einen guten Eindruck. Nicht zuletzt schwärmt selbst die Band im Video-Trailer in den höchsten Tönen von ihrem Werk.

Also Hogi-Baby! Gib's mir! Gib's mir richtig!

Das Problem mit diesen euphorischen Vorabreaktionen ist offensichtlich: die Erwartungen wachsen nicht nur in den Himmel, wenigstens meine Wenigkeit hofft spätestens nach dem zehnten ekstatischen Jubelschrei auf nichts weniger als auf den Soundtrack zu einer Supernova. Als sich "Sounds That Can't Be Made" dann die ersten Male im Player drehte und die gewünschte Supernova eher einem Kühlschranklicht ähnelte, breitete sich zunächst Ernüchterung und Enttäuschung aus. Das mit allerlei Vorschusslorbeeren verzierte Eröffnungsstück "Gaza", ein über siebzehnminütiger Prog-Schinken, wirkt auch nach dem zehnten Durchlauf immer noch reichlich unfertig, als sei er mit einem Notenenzym behandelt worden, das die einzelnen Songteile wie durch Magie über Nacht in eine komplett zusammenhängende Mini-Oper verklebt hat, ohne jedoch allzu viel Wert auf Struktur, Kontinuität und Dramaturgie zu legen. Und egal, wie intensiv ich "Gaza" bislang hörte: spätestens wenn der Fünfer zum Grande Finale ansetzt, ist die Erinnerung an die ersten 12, 13 Minuten passé - das ist irgendwie kein gutes Zeichen. Ich bin darüber hinaus auch nicht mit der Produktion einverstanden, die besonders gegen Ende des Songs viel zu dick aufträgt und das Gitarrensolo von Steve Rothery unter zähflüssigem und viel zu laut aufgedrehtem Klangballast förmlich erdrückt. Abschließend noch ein Satz zum Text: ich kenne Menschen, die "Gaza" kristallklar als antisemitisch bewerten würden. Ob in diesen Fällen noch Glühdrähte im Oberstübchen müde vor sich hinglimmen oder schon zappendustere Nacht herrscht, ist wieder eine andere Diskussion; ob Hogarth sich mit seiner zwar legitimen, aber blinden Verkürzung einer derart komplexen, verästelten, unüberschaubaren und von unzähligen Faktoren beeinflussten Situation einen Gefallen getan hat, allerdings auch. Ich persönlich stehe ja eher dem Gedanken nahe, dass man die Klappe halten sollte, wenn man einem solch vielschichtigen Thema nichts anderes hinzufügen kann als ein "We all want peace and freedom" und ein "It just ain't right.". Andererseits: dem Publikum der Band, das im
Normalfall so politisch ist wie die Nummer 51 vom Asiaten um die Ecke (Gebackene Banane mit Honig und Mandeln), dürfte es darüber hinaus wohl sowieso egal sein. Mir verhagelt so manche lyrische Banalität eher den Spaß an der Auseinandersetzung mit der Musik. Und wo wir gerade bei lyrischen Banalitäten sind: ruhig mal "Montreal" und "Lucky Man" anhören. Oder auch nicht.

Musikalisch betrachtet gibt es auf "Sounds That Can't Be Made" wenige Überraschungen, qualitativ erfreulicherweise aber auch keinen wirklichen Ausfall, auch wenn der bluesige Trivialschunkler "Lucky Man" schon wenigstens mal die Falltür ins Nichts schnitzt. Etwas ratlos stehe ich aktuell noch "Pour My Love" und "Invisible Ink" gegenüber. Während der erstgenannte Song eine watteweiche Popnummer für die Ü50-Fraktion mit dem Tiefgang eines Tretboots ist, die trotz solcher Unzulänglichkeiten nicht uncharmant ist und mir sogar ganz gut gefällt, ist "Invisible Ink" ein reichlich unspektakulärer Eintagsfliegensong, der schneller von meinem Radar verschwunden ist, als die ersten Minuten von "Gaza". Der Titeltrack, das bereits erwähnte "Power" und der Abschluss mit "The Sky Above The Rain" sind allesamt gute bis sehr gute Marillion-Songs, mit denen man ganz hervorragend leben/in die Badewanne kann.

Vieles des eben ausgeführten klingt nun sehr böse und ungut, und ich will das hier nicht als Verriss verstanden wissen. "Sounds That Can't Be Made" ist ein gutes Album und scheitert, wie oben bereits angedeutet, in erster Linie an meiner eigenen Erwartungshaltung, wofür die Band schließlich nichts kann. Allerdings, und das gibt mir durchaus zu denken, habe ich bislang nur wenige Momente ausgemacht, in die ich mich wirklich unbeschwert reinplumpsen lassen kann, als wäre ich gerade im 45°C warmen Pipibecken des hiesigen Thermalbads. Marillion bleiben bis auf wenige Momente an der Oberfläche dessen, was sie für gewöhnlich zu Leisten imstande sind. Dem Intensitätsniveau von Meisterwerken wie "Neverland", "Quartz", Interior Lulu", "Afraid Of Sunlight", "King", "When I Meet God", "Somewhere Else" oder "A Voice From The Past" kann vorerst kein Stück auf "Sounds That Can't Be Made" das Wasser reichen. Wir sprechen uns allerdings nochmal, wenn ich mich um meine Jahresbestenliste kümmere - das kann irgendwie noch nicht alles gewesen sein.

Erschienen auf Intact Recordings/Edel, 2012.

23.09.2012

Wenn der IQ nur knapp über der Körpertemperatur liegt

Der übersichtlich talentierte Schauspielerdarsteller Til Schweiger hat im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gefurzt:




Hagen Rether macht das Fenster auf:




Präventiv und vorab die Gegendarstellung:
Am 23.9.2012 schrieb der sehr gute Weblog 3,40qm (zu erreichen unter dreikommaviernull.blogspot.com), der übersichtlich talentierte Schauspielerdarsteller Til Schweiger habe im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gefurzt. Wir stellen hierzu fest: der übersichtlich talentierte Schauspielerdarsteller Til Schweiger hat im öffentlich-rechtlichen Fernsehen nicht gefurzt.