Ich könnte mich wegen dieses nun folgenden Artikels zur Präventivbestrafung praktisch stundenlang auf ein Fahrrad ohne Sattel setzen, und ich möchte außerdem vehement darauf hinweisen, dass ich reflektiert genug bin, um alleine den Gedanken an eine Bearbeitung meinerseits im Rahmen eines Blogartikels als vollverblödeten Quadratquatsch abzustrafen. Andererseits sind wir alle viel zu schnell mit Bewertungen bei der Hand und im schnellen Internetdiskurs zählt neben der Lautstärke auch die Provokation und eben die Geschwindigkeit zum Kriterienkatalog der Kommentatoren, der Blogger und der Journalisten. In diesem Zusammenhang stieß ich also kürzlich auf die Seite Scienceblogs.de und auf den dort hinterlegten Artikel "Homöopathen ohne Grenzen helfen jetzt AIDS zu heilen". Mein Lieblingsabsatz geht übrigens so:
"Da mag ich nicht mehr viele Worte verlieren. Das ist einfach nur noch kriminell. Und daher will ich auch nur noch fragen, WIE man am besten vorgeht, wo man am besten hinschreibt, um das zu stoppen, und nicht mehr OB man das sollte. Und warum ein solch menschenverachtender Verein gemeinnützig sein darf. Vorschläge?
Die Kommentare hierzu dienen ausschließlich der Diskussion dieser Frage. Andere Kommentare und Antworten auf andere Kommentare, vor allem welche die Homöopathie oder diesen verein verteidigen, werden gelöscht, genauso wie solche die diese Regeln diskutieren."
Man fragt sich, von welcher Konsistenz der Schaum vor dem Mund sein muss.
Nun habe ich mit der Homöopathie und vergleichbaren alternativmedizinischen Ansätzen seit über zwanzig Jahren meine Erfahrungen gemacht - manche verliefen positiv, manche negativ, einige andere bleiben in der Nachbetrachtung indifferent. In meiner aktiven Sportlerzeit als Roll- und Eiskunstläufer war ich in manchen Monaten Kunde des Monats bei meiner damaligen Heilpraktikerin, die es nicht selten schaffte, mich innerhalb von ein, zwei Tagen von sturzverursachten Schmerzen zu befreien oder meine beinahe chronischen Knieprobleme in den Griff zu bekommen. Es gab aber auch Momente, in denen sich trotz einer Behandlung einfach gar nichts tat. So ist's halt mit diesem Wunderwerk Körper: mal will er, mal will er nicht, das muss man hin und wieder entspannt sehen und einordnen. Mein Körper wollte im Jahr 2000 offensichtlich nicht mehr und züchtete mir eine schöne Tumorerkrankung heran, und mir war von Anfang an klar, dass ich mehr als nur eine Möglichkeit der Behandlung in Erwägung ziehen werde, was meine Ärzte allesamt natürlich total prima fanden. Die zogen in den nächsten Jahren - der ganze Kladderadatsch zog sich bis Ende 2002 hin - alle Register: Einschüchterungen, Beschimpfungen, Bedrohungen und irgendwann saß auch mal ein Psychiater an meinem Krankenbett und hatte die Aufgabe, meine "Geschäftstüchtigkeit" zu überprüfen. Die Betreiber des Scienceblogs dürften spätestens jetzt Hirnkonfetti schmeißen und "Richtig so!" ausrufen, aber ich muss sie in zweierlei Hinsicht enttäuschen: weder war und/oder bin ich verrückt, durchgeknallt und gefährlich und wurde also zwangstherapiert, noch habe ich mich eingemauert und die schulmedizinische Behandlung abgelehnt - zugegebenermaßen hat die Entscheidung hierfür einige Zeit in Anspruch genommen und es lief auch alles nicht ohne Schmerzen, Verluste und seelische Narben ab, aber auf was ich hinaus will: es spricht gar nichts dagegen, die Emotionalität, mit der die Diskussionen geführt werden, mit dem ein oder anderen Meter Abstand zu betrachten und die Brandstifter und Hetzer da stehen zu lassen, wo sie hingehören: in der Ecke, im Sumpf, im Abseits. Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass sich die letztgenannte Gruppe in dramatischer Mehrheit aus der Gruppe der Schulmediziner rekrutierte, aber das möchte ich als persönliche Erfahrung und nicht als Pauschalisierung verstanden wissen. Ausgenommen sind Urologen, zu denen fällt mir tatsächlich wenig ein, was nicht rechtlich relevant sein könnte.
Die Gründe für diesen skizzierten Umstand sind vielfältig und worüber manch kluger Kopf ganze Bücher geschrieben hat, kann ein Hobbyblogger mit Hobbygedanken natürlich nicht in zwanzig Zeilen erläutern. Will ich auch gar nicht. Was angesichts des oben verlinkten Artikels allerdings auffällt und mich zur Raserei bringt, ist die totale Einseitigkeit, die zu keiner Sekunde die Strukturen der eigenen Welt hinterfragt, der Duktus, der in seiner Betriebsblindheit und mit seinem Vokabular gleichfalls von religiösen Fundamentalisten oder den Minderbemittelten von Politically Incorrect stammen könnte, die unerträgliche Bevormundung, das Infragestellen der freien Behandlungswahl und des freien Willens. Niemand hinterfragt die kriminellen Praktiken der Pharmaindustrie, niemand hinterfragt die allgegenwärtige Korruption, die wirtschaftliche Antriebsfeder, niemand hinterfragt die Kollateralschäden der Schulmedizin. Wenn im Wikipediaeintrag zur Homöopathie unter dem Absatz "Risiken der Homöopathie" geschrieben steht:
"2005 starb, ebenfalls in Australien, eine 45-jährige Frau an den Folgen einer Darmkrebserkrankung, die auch ausschließlich homöopathisch behandelt wurde."
dann muss das doch als im besten Fall tendenziös, im weniger guten Fall als kriminelle Propaganda und quatschdumme Irreführung bezeichnet werden, oder darf derselbe Artikel gleichfalls auf die schulmedizinischen Krebsopfer Bezug nehmen, die trotz, oder schlimmer noch: wegen der schulmedizinischen Behandlung verstarben? Ach so, die gibt es ja gar nicht. In unseren Krankenhäusern fließt Milch und Honig. Wie konnte ich es nur vergessen.
Es ist letzten Endes ein auf Angst und Panik aufgebauter Mechanismus, der um jeden Preis die eigenen Pfründe sichern und die Zentrierung auf das Ego und die damit einhergehenden Allmachtphantasien von so manchem Arzt und der Hände, die ihn füttern, am Leben erhalten muss. Das ist das Fundament, auf deren Basis die Argumentation geführt werden muss und nicht etwa auf der zynischen Betonung, es ginge um Recht, Wissenschaft und Menschenleben. Die Deutungshoheit liegt immer dort, wo das Geld wächst.
Meine Ärztin ist übrigens Allgemeinmedizinerin mit homöopathischer Zusatzausbildung. Sie nimmt sich das beste aus beiden Welten und hat es nicht nötig, die Angstmaschine auf Touren zu bringen. Genau deshalb hat sich mich in ihrer Patientenkartei.
Nachtrag um 21:30 Uhr: Meine liebgemeinte Nachfrage, ob die Netiquette des Blogs hinsichtlich der Propagandaregelung ("Jede Form von Propaganda (...) führt zur umgehenden Löschung des Kommentars und zur Sperrung des Accounts.") denn nicht auf Autoren der Seite zuträfe, wurde leider nicht beantwortet. Mein Kommentar wurde kommentarlos gelöscht. Die Jungs haben eine seltsame Auffassung von Kommunikation, freier Meinungsäußerung und Diskussion.
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