29.04.2012

Pech & Schwefel



OVERKILL - THE ELECTRIC AGE

Chartplatzierungen sind im Metal seit einigen Jahren schwer en vogue. Das ist in einer Szene, die sich gerne als besonders unangepasst und rebellisch geriert nicht nur kurios, sondern auch noch ein klein wenig lustig. Ich vermute dahinter den Wunsch, Rückschlüsse auf die Verkaufszahlen ziehen zu können, Zahlen, die von Labels und Bands traditionell im Atombunker aufbewahrt werden - was in den meisten Fällen angesichts der zu vermutenden eher suboptimalen Ergebnisse sicherlich nachzuvolliehen ist. Und machen wir uns nix vor: wir alle wüssten gerne, was die ein oder andere Lieblingsband so an Tonträgern/Downloads vertickt. Die wiedererstarkte New Yorker-Thrashlegende Overkill hat mit ihrem sechzehnten Studioalbum erstmals in ihrer 32 Jahre andauernden Karriere tatsächlich die US-amerikanischen Billboard Top 100 geknackt und fand sich in der ersten Veröffentlichungswoche auf Platz 77 wieder. Das ist für eine Band, die nicht nur für mich spätestens ab der äußerst uninspirierten und ausgebrannten "From The Underground...And Below" Platte von 1998 praktisch weg vom Fenster war, höchst überraschend, um nicht zu sagen sensationell. Und man fragt sich, warum das dem bisher meistverkauftesten und gleichzeitig umstrittensten Album "I Hear Black" von 1993 nicht gelang. Wie kommt's also? Warum erleben die alten Säcke ausgerechnet jetzt ihren zweiten Frühling, wo doch Mitte der Nullerjahre nur noch die hartgesottensten Alleskäufer ihre Kröten für eine neue Overkill-Scheibe über den Tresen warfen?

Die Antwort liegt im letzten Album "Ironbound". Nuclear Blast nahmen sich der beinahe toten Band an und ließen ganz offensichtlich wenigstens soviel Vorschuss springen, damit sich Sängerlegende Blitz nebst Gefolgschaft wenigstens mal wieder sowas wie einen Sound auf einem Album leisten konnten. Zusätzlich warf das Donzdorfer Label ihre berüchtigte Promomaschine an, und Overkill verwendeten ein paar mehr Elemente des klassischen Heavy Metals als üblich in ihren Songs. Eingänge Refrains, hier und da gab es melodische Twinguitars und die besonders zur Frühphase der Band typischen Mitgröhlnummern nebst passenden "United We Stand"-Lyrics. Und ein paar alte Exodus-Riffs hat man auch noch in der Studioschublade gefunden. Wo bereits "Ironbound" sehr erfolgreich war, fährt "The Electric Age" nun die Früchte dieser Taktik ein - die Produktion ist im Vergleich zum Vorgänger vor allem im Schlagzeugbereich druckvoller und moderner (was wenig überraschend zu Lasten der Natürlichkeit geht), und die Riffs versprühen stellenweise den Glanz alter Großtaten, als die New Yorker ihren Punk und Hardcorewurzeln noch etwas mehr Auslauf gönnten. Die Band hat außerdem alle verfügbaren Handbremsen gelöst und brettert furios durch zehn neue Kompositionen.

Ich war ja bisher immer der Ansicht, dass ein Overkill-Album immer nur so gut ist wie die Gitarristen, die auf ihm spielen. Für mich ist der Ur-Gitarrist und ehemalige Hauptsongwriter Bobby Gustafson mit seinem Einfallsreichtum und seinem einzigartigen Sound immer noch das Maß aller Shreddinge (beanspruche erneut Copyright!); das Nachfolgerduo Merrit Gant und Rob Cannavino benötigte auch dementsprechend zwei Alben Eingewöhnung, bis sie sich auf dem 1994er "W.F.O." in voller Pracht ins Nirvana riffen konnten. Deren Nachfolger Joe Comeau und Sebastian Marino wiederum konnten sich auf den schwachen Alben "The Killing Kind", "From The Underground...And Below" und "Necroshine" nicht entscheidend durchsetzen, und das nun seit 2001 existierende Duo Derek Tailer und Dave Linsk hat die vier Alben andauernde kreative Schwachstelle an den sechs Saiten erst mit "Ironbound" dichtmachen können. Mittlerweile sind die beiden zu einem prächtigen Gespann herangereift, inklusive der immer wieder zu hörenden spirituellen Verneigung in Richtung alter Riffs von Bobby Gustafson.

"The Electric Age" hat zweifellos Charme; Overkill klingen ganz im Gegensatz zu den Comebackalben ihrer ollen Thrashkollegen wie Forbidden oder Heathen, als seien die Buben in den letzten 20 Jahren eingefroren gewesen und nun pünktlich zum Studiotermin aufgetaut worden. Ich bin wirklich ein überkritischer Penner mit absoluten Vollhohl-Maßstäben, wenn es um meinen alten Liebling Thrash geht, aber es ist wirklich verblüffend, wie frisch und kraftvoll die alten Säcke immer noch oder schon wieder klingen. Das ist auch der Grund, warum die Platte wirklich soviel Spaß machen kann. Selbstverständlich gibt es die üblichen Unzulänglichkeiten - der Sound ist mir persönlich zu klinisch und zu modern, die Kosakenchöre funktionieren nicht, die Selbstzitate nehmen fast schon Maiden-typische Ausmaße an und insgesamt dauert das Album wieder mal viel zu lange, aber es ist die wie Pech und Schwefel herabregnende Energie und die Power, die vieles wieder wett und "The Electric Age" zur vielleicht besten Overkill-Scheibe seit dem 1994er "W.F.O." macht. Das ist ganz bestimmt mehr, als ich überhaupt nochmal von einem Overkill-Album erwartet hätte, weshalb sich die Platte sicherlich noch das ein oder andere Mal im Player drehen darf. Hut ab.

Erschienen auf Nuclear Blast, 2012.

22.04.2012

In eigener Sache - Sun Never Sets

Meine kleine Band Sun Never Sets stand am gestrigen Abend als Support der Amirocker von Red auf der Bühne. Das Frankfurter Bett war beinahe ausverkauft, die Stimmung war super - vielen Dank an alle, die mitgeholfen haben, dass es ein prima Abend wurde. Ein besonderer Dank gilt unserem Tonmann Kevin, der uns unter Zeitdruck und widrigen Bedingungen einen astreinen Sound zusammenzimmerte!

Anbei der Link zu ein paar Fotos unseres Auftritts, die von Jens Müller ( http://in-szene.fotograf.de) geschossen wurden. Vielen Dank, Jens!

Sun Never Sets - Live am 21.4.2012 im Bett, Frankfurt

21.04.2012

Vladislav Delay - Vantaa


VLADISLAV DELAY - VANTAA

Der finnische Produzent kehrt mit "Vantaa" stilistisch zu seinem 2007er Meisterwerk "Whistleblower" zurück, und auch qualitativ hat sich Delay nach den letzten, in meinen Ohren etwas schwächeren Veröffentlichungen, wieder gefangen. Sein letztes Album unter dem Delay-Moniker "Tuuma" ist in der Nachbetrachtung nun wahrlich keine Sternstunde, und das freejazzige Werk unter dem Namen Vladislav Delay Quartet, das er im vergangenen Mai zusammen mit Pan Sonics Mika Vainio und Lucio Capece und Derek Shirley aufnahm, hat bei aller Innovation die Tiefe vermissen lassen, für die Delay sonst so bekannt und beliebt ist."Vantaa" erschien gleichfalls 2011 auf Raster-Noton und passt bestens zum Labelkatalog: die Bässe pumpen in unterirdischen Labyrinthen, als würden sie gar nicht dazugehören; Delay verschleppt jede ehemals vorhandene Struktur und kaut bis zum Exzess auf ihr herum, bis er sie ohne großes Aufsehen herunterschluckt.

Ähnlich wie BVDUBs Brock van Wey hat auch Delay den gemächlich vor sich hindümpelnden Dub-Techno auf völlig neuartige Beine gestellt, selbst wenn die angerissenen Ansätze der beiden Musiker unterschiedlicher nicht sein könnten. Während der eine die Versöhnung sucht und das Licht heller als 1000 Sonnen dreht, reißt der andere metertiefe Krater in den Mutterboden, und fügt der Komfortzone mit einem rasiermesserscharfen Schwert eine klaffende Wunde nach der anderen zu. Und weil Delay es immer wieder versteht, Haken zu schlagen und nach neuen Wegen zu suchen, gehöre ich nachwievor zu seinen großen Bewunderern, selbst wenn ich nicht bei jedem neuen Lebenszeichen auf die Knie sinken muss.

Erschienen auf Raster-Noton, 2011.

16.04.2012

Tout Nouveau Tout Beau (2)



KLEEFSTRA, BAKKER, KLEEFSTRA- GRIIS

Die Brüder Jan & Romke Kleefstra und Anne-Chris Bakker erschaffen auf "Griis" einerseits karge, andererseits eindringliche Musik, die Tiefe, Leere und Melancholie auf vibrierende Soundscapes von elektrischen Gitarren bettet. Dazu rezitiert Jan Gedichte auf Friesisch, einem hakeligen und fremdartig klingenden Dialekt, der die Kraft hat, die Figur und Richtung der im Vorfeld aufgebauten Musik zu lenken und neu zu interpretieren. Das niederländische Trio hat dabei viel Gespür für Raum und Zeit, und wenn ich nun sagen würde, dass es vor allem die beiden Gitarristen verstehen, durch viele aquatische Nuancen eine einzigartige Wellenbewegung in den Klangwall einzubringen, dann wäre das lediglich die halbe Wahrheit: auch Jans Poesie kommt zu exakt getimten Momenten. Das klingt alles nach einem großen Masterplan und das ist in der Ausprägung nicht nur überraschend, sondern auch verflixt schön dargestellt.

Erschienen auf Low Point, 2011.




JASON URICK - I LOVE YOU  

Na, schon eine Rezension zu Jason Uricks "I Love You"-Album gelesen, die nicht auf den Titel und die Geschichte dahinter eingeht, und die sich nicht spannende Querverweise auf Coverartwork ausdenkt? Dumm nur, dass sich nun auch dieser Paarzeiler (beanspruche Copyright!), den du gerade liest, in diese Gruppe einreiht, "sauber ins Knie g'fickt."(Priol). Kann man sich eigentlich in Gruppen einreihen? Sei's drum: man darf "I Love You" zweifellos als abstrakt empfinden, wenn das Pulver mit Titelinterpretation und dem Rezitieren des Labelinfos nicht schon verschossen wurde. Urick vergräbt indes unter unwirklich und teils gar furchteinflößenden Sounds eine ganz und gar unabstrakte Idee. Er wirbelt und wiederholt, er tanzt, ab und zu erkenne ich einen Om-Shanti-Groove, Afrika, Cluster und Schnitzler, ein bisschen Jazz und eben vor allem: Einheit. Das einleuchtendste Merkmal dieses immerhin subtilen Werks ist seine Umarmung dessen, was ist - und das ist zu hören, egal an welcher Stelle die Nadel auf die Platte plumpst. Da saß nicht in einer verträumt-romantisch am Schlafzimmerlaptop und haut ein paar Spuren und Samples übereinander; auf mich macht Uricks zweites Soloalbum den Eindruck, als hätte da etwas in der Mitte seines Körpers geglüht, das er mit einigem Winden und Kämpfen in die fassbare Realität schieben musste. Mit ausgebreiteten Armen.

Erschienen auf Thrill Jockey, 2012.




BITCRUSH - OF EMBERS  

Ich möchte dem geneigten Leser schlussendlich ein Album aus dem Jahr 2010 ans warm-schmatzende Herz legen, das mir auf meinem Blog bisher etwas unterrepräsentiert erschien. Genau genommen ist es nicht nur auf diesem Blog unterrepräsentiert, sondern auch in meiner Playlist, und bei jedem der bisherigen Berührungspunkte frage ich mich gleichzeitig, warum das wohl so ist. Teile von "Of Embers" müssten mir im Grunde so gut reinlaufen wie ein Fass selbstgemachtes Basilikumpesto. Mike Cadoo hat eine progressive Form des Ambient Post Rocks entwickelt, dessen Schwerpunkt bei aller Abstraktion auf traditionellem Songwriting und dem Lemma "Rock" liegt. Die Saitenfraktion vibriert tief und mollig, im Unterholz entfalten sich Feedback-Drones und Schwebeharmonien, und Cadoo nuschelt am Frittenstand ziemlich weit draußen seine Wahrheiten. Soweit ist das schön und im Fluss. Aber, und damit beantworte ich mir die weiter oben gestellte Frage selbst, da gibt es noch das (programmierte?) Schlagzeug, das mir einen Schmiss zuviel Rahmen und Ordnung reinbringt. Zusammen mit der Stimme mündigt "Of Embers" somit in eine ziemlich konventionelle Soße, die mir persönlich zuviel mit der fünften oder siebenhundertsten Welle von Post Rock-Bands flirtet. Das klingt härter, als es gemeint ist - vielleicht möchte der ein oder andere mal ein Ohr riskieren, wenn sich zwischen Downloads, Facebook, Twitter und Webzines noch ein kleines, noch nicht vollständig geschlossenes Zeitfenster auftut. Ich bin mir sicher, dass "Of Embers" seine Anhänger finden kann.

Erschienen auf N5MD, 2010.  

13.04.2012

Fela Soul - Download


AMERIGO GAZAWAY - FELA SOUL

Das Gummy Soul Label stellt einen kostenlosen Download des "Fela Soul"-Albums zur Verfügung. Kann man hören. 

What do you get when you put together afrobeat legend Fela Kuti and rap pioneers De La Soul? You get Fela Soul; a musical tapestry created by Gummy Soul artist Amerigo Gazaway. More than just a clever title, Fela Soul is an 8-track, 33 minute journey into the world of afrobeat rhythms, funky horn riffs, and classic hip-hop gems. Using dozens of hand-picked samples from the Nigerian instrumentalist and political figure Fela Kuti, and 8 carefully-chosen acapellas from the Native Tongue rap trio De La Soul, Amerigo seamlessly intertwines the two into something completely new and original.


Erschienen bei Gummy Soul, 2011.

09.04.2012

Onur Engin - Music Under New York



Bevor sich der Herr Dreikommahintenhoch nun für immerhin vier Tage in seinen ersten Urlaub seit 2008 (!) begibt und sowohl Sauna als auch Whirpool vor Freude vollstrullen wird, möchte ich euch eine Platte ans Herz legen, die mir trotz der aktuellen und also sackkalten Witterung schon heute eine fabelhafte Sommer-Erektion (72°) und psychedelisches Pilz-Gewummer ("Pilzpfanne Prodomo") verpasst, wenn nicht beschert.

House und Disco, Siebziger und Pornobalken, Denver Clan und Apfelstrudel - alles vereint in ONUR ENGINs "Music Under New York". Wir sprechen uns im Juli wieder.

Die Klangwolke bietet einen Mix zum Antesten an:

08.04.2012

The Memory Of Sound



PORTER RICKS - BIOKINETICS

Überraschung #1: so richtig ernsthafte Technoalben gab es schon in den neunziger Jahren. Also nicht so ein Westbam-Geklöppel mit Duracell im Popo, sondern so richtig ästhetisch wertvollen Techno, meinetwegen Dubtechno...okay, okay: von mir aus auch Ambienttechno. Überraschung #2 - Type Records feiert die Wiederveröffentlichung von "Biokinetics" als den 100.Release aus dem eigenen Hause. Überraschung #3: diese Musik ist nicht einen Tag gealtert.

Als "Biokinetics" im Jahr 1996 auf Chain Reaction, dem Techno Label von Mark Ernestus und Moritz von Oswald, erschien, entdeckte ich gerade Cradle Of Filth - nichts, worauf man im Rückblick stolz sein müsste, aber sei's drum - und hatte mit elektronischer Musik im Allgemeinen noch gar nichts am Hut. Dass mir Type nun die Möglichkeit gibt, dieses außergewöhnliche Werk zu bestaunen, noch dazu erstmals auf Vinyl, lässt meine Musiklibido mit aus alten CD-Booklets von Marusha geschreddertem Konfetti werfen. Was uns zu Überraschung #4 bringt: für gewöhnlich lehne ich "alte" elektronische Musik ab, weil sie für meine Ohren meist angestaubt und überholt klingt. Wäre vielleicht ja auch mal ein Thema für die Zukunft, herauszufinden, warum ich so schiefe Ohren habe.

Porter Ricks sind Thomas Köner und Andy Mellwig, zwei Künstler, die auch mal gerne als das Dream Team des Sound Designs bezeichnet werden. Der eine, Mellwig, betreute als Engineer im Berliner "Dubplates & Mastering" unzählige Technoproduktionen, veröffentlicht die eigene Musik unter dem Continuous Mode-Banner und hat Nebenprojekte mit Kevin Shields (My Bloody Valentine) und Pete Kember (Spacemen 3) am Köcheln. Thomas Köner hingegen beeinflusste mit seinen Klassikern wie "Nuuk" oder "Permafrost" Legionen von elektronischen Musikern, erweiterte jedoch seit Beginn seiner Karriere den audiophilen Teil seiner Kunst mit dem visuellen und arbeitet fortwährend an der (Weiter)Entwicklung der Umsetzung von Ton in Bild, was ihn Anerkennung und Engagements der Kunstwelt einbrachte.

"Biokinetics" beinhaltet Songs aus zuvor unveröffentlichtem Material des Duos und ist, wird das große Ganze als Argumentation für einen Klassiker herangezogen, mehr als die Summe der einzelnen Teile. Es sind in erster Linie drei Songs, weswegen diese Platte existiert - aber sie wären völlig wertlos, wären da nicht die flankierenden Rumpler und die angeschrägten Begleiter, die "Biokinetics" eine Storyline zwischen dem umwerfenden Beginn mit "Port Gentil", dem brodelnden  "Biokinetics 2" zur Mitte und dem gleichfalls beeindruckenden Ende "Nautical Zone" verpasst. Es hat den Anschein, als ob diese acht Tracks durch zwar unsichtbare, aber ätherisch geknüpfte Nervenbahnen miteinander verbunden sind; sie schwingen ineinander, sie verschmelzen, teilen und trennen sich wieder. Was sie nach der Trennung hinterlassen sind homöopathische Dosen von Informationen und Ideen, von abstrakten und verschwommenen Erinnerungen - heutzutage immer noch von ganzen Labelkatalogen, von Hyperdub über Honest Jon's bis hin zur posturbanen Übermoderne von Brainfeeder gelesen, genutzt und verarbeitet.

Wiederveröffentlicht auf Type, 2012

02.04.2012

Fast richtige Bildunterschriften (1)


Die Lobotomie von Gunnar von Espenlaub verlief weitgehend reibungslos, nur der eingesetzte Chip in seinem Schädel mochte noch nicht so recht auf die Fernsteuerung seiner Söhne Kuno und Sack ansprechen.

(Kwelle)

26.03.2012

Neunziger (6)

Der obligatorische Kniefall vor der vielleicht besten Rockband der Welt; es ist mal wieder an der Zeit.




Love my hatred, love my treason
It`s what you wanted and that`s my reason
Caught you livin` the empty feeling
A corporate handout to you is pleasing

So what maggot, you rock star moron
You make me vomit, now pass the bourbon
I don`t take shit, I bow to no one
Don`t pledge allegiance to flags, I burn `em

*kniefall*

"Salutations From The Ghetto Nation" von WARRIOR SOUL ist 1992 auf Geffen erschienen.

25.03.2012

Einwandfrei anerkannt!

Ich habe lange nachgedacht (haha, eine Steilvorlage schon im ersten Satz, vielleicht sogar zwei, jascheißdiewandan!), ob ich mich wirklich zu dem Radiointerview des Regenerschen Element Of Crime-Kopfes, beziehungsweise - und das viel ärger, mehr, relevanter noch - zu dem ihm eilig folgenden Aufschrei- und Kommentargeklüngels des voll crazy verrückten Internet-Mobs äußern soll, via eines so furchtbar wichtigen Blogeintrags, zum Beispiel, weil, die sind ja total wichtig solche Blogeinträge, von wem die alles gelesen werden und wie man da selbst quasi noch mehr, größer, also berühmter, wenn nicht nicht gar König der Blogger oder der Currywürste, 's eh schon egal, jedenfalls vielleicht aber duch bloßes Ignorieren oder einen prächtigen Beitrag in einem Kommentarfeld dieser unfassbar wichtigen Blogeinträge, weil die liest ja auch praktisch jeder, also JEDER, meine ich, und das ist ja mindestens ebenso wichtig wie der Blogeintrag selbst, sei er auch noch so überheblich und wirr, man passt sich ja sowieso so schnell an, gerade heute, weil wer sich nicht anpasst, ist am Ende Rockmusiker, in der Kredibilitätsreihenfolge wahrscheinlich kurz hinter Wolfgang Niedeken, wobei: der hat ja kürzlich einen sogenannten Musikpreis bekommen und ist damit nun einwandfrei anerkannt und die Durchblutung ist jetzt auch wieder bockstark, vor allem untenrum. Und da denke ich und denke ich und denke ich und denke ich und irgendwann war ich ausgedacht und alles, was überblieb war ein Häufchen gebrauchter Eis am Stiel-Stiele, Hirnmikado für Grobmotoriker, weil mehr bekomme ich eh nicht hin; und ich bekam das große Kotzen beim Gedanken daran, vielleicht einen ähnlich überheblichen (aber immer noch tierisch wichtigen) Blogeintrag inklusive der Abwichs- und Vollcheckermentalität zu verfassen, weil: sowas könnte ich schon machen, ich bin jetzt seit 15 Jahren im Internet unterwegs, mir kann keiner ein erigiertes Glied für 'ne Banane vormachen. Also schreibe ich einfach auf, was mir so gerade durch die Murmel rollt, wer das alles bis hierhin ausgehalten hat, braucht jetzt eh 'ne Therapie.

Wer also Rockmusiker ist, der sollte lieber Dubstep hören und vor allem eines nicht tun: den erwartbaren öffentlichen Umgang mit der ein oder anderen Aussage schon in der Kristallkugel vorausahnen - denn so ist's dem Regener Sven ergangen. Der Mann wusste, dass er für die ganzen Dubstep hörenden Ex-Rockis jetzt enorm uncool ist, also NOCH uncooler, weil, und das weiß ich auch erst seit ein paar Tagen, niemand unter 40 hört ja diesen Altherren-Rumpelrock, weil alle unter 40 Lebensjahren ja jetzt Dubstep hören und boah, is' mir gerade schlecht, leck' mich am Arsch. Der Regener muss es halt jetzt mal schnallen: wer sich mit diesen verrückt und abgefahrenen neuen Medien nicht auskennt, der soll halt von seinem fetten, seit 20 oder 200 Jahren gelebten Künstlerscheiß mal 'runterkommen und sich einreihen in die große Wolke des Web 2.0, wo Milch und Honig fließen, weil wir sind hier oben alle nackisch und pinkeln dem Regener seit Jahren ins Gesicht. Hier ist alles rosa, Mann! Und es war verschissen nochmal noch nie so verkackt einfach für unbekannte Künstler unbekannt zu bleiben und trotzdem das Gefühl zu haben, dass man voll mitmischt im großen Schwanzvergleich - Facebook, Youtube, Reverbnation, Google, MySpace (LOL), Bandcamp, Eieruhr, Wachsweich, Fünfeinhalbminuten - alles bekannte Portale, die praktisch nur auf Musiker, Künstler und Wolfgang Niedeken warten, die rennen einem ja die Tür ein.

Und neue Strukturen, die brauchen wir alle unbedingt. Deswegen ist ja auch hier schon alles rosa. Wir brauchen rosafarbene Strukturen, die dem Regener dabei helfen, auch noch in 2000 Jahren der GEZ, quatsch: der GEMA die Füße zu küssen. Ach so, hat er ja gar nicht gemacht. Der Regener hat ja auch mit keinem Wort neue Strukturen erwähnt oder gefordert, was deswegen gleichbedeutend ist, dass er die alten behalten will. Sowas schreiben jedenfalls Journalisten und Klofrauen ins Internet, einfach so, weil hier ist alles rosa. Der Regener fand ja in erster Linie den gesellschaftlichen Umgang mit dieser fetten Künstlerbrut so geil, also: extrem ungeil. Die von ihm im Nachgang genannten Beispiele wie Youtube/Google sind Symptome dieser zugrundeliegenden Ursache, einer praktisch nicht mehr existenten Wertschätzung von Musik und sowas kann einem erstens auffallen, wenn es einem denn auffallen will, aber dann macht dieses verrückt-abgewichste Bloggen nicht mehr so viel Spaß, und zweitens kann man sie sogar live in der rosafarbenen Wolke Internet begutachten, am halbsteif-herunterflappenden Gemächt, Gelenk, Mist: Objekt: "Totaler Mist, was der Typ da an Musik produziert hat. Langweilig, quäkig und konstruiert-kreativ, kommt nicht aus’m Keks. Pfui. Schnarch. Basta! Und dafür musste ich weder etwas von irgendwelchen Verwerten kaufen, noch von illegal dick-reichen Plattformern raubrunterladmordkinderschändern." Das ist auf jeder erdenklichen Ebene völlig richtig, beziehungsweise so dermaßen grotesk am Thema vorbei, dass ich mich geradewegs um den nächsten virtuellen Baum wickeln will. Und solange wir die Diskussionskultur nicht wenigstens ansatzweise verlassen und uns auf meinen Pipikackamumupimmel-Duktus einigen können, werde ich zu diesem Thema nichts mehr sagen.

Mir ist das letzten Endes eh alles zu komplex und vielleicht wär's halt auch mal angezeigt, einfach mal mit Toco-Dirk zu halten und leise "Kapitulation oohohohoo" zu flüstern, die ehemals weiße Unterhose auf Halbmast zu setzen und zuzugeben, dass das niemand so richtig abschließend klären kann. Regener wollte das auch nicht, der wollte sich halt mal auskotzen. Ist doch super, mach' ich auch. Drei Mal die Woche stehe ich in irgendeinem verpissten Rattenloch von Proberaum oder Konzertclub und lasse mir die Halsschlagader auf einer Waldlichtung zunächst durchtrennen und danach wieder mit Uhu-Superkleber zusammenflicken, weil ich's halt auch nicht mehr verstehe. So wie die ganzen anderen Arschlöcher da draußen auch nicht. Und ich will mehr und mehr davon wegkommen, mir einfach einen einzigen Samenstrang von geballter journalistischer Kompetenz zu angeln und da die allumfassende Meinung für den gebildeten Checker von heute abgeben, weil's halt so einfach nicht ist. Wo kommt reiner her, wo will der andere hin, wie steht's mit Anspruch oder auch nicht, und in welchen Darm muss ich kriechen? Das war doch alles schon früher so, genau so - GENAU SO WAR DAS FRÜHER, nur da hat's auch schon keinen gejuckt.

Einen Unterschied gibt's aber doch: wir wollen alle keine Musik mehr. Wir wollen sie nicht hören und nicht kaufen, wir wollen sie manchmal sogar nicht mal geschenkt. Wir wollen keine Musik mehr. Wir wollen Musik. Wir wollen alle viel mehr Musik. Überall und immer, jederzeit, mehr. Wir wollen mehr Musik. Wir wollen keine Musik. Wir wollen Künstler, aber wir wollen keine Künstler. Wir wollen schlau reden und schreiben und wir wollen Musik. Keine Musik. Musik. Mehr Musik. Mein Schwanz ist länger als Deiner. Ich hab mehr, Du hast weniger. Und darüber schreiben wir. Alles total wichtig.

Macht doch mal einer das Licht aus, ich muss jetzt meine Unterhose schwingen.

Und Sven, ich find' Dich gut.

24.03.2012

First come, First Serve

Da klickt man sich an einem Sonntag um 3 Uhr in der Früh nur ein bisschen durch die Mailorderkataloge dieser Republik, um eigentlich ja nur ein gaaaanz bestimmtes Album einer gaaaanz bestimmten Band ins Warenkörbchen zu legen, denkt sich anschließend ein lapidares "Och, vielleicht kann ich ja irgendwie noch ein bisschen Portokosten sparen.", im Sinne von "wegfallen lassen" und stößt in der Hip Hop-Abteilung auf ein Album einer Combo namens De La Soul's Plug 1 & Plug 2 present First Serve, was unwillkürlich die Augenbrauen lupfen ließ. Die beiden De La Soul MCs Dave und Pos haben mit dem französischen Produzenten-Duo Chokolate & Khalid unter dem First Serve-Banner ein mutmaßliches Highlight des Jahres 2012 aufgenommen - frühlingsfrisch, euphorisch, tanzbar. Konfetti. Disco. Wahnsinn.

Die Suchmaschine des Teufels brachte mich zu folgenden zwei Seiten, deren Inhalt die These, wenigstens aus meiner Sicht, untermauern. Da kommt etwas Großes auf mich zu. Auf Dich auch?




FIRST SERVE - MUST BE THE MUSIC VIDEO @ TAPE.TV



De La Soul's Plug 1 & Plug 2 present First Serve erscheint am 30.3.2012 bei PIAS.

19.03.2012

Der Funk-Flummi


SON OF BAZERK FEAT. NO SELF CONTROL & THE BAND - BAZERK, BAZERK, BAZERK

Ich habe traditionell von Hip Hop soviel Ahnung wie ein CSU-Parteimitglied von logischem Denken, von Zeit zu Zeit phantasiere ich aber wenigstens eine leichte Sympathie herbei, vor allem mit dem Stoff, den ich -ironisch genug - vor 20, vielleicht 25 Jahren gerne im Abgrund der Hölle gesehen hätte. Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre stand ich auf wenig mehr als Heavy Metal und Grunge. Ich erinnere mich gut daran, dass ich durch die MTV-Berieselung KLFs "Last Train To Trancentral" faszinierend großartig fand, und bitte: wer nicht? Vielleicht lag es auch an der sich gerade im Anfangsstadium befindlichen Pubertät, die diese mit schwarzem Klebeband abgeklebten Brüste der Videodarstellerin als ausgesprochen anziehend empfand, jedenfalls: ich hörte viel unterschiedliches Zeug innerhalb des Rock-Genres, aber wenig bis gar nichts außerhalb davon. Und dass ich sozusagen live und in Farbe im "Golden Age Of Hip Hop" vor mich hin amorphelte, nahm ich in meiner verschrobenen Backfischmentalität auch nicht wahr. Ich Volleumel.

Aus heutiger Sicht könnte ich mir dafür (schon wieder) böse in den Hintern bumsen. Den heutigen Hip Hop mit seinem Sexismus und seinem affigen Machogehabe, dem Gangsterschrott und jeder/jede/alles rund um die unsagbar peinliche deutsche Szene kann mich mal, aber der Rückblick auf die Anfänge dieser Musik, die bis zum Auftauchen von nasagenwirmal N.W.A.s inhaltlich meilenweit von dem genannten Mist entfernt war und stattdessen sozial- und gesellschaftskritisch als Sprachrohr der schwarzafrikanischen Bevölkerung der USA fungierte, erscheint mir heute lohnenswerter als jemals zuvor. In diesem Zusammenhang muss ich auf eine Platte hinweisen, die mich nun bereits seit einigen Wochen begeistert. Im bereits an anderer Stelle dieses Blogs vorgestellten "Fear Of Music"-Buch von Garry Mulholland wurde "Bazerk, Bazerk, Bazerk" als das beste Hip Hop-Album aller Zeiten bezeichnet, das niemand jemals hörte. Tatsächlich überschlugen sich bei der Veröffentlichung im Mai 1991 zwar die Kritiker vor Begeisterung, aber die Scheibe blieb wie Blei in den Regalen liegen. Vielleicht lag es daran, dass "Bazerk, Bazerk, Bazerk" seiner Zeit ein paar Jahre voraus war, und ganz vielleicht war auch die Grundannahme falsch, dass man den Kids auch den abgedrehten Scheiß (lieb gemeint) vorsetzen kann. Verpackt in einer visuellen Hommage an James Brown und dessen Artwork zu seinem "Please, Please, Please"-Werk kennt diese Musik nicht mal die Idee einer Grenze. Produziert von der Public Enemy-Truppe The Bomb Squad treffen hier Soul, Funk, Rock, Reggae, Blues, und Hip Hop aufeinander und werden derart enthusiastisch und rebellisch in Szene gesetzt, dass das Stillsitzen nahezu unmöglich erscheint. Das Tempo dieses Albums ist atemberaubend, höchstens vergleichbar mit einer Familienpackung Blitzlicht-Feuerwerkskörper, die alle gleichzeitig gezündet werden und deren Explosion in der vierten Dimension des Gehirns auf eine Länge von 45 Minuten verzerrt und verlangsamt vor den Augen abgespielt werden. "Bazerk, Bazerk, Bazerk" ist überdreht, hochmusikalisch, über alle Maßen und in jeder Hinsicht smart, und klingt selbst 21 Jahre nach seiner Veröffentlichung taufrisch.

Zum Abschluss ein kleines (und wichtiges) Zitat aus "Fear Of Music", dessen erster Teil sicherlich auch für Menschen wie meinereiner mal nachdenkenswert ist:

"If the music changes every day, you can't define what you want because you're subconsciously aware that todays cutting-edge could be redundant tomorrow. But "Straight Outta Compton" had taught a lot of young rap (and rock) fans that what they really wanted was lurid tales of black men dying and black women being abused. They also wanted this over a beat that sounds roughly the same for fifty minutes. Son Of Bazerk didn't stand a chance, in hindsight. If you manage to track down this long deleted album though, you will be amazed that any record could throw so much music into a pot, and stir it with such jovial glee, until it tasted spicy and secret. Fifty million gangsta rap fans can be wrong - and usually are."



Erschienen auf S.O.U.L./MCA Records, 1991.