dEUS - FOLLOWING SEA
dEUS sind für mich die europäische, aufgeräumte, intellektuelle Version der kaputten Afghan Whigs. Der zweifellos in ihrer Musik zu erkennende Hedonismus ist im Gegensatz zu jenem eines Greg Dulli dabei weniger zerstörerisch, dafür introspektiv und eine Spur überlegter. Wo sich Dulli im Heroinnebel die Arme mit einer geplatzten Vodkaflasche zerschnippelt, sitzt dEUS-Fronter Tom Barmann in einem Pariser Café, trinkt - Überraschung - Kaffee (schwarz, stark) und raucht Gitanes, wenn er in einem Pariser Café noch rauchen dürfte. Und er verzehrt sich. Innerlich. Nach Liebe und Freiheit und Ficken und Emotion. Es geht um die Verbindung von Pimmel, Kopf und Bauch und dEUS kämpfen um jedes Neuron. Oder Spermium. Oder meinetwegen auch: jeden Ton. Wie so manches auf ihren Platten nach der Wiedervereinigung ist vieles völlig vockstark, um nicht zu sagen: vegeisternd, so manches schießt in seiner Banalität auch über das Ziel der offenen Hose hinaus. Der auf französisch gesungene (und in meiner Wahrnehmung alleine deshalb irgendwie obszöne) Opener "Quatre Mains" und der Rausschmeißer "One Thing About Waves" sind große Intesitätsmonster, letzteres wird sogar von der Herzallerliebsten goutiert; dagegen ist "Girls Keep Drinking" ein nicht irrsinnig spannender Abklatsch von "The Architect" (von "Vantage Point"), und "Crazy About You" wirklich nur Kitsch, und ist darüber hinaus sehr übersichtlich veranlagt. Das wichtigste Element von "Following Sea" ist aber die Geschlossenheit nicht nur dieser Platte, sondern dieser Band im Allgemeinen. dEUS wissen hundertprozentig, wie sie klingen wollen, und wie sie klingen müssen. Und das bleibt auch auf "Following Sea" ihr inspirierendstes Element.
Erschienen auf Play It Again Sam, 2012.
BVDUB & LOSCIL - EREBUS
Google verrät mir, dass bislang noch niemand in deutscher Sprache über diese Platte geschrieben hat, und selbst wenn "Erebus" erst seit Anfang dieser Woche erhältlich ist, kann, nein muss ich es ändern. Über Brock van Weys BVDUB und seiner Armee an veröffentlichter Musik im Laufe des Jahres wird an anderer Stelle und zu einem späteren Zeitpunkt noch zu reden und schreiben sein. Dass mich diese Kooperation mit Loscil (aka Scott Morgan) sehr kurzfristig wieder an exakt jene Wand schleudert, an der noch heute ein Abdruck meines zerschmetterten Körpers zu finden ist, weil ich sein "The Art Of Dying Alone"-Album vielleicht das ein oder andere Mal zu oft, zu laut und zu endorphinisiert gehört habe, will ich jetzt schon loswerden. Es gibt Momente auf dieser Platte, die mir schier die seelenlose Hülle meines irdischen Daseins sprengen. Es ist laut, manchmal nah an der Unerträglichkeit. Ich will, ach was: ich muss platzen. Ich bekomme körperliche Reaktionen. Schweißausbruch. Husten. Jetzt könnte man sagen, ich soll aufhören das Poster von Kristina Köhler anzuschauen, aber was alleine "Aether" mit mir anstellt, ist beeindruckend, beängstigend und macht einen am Ende des Tages dann eben doch zwei Köpfe größer, mindestens aber zu einem besseren Menschen. Genug der Lobhudelei, nur eins noch: "Erebus" erscheint auf Glacial Movements. Spätestens jetzt wissen die Eingeweihten, was zu tun ist. Genau, Fieberthermometer und Wadenwickel.
Erschienen auf Glacial Movement, 2013.
BOARDS OF CANADA - TOMORROW'S HARVEST
Ich habe lange darüber nachgedacht, was ich mit "Tomorrow's Harvest" anstellen soll und ehrlich gesagt weiß ich es immer noch nicht so genau. Mein Gefühl zu dieser Platte ist völlig indifferent, und ich habe mich für diesen Blogpost kurzerhand dazu entschieden, dass ich jenes Gefühl als kein allzu gutes Zeichen werte. Wenn ich auch nach mehreren Wochen des ausgiebigen Hörens immer noch nicht weiß, was das hier alles soll, ist für gewöhnlich Ärger im Verzug.
Zugegeben, der Hype um die Veröffentlichung dieses Comebacks der beiden Schotten Michael Sandison und Marcus Eoin Sandison machte es mir zunächst schwer, überhaupt vorurteilsfrei an "Tomorrow's Harvest" heranzutreten - dieser ganze Quatschhaufen aus limitierten LPs und Maxis, Streamingsessions in der Wüste, rätselhaften Zahlenkombinationen und dieser ganz grundlegend elitäre Dreck kann mich mal kreuzweise. Natürlich lebt der Mythos Boards Of Canada auch und insbesondere genau davon, aber trotzdem wäre man noch vor wenigen Jahren einhellig der Meinung gewesen, dass gerade die Musik dieser beiden Phantome all das nicht notwendig hat. Im Jahr 2013 gehört das Klappern aber eben auch (und insbesondere) zur Hipster-Internet-Welt der Pitchfork-Generation, und die erzielten Chartpositionen beweisen zumindest die geschäftliche Relevanz dieser Taktik.
Die künstlerische Seite ist schon eine Spur heikler, zumal die Platte den Hype im Prinzip zu keiner Sekunde rechtfertigt. Aber so ist es ja irgendwie immer. Welche Platte rechtfertigt schon einen übertriebenen Hype? Talking about Erwartungshaltung. Zumal es ja im Grunde auch keinen mehr interessiert, wenn die Platte mal im Schränkchen steht. Insofern passt "Tomorrow's Harvest" bestens in die heutige Zeit der Verschleierung und des Plastikwahns. Dabei stricken die beiden Brüder ihre Musik zwar immer noch eindeutig nach altbewährtem Muster, haben die interessanten, experimentelleren und tief eingegrabenen, verschlungenden Pfade der Vergangenheit mittlerweile aber weitgehend verlassen und setzen hinsichtlich Stimmung und Atmosphäre auf haudünn ausgerolltes musikalisches Butterbrotpapier. Vieles auf "Tomorrow's Harvest" ist für meinen Geschmack viel zu anschmiegsam, zu gefällig und in der Konsequenz genau so trüb wie die Skyline San Franciscos auf dem Coverartwork. Manches ist besser ("Nothing Is Real"), manches geradezu gruselig ("Split Your Infinities", "New Seeds"), während der vor sich hin dümpelnde Mittelteil der eindrücklichste Beweis dafür ist, dass einer wie Four Tets Kieran Hebden die beiden Brüder in Sachen Kreativität, Spielwitz und Tiefe mit Karacho rechts überholt hat.
"Tomorrow's Harvest" ist die generationsangepasste Light-Version der Boards Of Canada - man kann den jungen, wilden, kreativen Latte Macchiato Menschen von heute einfach nicht mehr zumuten. Sehen wir's ein. Marketing took over.
Erschienen auf Warp, 2013.