PAIN OF SALVATION - ONE HOUR BY THE CONCRETE LAKE
"Nein, der wahrscheinlich nuklear am stärksten verschmutze Ort der Erde liegt abseits bekannter Kernreaktoren im südlichen Ural Russlands. Es handelt sich um ein relativ unbekanntes Gewässer, dem Karatschai-See. Einem toten See, dessen Strahlung ungeschützten, nichts ahnenden Besuchern binnen einer Stunde das Leben aushaucht."
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"One Hour By The Concrete Lake" tauchte für eine lange Zeit in meiner berüchtigten "Die 100 besten Platten aller Zeiten"-Liste auf, sie überstand sogar den großen CD-Räumungsverkauf im Jahr 2009 relativ unbeschadet und war also unverkäuflich. Ich muss zugeben, dass ich schon lange nicht mehr auf die Idee kam, die Platte nochmal zu hören - die Hörgewohnheiten haben sich in den letzten vierzehn Jahren geändert und von meiner Dream Theater-Sammlung konnte sich schließlich auch nur das Debut "When Dream And Day Unite" im Regal halten. Heute, so meine Vermutung bevor ich das Album erstmals seit sicherlich sieben oder acht Jahren wieder auflegte, sähe es sich bestimmt größerer Konkurrenz als vor 14 Jahren ausgesetzt und so würde das ganz bestimmt eng werden mit der Top 100-Liste. Ich bin gerade in der Mitte des zweiten Duchlaufs und ich bin ehrlich überrascht: "One Hour By The Concrete Lake" ist immer noch so beeindruckend, erschlagend und großartig wie am ersten Tag.
Das Konzeptalbum über den russischen Karatchai-See, in den die Regierung und das Militär der damaligen Sowjetunion über Jahrzehnte tonnenweise Atommüll und Abwässer aus dem nuklearen Zwischenlager Majak und der Wiederaufbereitungsanlage Osjorsk einleiteten und der heute fast vollständig mit Beton zugeschüttet ist, ist nicht nur musikalisch immer noch gnadenlos intensiv, packend und komplex, es ist in erster Linie textlich eines der brilliantesten Werke, die ich kenne. Der Kopf der Truppe heißt Daniel Gildenlöw, ein zum Zeitpunkt der Albumentstehung gerade mal 25-jähriger Schwede mit einer der unfassbarsten Gesangsstimmen aller Zeiten und einem geradewegs irrwitzigen musikalischen Talent. Gildenlöw begann 1997 sein Studium der Atomphysik an der Universität Göteborg und "One Hour By The Concrete Lake" ist das Ergebnis seiner Studien und der daraus resultierenden Schlussfolgerungen. Er führt das zugrundeliegende Thema weit in die Philosophie hinein, hinterfragt, reflektiert, klagt an - und verpackt all das in reine Poesie.
"Im Jahr 1986 wurde damit begonnen, den Karatschai-See mit mannsgroßen Betonhohlquadern und Steinen zuzuschütten. Mehr als 10 000 Betonklötze wurden seitdem im See versenkt. Ein Drittel des Wassers kann dabei in den Hohlräumen verbleiben; der Rest muß verdunsten, so daß man den See nicht schneller bedecken kann."
"Tag für Tag pendeln die mit fünf Tonnen Blei und zehn Zentimeter dicken Bleiglasfenstern geschützten Lastkraftwagen zwischen einem nahegelegenen Steinbruch und dem See, um ihn so bald wie möglich verschwinden zu lassen. Steine drauf, Lehmschicht und dann Mutterboden darüber und schließlich Rasen gesät, so stellt man sich bei Majak die Sanierung dieser dann wohl als Endlager zu bezeichnenden Altlast des Kalten Krieges vor."
DIE WELT
Wo spätere Pain Of Salvation-Alben unablässig um das Innenleben ihres Erschaffers kreisten und die Band immer introvertierter und in ihren inneren und äußeren Grenzen unüberschaubarer wurde, ist "One Hour By The Concrete Lake" der brüllende Klageschrei eines jungen Mannes, der sich für ein Wissen quälte, das ihm möglicherweise besser nie eingeflößt worden wäre. Der den Erkenntnissgewinn mit einem selbst heute noch faszinierenden Album herausschreien und - schreiben musste.
"One Hour By The Concrete Lake" ist Protest. Ein so großer und tiefgreifender Protest, der gegen die Schwärze der Welt Mut, Zorn und Selbstreflektion zusammenführt - die schärfsten Waffen gegen die Dunkelheit.
'They tell all the people of Europe, it's a good, clean industry, it's a great way to save the world. But I'm here to tell you that now they're knocking on our door because they can't find any place to store the damned stuff for eternity, They come to our homeland and they want to lease some land for 10,000 years!'
James Garritt
Erschienen bei Inside Out, 1998