Flo um 21:35 Uhr:
Flo um 22:10 Uhr:
Heiliger Strohsack!
Mehr Fotos gibt's übrigens bei diesem Kackverein: http://tinyurl.com/639hy3r - und noch irgendwo, aber sei's drum.
Vielen Dank, Tim!
Flo um 21:35 Uhr:
Flo um 22:10 Uhr:
Heiliger Strohsack!
Mehr Fotos gibt's übrigens bei diesem Kackverein: http://tinyurl.com/639hy3r - und noch irgendwo, aber sei's drum.
Vielen Dank, Tim!
V.A. - California Funk
Ein randvolles Doppelalbum mit den ultrararsten 7-Inch Singles des Funk aus dem US-Bundesstaat Kalifornien - es ist ein Fest für den verrückten Plattennerd, es ist der Himmel auf Erden für jeden Musikverrückten. Dabei ist der Grund für die lobende Erwähnung dieser Jazzman-Zusammenstellung in dieser "Nachzügler"-Liste nicht in erster Linie bei der Musik an sich zu suchen, sondern liegt viel mehr an zwei Punkten.
Erstens, die Aufmachung ist fantastisch und der Informationsgehalt dieser Compilation ist außerordentlich abendfüllend. Die beiden Kuratoren Malcolm Catto und Gerald "Jazzman" Short haben über 10 Jahre an dieser Veröffentlichung gearbeitet, sie haben den "Sunshine State" auf der Suche nach dem heiligen Gral des Funk durchquert, sie haben ein großes Netzwerk von Verrückten aufgetan, das sie bei ihrer Tour unterstützte. Sie haben Verbindungen gesucht und gefunden, Studios, Produzenten und Musiker besucht. Herausgekommen ist ein picke-packe volles Doppelalbum, das zumindest in der Vinylversion nur schwer zu schlagen ist. Das dicke Gatefold-Cover beherbergt in der Mitte Hintergrundinformationen über die sich langsam ins Rollen gebrachte Funkszene Kaliforniens Ende der sechziger/Anfang der 70er Jahre, über die politischen und gesellschaftlichen und nicht zuletzt kulturellen Umstände und Probleme in jener Zeit. Das ist hervorragend recherchiert und mit viel Herzblut dokumentiert.
Die LP-Taschen im Cardboard-Format sind mit Hintergründen und Details zu jedem einzelnen Track, also jeder einzelnen 7-Inch Single, bedruckt. Da lernen wir beispielsweise, dass "All Bundled Into One" der Combo Water Color eine der seltensten Platten aller Zeiten ist, mit nur noch einem einzigen in Sammlerkreisen bekannten und existierenden Exemplar. "Finding that record, it's like finding the Holy Grail" wird folgerichtig auch Produzent Rick Wild zitiert, der die Scheibe 1974 in den Love-Studios in Los Angeles aufnahm. Andere Aufsätze beschreiben Schicksale von den Verlorenen und Vergessenen, wie zum Beispiel von Leon Gardner, der Mitte der 60er Jahre sein eigenes Igloo-Label gründete und nur kurze Zeit später komplett vom Radar verschwand. Während die einen sagen, er sei schon lange tot, sagen andere, er lebe in einem Appartment in Downtown L.A., das er seit Jahren nicht mehr verlassen haben soll. Charles Wright, ein Bandleader aus Los Angeles, glaubt, Gardner sei gestorben, hätte aber die letzten Jahre seines Lebens auf einer am Hollywood Boulevard gelegenen Parkbank verbracht. Oder Artur Monday, der heute in einem Altenheim in seiner Heimat Louisiana lebt (aber immer noch regelmäßig sein Pianospiel verbessert). Oder den sehr obskuren King Solomon, der wie viele andere aus Louisiana nach L.A. zog, um dort sein Glück als Blues- und Funksänger zu suchen. Solomon tauchte in den 70ern Jahren auf verhältnismäßig vielen Platten auf und nahm später auch ein hoffnungslos unbekanntes Album namens "Energy Crisis" auf. Er soll vor einigen Jahren nach Chicago gezogen sein - aber auch hier sind weitere Informationen über seinen Verbleib noch rarer als die Platten, die er aufnahm und besang.
Die Fülle an Informationen ist wirklich überwältigend. Außerdem gibt es für jeden Track - sofern verfügbar das Studio, den Produzenten, die Stadt und das Aufnahmejahr sowie das Line-Up der Band. Wobei hier dann doch nicht selten der Satz "remaining personel unknown" geschrieben steht - die damalige Szene muss ein reiner Ameisenhaufen gewesen sein.
Der zweite Punkt, warum ich "California Funk" erwähnen muss, hängt mit den obigen Ausführungen zusammen. Die beiden Herren machen das natürlich schon clever, sie wissen schon ziemlich gut, was das Herz des Nerds höherschlagen lässt: es ist diese geheimnisvolle Mischung aus Obskurem und Mystischem, das die Künstler, die Labels, die Produzenten und die ganze Zeit mit aller verfügbaren Romantik umgibt. Da liest du den Text über Leon Gardner und fragst Dich, wie der Mann die schrillen 80er und die euphorisch-depressiven 90er erlebt hat, in welchen Umständen er lebte, mit wem er noch Kontakt hatte - oder immer noch hat. Da ist vermutlich einer da draußen, der tolle, mitreißende Musik machte, der gegen alle Widerstände gegen Afro-Amerikaner alles zusammennahm, was er an Mut und Kraft und Leidenschaft hatte und ein eigenes Label gründete, um Funk-Singles zu veröffentlichen, die heute auf Ebay im Schnitt zwischen 500 und 1200 Dollar (pro Stück!!!) einbringen und der heute völlig abgebrannt auf einer Parkbank wohnt. Wo sind sie alle hin? Was machen sie heute? Wenn, wie bereits erwähnt, das Line-Up einer Combo unbekannt ist - wer spielte denn da das Schlagzeug? Wer spielte denn da den Bass? Wo sind sie heute, was machen sie heute, was haben sie in den letzten 30 oder 40 Jahren gemacht? Es mag vielleicht etwas naiv, gar ein bisschen sensationsgeil klingen, aber mich packt das total. Ich habe schon Stunden mit den sehr ausführlichen Beschreibungen auf diesem Album verbracht und lese sie immer wieder gerne.
Eine ganz tolle Veröffentlichung - und auch wenn ich jetzt wenig bis gar nichts über die Musik geschrieben habe: Mädels und Buben, der Sommer kommt. Und ich kann nur erzählen, was ich spätestens ab Mai jedes Wochenende mindestens ein Mal tun werde: "California Funk" auflegen, die Lautstärke aufreißen und durch die Wohnung toben. Es ist tolle, mitreißende, tiefe und ehrliche (jaja, ich weiß schon...) Musik, und es tut dir gut, das selbst zu erleben. Das kann man sich ruhig mal gönnen.
Erschienen auf Jazzman, 2010.
TAPE & BILL WELLS - Fugue
Erschienen auf Immune, 2010.
RADIO CITIZEN - Hope And Despair
BVDUB - The Art Of Dying Alone
Großer Gott - hätte ich nicht erst Mitte Februar Wind von diesem Album bekommen, meine Jahrescharts hätte es regelrecht zerbröselt. Seit meinem Kauf von "The Art Of Dying Alone" erklang in meinen Hallen in Hessen-Hitler-City keine andere Musik so oft wie jene des US-amerikanischen Produzenten Brock Van Wey, es gab Tage und Nächte, in welchen sie einfach auf Dauerrotation durchlief, und ich will offen sprechen: im Moment kommt nichts und niemand an ihn heran und schon gleich gar niemand an ihm vorbei.
Ich habe ja durchaus großes Glück, dass ich etwa zwei Mal die Woche im Home Office sitzen und in Ruhe arbeiten kann und es wurde in den letzten Wochen zu einem liebgewonnen Ritual, zunächst mittles der Deckenfluter ein sanftes Licht zu installieren, die Heizung hoch zu fahren, den CD-Player zu aktivieren und zu den ersten betörenden Klängen des Openers "Descent To The End" in die Küche zu schlurven, um die Senseo-Maschine (Scene-Points: -18) zu einer großen Tasse schwarzen Kaffees zu überreden. Die Stimmung, die sich daraus entspinnt, ist so friedlich, so atmosphärisch warm, so überaus romantisch und hell-neblig, dass ich mir keinen besseren Start in den Tag ausmalen mag.
Die Herzallerliebste, ebenfalls hingerissen von diesem Meisterwerk, bezeichnete die Musik als den Soundtrack zum Anklopfen an die Himmelspforte und tatsächlich versteckt "The Art Of Dying Alone" neben viel Trauer und Melancholie auch etwas Sakrales, Heiliges und Geheimnisvolles in sich, zu gleichen Teilen aber eine Reinheit und Schönheit, dass mir fast die Tränen kommen. Die mit weniger Empathie gesegneten unter uns würden sich sehr wohl langweilen, vielleicht von "orientierungslosem Rauschen" sprechen und schnell das Weite suchen, aber für die wurde diese Sammlung ja auch nicht gemacht. Ich selbst bin ehrlich gesagt auch noch nicht zum Kern dieser einhüllenden und umarmenden Musik gelangt, die Fixpunkte sind Repetition, Hall und Delay, Feedback-Drones und ohne Scheiß jetzt: ein helles Licht, dass direkt aus dem Lautsprecher in Dein Herz einschlägt. Aber warum es so funktioniert, wie es funktioniert...ich habe keinen blassen Dunst.
"The Art Of Dying Alone" ist das Schönste, was ich seit langem gehört habe, und ich werde das Gefühl nicht los, dass sich künftig verdammt viel an dieser Platte messen lassen muss.
Erschienen auf Glacial Movements, 2010.
Und keine Bange, ich mach's kurz.
Ein gehobener Schatz aus der "Holy Grail" Re-Issues Serie des britischen Jazzman-Labels, das unter anderem bereits an dieser Stelle positiv in Erscheinung getreten ist. "The Café Extra Ordinaire Story" wurde 1966 in Minneapolis aufgenommen und erst acht Jahre später in minimaler Auflage veröffentlicht. Ein Blick auf Popsike.com verrät: der Bausparvertrag ist fällig, will man die Originalversion sein Eigen nennen.
Bassist Bobby Jackson ist unter all den großen Geistern des Jazz einer der Vergessenen, einer derjenigen, die nie am richtigen Ort zur richtigen Zeit waren und die von den Blue Note, Prestige und Impulse!-Hauptquartieren meilenweit entfernt waren. Aber auch einer, der beispielsweise seinen Job kündigte, um einen Jazzclub in seiner Heimatstadt zu eröffnen, und der viel aufgeben und gleichzeitig viel kämpfen musste, um seinen Traum zu verwirklichen. Diese Platte ist das passende Instrument für eine tolle Zeitreise in eine Stadt, die gemeinhin als weißer Fleck auf der Jazz-Landkarte der 60er Jahre gilt. Das Sextett spielt einen swingenden, angesoulten, modalen Jazz, stilistisch und spirituell vielleicht mit dem vergleichbar, was sich Ende der 60er- und Anfang der 70er Jahre rund um Künstler wie Pharaoh Sanders, Alice Coltrane und Sun Ra entwickelte. Das größte Plus ist seine Nicht-Perfektion: die Aufnahme ist hier und da übersteuert und das Piano ist manchmal auch nicht in tune, aber wenigstens ich finde das total sympatisch und - Achtung, verbotenes Wort: authentisch.
180g Vinyl, auf 1000 Stück limitiert und leider arschteuer, aber ich bereue keinen Cent. Und um Dusty Groove zu zitieren: "These Jazzman Holy Grail series vinyl releases disappear in no time. Don't sleep!"
Erschienen auf Jazzman, 2010"Und wenn dann noch Andreya Triana ihre dunkle, angerauhte, brennende Sehnsucht versprühende Stimme in die Songs hineinwirft, verbinden sich die Gegensätze zu einem großen Statement, zu einer großen Statue der Weite, des Raums und der Zeit."
Nun steht ein Mal pro Monat der Streifzug durch die virtuellen Plattenläden dieser Welt auf meinem Programm, der aus strategischen Gründen prinzipiell kurz nach Gehaltseingang in Angriff genommen wird. Also - die Bestellung an sich. Die Auswahl der gewünschten Scheiben fordert in der Regel ein bis zwei Wochen harte Arbeitund mindestens 18 Nervenzusammenbrüche nebst einem Jammeranfall nach dem anderen in Richtung der Ehefrau, die offiziell seelische Unterstützung leisten, inoffiziell die Erweiterung des Budgets genehmigen soll, was für gewöhnlich mit einem lapidaren "Dann leg los!" geschieht.
Und so muss es wohl auch im Juni 2010 abgelaufen sein.
"Black Sands" erstrahlt auch in den trüben und kalten Tagen des Februars 2011 in Größe, Anmut und Schönheit und ist somit ohne jeden Zweifel die beste Platte des Jahres 2010.
Ich verneige mich - und bin immer noch platt.
Ich weiß nicht, welchen Erfahrungen meine geneigten Leser Jahr für Jahr gegenüberstehen, aber zumindest in den hangargroßen Redaktionshallen von 3,40qm gilt im Rückblick auf die vergangenen musikalischen Jahre: wenn's ganz prima lief, bleiben etwa drei bis fünf Alben eines Jahrgangs übrig, die fortan irgendwie zu einem gehören. Mit denen man eine spezielle Verbindung hat. Die man künftig in der Denkmurmel unter "Woah, was für eine Platte!" abgespeichert hat. Die man Freunden (wenn man welche hat) ehrfürchtig unter die Nase hält, mit einem Blitzen in Augen. So mache ich das jedenfalls (hätte ich Freunde). Und so mache ich das seit einem guten Jahr mit "I'm New Here", dem ersten Studioalbum der US-amerikanischen Legende Gil Scott-Heron seit seinem 1994er Werk "Spirits".
Als ich im Juni 2010 zum ersten Mal über "Cosmogramma", das dritte Album von Steve Ellington aka Flying Lotus, schrieb, stellte ich angesichts des hier herrschenden, positiven Irrsinns gleich einen Sack voller Fragen, aber eine einzelne, spezielle möchte ich nochmal aufgreifen: wird "Cosmogramma" denn überhaupt von einer politischen oder gesellschaftlichen Message getragen, die mit den großen Meilensteinen des Jazz zu vergleichen ist?
Heute, mehr als ein halbes Jahr und unzähliche Jahresbestenlisten später, muss man die Antwort in zwei Teile aufspalten. Wenigstens in meiner Wahrnehmung ist "Cosmogramma" mit den großen Jazzwerken der Vergangenheit spirituell verbunden - hier lebt eine ganze Legion von gesellschaftlicher Beobachtungen und Anklagen unter kilometerdicken Layern aus Klappern, Zischlern und Kratzern. Da ist der Drang nach Freiheit zu spüren, das naive Herumtollen, das Austoben im Unbekannten, so kreativ und voller Drang, an einen Ort zu gelangen, den noch niemand vor ihm betreten hat - der Mann hat einen Auftrag. Hat den Auftrag aber auch jeder mitbekommen? Und das führt uns zum zweiten Teil der Antwort: war es nicht auffällig, wie wenig Aufmerksamkeit diese Platte am Ende des Jahres erhielt, wo noch im Mai gefühlt das halbe Internet auf dem Kopf stand? Wo waren denn plötzlich all die Drive-In-Anbeter, die "Here today and gone tomorrow" auf ihren Baseballkappen spazieren tragen? Ich kann's Euch sagen: die waren im seichten Fahrwasser der Indietronic-Bewegung, die waren im knietiefen Morast der moralischen Befindlichkeitslyrik, tsehe: die waren WEG! Die waren dem schmerz- und inhaltslosen Delirium verfallen, die wollten nicht, dass es zwickt.
Für die Indie-Elite steht bereits seit Jahren fest: "Highly Refined Pirates" ist und bleibt das beste Minus The Bear-Album aller Zeiten. Da klangen sie noch so schön rauh und so ein bisschen verwaschen, so frech-spritzig, naiv und vor allem hatte und hat man sein persönliches Alleinstellungsmerkmal, weil die Band aus Seattle (Oha!) damals eben allerhöchstens einer Handvoll Leute bekannt war. Das ist wichtig in Checkerkreisen.
Wie auch immer - der Nachfolger "Planets Of Ice" aus dem Jahr 2007 war, nachdem ich mich unter Schmerzen dazu durchgerungen hatte, es mir wenigstens mal anzuhören, alleine atmosphärisch eine komplett andere Baustelle, die Entwicklung im Bandsound hielt sich jedoch in Grenzen. Das ist sicherlich eine andere Platte, die klingt ganz bestimmt auch anders, aber das ist der Punkt: sie KLINGT anders. Dabei hatte die Band ihr musikalisches Rezept weitgehend beibehalten, die Gitarren tupften immer noch die flackerndsten Reflexe aufs Tableau, der unwiderstehliche Fluss ihrer Kompositionen mit einer traumhaften Bass- und Schlagzeugabteilung machte auch ihr drittes Studioalbum zu einer ganz hervorragenden Platte. Aber, wie in einer früheren Rezension schon angedeutet: ich langweile mich ziemlich schnell. Und wahrscheinlich hätte die Hölle zufrieren müssen (alternative Optionen: Schalke wird deutscher Meister, ein neues Interpol-Album hat wenigstens einen Hauch von Relevanz, Stefan Raab wird Mutter), bevor ich mir nach "Planets Of Ice" ernsthaft nochmal überlegt hätte, ein neues Minus The Bear-Album anzuhören. Ich kenne ihren Sound, den haben sie schon lange perfektioniert - der ist fraglos gut und originell, aber ich kenne "Menos El Oso". Alles gesagt.
Findet ihr das eigentlich auch so scheiße, wenn ein Schmierfink eine elendlange *dramatisches Donnergerumpel* REZENSION ins Weltnetz rotzt und dabei erst am Schluss ein paar Worte über die neue Platte verliert, über die er eigentlich schreiben wollte? Also mir könnte das ja nicht pass....
Ich lehne mich nun etwas aus der Hofeinfahrt, aber es gibt Momente auf dieser Platte, die sind größer als alles, was es im letzten Jahr zu hören gab. Solche Momente, in denen der Körper die Glückshormone nur so von sich schleudert, wie es sonst nur Til Schweiger [zensiert]*** ***** ********** ******** *******. *************** *********, **** *** ****** ***[/zensiert] dumme Sau [zensiert]********** ************.[/zensiert] Aber zurück zu "There Is Love In You", wenigstens im weiteren Sinne.
2008 wurde "Ringer" veröffentlicht, eine 4-Track-EP, die großartige, von Krautrock beeinflusste, rhythmische und erstaunlich melodische Stücke enthielt. Im Nachhinein war "Ringer" der logische Vorläufer zu "There Is Love In You": der krude und verschachtelte Ansatz von "Everything Ecstatic" wurde zugunsten von klareren Arrangements und mehr Melodie fallen gelassen, die sich hier nun vollends entfalten können. "Love Cry" und "Sing" sind hell leuchtende, freundliche Tanzbodenhits, "Angel Echoes" beschwört als Opener die spirituelle und kosmische Liebe, "This Unfolds" entwickelt sich - Nomen est Omen - vom etwas grimmigen Beginn zu einer prachtvoll atmenden Blüte, "Circling" kreiselt sich zu Buddhas drittem Auge empor, während "Plastic People" und "She Just Likes To Fight" mit etwas mehr Ruhe und Übersicht eine gnadenlos gute, stimmige, spirituelle, moderne Zusammenstellung zeitgenössicher elektronischer Musik beschließen.
Als Bonus findet ihr unter dem folgenden Link eine zum Heulen fantastische Aufzeichnung des Sets aus dem New Yorker Le Poisson Rouge-Clubs vom 17.1.2010 - genießt es. Und danke für den Tipp, Doc!
FOUR TET LIVE AT LE POISSON ROUGE 2010
Erschienen auf Domino Records, 2010
Kenner meines kleinen Irrgartens im Oberstübchen wissen, dass ich praktisch schon (und spätestens) im Mai eines jeden Jahres damit beginne, die Jahresbestenliste zu führen, umzustellen und neu zu bewerten. Das eine kommt neu hinzu, das andere rutscht 30 Plätze nach unten, eine weitere Scheibe verschwindet auf immer im Nebel. Erstes Qualitätsmerkmal bei der Auswahl potentieller Kandidaten: die Verweildauer vor der Anlage. Sehr zum Leidwesen der Herzallerliebsten stehen durchgängig 30 bis 40 Scheiben direkt am Plattenspieler, die also die Hall Of Fame darstellen. Was dort nach zwei Wochen Aufenthalt wieder rausrutscht, ist in den meisten Fälle eine cause perdue und hat es in den folgenden Wochen und Monaten schwer.
Im Reich der Düfte sagt man, es gäbe zwei Merkmale, die ein gutes Parfum ausmachen: Melancholie und Mystik. Legt man diesen Maßstab auf "Stridulum II" an, handelt es sich entsprechend um ein gutes Parfum, Blödsinn: eine gute Musik, denn wenn dieses Debut (rechnet man einige Kollaborationen mit Aurora Borealis, Sacred Bones und Die Stasi nicht mit ein) von zwei Attributen geprägt wird, dann sind es - genau: Melancholie und Mystik.
Zum anderen habe ich aus dieser Frage resultierend echte Kategorisierungs- und Definitionsprobleme. Die allgemeine Stimmung auf "Stridulum II" ist romantisch und surreal, alle Strukturen und Melodien sind im dicken Nebel versunken. Schemenhaft wie eine Galeere, die wie von Geisterhand bewegt wird, treibt die Musik über einen unsichtbaren Untergrund, stolz und majestätisch. Es ist ein merkwürdiger Zwiespalt aus der sich vor allem in der Stimme zeigenden und wie in Beton gegossenen Stärke und einer zeitgleich unkonkreten, verschwommenen Verheißung derselben. Derselbe Gegensatz ließe sich auch auf das Wechselspiel von Licht und Schatten anwenden. Könnte zunächst der Eindruck die Oberhand gewinnen, Zola Jesus präsentieren hiermit den Soundtrack für die nächste Weltuntergangsparty, so schleppend und depressiv Songs wie "I Can't Stand" wirken, fiel für mich der Groschen, nachdem ich mich der Anziehungskraft dieser Musik nicht mehr entziehen konnte und wollte: Zola Jesus ist eine Kämpferin des Lichts. Die Kraft in ihrer messerscharf inszenierten Stimme kann unmöglich für den Untergang taugen. Sie treibt an, sie inspiriert, sie ist das hellste Licht, das diese trüben Tage erhellt. Ein Lebensspender.
Erschienen auf Souterrain Transmissions, 2010.