06.02.2011

2010 #6 - On °° Something That Has Form And Something That Does Not

Kenner meines kleinen Irrgartens im Oberstübchen wissen, dass ich praktisch schon (und spätestens) im Mai eines jeden Jahres damit beginne, die Jahresbestenliste zu führen, umzustellen und neu zu bewerten. Das eine kommt neu hinzu, das andere rutscht 30 Plätze nach unten, eine weitere Scheibe verschwindet auf immer im Nebel. Erstes Qualitätsmerkmal bei der Auswahl potentieller Kandidaten: die Verweildauer vor der Anlage. Sehr zum Leidwesen der Herzallerliebsten stehen durchgängig 30 bis 40 Scheiben direkt am Plattenspieler, die also die Hall Of Fame darstellen. Was dort nach zwei Wochen Aufenthalt wieder rausrutscht, ist in den meisten Fälle eine cause perdue und hat es in den folgenden Wochen und Monaten schwer. 

Jetzt bloß nicht über die Banalität des eben gesagten wundern, ich benötige die lange Einlaufkurve, um zu erklären, warum diese kleine und im Grunde unscheinbare Scheibe die beste Ambient-Platte des Jahres 2010 geworden ist: "Something That Has Form And Something That Does Not" steht seit dem Einkauf im August in diesem besagten Stapel, und sie hat bis zum heutigen Tag noch nie das Plattenregal von innen gesehen. Ich war selbst etwas überrascht, als ich in der Rückschau feststellte, wie oft ich diese Musik hörte und wie ich sie ganz selbstverständlich immer wieder mit großer Begeisterung auflegte. 

Das nunmehr dritte Album von Steven Hess and Sylvain Chauveau unter dem On-Banner reiht sich hinsichtlich der Methodik hinter den ersten beiden beiden Alben ein. Hess und Chauveau nehmen in Chicago ihre Instrumental-Improvisationen auf und leiten das Ergebnis an einen befreundeten Musiker weiter, der sich dann an dem Material austoben darf. Diesmal wählten die beiden niemand Geringeren als Christian Fennesz aus, nachdem sich auf dem Vorgänger "Your Naked Ghost Comes Back At Night" Deathprod die Pulsadern aufschlitzen durfte. Ganz im Gegensatz zu ebenjenem Entwurf der reinen Macht der Dunkelheit, hat Fennesz aus den Rohstoffen für "Something That Has Form And Something That Does Not" eine Lichtsäule aus Feedbacks, Drones und Klangräumen geschaffen, die im Allgemeinen beeindruckend friedlich und subtil flackert, im Speziellen durch minimale und kaum wahrnehmbare Detailverschiebungen unter Dutzenden von Soundlayern nicht mehr aufhört in die Höhe zu klettern. Besonders der 13-minütige Titeltrack und der gar über 19 Minuten lange Schlusspunkt "The Sound Of White" strahlen ob der steten Wiederholungen einzelner Rhytmus- und Melodie-Fragmente eine selbstbewusste Form der Zurückhaltung aus, die sie in einer selten zuvor dagewesenen Reinheit und Schönheit in hellem Glanz leuchten lässt.

Wenn jedes effektgeiferndes Geballer in und an seiner Kraft versagt, wenn aus der allerorten zur Schau gestellten Dunkelheit nur noch ein platter Zynismus empordampft, wenn Triviales plötzlich an Relevanz gewinnt, dann ist "Something That Has Form And Something That Does Not" Gegengift, Muskelrelaxans und Lichtnahrung in einem, und ich sehe den Tag noch nicht, an dem diese Platte, und sei es nur vorübergehend, im Regal verschwindet.

Erschienen auf Type, 2010

1 Kommentar:

Benedikt hat gesagt…

Oha! Das Cover ist mir im Laufe des letzten Jahres immer mal wieder begegnet. Das Reviewchen sagt mir, ich sollte mich mit der Platte beschäftigen.