24.04.2009

Von Versunkenen Und Vergessenen


Various Artists - Spiritual Jazz

"As far as spirituality is concerned, I feel that I want to be the force which is truly for good."(John Coltrane)

Der Untertitel dieser Jazzman-Zusammenstellung aus dem vergangenen Jahr lautet "Esoteric, Modal And Deep Jazz From The Underground 1968-77", womit die etwas weitläufige "Spiritual Jazz"-Überschrift etwas unterfüttert wird. Am Beispiel von insgesamt zwölf Titeln versuchen die Initiatoren Malcolm Catto, Hugo Mendez und Gerald Short ein Bild der Jazzszene nach der Ära John Coltrane zu zeichnen, das nicht in erster Linie vom gleichfalls spirituellen Free Jazz eines Pharaoh Sanders oder einer Alice Coltrane geprägt wird. Die hier präsentierten Stücke orientieren sich stärker an Groove und Funk und setzen viele Elemente traditionell-afrikanischer oder -indischer Musik in den Vordergrund. Darüber hinaus eint sie eine bisweilen traurige Tatsache: alle blieben sowohl von Kritikern, als auch vom Publikum weitgehend unbeachtet. 

In einer Zeit, in der sich Jazz immer mehr zum musikgewordenen Inbegriff für einen Kampf für die Rechte der Afro-Amerikaner entwickelte und hier besonders der Free Jazz mit seinen radikalen Umbrüchen und Herausforderungen als favorisierte Waffe galt, ging es der spirituellen Post-Coltrane-Szene um Aufbruch, um eine Neubetrachtung der Seele, des Geistes und der Gesellschaft. Sie speiste sich aus denselben historischen Quellen, die schon frühere Formen des Jazz beeinflussten. Eine Rückkehr zu den eigenen Wurzeln, zurück nach Afrika und den mittleren Osten. Ein Streben nach persönlicher, innerer Veränderung, die die Umwelt mitreißen konnte. 

In den hochinteressanten Linernotes von Francis Gooding kreisen die weiteren Erläuterungen vor allem um die beiden Fixpunkte John Coltrane und Sun Ra. Vor allem Sun Ra sei es gewesen, der eine große Inspiration nicht nur für die Musiker, sondern für die ganze Szene war. Die Geburt lokaler Kommunen und winziger Labels, selbstaufgenommene, -gepresste und -vertriebene Schallplatten: Ra verkörperte "the economic collective, the spiritually ancient, the musically daring. (...) He showed a pathway back to ancient africa."

Nicht nur vor diesem Hintergrund ist "Spiritual Jazz" eine der schönsten Veröffentlichungen der letzten Jahre. Auch und vor allem musikalisch sind noch nie zuvor gehörte Sterne am Funkeln, von obskuren und wahnsinnigen Funkjazzern wie Leon Gardner, der in den sechziger Jahren sein eigenes Igloo-Label hatte, auf dem er einige, heute superrare 7-Inches veröffentlichte (die bei Auktionen mehrere tausend Dollars erzielen), und der heute als Obdachloser auf den Staßen von Los Angeles leben soll. Oder das Morris Wilson Beau Bailey Quintet, das als Kneipenband 1970 eine fantastische Single ("Paul's Ark") unter der Leitung des Bassisten Bobby Jackson aufnahm. Oder die vielen traditionell afrikanischen Songs wie "Ayo Ayo Nene" des senegalesischen Perkussionisten Mor Thiam, der hier mit dem späteren Art Ensemble Of Chicago-Mitglied Lester Bowie (Trompete) zusammenarbeitete. Zu "Neveen" von Salah Ragab & The Cairo Jazz Band gibt es eine besonders schöne Geschichte: Salah Ragab war ein Armeehauptmann, Schlagzeuger und Jazzfan und wurde Ende der sechziger Jahre zum Leiter der ägyptischen Militärmusik-Abteilung ernannt. Gemeinsam mit dem deutschen Avantgardisten Hartmut Geerken, der zu jener Zeit am deutschen Kulturinstitut in Kairo arbeitete, heckte er den Plan aus, die erste ägyptische Jazzband zu gründen. Ragab stellte sich seine Band zusammen und Geerken (gemeinsam mit Edu Vizvari, einem Prager Bassisten) schulte die Neunankömmlinge, die teils keinen blassen Dunst von Jazz hatten mit Partituren und Platten von Albert Mangelsdorff und Joki Freund. Die Band brachte es nur auf zwei Veröffentlichungen, die nie zuvor außerhalb Ägyptens zu hören waren. 1983 nahm man zusätzlich eine LP mit dem Sun Ra Arkestra auf, veröffentlicht auf dem griechischen Praxis-Label. Und wo wir gerade bei Sun Ra sind: ein weiteres Highlight stammt von dem langjährigen Bassisten (1958 - 1966) des Arkestras Ronnie Boykins, der in überwältigenden zwölfeinhalb Minuten den beeindruckend schweren Brocken "The Will Come, Is Now" ausbrütet und wie in einer Meditation in einem Bassloop herumgeistert. Er erinnert mich in dieser Hinsicht bisweilen an den New Yorker Bassisten William Parker und seiner Arbeit im Rahmen der "Double Sunrise Over Neptune"-Performance. Um Boykins herum schwirrt eine ausgelassene Brass-Section mit Joe Ferguson, Monty Waters, James Vass und Daoud Haroom und eine erweiterte Percussiontruppe, die es schwer-tastend grooven lässt. 

Und auch wenn jedes Stück eine eigene Betrachtung verdient hätte: es soll ja auch noch etwas zu entdecken geben. 

"Spiritual Jazz - Esoteric, Modal And Deep Jazz From The Underground 1968-77" ist im Jahre 2008 auf Jazzman-Records erschienen.

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