FOUR TET - BEAUTIFUL REWIND
"no pre order, no youtube trailers, no itunes stream, no spotify, no amazon deal, no charts, no bit coin deal, no last minute rick rubin." - Kieran Hebden
Im Rückblick auf die bisher vorgestellten Platten und die darüber geschriebenen Worte fiel mir auf, dass die Abstände zwischen den einzelnen Titeln im vergangenen Jahr, im Vergleich mit den Ergebnissen aus den Jahren zuvor, deutlich geringer ausgefallen sind, in manchen Fällen erscheinen sie geradewegs mikroskopisch klein, fast nicht wahrnehmbar. Will sagen: das alles verschwimmt mehr und mehr zu einer großen, aber vor allem großartigen Masse Musik, und trotzdem ist jede Scheibe für sich eine mitreißende und einzigartige Ein- und Schönheit. Dass ich diese Einleitung ausgerechnet bei Four Tets "Beautiful Rewind" verwende, kommt nicht von Ungefähr. Kieran Hebdens neues Album, das erste seit dem überwältigenden "There Is Love In You" aus dem Jahr 2010 (die schwache 2012er 12-Inch-Compilation "Pink" mal außen vor gelassen), könnte auch gut und gerne kurzfristig, ergo just in diesem Moment, in dem ich diese Zeilen in den Laptop einhacke, in der Reihenfolge nach vorne preschen, ohne damit die anderen Platten abzuwerten.
Es ist einerseits der bloße, konkrete Moment, andererseits aber auch der beliebig tiefe Pinselstrich, der auf "Beautiful Rewind" so viele Ebenen und Plattformen zum Leben erweckt, die die Auseinandersetzung mit dieser Platte so lohnenswert machen. Inmitten der Massen an Wohnzimmerfuchtlern, die außer der Dekonstruktion nur selten einer weiteren musikalischen Idee folgen, ist einer wie Hebden vielleicht nicht (mehr?) der innovativste, abgefahrenste, wildeste Typ der Welt, dafür rollt sein 2013er Werk klarer als vielleicht jemals zuvor nicht nur den Charakter und die Virtuosität seines Erschaffers, sondern auch dessen stilistische Unnahbarkeit auf einer Großbildleinwand aus. Wer hier auf einzelnen Tracks herumreitet und die Dechiffrierung anstrebt, kann seine Spekuliereisen gleich wieder einpacken. Damit ist diesem Album nicht beizukommen.
"Beautiful Rewind" ist anders als alles, was Du in den letzten Jahren gehört hast, und seine Tracks sind bei aller innewohnender Heterogenität das endgültige Manifest von einem, der nie still steht, der dabei in seinem eigenen Kosmos voranschreitet und nur wenig auf die hört, die in den letzten 15 Jahren an ihm vorbeigeschlittert sind. Kieran Hebden ist immer noch da und hört viel mehr auf das, was seine Plattensammlung aus 100 Jahren so alles ausspuckt. Sein Wille zur Weiterentwicklung, nach seinen Erfahrungen mit Jazzdrummer Steve Reid offensichtlich nochmals geschärft, mündet sogar noch stärker als früher in ein Amalgam des Klangs: auch wenn Hebden in erster Line für Rhythmus und Groove steht, zunehmend auch aus afrikanischer Kultur destilliert, sind seine schrägen Miniaturen aus Melodien und Samples fundamentaler Bestandteil dessen, was sich mehr und mehr als "Jazz" enttarnt. Hebden mag kein musiktheoretisch geschulter Instrumentenmusiker sein und wird damit von den Puristen sicherlich niemals in ihre vermeintlich heiligen Hallen aufgenommen werden; dass er aber den freien Geistern des Jazz aus den 60er und 70er Jahren viel näher steht als so manches in den Mainstream hochgejazzte Kalkül aus kuschligem Nichts, ist keine zu vernachlässigende Randnotiz, sondern viel mehr sich bahnbrechende Realität.
Erschienen auf Text Records, 2013.
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