Schon wieder Voivod?
Schon wieder Voivod!
Ende des vergangenen Jahres erhielt ich die Möglichkeit, für die 160. Ausgabe des legendären Ox-Magazins über meine Lieblingsband zu schreiben (Vielen Dank, Simon!). Genauer gesagt, ich erhielt die Möglichkeit, über die zehn besten Songs meiner Lieblingsband zu schreiben. Das war eine Ehre für mich, einerseits wegen des Ox, andererseits wegen Voivod - ich durfte das also auf keinen Fall zersägen.
Und obwohl ich sofort Feuer und Flamme war, mich in ihre Platten einzugraben und umgehend loszulegen, wusste ich um die große Herausforderung - und wurde gleich mal für die nächsten Tage ausgebremst. Nicht nur wegen der umfangreichen und qualitativ so konstant hochklassigen Diskografie der Band, was eine Auswahl so oder so schwierig machen würde, sondern auch wegen ihres so diversen Repertoires. Wie soll ich diese enorme Bandbreite abdecken, von dem räudigen, chaotischen Thrash Metal zu Beginn ihrer Karriere über eine Heavy Metal-Version von Pink Floyd oder King Crimson bis hin zu einem verwehten Progressive-Industrial-Golem? Oder diesen Wagemut?
Ihre einzelnen Entwicklungsphasen, und jetzt, wo ich's schreibe, weiß ich gar nicht mehr, was ich mit einer "Entwicklungsphase" eigentlich meine, oder ob sowas in ihrer Realität überhaupt existierte, haben schließlich gleich mehrere Eigenleben entwickelt. Und je weiter ich mich in ihre Welt über die letzten 25 Jahre eingegraben habe, desto mehr wucherte das Selbstverständnis dieser Band, ihr Anspruch und ihre Progressivität über die Brüche in ihrer Musik. Und all das soll ich in nur zehn Songs abdecken?
Ich brütete über zwei, drei Wochen jeden Tag über dieser Liste. Dezent obsessiv.
Als die Songs für die Top 10 endlich ausgeknobelt waren, ging es endlich ans Schreiben - und damit begann das eigentliche Martyrium: Zeichenlimit.
Ein Zeichenlimit. Ich! Ein Zeichenlimit! Ha! Hahaha!
Es war eine verdammte Pest. Aber ich liebte jede Sekunde der Auseinandersetzung mit den Songs dieser einzigartigen Band.
Enjoy!
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„Tribal Convictions“
"Tribal convictions" vom Sci-Fi-Thrash Meilenstein "Dimension Hatröss" ist einer der großen Klassiker der Bandgeschichte und bedeutete 1988 den Durchbruch für VOIVOD – auch dank des Videos, das MTV in sein Programm aufnahm und damit den Bekanntheitsgrad der Kanadier signifikant vergrößerte. Schneller waren fünf Minuten seither nie wieder vorüber. Ein durchgeknalltes Arrangement, das auf eine bizarre Weise trotzdem catchy war, gekrönt von einem umwerfenden Solo von Riffmeister Piggy. Öffnet Türen in Deinem Kopf, die vorher verschlossen waren.
„Tornado“
Für das dritte Album „Killing Technology“ schluckte die Band erstmals ihre Supervitamine. Die Energie dieser Aufnahmen ist legendär und „Tornado“ macht seinem Namen alle Ehre: ein unbarmherziges und außer Kontrolle geratenes Getöse, das vor allem wegen Piggys dissonanten Gitarrenriffs und Aways geradewegs durch Panzerglas marschierenden Schlagzeugs den Vagusnerv mit Juckpulver traktiert. Dazwischen gibt’s nervöse Breaks und manisches Geschrei, die das Chaos nur noch mehr anheizen. Blutdrucksenker, olé!
„Forlorn“
Das zweite und letzte Album der Triobesetzung mit dem Bassisten und Sänger E-Force über einen der beiden Monde des Planeten Mars ist eine apokalyptische Tour de Force mit „Forlorn“ als glühend-intensivem Höhepunkt. Die brachiale Mixtur aus verwehtem Industrial Metal und kauzigem Progressive Rock vertont Einsamkeit und Verzweiflung im Zeichen des Untergangs und geht dabei stets über jede physische und emotionale Schmerzgrenze hinaus. „Forlorn“ ist übrigens der einzige Song dieser Ära, der auch nach der Reunion mit Sänger Snake ab und an den Weg in die Live-Setlist fand. Gewaltig.
„Post Society“
Nach dem Tod ihres Riffmeisters Piggy im Jahr 2005 versackte der VOIVOD auf manch neuem Album im stilistischen Verwaltungsmodus; statt irrwitziger Reisen durch die Galaxis bog man lieber an der Autobahnraststätte Ennepetal ab. Mit „Post society“ und den neuen Crewmitgliedern Chewie (Gitarre) und Rocky (Bass) nahmen unsere Helden wieder direkten Kurs auf Centaurus A: der erfreulich angepunkte Titeltrack fächert Psycho-Breaks wie in allerbesten Zeiten auf und zeigt die Band in funkensprühender Spiellaune mit erstaunlichem Drive. Eine Wiedergeburt.
„Clouds In My House“
„Angel Rat“ war nach Aussage von Schlagzeuger Away das Album, bei dem der Band der Wille zu „härter, lauter, schneller“ fehlte. Stattdessen zeigten sich VOIVOD melancholisch und introvertiert – und stießen die nach dem erfolgreichen Vorgänger „Nothingface“ angefütterte Fangemeinde vor den Kopf. Stilistisch steht „Clouds in my house“ zwischen Wave-Geflacker, sprödem Prog und dem „Anything Goes“-Vibe der frühen 1990er Jahre selbst für ihre Verhältnisse auf sehr ambivalentem Terrain. Warum der Song auf MTV’s „120 Minutes“ nicht durch die Decke ging, versteht kein Mensch.
„Into My Hypercube“
Völlig gleich, was uns in den letzten dreißig Jahren an neuen Trends und Extremen aufgetischt wurde, das Durchgeknallte, Knallbunte, Exzentrische, das Emotionale und Verletzliche, das Progressive und das Reaktionäre, ein zweites „Nothingface“ war nicht dabei. „Into my hypercube“ steht etwas im Schatten der Klassiker „The unknown knows“ und dem PINK FLOYD-Cover „Astronomy domine“, aber wer könnte dieses unvergleichliche Amalgam aus subtiler Punk-Aura und softer Fliegenpilz-Psychedelik je wieder vergessen, wenn es nur einmal die Blut-Hirn-Schranke passiert hat?
„Jack Luminous“
Der Versuch, den VOIVOD-Sound über wildes Namedropping zu decodieren, wird spätestens nach den 17 Minuten von „Jack luminous“ zu einem traurigen Häufchen Asche zerbröselt. Jeder Vergleich wirkt trivial, jedes Bemühen, den Code dieser Wahnsinnigen zu knacken, endet zwangsweise am Boden existenzieller Unzulänglichkeit. „Jack luminous“ ist in der Bündelung aller Wahrzeichen dieser Band der Urknall ihres Universums, die Stunde Null des VOIVOD. Wer den endgültigen Beweis dafür haben möchte, dass die Oberstübchen dieser Typen einfach anders verdrahtet sind, wird ihn hier finden.
„Cosmic Conspiracy“
Der Alternative-Industrial-Tanzflächenfeger „Nanoman“ vom selben Album „Negatron“ wäre die offensichtlichere Wahl gewesen, aber wir müssen über „Cosmic conspiracy“ sprechen - vor allem über die auf dem 2000er Livealbum „Lives“ veröffentlichte Version. Intensiver hat sich der VOIVOD trotz des etwas besseren Bootlegsounds nie wieder in den Orbit geschossen. Vor allem das Break zur Songmitte und das folgende so simple wie alles zersägende Mega-Riff zeigen, welche Energie diese Besetzung auf der Bühne entfesseln konnte. Die drei Typen machten Krach für zehn. Eine Naturgewalt.
„Nuclear War“
Wo wir gerade bei „Lives“ waren, bleiben wir für „Nuclear war“ gleich hier. Ursprünglich auf dem 1984er Debut „War And Pain“ erschienen, bekommt das holpernde Stakkato-Geprügel des Erstlings in der Liverversion mit Sänger/Bassist E-Forst seine definitive (wenn auch leicht gekürzte) Ausbaustufe. Das militärisch stampfende Monster klingt mit der gurgelnden Stimme des neuen Frontmanns bedrohlicher und beklemmender als je zuvor, während Piggy Töne aus seiner Gitarre herausholt, die er ganz offensichtlich per Standleitung von einem anderen Planeten herübergebeamt hat.
„Fix My Heart“
Der Opener des 1993 erschienenen Wunderwerks „The Outer Limits“ steht stellvertretend für einen weiteren Entwicklungsschritt der Band, die selbst nach den energieraubenden Metamorphosen der vorangegangenen drei Alben immer noch nicht müde wurde, nochmal einen draufzusetzen. VOIVOD zeigten sich insgesamt rockiger, ihr Sound schien durchlässiger für einen optimistischen Swing zu sein, die Grooves saßen lockerer, ohne dabei ihren legendären Drive einzubüßen. Ein besserer Beleg als das atemberaubend perlende Hauptriff von „Fix my heart“ wird sich nicht finden lassen.
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(Mit freundlicher Genehmigung der Ox-Redaktion)