17.01.2025

Best Of 2024 ° Platz 12: Julia Holter - Something In The Room She Moves




JULIA HOLTER - SOMETHING IN THE ROOM SHE MOVES


"I'm from Mars, Mom." (Kory Clarke)


Nach ihrem Album "Ekstasis" aus dem Jahr 2012 ist mir die kalifornische Musikerin Julia Holter ziemlich vom Radar gerutscht. In meinen Einlassungen zu besagtem Album schrub ich damals, noch nicht genau zu wissen, was ich mit der Musik anzufangen habe - und trotz meiner grundlegend positiv geratenen Bewertung fürchte ich heute, dass meine sich in den kommenden Jahren zeigende Ignoranz Gründe hatte. Das neue Album "Something In The Room She Moves" wurde von Kritikern wie Anthony Fantano und Menschen, auf deren Urteil ich mich im Großen und Ganzen verlasse, mit Lob überschüttet, weshalb ich mich nochmal dazu aufschwang, nach einem Eingangstor in ihren musikalischen Kosmos zu suchen. 

Ich kann heute berichten, es möglicherweise gefunden zu haben. So richtig einfach macht sie es mir aber immer noch nicht. Holter schwebt wie gewohnt über alle stilistischen Grenzen hinweg, experimentiert mit dekonstruierten Songarrangements, mehrdimensionalen Stimmungen und Melodien, taucht mal in jazzigen Gefilden auf, dann wieder in diesigen Ambientfeldern ab, setzt poppige Akzente im Kontext elektronischer Musik wie in "Spinning", und hat insgesamt eine dennoch fein austarierte Mischung aus Außenseiter-Pop und Avantgarde entwickelt. 

Die drei Leuchtfeuer des Albums "Sun Girl", "Spinning" und "Evening Mood" sind wie der Titeltrack bei aller Experimentierfreude leichter zugänglich, während Produktionen wie "Meyou", "Ocean" oder "Materia" - letztgenannter glänzt darüber hinaus mit einer besonders beeindruckenden Gesangsperformance - das Pendel in den verkopften Bereich ausschlagen lassen. Im Mittelpunkt steht für mich allerdings die schlicht atemberaubende Produktion, die sowohl die Musiker als auch die Zuhörer gegenwärtig werden lässt und die Aufmerksamkeit unmittelbar in den dreidimensionalen Raum dieser Musik zieht. 

"Something In The Way She Moves" ist eine wahrhaft immersive Erfahrung.


 


Erschienen auf Domino Records, 2024. 


11.01.2025

Best Of 2024 ° Platz 13: Warmth - Parallel (Reflection)




WARMTH - PARALLEL (REFLECTION)


"Zu Deutschland noch eins: Wenn man Kriege verhindern will, darf man nicht der drittgrößte Waffenexporteur sein wie Deutschland und an jedem Krieg verdienen." (Gregor Gysi)


Erst in allerletzter Sekunde ist mir diese Neuinterpretation von Warmths Album "Parallel" in die Jahresendabrechnung geschlittert. Das Original erschien im Jahr 2018 und gilt für Genrefreunde mittlerweile als kleiner Klassiker des minimalistischen Ambient. Wie bereits auf seinem Album "Essay" gelang dem aus Valencia stammenden Produzenten Agus Mena auf "Parallel" die Inszenierung seiner Musik mit majestätischer Eleganz, ohne jeden Anflug von Dramatik. Die Weichheit seines Sounds und die außerordentlich subtilen und geschmackvollen Verschiebungen in den unterliegenden Schichten sind legendär, weshalb "Parallel" sich auch bestens für Schlafmusik eignet. Um Missverständnisse zu vermeiden: das ist alles andere als despektierlich gemeint. In diesen Zeiten sollten wir glücklich über alles sein, was uns diesen ganzen Schwachsinn da draußen für wenigstens ein paar Stunden entfliehen lässt, ohne alle zehn Minuten schweißgebadet aufzuwachen. 

Für diesen im September 2024 erschienenen zweiten Blick auf das Album hat Warmth im Vergleich zum Originalwerk mehr Lichtschattierungen, mehr Reflektionen (pun intended) eingehäkelt, die die Stimmung für mein Empfinden etwas mehr in die nicht mehr ganz so frühen Morgenstunden schweben lassen. Mehr Hoffnung, mehr Bewusstheit, mehr Vertrauen. Alles für einen neuen Tag. 

Der medizinische Einsatz von "Parallel (Reflection)" zur Behandlung von Angstzuständen sollte in Betracht gezogen werden.


 


Erschienen auf Archives, 2024. 


07.01.2025

Best Of 2024 ° Platz 14: Slow Dancing Society - Do We Become Sky?




SLOW DANCING SOCIETY - DO WE BECOME SKY?


"Experiences are the most precious thing you have." (Mark Burgess)


Ein Koloss. Über fast 90 Minuten hat der US-Amerikaner Drew Sullivan glitzernden Sterbenstaub über diese Platte rieseln lassen, der sich in den höchsten Sphären mit den eigenen Lebensreminiszenzen verbindet und sich dort vernetzt, eins wird mit den internen Schaltkreisen, mit Hoffnungen, Ängsten, Glücksgefühlen, Trauer, Liebe. 

Drew nennt seinen Sound "Glambiant" und als ich ihm kürzlich via Instagram mitteilte, wie einzigartig und originell dieser Ansatz ist, antwortete er: "Yes indeed as I’ve always loved the glam esthetic that can be applied to ambient in ways that make everything just bigger!" - und auf "Do We Become Sky?" wirkt tatsächlich alles ein bisschen größer. Nicht notwendigerweise im Sinne eines Brock van Wey/bvdub, der schon im Leerlauf auf der Hochebene operiert und von dort wahre Orkane über das Land zu schicken vermag. Drews Musik existiert im Kern in einem Kokon, sie ist introspektiv, zurückhaltend und fürsorglich. Ihm gelingt auf "Do We Become Sky?" die behutsame Expansion aus diesem Geflecht. Er öffnet damit den kleinen Raum der Einkehr, macht ihn durchlässiger für Austausch, für Wachstum, für Licht. 

Im dreizehnminütigen Herzstück des Albums "Devastation Is The Path To Recreation" trifft dieses Licht mit fast ungebrochener Wucht auf den sich ausdehnenden Raum und macht ihn damit begehbar. Spürbar. Eigentlich schaut man seinem eigenen Universum beim Urknall zu.


 



Erschienen auf Past Inside The Present, 2024.

05.01.2025

Best Of 2024 ° Platz 15: Salvatore Mercatante - Ø




SALVATORE MERCATANTE - Ø


"I like the idea that something’s rare and ‘unobtainable’, and that’s all fine and good and all that shit. But I’m not making this music for the records to sit on the shelf; they’re meant to be heard and shared with other people, they’re meant to be danced to, to be played so much they get worn out and you gotta buy another copy; that’s why I re-press!" (Theo Parrish)


Schon der erste Ton des Openers "OPEN, OPEN" ist ikonisch. Und er ist laut. Er schafft Aufmerksamkeit, Bewusstsein für das, was kommt. Über die nächsten vier Minuten des Tracks bleibt das Thema im Raum und schafft Weite und Tiefe, bevor sich weitere Türen öffnen und sich mittels bedrohlich nähernden Bassdrones erstmals die Farben drastisch ändern. Dunkelheit zieht ein. 

Das Spiel mit Licht und Schatten, Perspektiven und Brennweiten dominiert den weiteren Verlauf von Ø. Von Autechre-inspiriertem IDM, dem das Konzept immanent ist, mit minimalen Verschiebungen den maximalen Effekt der Expansion zu erreichen, über heavy duty Bass-Glitches mit dystopischer Soundtrack-Atmosphäre, trüb und kalt wirkenden Ambientexkursionen, über denen ein seltsam nostalgischer Grauschleier liegt, so als würde man in eine bereits gelebte Parallelwelt hineinschauen bis hin zu Unterwasser-Techno in "Coil", hat Salvatore das Konzept von Ø praktisch am lebenden Objekt durchgespielt: "How do you start from a place of nothingness, again and again?" 

Die erste Frage lautet möglicherweise, ob es denn diesen Ort des Nichts tatsächlich gibt, denn was hier aus jedem Beat, aus jedem Klick, aus jeder angedeuteten Melodie, aus jeder Spannung heraustropft sind Überzeugung und Klarheit. Sie sind das Substrat, aus dem Mercatante seine Tracks baut, sie verästelt - und sie immer weiter unnachgiebig verfeinert. Externe Einflüsse sind genau das: extern. Das Innere lässt sich hingegen weder aufhalten noch ausschalten. 


 



Erschienen auf A Strangely Isolated Place, 2024.

03.01.2025

Best Of 2024 ° Platz 16: Arutani - Who We Used To Be




ARUTANI - WHO WE USED TO BE


"Unsere Existenzform ist die Rasanz. Das ist das Therapeutische am Leben im Medium des Smartphones. Wenn wir in den Städten auf die Straße traten, hatte der Kampf um unsere Aufmerksamkeit schon eingesetzt. Alles Großaufnahme, alles äußere Steigungsform, und wir dazwischen, die umkämpften Abgekämpften.” (Roger Willemsen)


Manchmal erwischt es mich einfach eiskalt. Und zwar mit einem Overkill an Wärme und Geborgenheit. Alles ist Herz, nichts ist Kopf. Arutanis viertes Album, seinem dritten auf Laut & Luise, rannte mir alle offenen Türen ein und wurde zu DER Sommerplatte des Jahres. So simpel es sich auch anhören mag, aber immer, wenn der Himmel rosarot, das Gras saftiggrün und der Kaffee heißschwarz war, wollte ich diese Platte auflegen. Besser noch: ich hab sie dann einfach aufgelegt, ha! Ich habe gerade auch gar keine Lust darauf, das mit besonders tiefsinnigen und verkopften Schachtelsätzen zu erklären, ich habe keine Lust auf Metaebene und gespreizte Metaphern. Weil ich gemerkt habe, dass die Wahrheit an sich viel einfacher ist. Es mag vielleicht etwas heikel sein, dafür die passenden Worte zu finden, aber so geht's einem eben von Zeit zu Zeit. Das Einfachste ist am Schwersten zu erklären. 

Sowohl Songs als auch Sound von "Who We Used To Be" sind - und jetzt kommt doch eine Metapher, fuck it - Wärmelampen für Herz und Seele. Introvertierte Tanzmusik für emotionale, reflektierte, melancholische, liebenswerte Menschen. Für innige Umarmungen. Für blindes Verständnis. Ich konnte mich nicht so recht dagegen wehren, dass sich hier und da dann doch der Kopf einschaltete und ein paar unangenehme Fragen stellte, sowas wie "Ist das nicht alles ein bisschen zu arg Weichzeichner? Willst Du nicht doch lieber die großen Geschichtenerzähler hören, die so ein bisschen artsy sind? Die kompliziert und ausschweifend sind, mit viel Tiefe und Raum?"

Das ist alles Quatsch. Weil: wie viel tiefer kann's denn noch gehen, als die direkte Verbindung dieser Musik zum eigenen Leben zu spüren? Und, bitte: Wie entwaffnender kann eine Wahrheit sein?


             



Erschienen auf Laut & Luise, 2024. 

01.01.2025

Best Of 2024 ° Platz 17: North Sea Echoes - Really Good Terrible Things





NORTH SEA ECHOES - REALLY GOOD TERRIBLE THINGS


"Integration? Ich bin so frei, von dieser Scheißkultur nichts wissen zu wollen. Deutschlands Werte gehen mir allesamt am Arsch vorbei, ich singe keine Hymne, folge keiner Flagge, werde einen Teufel tun, auf das Grundgesetz, diesen Waffenstillstandspakt im Klassenkampf (Rosa Luxemburg), einen Eid abzulegen, und wünschte mir, jeder Mensch, der hierher geflohen ist, seine Haut vor unseren Exportwaffen zu retten, wäre so frei, es zu halten wie ich." (Hermann L. Gremliza)



Wenn mich jemand nach den zwei besten Metalplatten der letzten 20 Jahre fragen täteräte, müsste ich ohne Zögern "Winter Ethereal" und "Theories Of Flight" nennen, verbunden mit der Einlassung, dass danach für eine VERDAMMT lange Zeit erstmal nichts mehr kommt, weil Heavy Metal und - scheißrein, machen wir es gleich ein bisschen universeller - Rockmusik mittlerweile ein traurig vor sich hindampfender Misthaufen ist; und wer jetzt mit den Augen rollt, weil Florian wieder was "Schlimmes" (Heidi Kabel) gesagt hat, hört sich einfach eine beliebige 2024er Metal-Playlist an und dann sprechen wir uns nochmal. Wie viele Offenbarungseide kann ein Genre aushalten, das den Erfolg von Ghost und Babymetal ermöglicht? Na?! Antworten bitte an die bekannte Adresse, irgendwas mit ZDF und Mainz oder was weiß ich. 

Was die beiden eingangs erwähnten Alben indes eint: sie wurden federführend von Jim Matheos ausgedacht, dem Kopf und Herz von Fates Warning. Für "Really Good Terrible Things" haben die zwei hauptsächlichen Protagonisten der Progressive Metal-Legende, also Gitarrist Matheos und Sänger Ray Alder ein neues Projekt gestartet, das ein klein wenig so klingt, als sei es ihr Ziel gewesen, die introvertiertesten Momente ihrer Hauptband seit deren 1994er Album "Inside Out" auszuwählen und sie in zehn neuen Songs miteinander zu verschmelzen. Es ist nicht schwierig, dieses äußerst ruhige und melancholische Album darüber hinaus mit eher unerfreulichen Attributen zu bedenken; "anachronistischer Kitsch" ist vielleicht noch die aufgeräumteste Beleidigung, die mir einfiele. Denn so visionär Matheos für Fates Warning bisweilen agierte, so prähistorisch fällt sein Umgang mit Sounds und Arrangements in anderen Projekten aus, wie beispielsweise auch bei seinen Alben unter dem Namen Tuesday The Sky.

Ich kann all diese vermeintlichen Defizite anerkennen und gleichzeitig sind sie mir völlig egal. "Really Good Terrible Things" hat mir ab der ersten Begegenung den Schlüpper weggedroschen, und selbst wenn es da noch einen Hauch von Gegenwehr gab, war spätestens beim zweiten Song "Flowers In Decay" alles vorbei. Und nur, damit ich es gesagt habe: was das für mich, meinen Hang zum anachronistischen Kitsch und für meine obigen Einlassungen zum aktuellen Zustand des Metals bedeutet, ist mir auch wurscht. "Really Good Terrible Things" ist dunkel und warm, zurückgezogen und introspektiv, melodisch herausragend und außerdem, stating the obvious, sensationell gesungen. Wenn mir Kälte und Dunkelheit unter die Haut kriechen, wenn die zermürbenden Zweifel wie ein wütender Mob vor der Tür stehen, wenn die Angst naht, sind Alder und Matheos die Retter in der Not. Ein Album wie ein heißes Bad in veganer Eselsmilch. Ich will hier nie wieder raus.


 


Erschienen auf Metal Blade, 2024.

29.12.2024

Best Of 2024 ° Platz 18: Tren - The Passages Through Space And Time




TREN - THE PASSAGES THROUGH SPACE AND TIME


“I’ve lost a lot of battles, but I’ve never lost sight of the war. My goal is to fight my way to a day when we’re old and gray and she looks at me and says ‘I’m glad you never gave up.’ Until then, I fight. No retreat, baby. No surrender.” (Hank Moody)


Es benötigte nur wenige Sekunden des pluckernden Ambient Technos von "Scalar", um mich hektisch nach Bezugsmöglichkeiten für die Schallplatte umzuschauen - und um im Handumdrehen festzustellen, dass ich für die Version auf transparentem Vinyl bereits zu spät war. Denn wer sich im Kosmos elektronischer Musik ein bisschen auskennt, kennt Tren und kauft ihre Platten. Ich kannte Tren bis dahin nicht, daher dürfen meine geschätzten Leser*innen sich jetzt ihren Teil über meine Kompetenz denken - und zwar im Stillen, bitte sehr! 

Spätestens nach dem Debut "The Rising and Setting of the Heavenly Bodies" war die Zielgruppe jedenfalls angespitzt und wer ein bis zwei Ohren auf den Nachfolger wirft, versteht, warum im spätkapitalistischen Rat Race Geschwindigkeit gefragt war: "The Passages Of Space And Time" ist ein melancholischer, bittersüßer, romantischer Trip. Vom erwähnten Ambient Techno in "Scalar" und "Tensor", über Schlafmohn-IDM in "Sands Of Time" und dem Höhepunkt "Mono No Aware" mit seinem 90er Jahre Autechre/Boards Of Canada-Vibe und der verrückten Reise im fliegenden Untertassensynthie von "The Immensity Of The Heavens" tanzt hier alles in und auf dem obersten Regal. "The Passages Through Space And Time" hat die bemerkenswerte Fähigkeit, die im tiefsten Kern dieser Musik einprogrammierte distinguierte Distanziertheit mit einer empathischen und wärmenden Ansprache zu überwinden. Es ist hier und da ein klein wenig ambivalent, aber ich habe mich übers Jahr oft an dieses Album gekuschelt. 

Eine meiner meistgehörtesten Platten des letzten Jahres. 





Erschienen auf Not Meant To Happen, 2024.

26.12.2024

Best Of 2024 ° Platz 19: Cigarettes After Sex - X's




CIGARETTES AFTER SEX - X's


"I'm not sure if I'm depressed. I mean, I'm not exactly sad. But I'm not exactly happy either. I can laugh and joke and smile during the day, But sometimes when I'm alone at night I forget how to feel." 
(John Green)

Eigentlich war ja nach dem 2017 erschienenen Debutalbum dieses Quartetts aus Texas alles gesagt. Die Infusion mit dem Betäubungsmittel/Viagra-Mix tropfte stoisch in die Blutbahn, alles war warm und feucht, ich hinterfragte nochmal schnell meine Heterosexualität und kaufte mir gleich drei oder dreißig Stangen Kippen. Wer konnte schon wissen, was der Abend noch bringt? Und: "Non-smokers die every day" (Bill Hicks). 

Was mir hingegen völlig klar war: das Konzept mit diesem maximal vernebelten Morphin-Pop wird kaum länger als jene 46 Minuten vom Debut überleben. Das ist ein One-Trick-Pony, die werden noch eine Platte machen und dann wird's das gewesen sein. 

Was auch immer in den letzten Jahren passiert ist und unter welchem Stein meine Wenigkeit sein Dasein fristete: sowohl die Band als auch der Rest der Welt hatten offenbar eine andere Sicht auf die Dinge. Die Band spielt mittlerweile ausverkaufte Headlinershows in den großen Arenen dieser Welt, und ich muss zugeben, mich von diesem Schock immer noch nicht erholt zu haben. Deswegen hier nochmal in aller Deutlichkeit: WHAT THE FUCKING FUCK?! Ernsthaft und aufgeräumt Über "X's" zu schreiben lohnt sich im Prinzip nicht, denn wer die beiden Vorgänger kennt, kennt damit ziemlich sicher "X's"; dagegen sind selbst AC/DC experimentelle Avantgardisten. Soviel unerträgliche Redundanz kommt mir eigentlich nicht ins Regal, noch weniger auf den Blog und schon gar nicht in die Jahresbestenliste. Nun steht "X's" im Regal, auf dem Blog und auf meiner Jahresbestenliste. 

Mir hat es schlicht den Kopf verdreht. Verstörend betörend.


 


Erschienen auf Partisan Records, 2024.

24.12.2024

Best Of 2024 ° Platz 20: Xenia Reaper - Luvaphy




XENIA REAPER - LUVAPHY


"Nice guys, but absolutely clueless." (Vic Fontaine)


Ein kompletter Blindflug war zunächst das Debutalbum von Xenia Reaper - und ich weiß bis heute nicht, wer sich hinter dieser Produktion verbirgt. Außer einer Handvoll Singles/EPs seit dem Jahr 2022 (u.a. auf XENOPLEX) gibt es praktisch keine Informationen. Ähnlich rätselhaft ist die Musik. In die mal schwerelosen und eisgekühlten, mal mysteriös und tiefschwarzen Ambientflächen reißen heftige Bass-Exzesse und Drum 'n' Bass-Laser tiefe Schluchten, hinzu wirft Reaper unheilvolles Geknister, tiefes Brodeln und flüchtiges Stimmengewirr in diesen wilden, herausfordernden Mix. Unvergessen jener eindrückliche Moment, als mir der erste Bass von "Sued" in die Glieder fuhr und es sich anfühlte, als würden die umgebenden vier Wände zunächst vibrieren und dann kollabieren. 

Vom wilden Gefuchtel mit brechenden Soundartefakten in "Lust05", Stop-And-Go-Jungle-Reminiszenzen mit eingeschalteten Nebelleuchten in "MxB" bis hin zum intensiven Sci-Fi Geballer im Höhepunkt "Lllaao3", für das ich gerne den Kopf in die größte Bassbox des Universums stecken möchte, während der Alien-Barkeeper mir einen Ketamin-Rucola-Smoothie mixt, wirkt "Luvaphy" einerseits wie eine Dehnungsübung für wilden Zeitgeist-Shit, andererseits baut es irgendwie neue Nervenbahnen ins Dachgeschoss. 

Man fühlt sich hinterher ein ganz kleines bisschen schlauer.




Erschienen auf INDEX: Records, 2024.


17.12.2024

Uff, 2024. Doppel-Uff, 2025.




Liebe Leserin, lieber Leser, liebe Allesdazwischen,

Der alljährliche Rückblick auf das abgelaufene Musikjahr fällt für 2024 ein bisschen aus dem gewohnten Rahmen. Das liegt vor allem an den Planungen für den Blog für 2025, und dafür lasse ich jetzt die Katze aus dem Sack, andernfalls sitze ich auf der Idee für die nächsten 340 Jahre. Und vermutlich noch länger.

Wenn wir also das Jahr 2024 betriebsbedingt abgehakt haben, beginnt die große Party mit dem ultimativen Listenoverkill. 

Die 200 besten Alben der 1990er Jahre.

Ich wünschte, die folgende Einlassung wäre eine Übertreibung, aber leider ist's die Wahrheit: ich arbeite an dieser Aufstellung seit nicht weniger als zwei Jahren und es war ein absoluter pain in the ass. Eigentlich ist es das noch immer. Für jemanden, der sich praktisch nie entscheiden kann und wirklich jedes noch so irrelevante Detail achthhundert Mal überdenkt, reflektiert, wieder hin-, her- und umschmeißt, für den der so oft zitierte "Mut zur Lücke" dann eben doch nur ein billiges Lippenbekenntnis ist, weil die Panik einsetzt, irgendeine Platte am Ende doch vergessen oder, schlimmer noch, nicht ausreichend gewürdigt zu haben, für den ungekrönten König der Prokrastination, ist diese Übung ein komplettes Himmelfahrtskommando. Und ich rede hier wohlgemerkt nur vom Auswahlprozess für die in Frage kommenden Platten - alleine für den Gedanken, schlussendlich noch all das für die jeweiligen Reviews in Worte zu fassen, brauche ich sehr wahrscheinlich die Unterstützung von einer starken Fliegenpilz-Stechapfelterrine (mit viel Maggi).

Jedenfalls, das ist die Planung für das Jahr 2025. Und um all das nicht völlig aus dem Ruder laufen zu lassen (und wir alle wissen jetzt schon, wie arg das aus dem Ruder laufen wird, hurra!), kann ich nicht wie in den vorangegangenen Jahren im Mai 2025 mit meiner Lieblingsplatte des Jahres 2024 um die Ecke kommen. Also, ich kann natürlich schon, denn wen bitte interessiert der ganze Scheiß hier denn wirklich - I mean, come on?! Aber, um der Wahrheit die Ehre zu geben: ich will nicht. Daher werden sowohl die Kommentare als auch die Postingzyklen zu den 2024er Platten kürzer als gewohnt ausfallen, damit wir damit spätestens im Januar des nächsten Jahres damit durch sind und gemeinsam tief Luft für das holen können, was danach folgen wird: die 200 besten Platten der 1990er Jahre. 

Jetzt hab' ich es hier (unter Schmerzen!) reingeschrieben, jetzt muss es auch so (unter Schmerzen!) passieren. 

It's all fun and games.

Wir lesen uns!

11.12.2024

Infinity Machine - The Lighthouse




INFINITY MACHINE - THE LIGHTHOUSE


Ich bin damit gleich mehrere Monate zu spät, aber bevor wir uns in ein paar Tagen erwartungsfroh in die beliebte Jahresendabrechnung neuer Musik einschwingen, möchte ich noch flott auf meine zweite Band Infinity Machine zu sprechen kommen; genauer gesagt auf "The Lighthouse", unsere erste 4-Track-EP, die im Oktober 2024 offiziell erschien. 

Es erscheint angemessen, dafür ein bisschen weiter auszuholen. Verzeihung, aber da müssen wir jetzt durch. 


-Prolog-

Wer diesem Blog nicht erst seit gestern folgt, wird sich eventuell an meine Geschichte mit Soleilnoir, beziehungsweise Sun Never Sets erinnern. Im Herbst des Jahres 2000 lernte ich über eine Suchmeldung im Frankfurter Anzeigenblättchen "Das Inserat" Steffi, Wolfgang und Jörg kennen, die für ihre Band Soleilnoir einen Sänger suchten. Und schon nach der ersten Probe war klar: es hatte geklickt. Musikalisch, menschlich, konzeptionell waren wir ungewöhnlich schnell beisammen. So schnell, dass wir uns nur drei Monate später im Bazement Studio von Markus Teske wiederfanden, um unsere EP "Drown" aufzunehmen. Zu sagen, jene Zeit sei für mich "intensiv" gewesen, ist eigentlich eine Untertreibung. Ich war nicht nur immer noch frisch verliebt und zog mit der Herzallerliebsten in eine kleine 2-Zimmer-Wohnung im Frankfurter Stadtteil Rödelheim, war Auszubildender bei der Frankfurter Rundschau und lebte von Butternudeln, Instant-Eistee und Versagerkraut, sondern bekam im Sommer 2000 auch die Diagnose Hodenkrebs in die Unterhos' geschummelt. Die Welt stand auf dem Kopf - und die Euphorie darüber, mit meinen Bandkumpelinen und -kumpels derart vereint an einem Strang zu ziehen, in Musik und Kreativität so aufzublühen, sich praktisch ohne Grenzen zu verwirklichen und auszuleben, bedeutete die Welt für mich. Umso schwerer wog das zwischenzeitliche Ende meines Engagements nur ein Jahr später, denn so schnell und leidenschaftlich die Geburt Soleilnoirs verlief, so schnell und leidenschaftlich verglühten wir in einem Netz aus Missverständnissen und tragischen Fehlentscheidungen. Im Grunde könnte ich über diesen tadellosen Schwachsinn noch heute aus der Haut fahren. So unnötig, so dumm, so trostlos. Grundgütiger. Jedenfalls: Wolfgang und Jörg machten mit einem neuen Sänger und einem neuen Schlagzeuger weiter, während ich zunächst ins Krankenhaus geschoben wurde und anschließend zumindest übergangsweise die Musik an den Nagel hing. Nach einigen Jahren Pause lernte ich Simon und Marek kennen und wir gründeten Blank When Zero, eine Hardcore/Punkband, die auch 16 Jahre später immer noch existiert und über die ich zuletzt HIER ein paar Zeilen schrub. 


Im Frühjahr 2009 lagen Soleilnoir bereits seit einiger Zeit auf Eis, und vermeintlich sollte es das dieses Mal endgültig gewesen sein. Wolfgang und Jörg waren heillos zerstritten und redeten nicht mehr miteinander, aber was die beiden vielleicht damals erahnten, aber noch nicht wussten: so wenig sie miteinander klarkamen, so wenig kamen sie ohne einander klar. Im Rückblick erscheint es nicht komplett aus der Luft gegriffen zu sein, dass ich von der Anfangseuphorie über die Gründung von Blank When Zero wieder Blut geleckt hatte. Ich ergriff also entgegen meiner mentalen Konstitution die Initiative - und brachte die beiden wieder an einen Tisch. "Lasst uns weitermachen. Ich weiß, da sind Narben und vielleicht suppt hier und da noch ein bisschen blutiger Eiter aus den Wunden heraus, aber das tackern wir dicht." - Und wir tackerten. Und wir machten weiter. Und auch wenn es sich nach billigem Klischee anhören mag: eigentlich machten wir da weiter, wo wir 2001 aufhörten. Wir schrieben in nur sechs Monaten ein komplettes Album und gingen Anfang 2010 erneut ins Bazement Studio zu Markus Teske und nahmen unser erstes Album "The Absurd" auf. Weil rechte Sackgesichter mittlerweile die Deutungshoheit über die "Schwarze Sonne" (französisch: Soleil Noir) gewonnen hatten, nannten wir uns fortan Sun Never Sets. Das Album ging leider erbarmungslos unter und kann heute nur noch über meinen Soundcloud-Kanal HIER gehört werden. Ich hatte darüber schon früher ein paar Krokodilstränen verdrückt und im Prinzip tu' ich's bis heute: auch wenn die Zeit für einen solchen Sound zu Beginn der 10er Jahre völlig vorüber war, und auch wenn vielleicht nicht jede Idee ein kreatives Feuerwerk abbrannte, hat die Platte diese komplette Ignoranz wirklich nicht verdient. 


Im August 2012 spielten wir unser letztes Konzert. Wolfgangs Gesundheitszustand verschlechterte sich bereits seit einiger Zeit immer weiter. Aus der kurzen Pause, die er zu seiner Genesung verwenden wollte, wurden zunächst Monate, später Jahre. Die traurige Wahrheit ist, dass wir es nie mehr hinbekommen sollten. Die noch viel traurigere Wahrheit ist auch, dass Wolfgang im Sommer 2021 verstarb. Ich kann nicht sagen, wie oft ich es mir vorgenommen hatte, über ihn und über unsere gemeinsame Zeit auf diesem Blog zu schreiben - und wie oft ich daran scheiterte. Vielleicht ist mir in den meinen 47 Jahren auf diesem Planeten keine andere Person untergekommen, die so ambivalent war. Wolfgang konnte herzensgut sein, empathisch, vertrauensvoll, loyal, künstlerisch, kreativ, unterstützend - und manchmal in Bruchteilen von Sekunden später das genaue Gegenteil: cholerisch und zu komplett grotesken Kurzschlussreaktionen neigend, erratisch, bösartig, ignorant, oberflächlich, lethargisch, depressiv. Ich glaube, ich war (und bin) nicht in der Lage, all diese Splitter in ein vollständiges Bild von ihm zu transformieren. Und dann müsste ich anschließend schnell hinzufügen, dass es darum vermutlich auch gar nicht gehen müsste. Um was es indes gehen müsste: ich bin traurig und ich vermisse ihn. Und darüber, dass wir unseren Freunden öfter sagen müssen, dass sie wichtig sind. Weil wir das irgendwann nicht mehr sagen können. Und weil sie es irgendwann nicht mehr hören werden. 



-Corpus-

"Jetzt....warum sag ich Ihnen das, ja?! Ich meine....was soll das?" (Gerhard Polt)

Der Grund für diese extralange Rückblende: ich muss wohl gestehen, dass mir das Ende von Sun Never Sets immer ein bisschen ungemütlich im Nacken saß und vielleicht sogar immer noch sitzt. So richtig einfach war die Dynamik in dieser Band nie auszuhalten, aber das verbindende Element war immer das gemeinsame Verständnis über die Musik, das Auftreten, die Ästhetik, den Kontext. Und daraus entspann sich die Freundschaft mit diesen Menschen, die andererseits alle in ihren eigenen Erlebniswelten und Realitäten lebten. Ähnlich wie bei Blank When Zero gab es sowas wie den definierenden Rahmen, in dem man sich bewegte, eine gemeinsame Interpretation, ein Selbstverständnis, auf das man sich über die Jahre einigen konnte. Und das auch immer wieder neu verhandelbar war, wenn es denn angebracht war. Ich hatte ähnliches in einem früheren Text über Blank When Zero schonmal geschrieben - zu Beginn der Band sagten wir einmal, dass wir uns umgehend auflösen werden, wenn wir mal einen 4/4 Punk-Schunkler schreiben und damit zufrieden sind. Und dabei geht es gar nicht darum, ob wir das denn tatsächlich jemals tun würden, und ob das nur halbjugendliches Getöse war, über das wir alle auch mal lachen konnten, aber damit war eine symbolische Grenze in den Boden gehauen, auf die wir uns einigen konnten. So intensiv soll es sein, so intensiv wird's gemacht. So verstehen wir das, was wir hier mit dieser Band machen möchten. Bei Sun Never Sets war das ähnlich, wenn auch weitgehend unausgesprochen. Aber das wichtige Element war: so fühlten wir die Musik, so fühlten wir uns. 

Im Grunde ist das ein kleines Wunder, solche Mitstreiter zu finden. Zumal, musikalisch ergänzten sich Blank When Zero und Sun Never Sets in meiner Lebensrealität und mehr noch: es gab Schnittmengen. Erstere stehen für die rohe Kraft, die Geschwindigkeit, das Entfesselte, das Politische, das Kompromisslose, während ich bei Sun Never Sets die Gelegenheit hatte, dem emotionalen Überhangmandat Zucker zu geben, der Melancholie, der Dunkelheit, dem Künstlerischen, vielleicht auch der Abgrenzung. Hier kam das Kind der 1990er Jahre zum Zug, nicht zuletzt aus musikalischer Perspektive. Als hätte man die Essenz aus meiner allerliebsten Metalband Voivod mit der ungeheuren Wucht der Kompromisslosigkeit von Bands wie Soundgarden, Nirvana oder Pearl Jam in meiner Adoleszenz verbunden. Das ist mein Haus. 

Und nachdem das Licht bei Sun Never Sets ausgeknipst wurde, stand zumindest dieses Haus einsam und verlassen auf dem weiten Feld herum. Und wenn mir das allzu triviale Bild nun erlaubt ist: über die Jahre zerfiel es in eine Ruine. Das Fundament bekam Risse. Es bröckelte. Die Fensterscheiben gingen zu Bruch, das Dach wurde undicht. Es wurde kalt. Vielleicht ein bisschen schimmlig. Drum herum holte sich der Alltag aus verzehrender Lohnarbeit und Überforderung alles zurück. Das Unkraut wucherte. Und irgendwann war von dem Haus fast nichts mehr zu sehen. Ich konnte es noch fühlen, aber eigentlich war das nicht mehr als ein Phantomschmerz. 

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Ich lernte Christoph zu Beginn der 1990er Jahre über gemeinsame Freunde kennen und wir waren über die kommenden Jahre trotz einiger nennen wir es mal: zwischenmenschlicher Stromschnellen beinahe unzertrennlich. Und wie es dann gar nicht so selten passiert, verlor man sich später bis auf wenige Situationen, die ich an einer Hand abzählen könnte, fast vollständig aus den Augen. Bis mich in der zweiten Hälfte des Jahres 2022 plötzlich eine WhatsApp Nachricht erreichte. Seine Band Demon Cleaner suche nach einem neuen Sänger und vielleicht hätte ich ja Lust, mir das mal anzuhören. 

Natürlich hatte ich Lust.

Aber ich hatte fast noch mehr Zweifel. Denn mein Haus war - siehe oben - alt, rostig und durchlöchert, die Lohnarbeit wurde praktisch mit jedem Tag gefräßiger, energieraubender, unaushaltbarer und nahm mich locker 10 bis 11 Stunden täglich in Beschlag, ich hatte außerdem Blank When Zero als Band am Laufen, und es ging hier niemals um ein "oder", sondern immer um ein "und". Darüber hinaus gibt es da auch noch die Herzallerliebste, die so oder so schon unter meinen bizarren Arbeitszeiten litt, unseren Hund, den Blog, die Schallplatten - und irgendwann muss ja auch nochmal das reale Haus saubergemacht werden. Kann ich mich wirklich darauf einlassen? Es gibt da doch sicher Erwartungshaltungen, und zwar von allen Seiten. Was ist, wenn ich da irgendwen enttäusche, weil ich das alles nicht schaffe? Ich muss singen, texten, proben, reden, vermitteln. Uff. UFF!


Zumal: Demon Cleaner waren musikalisch durchaus speziell. War die Musik ein tiefergelegter, in Teilen recht stoisch groovender Stonersound, wurde die Gesangsabteilung sehr unüblich mit einem Death Metal-Sänger besetzt. Das war ohne Frage originell, aber nicht wirklich meine Tasse Tee. Und: sie hatten sich über die Jahre ein kleines Following erspielt, das vor allem live die Extrovertiertheit und Unbekümmertheit in ihrer Musik zu schätzen wusste. Davon konnte ich mir selbst ein Bild machen, als ich sie mal auf der Bühne sah, denn die Stimmung war bombig. Und obwohl ich keinen Bezug zu ihrer Musik aufbauen konnte, fühlte ich mich bestens unterhalten, nicht zuletzt, weil im Duden neben dem Rubrum "Rampensau" ein Bild von Sänger Olli eingeklebt ist. But here's the thing: ich bin nichts von all dem. Nicht mal annährend Death Metal, nicht extrovertiert, nicht unbekümmert, meine Stimmung ist praktisch nie bombig und unterhalten kann ich mich am besten mit mir selbst. Die schmeißen doch alle mit in Pisse getränkten Klopapierrollen, wenn ich mich da als Nachfolger hinstelle?! 


Um zumindest jenes Fazit vorwegzunehmen, wurde ich bislang von derlei Ferkeleien seitens der alten Fangemeinde verschont. In diesem Zusammenhang ist damit auch klar, dass wir - long story short - alle weiter oben ausgerollten Zweifel zur Seite wischten und es also miteinander versuchten. Ein kurzer Faktencheck im WhatsApp-Chat nach dem ersten Aufeinandertreffen erinnert mich daran, die Atmosphäre als "sehr herzlich" empfunden zu haben und tatsächlich bin ich bis heute davon überrascht, wie Christoph, Basti und Christian praktisch ungefragt sämtliche Türen sperrangelweit öffneten, um mir den Raum zu geben, den ich benötigte, um mich gut zu fühlen. Um offen zu sprechen: ich bin mir nicht sicher, ob ich jederzeit so großzügig gewesen wäre. Denn Sängerwechsel sind immer kritisch für jede Band (huch, ein seltener Fall von Endgültigkeit auf diesem Blog, aber hier erscheint sie angemessen), selbst dann, wenn die stilistischen Unterschiede kleiner ausfallen, als es in unserer konkreten Situation der Fall war. Sänger*innen sind stets die Achillesverse einer jeden Band. Sie stehen im unmittelbaren Fokus, sie prägen im besten wie im schlimmsten Fall das interne und externe Stilgefühl der Gruppe, und ihre "Instrumente" sind grundsätzlich viel anfälliger dafür, an den traditionell eher volatil ausgerichteten Rezeptoren der Hörerschaft stumpf abzuprallen. Wenn die Stimme keine Verbindung mit dem Hörer aufbauen kann, aus welchen Gründen auch immer, ist der Ofen meistens ziemlich schnell aus. Niemand wird jemals sagen "Das ist eine tolle Band, ein tolles Album und ein alles überragender Song, aber wie der Bassist dieses Cis spielt/der Gitarrist die Saiten aufzieht/der Schlagzeuger die HiHat anschlägt ist unerträglich für mich, ich werde das nie wieder hören, bah!" - Im Gegensatz dazu ist die Zahl jener Bands, die ich wegen der Stimme schlicht unhörbar finde, geradezu Legion. Und niemanden trifft dafür irgendeine Schuld. Es ist bisweilen ein bisschen furchteinflößend, wie zufällig die Grenze zwischen Anziehung und Abstoßung gezogen werden kann. 


Jedenfalls: die drei Herren mussten sich nicht übergeben, als sie meine Stimme hören mussten - was umso überraschender ist, wenn man in Betracht zieht, wie eingerostet meine Stimmbänder im ersten Jahr waren. Das eigentliche Geschenk daran ist indes: sie waren offen. Und ich kann nicht genug dankbar dafür sein. Das ist alles andere als selbstverständlich. 



-Epilog-

Denn was am Ende dabei herauskam, und jetzt biege ich endlich allmählich in die Zielgerade ein, ist erstens: ein Wechsel des Bandnames zu Infinity Machine und zweitens: eine ganz wunderbare 4-Track EP namens "The Lighthouse". Im Mai 2024 rollten wir unseren Krempel - und hier schließt sich der erste Kreis - in das Bazement Studio von Markus Teske. Wolfgang sagte mal, ihm sei völlig egal, ob er in einem anderen Studio mit einem anderen Produzenten vielleicht irgendwas Besseres bekommen könnte, weil er IMMER zu Markus gehen würde. Es sei ihm auch "scheißegal, wie viel das kostet. Ich bezahl das. Markus ist der Beste." Und je älter ich werde, desto mehr liebe ich diesen Typen: zu jeder Zeit Chef im Ring mit klarer Vision, schreiend komisch, empathisch, unterstützend, warm. Es ist einfach unglaublich angenehm und unkompliziert, mit Markus zu arbeiten. Die Platte wurde in vier Tagen aufgenommen und an zwei Tagen gemischt und gemastert und was soll ich Dir sagen?! Sie klingt toll. 

Der zweite Kreis schließt sich ganz persönlich mit der Renovierung meines Hauses. Ich bin wieder eingezogen und habe ein bisschen Ordnung gemacht: meine Stimme ist besser als jemals zuvor. Zugegeben, das hat lange gedauert und es war harte Arbeit, die so schnell auch nicht enden wird, aber ich finde fast keine Worte dafür, wie sehr sich die Antrengungen gelohnt haben. In diesem Zusammenhang: shout out an Judy Fine, eine Gesangslehrerin aus den USA, deren Trainingsprogramm einen großen Anteil daran hatte, überhaupt zu verstehen, was notwendig ist. Das klingt sehr grundsätzlich, aber da kann man mal sehen, aus welcher Grundsätzlichkeit ich kam. 

Hinzu kommt, dass ich selten zufriedener mit meinen Texten war. Es fällt mir schwerer als früher, die richtigen Worte zu finden, aber wenn sie mal da sind, habe ich den Eindruck, sie sind so nahe bei mir wie nie zuvor. Ich muss weiterhin anerkennen, dass sie sich mehrheitlich noch immer sehr kryptisch lesen mögen, aber es ist ähnlich wie mit den Texten auf diesem Blog: ich werde niemanden zur tieferen Auseinandersetzung zwingen. Ich glaube allerdings auch, dass sie auf mehreren Ebenen funktionieren - und sei es "nur" im Transport einer Stimmung, einer Atmosphäre, einer Idee. Das kann und muss manchmal völlig ausreichen. 


Zuletzt noch der Hinweis, dass wir "The Lighthouse" auf Bandcamp zum Download hochgeladen und mittlerweile sogar ein sehr limitiertes Angebot von ausnehmend hübschen DIY-Tapes haben. Enjoy!






Vielen Dank fürs Zuhören, fürs Lesen, fürs Beiseitestehen, für die Begeisterung, für die Möglichkeiten. 


It's all quite a ride, isn't it?!



17.11.2024

"Da lässt sich noch einer Zeit für Bilder."




FLOATING POINTS, PHAROAH SANDERS 
& THE LONDON SYMPHONY ORCHESTRA - PROMISES


"You have to protect people from incompetent people" (Robert Sapolsky)


DAS Hipsteralbum des Jahres 2021. und zugleich: DAS vereinende Musikalbum des Jahres 2021. 

In Zeiten, in denen vornehmlich die Boomergeneration nur zu oft und - Distinktionsgewinn olé: zu gerne - den Abgesang auf die wahre, echte, schöne alte Musikwelt anstimmt, also die wahre, echte, schöne Auseinandersetzung mit wahrer, echter, schöner Musik in endlosen Kopfhörersessions im wahren, echten, schönen Ohrensessel, bei einer guten Flasche Eigenurin und einem guten Stück Haifischknorpel, weil die nachfolgenden Generationen alles, aber auch wirklich ALLES anders und damit, logo: schlechter machen als es die alten "Furzknoten" (Lagerfeld) es vor circa einer Billion Jahren taten, und das fragile Ego damit nun wirklich überhaupt nicht umgehen kann, produziert die Elektronik-Zaubermaus Sam Shepherd aka Floating Points mit dem Saxofonisten Pharoah Sanders wie es scheint mit links eine Jazz-, Ambient- und Klassik-Platte, deren Ankunft von Menschen jeder Altersgruppe wie der neue Heiland gefeiert wurde - und weiterhin wird. Selbst wenn jene Menschen mit Jazz, Ambient und Klassik zuvor soviel an der Frisur hatten wie H.P.Baxxter mit Atomphysik, Körperhygiene und Frauenrechten.

Über insgesamt neun sogenannte Movements spannt das Duo im Grunde ein einziges Motiv; das ist die Lebensader von "Promises". Und sowohl Sanders, als auch im weiteren Verlauf das London Symphony Orchestra, bleiben über die gesamte Spielzeit in ihrer Nähe, oszillieren, treiben, schweben, drehen und winden sich mit dieser kleinen, so unscheinbar wirkenden Welle aus gerade mal acht Tönen in ein minutenlang aufgeschichtetes Crescendo und sacken gemeinsam wieder ins nächste Diminuendo ab, bis die Intensität schnurstracks auf die Kernschmelze zukriecht. 

Und wenn der Mythos tatsächlich stimmen sollte, dass heute also wirklich niemand mehr so richtig zuhört oder zuhören kann, weil die Aufmerksamkeitsspanne so gering und der Druck so mächtig sind, dann ist's vermutlich genau das: ein Mythos. Denn - Achtung, der Ohrensessel naht - im Prinzip kommt hier nur so richtig dahinter, wer sich auf "Promises" mit Haut und Haaren einlässt. Den Bewegungen folgt. Sich treiben lässt. Die Kontrolle verliert. Und langsam....ganz langsam...in Richtung Ausgang schwebt. 

Angesichts des Erfolgs dieses Projekts, schweben vielleicht mehr im ergiebig-positiven Kontrollverlust umher, als das Narrativ der im Ausnahmezustand delirierenden Generation uns Glauben machen will. 

Was ich sagen will: Hoffnung für Alle. 

     

Vinyl: Die Erstpressung war sehr schnell ausverkauft, und weil davon irgendwie so ziemlich alle überrascht waren, dauerte es fast ein halbes Jahr, bis die nächste Edition in die Läden kam. Hübsches die-cut Cover, 12"-Inlay, schwarzes Vinyl. Es gibt viele gemischte Reaktionen zur Pressqualität, von "totalem Schrott" bis hin zur "bestklingenden Platte aller Zeiten" ist alles dabei, und ich möchte mich mit meinem Exemplar etwa in der Mitte platzieren. Ich bereue den Kauf natürlich nicht, aber "spektakulär" geht eventuell ein bisschen anders.


            


Erschienen auf Luaka Bop, 2021. 

20.10.2024

My 20 Favourite Thrash Metal Albums Ever (Part Two)

"Schon" drei Monate nach dem ersten Teil der überaus beliebten Listenscheiße zu den besten Thrash Metal Platten aller Zeiten, folgt hier und heute Teil 2 - mit den Plätzen 10 bis 1. 

Dieses Mal wird alles noch viel schlimmer, denn ich langweile die Welt mit einem sage und schreibe 38-minütigen Snoozefest. Und Achtung, jetzt kommt's: ich hätte auch drei Stunden über diese Sternstunden harter Musik reden können. Wer mich kennt weiß: das ist leider die Wahrheit. 

Without further ado: