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02.08.2025

My Nineties Were Better Than Your Nineties - #188: Candlebox - Candlebox




CANDLEBOX - CANDLEBOX


"Das Leben ist eine immer dichter werdende Folge von Finsternissen." (Thomas Bernhard)


Dieser 1990 gegründeten Band aus Seattle haftete für lange Zeit ein ähnlicher Makel wie den Stone Temple Pilots an, dass sie also nur deshalb auf der Erfolgswelle surften und es bis nach ganz oben schafften, weil Majorlabels noch den allerletzten Dollar aus Seattle, Grunge und Flanellhemden herauspressen wollten und dafür Kanonenfutter Bands benötigten, die einen bestenfalls identischen Sound wie die großen Vier - Nirvana, Pearl Jam, Alice In Chains, Soundgarden - spielten, und die vor allem schnell wieder vor die Tür gesetzt werden konnten, wenn die nächste musikalische Sau durchs Dorf getrieben werden musste. Ein Schweinesystem ist eben ein Schweinesystem. 

Musikalisch substanzlos, billig, irrelevant, alles nur geklaut - und dann auch noch schlecht: die Hasswichsorgien in der Musikpresse nahmen kein Ende. Dabei war die Basis für derlei Argumentation in erster Linie ein ganzes Pfund Neid, gefolgt von gekränkten Egos, dem Eros des Verrisses und selbstredend einer schweren Hirninfektion, denn richtig zugehört hatte hier niemand. Bis eben auf die vier Millionen US-Amerikaner, die das Debut von Candlebox kauften und bis auf Platz 7 der Billboard Charts schoben. Zwar erreichte das Album die Top 10 erst im Zuge des Durchbruchs der dritten Single "Far Behind" mit einer Verspätung von einem Jahr, aber dann blieb "Candlebox" für sagenhafte 104 Wochen in den Charts. Je sais, je sais: Ähnliches hat Bohlens musikalischer Penisbruch Modern Talking auch schon geschafft. Ich hör' ja schon auf.

Drei Jahrzehnte später wirken solche Diskussionen in Hinblick auf Seattle-Bands der dritten Welle völlig bizarr. Während ich immer noch darauf warte, dass endlich mal jemand diesen ganzen Quatsch aus der ersten Hälfte der 90er Jahre in einem Buch neu einordnet und mit ein paar der beklopptesten Narrative kurzen Prozess macht, erzähle ich noch schnell etwas über "Candlebox", denn darum sind wir ja alle hier: Wer sich also eine Melange aus Blind Melon, einem Klecks Mother Love Bone und den eingängigen, rockigen Momenten der ersten beiden Pearl Jam-Alben mit einem wirklich herausragenden Sänger (Kevin Martin) vorstellen kann, hat ein ganz stimmiges Bild dessen vor Augen, was auf der Agenda steht. Das Album warf mindestens dreieinhalb erfolgreiche Singles ab, ich bin aber der Ansicht, dass die übrigen Songs mindestens genau so viel Spaß machen - vor allem, wenn die Band wie in "Mothers Dream" mit psychedelischen Elementen herumspielt. Das ist mitnichten gefährlich oder gar eine Grenzverschiebung. Aber es ist über die Maßen vergnüglich. Sorry, not sorry. 


Vinyl und so: "Candlebox" erschien auf Vinyl erstmals 1995 im Doppelpack mit dem zweiten Album der Band "Lucy" (absolut ebenbürtig und ebenfalls überaus empfehlenswert!). Diese Edition war für viele Jahre nicht nur sehr selten, sondern fast schon zwangsläufig sehr teuer. Wenn man mich fragt, ist das genau die Ausgabe, für die es sich am meisten lohnt, die Augen aufzusperren - in erster Linie, weil es für "Lucy" bislang noch kein eigenständiges Reissue gibt. 2017 gab es von der Doppelveröffentlichung einen Re-Release, der aber aktuell vor allem in den USA zu bekommen ist. Das Debut wurde 2020 erstmals von Music On Vinyl als Einzelrelease auf silbernem und schwarzem Plastik wiederveröffentlicht - das schwarze Vinyl bekommt man aktuell mit etwas Glück noch für 30 bis 40 Euro. Wer richtig in die Vollen gehen will, besorgt sich hingegen das auf Rhino erschienene "Maverick Years" Boxset mit vier Alben auf insgesamt sieben LPs.


 




Erschienen auf Maverick, 1993.

29.05.2025

My Nineties Were Better Than Your Nineties - #200: War Babies - War Babies




WAR BABIES - WAR BABIES


"Laminated Face Cunt." (Bill Burr)


Wer sich eingehender mit dem 1992 erschienenen Debutalbum dieser Seattle Band beschäftigt, mag erahnen, dass das medial gesetzte Narrativ, die Musikszene der Stadt im Nordwesten der Vereinigten Staaten habe sich Anfang der 1990er Jahre als kleines gallisches Dorf gegen die Oberflächlichkeit und Verlogenheit der Schwanzrockszene aufgelehnt, nicht viel mehr ist als besinnungsloses Business-Kladderadatsch. Die Band um den ehemaligen TKO-Sänger Brad Sinsel hatte, ähnlich wie die frühen Alice In Chains, eine deutliche Schlagseite zu klassischem Glam- und Hardrock der achtziger Jahre, mischte dazu allerdings Elemente unter ihren Sound, die man in die Nähe dessen rücken kann, was Mother Love Bone auf ihrem legendären Debut "Apple" aufzogen. Los Angeles und Seattle in seltener Eintracht. Dabei waren die War Babies bestens in die Szene Seattles integriert und spielten im Laufe ihrer Karriere regelmäßig Shows mit den späteren Grunge-Superstars. Selbst Jeff Ament von Pearl Jam war hier mal mit von der Partie, und War Babies Schlagzeuger Richard Stuverud spielte ein paar Jahre später mit ebenjenem Ament auf den beiden Alben von Three Fish (mit Robbi Robb von Tribe After Tribe). 

Der Ofen war kurz nach Veröffentlichung des Albums leider sehr schnell wieder aus, und natürlich sind Band und Album heute längst von jedem Radar gerutscht. Wer seinen Beobachtungsradius für die Musik der Neunziger im Allgemeinen und Seattles im Besonderen indes etwas erweitern möchte, darf sich gerne kopfüber in diese Platte stürzen. 


Vinyl und so: Bislang hat sich noch niemand zu einem Vinyl-Reissue entschließen können, weshalb die Originalpressung heutzutage nur noch schwer und/oder für einen Haufen Geld zu bekommen ist. Bei der CD gibt es keine Probleme. Darüber hinaus erschien im Jahr 2024 unter dem Titel "Vault" eine LP mit Studio-Outtakes und Livemitschnitten, die sehr liebevoll zusammengestellt wurde, aber mittlerweile auch immer seltener zu finden ist.


          



Erschienen auf Columbia Records, 1992