SKIN YARD - 1000 SMILING KNUCKLES
"Bankraub ist eine Unternehmung von Dilettanten. Wahre Profis gründen eine Bank." (Bertolt Brecht)
Ich weiß nicht, wer das im Jahr 2025 noch wirklich lesen muss, aber ich weiß, wer es 2025 dennoch ins Internet reinkotzt: Die großen vier Alben des Grunge waren kein Grunge. Und weder begann Grunge mit "Nevermind", noch starb er im April 1994 in einer Gartenlaube in Seattle - wobei man ganz eventuell und zumindest metaphorisch über letzteres diskutieren könnte. An schlechten Tagen halte ich beispielsweise Pearl Jams "No Code" für katastrophaler als Cobains Freitod, an guten Tagen bin ich überzeugt davon, Grunge existiere außerhalb jeder gesellschaftlichen Strömung und damit sowieso bis in alle Ewigkeit. Aber lassen Sie mich flott den nächsten "Schocker" (Franz-Josef "Grappa" Wagner) raushauen, ich bin gerade in Stimmung: "Superunknown", "Dirt", "Ten" und eben "Nevermind" waren Pop-Produktionen. Und was sich ohne Fußnote zunächst so despektierlich anhören mag, ist wirklich gar nicht so gemeint. Aber ich bezweifle, dass wir uns argumentativ der Flat Earth Society annähern, wenn wir einerseits Butch Vig's Geniestreich auf "Nevermind" als Quantensprung als auch Paradigmenwechsel in der Inszenierung von populärer Rockmusik bewerten und andererseits betonen, wie stark dieser Produktionsstil konzeptionell darauf ausgerichtet war, möglichst minimale Reibung bei maximalem Ertrag zu erzeugen. Was indes in Seattles Untergrund ab circa 1985 langsam vor sich hin brodelte, hieß bis 1991 allerhöchstens Garagenrock, war aber letzten Endes die Ursuppe für das spätere Massenphänomen. Und wie es so oft ist: die Ursuppe will niemand auslöffeln.
Skin Yard waren eine der allerersten Grungebands (sic!) der Stadt und tauchten zusammen mit Soundgarden, Green River, U-Men, Malfunkshun und den Melvins auf der 1986 erschienenen "Deep Six"-Zusammenstellung von C/Z Records auf. Dabei passt der Begriff der "Ursuppe" nicht nur auf die stilistische Ausrichtung ihres Sounds in Hinblick auf das, was Grunge später werden sollte; Skin Yard waren die heavy-sludgy-groovy-slowy-Könige Seattles - er ist auch bestens dafür geeignet, die Personalsituation der ganzen Szene zu bezeichnen. (Fast) alles, was Rang und Namen hat, wurde durch Skin Yard's Geschichte geschleust, vom späteren Schlagzeuger Soundgardens Matt Cameron, über Tads Steve Wied und Greg Gilmore von Mother Love Bone bis hin zu Barrett Martin, der später bei den Screaming Trees und bei Mad Season spielen sollte. Die Liste ist lang. Damit kann ich es mir auch ein bisschen leisten, ganz nonchalant Produzentenikone und Gitarrist Jack Endino im Nebensatz zu erwähnen, der nicht nur Gründungsmitglied ist, sondern als einziger Musiker jeder Inkarnation Skin Yards angehörte.
Das vierte Skin Yard Album "1000 Smiling Knuckles" erschien im Herbst 1991 und wurde zum erfolgreichsten Album der Band. Es taucht seitdem auch regelmäßig in Publikationen auf, die mit "Zehn unbekannte aber essentielle Grunge-Alben" oder "Die zehn heaviesten Grunge-Alben" überschrieben sind, und das aus guten Gründen: die Mischung aus emotionaler Tiefe, nicht zuletzt forciert aufgrund des ausdrucksstarken Gesangs von Ben McMillan, der nach dem Ende Skin Yards die kriminell unterschätzten Gruntruck gründete und stimmlich immer wieder an den frühen Chris Cornell erinnert, und tiefergelegt-pochenden Riffkaskaden mit stampfenden Grooves ist praktisch die Blaupause dessen, was sich unter dem Begriff "Grunge" verstehen ließe, hätte es "Nevermind" nie gegeben: ein sehr robuster Drive, Schmutz, Schwerfälligkeit und zugleich Dynamik, Melodie, aber keinen Kitsch. In den Obertönen haben wir Schweiß im Angebot, ein bisschen Pumakäfig, Budweiser und Marlboro. Ausfallschritt zur Seite, Les Paul, Ellenbogen im Gesicht. It never gets old.
Vinyl und so: Auf einen Reissue wird man wohl noch lange warten müssen, daher sieht's mit der Verfügbarkeit der Erstpressung nicht ganz so rosig aus, aber ich möchte sagen: solche Originale hat man auch gefälligst im Original zu haben und zu hören. Isso. Das Album erschien in zwei Vinylfassungen auf schwarzem sowie lila Vinyl und ist mit etwas Glück für etwa 70 Euro (schwarz) und 100 Euro (lila) zu bekommen.
Erschienen auf Cruz Records, 1991.
