01.10.2011

"God damn, we stole PUNK from black people, too?!"

DEATH - ...FOR THE WHOLE WORLD TO SEE

Schon der Einstieg, die ersten Sekunden des Openers "Keep On Knocking", eignet sich für das erste zaghafte Ausflippen: Jimi Hendrix hat bei den Stooges gespielt. Jetzt ist's raus. Und King's X-Sänger und Bassist Doug Pinnick hat schon 1974 in einer afro-amerikanischen Punkband gespielt. Tjaha! Wenigstens macht sein Alter jetzt Sinn, aber...warum weiß ich davon nichts?
Und noch schlimmer: warum wisst ihr nichts davon?

Wir reden bei Death selbstredend nicht von der gleichnamigen und mittlerweile nicht mehr existenten Death Metal Band aus Florida, sondern von den drei Brüdern Bobby Hackney (Bass, Gesang), Dannis Hackney (Schlagzeug) und David Hackney (Gitarre), die 1974 in ein Studio in Detroit spazierten, um unter der Leitung von Jim Vitti insgesamt zwölf Songs für ihr Debutalbum auf dem Label Groovesville Productions einzuspielen. Dessen Inhaber, Don Davis, reichte zu jener Zeit ein paar Demotracks an befreundete Labelmanager herum, und Clive Davis von Columbia Records hatte kurz darauf angebissen. Da war sie also, die Chance auf einen großen Deal. Der Haken: Davis wollte, dass sich die Hackneys einen anderen Namen für ihre Band aussuchten, Death sei nun wirklich nicht so irrsinnig verkaufsfördernd. Gitarrist David stellte sich stur, sah sich in seiner künstlerischen Freiheit eingeschränkt und lehnte vehement ab. Death würden ihren Namen auf keinen Fall ändern. Als Ergebnis nahm man statt der geplanten 12 Tracks nur 7 auf - und jene wanderten umgehend in einen Labeltresor. In dem sie die nächsten 35 Jahre herumlagen. Death verschwanden von der Bildfläche und gingen durch die Mitte der siebziger Jahre einsetzende Disco-Welle unter. Und alles, was sie hatten, war eine auf 500 Stück limitierte Single mit den beiden Tracks "Politician In My Eyes" und "Keep On Knocking". Dass die Bad Brains übrigens diese Single solange auf ihrem Plattenteller rotieren ließen, bis sie jede Note in ihre DNA aufgenommen hatten, ist hierbei übrigens bloß ein Gerücht.

2009 veröffentlichte das Drag City Label die sieben aufgenommenen Songs unter dem Titel "For The Whole World To See" erstmalig auf LP und CD. Das weiter oben erwähnte "Keep On Knocking" wurde mir einige Tage vor der offiziellen Veröffentlichung als erster Song unter die Nase gerieben, und ich wurde tatsächlich recht umgehend ziemlich wuschig: eine rauhe, krachige, laute Produktion, ein durch Funk- und Soul-Elemente zersägter Protopunk mit tadelloser Energie. Kein außer Kontrolle geratener, schmutziger Garagenrock der MC5 oder gar der Stooges - Death waren äußerst akurat, dabei völlig uneingebildet lässig und cool. Und auch wenn nicht jeder der sieben Songs auf meinen Lieblingslisten landen wird, das zähe und leicht psychedelische "Let The World Turn" fällt mit seinen sehr ruhigen Parts ziemlich aus der Reihe: "For The Whole World To See" hat mindestens vier todsichere Klassiker im Köcher. Und einen dieser Klassiker möchte ich besonders herausstellen: "Politicians In My Eyes" ist der goße Moment dieser Platte. Hymnisch, mit toller Schlagzeug- und Gitarrenarbeit, treibend, gefährlich - für knapp sechs Minuten jammt sich das Trio in einen wahren Rausch.

In einem launigen und tragisch-glücklichen Interview mit dem Nackedei-Magazin Suicide Girls erzählen Bobby und Dannis (Gitarrist David starb im Jahr 2000 an Lungenkrebs) von dem Erlebnis als ihre eigenen Kinder die vermeintlich vergessen Musik ihrer Eltern auf einer Party in Kalifornien hörten und das möchte ich Euch nicht vorenthalten:

"Well, he [Bobbys Sohn] called me up and he said, "Hey Dad, did you know these people are groovin' to your music at these underground parties? Every time they play you, the crowd goes wild, and people just rush the dance floor." I'm like, "What are you talking about? Lambsbread?[die später gegründete Reggaeband der Brüder]" I thought he was talking about our reggae band, you know? He was like, "No, Dad, you were in a band in the '70's called Death." And then I got a little quiet ... [laughs] It was just kind of a shock for us to find this out."

Erschienen auf Drag City, 2009


P.S.: Drag City veröffentlichten im Jahr 2011 mit "Spiritual • Mental • Physical" eine Compilation aus Demos und Session-Outtakes.

24.09.2011

In eigener Sache - Blank When Zero


Unser kleines Punkrocktrio plant für Ende Oktober/Anfang November eine kleine Release-Party-Tournee durch die Rattenlöcher der Republik - und sucht noch zwei Auftrittsmöglichkeiten für Samstag, 29.10. und Sonntag, 30.10.2011.

Alles, was wir brauchen: eine Bühne, eine halbe Stunde Zeit, eine Band, an die wir uns ranzecken können und eine Handvoll Spritgeld.

Wenn Euch etwas einfällt, wo und mit wem wir auf die Bretter steigen können, dann meldet euch bitte entweder in den Kommentaren, schickt eine Mail an dreikommaviernull[at]yahoo[dot]com, oder kontaktiert uns via Facebook.


Die bisherigen Termine:

28.10.2011 Frankfurt, tba.
29.10.2011 tba.
30.10.2011 tba.
31.10.2011 Köln, Sonic Ballroom

Was mich gleich zum zweiten Teil dieses Blogposts führt: unsere neue Homepage ist online.

BLANK WHEN ZERO

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

19.09.2011

Kellerleichen

GREAT WHITE - CAN'T GET THERE FROM HERE


Gäbe es regelmäßige Treffen der anonymen Great White-Fans – ich würde meinen Jahresbeitrag wohl für die nächsten 20 Jahre auf einen Schlag überweisen. Man verzeihe mir die reißerische Eröffnung, und bei Licht betrachtet, ist es ja auch totaler Kappes: ich habe aus meiner Verehrung gegenüber dem kalifornischen Bluesrock-Quintett niemals wirklich einen Hehl gemacht, ernte bei entsprechendem Bekenntnis dennoch immer wieder Reaktionen, die mit "verstörend " noch recht liebevoll umschrieben sind. 


 Great White starteten ihre äußerst wechselhafte Karriere Anfang/Mitte der achtziger Jahre mit dem selbstbetitelten Debut, auf das 1986 das zweite Album „Shot In The Dark“ folgte, und erreichten spätestens mit ihrem vierten Album „…Twice Shy“ (1989) ihren kommerziellen Höhepunkt. Schon der Vorgänger „Once Bitten…“ aus dem Jahr 1987 konnte in den knietief im Corporate Rock-versunkenen Vereinigten Staaten mindestens eine Platin-Auszeichnung einfahren, mit „…Twice Shy“ gingen die Verkäufe schlussendlich durch die Decke, nicht zuletzt durch die Coverversion des Ian Hunter-Songs "Once Bitten, Twice Shy", die bis auf Platz 6 der US-amerikanischen Singlecharts vorstoßen konnte. Bis heute stehen geschätzte drei Millionen verkaufte Exemplare alleine dieses Albums auf der Habenseite. Great White standen bis zu Beginn der Neunziger also auf der Sonnenseite des Musikgeschäfts und wenigstens aus meiner Sicht standen sie dort mit Recht. Ihr relaxter, kräftig mit Rhythm & Blues-getränkter Hardrock war sündhaft originell und verzichtete fast gänzlich auf die damals so heißen Klischees, wie sie Bands wie Mötley Crue, Poison, Warrant oder Ratt aus dem Eff-Eff beherrschten. Great White brauchten keine Skandale, sie brauchten keine Schminke, sie brauchten keine explodierenden und sich um 360° drehenden Bühnen. Sie hatten in erster Linie großartige Songs aus der Feder von einem der besten Songwriter der gesamten Hardrockszene, dem Multiinstrumentalisten Michael Lardie. Hinzu kamen mit Jack Russell ein charismatischer Frontmann und mit Mark Kendall ein großartiger Bluesgitarrist, der mehr Feeling im kleinen Fingernagel hat als meinereiner am ganzen Körper,. Musiker, die sich auch hinsichtlich ihrer Ausstrahlung wohltuend vom Rest der übrigen erfolgreichen Hair Metal Bands absetzten. 


Der „Twice Shy“-Nachfolger „Hooked“ verkaufte sich, kurz vor der Grungewelle veröffentlicht, ebenfalls noch prächtig, beim Nachfolger „Psycho City“ indes wurde die Band erbarmungslos hinweggespült. Die logische Konsequenz: Great White verloren ihren Plattendeal mit dem Major Capitol Records. Die nächsten Jahre verliefen mehr schlecht als recht. Es gab einige Lineup-Wechsel, Platten, die keiner hören wollte, erschienen auf obskuren, kleinen Labels, die keiner kennen wollte, mit „Let It Rock“ wurde gar ein Album ausschließlich in Japan veröffentlicht, weil die Japaner 1996 das einzige Volk auf dieser Erde zu sein schien, das sich wenigstens noch ansatzweise für die Band interessierte, und zu schlechter Letzt erschien 1998 ein zwar gutes, aber trotzdem leicht verzweifelt wirkendes Led Zeppelin-Tributealbum unter dem Namen Great Zeppelin. 


 Bevor die Band im Jahr 2003 mit der Feuerkatastrophe in einem Club in Rhode Island, USA, für traurige Schlagzeilen sorgte, erschien 1999 mit „Can’t Get There From Here“ das vielleicht bis heute beste Album ihrer Karriere, und ich könnte es jetzt eigentlich fix durch- und euch einpauken, ohne auch nur ein Fragezeichen im Raum stehen zu lassen: 12 Songs - 12 Hits. Thank you, good night. Ich kann es drehen und wenden, wie ich will. Matthias "Der" Breusch schrieb in seiner damaligen Rezension, "Can't Get There From Here" sei "ein tiefer Blick in die Seele des melodischen Westcoast-Rock" und alles an diesem Satz ist korrekt. Eine ungeheure Souveränität und Lockerheit, ein durchgängiges Monstersongwriting auf Weltklasseniveau, große Gefühle, Sonnenschein. Ich stehe dem so oft kolportierten American Way Of Life nicht wirklich nahe, aber Verzeihung: dieses Album gehört auf Endlosschleife gehört! Bei Temperaturen von 600°C im Schatten. In einer großen Ami-Limousine. In 'nem Cabrio. Und wenn man im billigen Motel in der Wüste Arizonas angekommen ist, säuft man billigen Whiskey-Fusel und qualmt Zigarren. Mit Sonnenbrille auf der Nase. Nachts um 4. Und verbrüdert sich mit den Betonmischergroßen Kakerlaken auf dem fleckigen Bettlaken, das viele Geschichten aus längst vergangenen Tagen zu erzählen weiß. 


 Ohrwürmer! OHRWÜRMER! ALLES VOLLER OHRWÜRMER!!! 


Erschienen auf Portrait, 1999.

13.09.2011

Georg Schramm (3)

Wie mir ein Vögelchen eben zwitscherte, strahlt ZDF-Kultur am heutigen Dienstagabend um 20:15 Uhr einen Mitschnitt des aktuellen Soloprogramms "Meister Yodas Ende" von Georg Schramm aus.

Und das wollte ich mit Euch teilen.

Hach. So bin ich.


Update 15.9.2011:

Freundliche Youtube-Nutzer haben damit begonnen, den Mitschnitt in (bisher noch) kleinen Häppchen hoch zu laden. Hier ein schönes Sanftleben Best-Of:

12.09.2011

In eigener Sache - Sun Never Sets

Der ein oder andere wird es ja möglicherweise wissen: der Idiot, der diesen ganzen Kram hier - seit erschreckenden vier Jahren, wie mir heute aufgefallen ist - zusammenschreibt, spielt und singt außerdem in zwei Bands. So mit Gitarren und Kreischen und Trommeln und Bumsfallera.

Jedenfalls: die eine der beiden Bands nennt sich Sun Never Sets, die andere Blank When Zero. Letztere, ein kleines aber feines Punk- und Hardcore Trio, werden Ende Oktober ihr erstes quasi-Album veröffentlichen. Darüber gibt's hier an dieser Stelle mehr zu lesen, wenn es soweit ist. Bleibt gestimmt.

Sun Never Sets haben nun schon seit einiger Zeit ihren Krempel aufgenommen, und jetzt hätten wir ganz gerne, dass das Zeug auch mal jemand hört. Wenn's denn recht ist.

Unter folgendem Downloadlink könnt ihr das Album komplett und kostenlos als MP3 (320kbit) herunterladen. Das Frontcover gammelt ebenfalls im gezippten Ordner herum.


Sun Never Sets
"The Absurd"
September 2011

Tracklist:

01 As Below So Above
02 Gasoline
03 What They Need
04 Serenity
05 Gutting
06 The Absurd
07 Floodstream
08 Black Cocoons
09 Dissolute


DOWNLOAD

Homepage


Ich bedanke mich vielmals für die Aufmerksamkeit.

Und Rückmeldungen sind natürlich gerne gesehen und gelesen.

11.09.2011

Der Franzose kann's...

Erfreulich oft fand in den letzten Tagen dieses ganz wunderbare Set des französischen DJs und Produzenten NHAR seinen Weg in mein Schallgesims - auch wenn der Auftritt im 200 Club/Studio 672 in Köln stattfand und meine Verbundenheit damit eigentlich auf der Roten Liste stehen müsste. In Teilen fühle ich mich an die Euphorie und diese wahnsinnig positive Ausstrahlung von Gui Borattos Meisterwerk "Chromophobia" von 2007 erinnert.

Nach der bereits fantastischen "Megumi/Bluedrop"-Single aus dem Mai dieses Jahres - folgerichtig auf dem Kölner 200 Records Label erschienen - ist die hier weiter unten zu hörende (und auch zu downloadende, by the way) Aufnahme ein weiteres sicheres Zeichen dafür, dass man den Mann künftig unbedingt auf dem Zettel haben sollte.

Nhar - Live @ Club 200 - Studio672 - Köln by Nhar

03.09.2011

Ihr könntet mich hören...


...denn ich beschalle gerade Wiesbaden, wenn nicht gar Deutschland oder das gesamte zugeschissene Universum, mit einer tatsächlich sensationellen Punkscheibe der aus dem polnischen Antifa-Umfeld stammenden Band EL BANDA. Womit wir auch gleichzeitig die Sommerpause von 3,40qm beenden.

EL BANDA - PRESEJDZIE CI EL BANDA

Es ist nicht leicht, Informationen über das Quintett zu finden - was man findet ist meist in polnischer Sprache gehalten und der Google-Übersetzer - nun, er tut sich nicht wirklich leicht. Was indes herauszufinden war: El Banda sind aus den Trümmern der gar nicht mal so unberühmten Post Regiment auferstanden, wurden im Jahr 2003 in Warschau gegründet und haben mit Sängerin Matki Zajdel praktisch ein Urgestein des polnischen Punkrocks am Mikro.

Die hier präsentierte Scheibe "Prezejdzie Ci El Banda" wurde im Jahr 2007 veröffentlicht und ist eine taufrische, bretthart und kristallklar inszenierte Punkrockabfahrt. Absolut melodiös und durchaus eingängig, drückt die Truppe aber fast durchgängig das Gaspedal bis zum Anschlag durch. Und selbst wenn das Midtempo hier und da verzückt herüberwinkt, gleitet die Musik niemals in den seichten und angepassten Dreck ab, den einige heute tatsächlich als Punkrock bezeichnen. Dafür sorgt alleine Matki mit ihrem herrlich rauhen Organ und den hart und kantig klingenden polnischen Worten. Sie steht offenkundig im Fokus der Scheibe, aber wer die Ohren ein wenig weiter aufsperrt und ein wenig tiefer gräbt, wird erkennen, dass die ungemein treibende Schlagzeug- und Gitarrenarbeit der heimliche Star von "Prezejdzie Ci El Banda" ist. Hinzu kommt die allgegenwärtige Dunkelheit, die Melancholie, der Zorn, der Wahnsinn aus denen sich eine in weiten Teilen des Albums geradewegs luftabschnürende Intensität entwickelt.

Wie ich kürzlich direkt vom Pasazer Label erfuhr, liegt die Band gegenwärtig auf Eis, nachdem im letzten Jahr das bisher letzte und immer noch aktuelle Album "Skutki uboczne" (engl. "Side Effects") erschien. Auf diesem Werk zieht die Band schlussendlich alle Register und weitet den Punkrock-Begriff in Teilen bis hin zum Freejazz aus. "Ein Konzeptalbum über Liebe, Unterdrückung und Sexualität." schreibt Plastic Bomb. Ein Werk für die nächste Entdeckungsreise.

Anbei eines der stärksten Stücke von "Prezejdzie Ci El Banda" via Youtube. Glasvitrinen vorher eventuell in Sicherheit bringen.



Erschienen auf Pasazer Records, 2007

31.07.2011

Bitte nicken Sie....JETZT!


PAUL WHITE - MY GUITAR WHALES

Das Classic Rock-Sample zu Beginn des Titeltracks verstört zunächst, und der Bruch in einen psychedelischen, schamanischen Kirmesschunkler mit stoischem Beat und vermeintlich afrikanischen Stimmsamples ist nicht unbedingt leichter zu verdauen. Wer es schafft, "My Guitar Whales" öfter auf den Teller zu wuchten, wird jedoch nach ein bisschen Eingewöhnungszeit mit dem etwas kruden Gebimmel-Gebammel-Rabumm recht flott warm. Auf der Flip geht es mit "The Bright Future" etwas straighter weiter, auch wenn hier wieder der Anfang verwirrt: drei Sekunden Synthie-Pop münden in fünf Sekunden Flying Lotus-Verschachtelung, bis ein feines Pianosample die beiden Enden zusammenführt und es mit Kaffee, Kuchen und einem Ausritt auf Englands grüne Wiesen endet. Das dazu passende Album heißt übrigens "Paul White & The Purple Brain" und basiert ausschließlich auf gesampelter Musik des nahezu unbekannten schwedischen Psychedelic-Gurus ST Mikael. Klarer Fall: hier wird dem Tablettenmissbrauch Tür und Tor geöffnet.

Als Goodie könnt ihr euch HIER die neue Single aus dem am 21.8. erscheinenden Album "Rapping With Paul White" herunterladen. Mit dabei: Detroits Guilty Simpson.

30.07.2011

Omega


SOFA SURFERS - BLINDSIDE


Eine der rätselhaftesten Bands der letzten Jahre. Seitdem sich die Sofa Surfers mit ihrem selbstbetitelten Album im Jahr 2005 fast gänzlich vom Dub, Downbeat und Techno als ihr bisher bekanntes Terrain entfernten, kann ich sie weder musikalisch eindeutig verorten, noch kann ich mit Sicherheit sagen, ob ich Ihnen zu- oder abgeneigt bin. Und während ich diese letzten Wörter schrieb, schoss plötzlich ein Gedanke in den Kopf, den ich - ganz ehrlich! - bis dato noch nicht mal als weit entfernte Option auf dem Schirm hatte: ich könne die Musik der Österreicher ja auch ganz unaufgeregt mit einem Schulterzucken und einem "Is' ja ganz nett." abkanzeln. Und wenn alles geht, so geht das eben nicht.

Dafür beschäftigt mich die Band viel zu sehr, und diese Auseinandersetzung geht durchaus über die Frage nach Sympathie oder Antipathie hinaus. Ich bin außerdem auch nach einem (fantastischen) Livekonzert und dem letztjährig erschienenen "Blindside"-Album nicht wirklich weiter gekommen. Indes, "Blindside" ist deutlich gereifter als das auch "Das rote Album" genannte "Sofa Surfers"-Werk. Ich hatte schon vor sechs Jahren den Eindruck, dass die Band an mancher Stelle orientierungslos, fast ängstlich wirkt. Andererseits, wer will es Ihnen verdenken? In den Sound der Sofa Surfers hielten plötzlich ein echtes Schlagzeug und eine echte elektrische Gitarre Einzug, zudem kam mit Sänger Mani Obeya ein Mann in die Band, der mit einer umwerfenden, souligen und dunklen Stimme meine durchaus als "fixiert" zu bezeichnende sexuelle Orientierung nochmal in Frage stellen könnte. Das neue Klangbild hatte mit der Abstraktheit und Distanz der früheren Arbeiten nichts mehr zu tun, das Gegenteil war der Fall. Es hatte etwas von einer intimen Proberaumsession, an der man als Zuhörer teilnahm. Das deutliche Bekenntnis zur Rockmusik nicht zu vergessen. Und dann schaute hier und da auch mal der Trip Hop um die Ecke - ein Genre, das die neunziger Jahre ja niemals hätte überleben dürfen, wenn man mich fragt aber das ist wieder eine andere Diskussion. Und außerdem fragt mich auch nie jemand.

Auf "Blindside" macht vieles mehr Sinn als auf dem Vorgänger, die Songs sind spannender und mit größerer Raffinesse arrangiert. Sie haben mehr Luft zum Atmen, und vor allem Obeya scheint sich wohler in seiner Haut zu fühlen. Wo er auf "Sofa Surfers" mit dem Anspruch und der Vision einiger Songs noch überfordert schien, hat die Band offenbar genauer darauf geachtet, seine oftmals melancholische, gar manchmal an der Grenze zur Apokalypse entlangtänzelnden Stimme, angemessen in die Pinselstriche der Musiker zu vermischen und -wischen. Das Ergebnis ist paradoxerweise kristallklar, und ich glaube, wenn ich ein Problem mit der Musik des Quintetts habe, dann ist es am Ende des Tages tatsächlich die architektonische Reinheit, die auch vom Brodeln der Trip Hop-Elemente nicht besudelt werden kann.

Das hat zweifellos seine Momente - tatsächlich hörte und höre ich "Blindside" regelmäßiger als so manch andere Scheibe in der Sammlung, der ich ein eindeutigeres und in der Folge positiveres Urteil ausstelle - und es ist vor allem die ruhigere und nokturnere B-Seite, die ich angesichts so toller Songs wie "Sinus" oder "100 Days" gar als ausnahmslos gelungen bewerten würde. Und doch ist da dieser auf- und abspringende Gedanke, der mir beim Hören unentwegt "Die sind noch nicht fertig, die sind noch nicht angekommen, das wird alles noch besser, schöner und größer!" in die Synapsen triggert.

Ich bin sehr gespannt, wie das mit den Herren weitergeht. Und solange das so ist, kann ich die initiale Frage nach der Zu- und/oder Abneigung ja ganz klar positiv beantworten.

Erschienen auf Monoscope, 2010.

23.07.2011

Neunziger (5)

WORLD-FUCKIN'-CLASS!!!!!!!!!!!!!

FFS! AAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHH


22.07.2011

Nur für den Fall....

...dass ihr denkt, der Musikexpress sei das furchtbarste Schreckgespenst in der Springer-Geisterbahn im Themenkomplex "Musik" und "Journalismus", und dass es viel schlimmer nicht mehr ginge:

Doch, geht.

16.07.2011

It's a Love/Love Relationship





SACRED REICH - THE AMERICAN WAY


Eine komplett aussichtslose Situation. Der damals noch 13-jährige Florian belatschert seine Erzeuger über einen Zeitraum von gut sechs Wochen täglich, ihn doch bittebittebitte alleine zu diesem einen Konzert gehen zu lassen. Der eigentlich zur Begleitung abkommandierte Bruder ist zu diesem Termin abkömmlich, aber es muss sein: ich muss da hin!

"Es ist doch ausgerechnet an meinem Geburtstag. Da bin ich ja dann schon 14."

Ich weiß es noch wie heute: meine Eltern nahmen mich damals zum allmonatlichen Kegelabend mit und auf dem Heimweg hörte ich dann die so lange ersehnten Worte.

"Also gut. Aber der Papa fährt Dich hin und holt Dich auch wieder ab. Und um 23 Uhr ist Schluss."

Ich habe die folgende Nacht vor Freude nicht geschlafen.

Das Line-Up dieses Abends liest sich wie der feuchte Traum eines jeden Thrash Metal Fans: die Bay Area-Legende Heathen, die ihr gerade geborenes Album "Victims Of Deception" promoten wollen, gehen als erste Band des Abends auf die Bretter, die Brasilianer von Sepultura holzen mit ihrer letzten guten Scheibe "Arise" im Gepäck als Headliner alles um, und in der Mitte wollen Sacred Reich ihr "The American Way"-Album vorstellen, das ein Jahr zuvor in Europa veröffentlicht wurde, und das ich zu jenem Zeitpunkt schon in- und auswendig kannte.

Sacred Reich stammen aus dem US-Bundesstaat Arizona und veröffentlichten bis zur ersten Bandauflösung im Jahr 2000 insgesamt vier Studioalben. Drei EPs und ein Livealbum vervollständigen die Diskografie. Das zweite Studioalbum "The American Way" erschien 1990 und gilt heute, wie auch das Debut "Ignorance", als Klassiker des Thrash Metals.

Das ist einerseits verwunderlich, denn "The American Way" hat mit den High Speed-Thrashern, die auf "Ignorance" und der großartigen "Surf Nicaragua"-EP zu finden waren, nicht mehr viel zu tun. Bis auf einige rare Geschwindigkeitsausbrüche regiert das Mid-Tempo und ein geradewegs höllischer Groove, der insbesondere vom eigentlich recht simplen, aber ungeheuer originellen Riffing entwickelt wird. Für jene Zeit ist das schon durchaus ungewöhnlich, und auch wenn die Thrash Metal Fans zu jener Zeit mit einigen Soundkorrekturen ihrer Lieblingsbands leben mussten (= zu kämpfen hatten), kratzten sich 1990 nicht wenige am Kopf und fragten sich, ob das eigentlich noch der pure, reine Thrash Metal sei. Darf man das eigentlich noch gut finden? Und damit kommen wir zum Andererseits: Ja, das musste man sogar gut finden. Eigentlich bleibt einem bei Riff-Granaten wie dem zunächst etwas sperrigen Opener "Love...Hate", dem fantastischen Titelsong, dem Groove-Monster "The Way It Is", dem endzeitlichen "Crimes Against Humanity", oder der Hymne "Who's To Blame?" gar nichts anderes übrig: das ist alles (!) viel zu gut. Sacred Reich loten hier keine Extreme aus - bis auf extrem gutes Songwriting: das Quartett hat mit "The American Way" ein beeindruckend kompaktes Album geschrieben und an das Ende sogar ein experimentelles Funkrock-Intermezzo namens "31 Flavors" gesetzt, das mit Bläsern und einem Bootsy Collins Gedächtnis-Basslauf überrascht und textlich den Spirit der Band auf den Punkt bringt:

I love the Chilis
freaky, uplift, mother's milk
Faith No More
Mike Patton's voice is smooth as silk
Metallica's
music makes me want to rage
Sting's lyrics
have something to say
Jimi Hendrix
plays guitar like a no one else
Black Sabbath
Ozzy's voice is sick as hell
Prince, Fishbone, NWA
these are the things that I like to play
Mr. Bungle
is so very cool
so don't be
an ignorant fool
there's so much music
for you to choose
so don't just be
a metal dude
it's cool fool






Vermutlich wäre ein solches Stück mit einem solchen Text angesichts der damaligen sehr sturen und engstirnigen Szene für jede andere Band das kommerzielle Todesurteil gewesen, aber Sacred Reich waren auch aufgrund der im Mittelpunkt stehenden, sozialkritischen und politischen Texte viel zu glaubwürdig, um hier einen billigen Marketing-Trick zu unterstellen. "Who's To Blame?" griff die Anschuldigungen gegen Judas Priest und Ozzy Osbourne auf, sie seien für den Selbstmord von Jugendlichen direkt verantwortlich. "Crimes Against Humanity" richtet sich gegen die Umweltverschmutzung, "The American Way" beschreibt den Zerfall der US-amerikanischen Gesellschaft mit der Zeile "No truth, no justice...The American Way.", mit der darüber hinaus seither die Konzerte der Band eröffnet werden.
Apropos "Konzerte", Teil 1: die Buben sind seit 2007 wieder mehr oder minder regelmäßig live unterwegs - sogar in der Alten Welt. Zur Festivalsaison gibt es eigentlich jedes Jahr die Möglichkeit, die quietschfidele Truppe auf einer Clubbühne zu sehen. Was ich hiermit ausdrücklich empfehlen möchte.

Apropos "Konzerte", Teil 2: Der Abend im Juni 1991 war selbstverständlich denkwürdig. Ich werde niemals vergessen, wie mein Vater, stilecht im burgundfarbenen Pullunder und mit brauner Wildlederjacke und Schnauzbart bewaffnet, die Tür zur Halle im Frankfurter Volksbildungsheim just in dem Moment öffnete, als Andreas Kisser zu einem Gitarrensolo ansetzte, und Papa sich also in Nullkommanix mitten im Pulk bekiffter und besoffener Thrash-Assos befand und mit besorgter Miene Ausschau nach seinem Sohn hielt. Der, ebenfalls selbstverständlich, mit einem sauberen Tinnitus auf den Heimweg geschickt wurde und der "The American Way" seitdem nicht mehr von der Seite weicht.

Erschienen auf Roadrunner, 1990.

08.07.2011

Lee Morgan - Charisma


LEE MORGAN - CHARISMA

Das Entdecken von alten Lee Morgan Alben aus den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts (wie das klingt, ey...) ist immer eine Investition von Zeit und Geld wert. Denn auch wenn der Trompeter zu jener Zeit eine Blue Note-Session nach der anderen aufnahm, und der geneigte Beobachter alleine ob der Menge des Outputs hinsichtlich der Qualität leicht skeptisch die Stirn zunzeln könnte, ist wenigstens mir persönlich keine einzige auch nur mittelmäßige Aufnahme von ihm bekannt. Was alle Sessions miteinander verbindet: der Soul. Der Blues. Der Funk. Und die Tatsache, dass sich hier immer die Krönung der damaligen Jazzmusiker versammelte. Auf "Charisma" tummeln sich Hank Mobley (ts), Jackie McLean (as), Billy Higgins (dr), Paul Chambers (bs) und Cedar Walton am Piano.


Nach seinem drogenbedingten Absturz zu Beginn der 1960er, der Abreise aus New York und einer eingelegten Zwangspause in seiner Heimatstadt Philadelphia, kehrte Morgan 1963 wieder zum Big Apple zurück, unterschrieb einen Vertrag bei Blue Note und legte mit der Veröffentlichung von "The Sidewinder" praktisch aus dem Stand einen künftigen Klassiker vor. Auch wenn Morgans Karriere selbstverständlich schon viel früher, mit regelmäßigen Aufnahmesessions als Leader ab 1956, sowie als Sidekick von Art Blakey and The Jazz Messengers, Hank Mobley oder Jimmy Smith, begann, schlug erst der funkige, mit sattem Boogaloo-Rythmus ausgestattete Titeltrack von "The Sidewinder" so richtig ein. Morgan versuchte in den kommenden Jahren mit zum Teil durchaus ähnlichen Themen und Ansätzen ("The Rumproller") an diesen Erfolg anzuknüpfen, was ihm aber nicht mehr gelang. Trotzdem blieb er bis zu seinem Tod 1972 (er wurde von einer seiner Freundinnen in New York auf offener Straße erschossen) einer der großen Jazzkomponisten. "Charisma" wurde 1966 in den Rudy Van Gelder Studios aufgenommen, von Blue Note aber erst drei Jahre später veröffentlicht.

Was für mich auf dieser Platte im Vordergrund steht, ist der unbändige und hörbare Spaß der Musiker. "Charisma" ist über die gesamte Distanz so locker und flockig, so cool swingend, dass mein kleines Köpfchen unentwegt am Mitwippen ist. Der funkige Einstieg mit "Hey Chico" lässt schon die Glückshormone sprießen, während vor allem das nachfolgende "Something Cute" mein Favorit ist. Hier kann sich vor allem Jackie McLean, nicht erst seit gestern einer meiner ganz persönlichen Jazzhelden, mit einem tollen Solo richtig austoben. "Rainy Night", komponiert von Pianist Cedar Walton hingegen ist eine soulige, nokturne Ballade mit melancholischem Sommerurlaubsfeeling. Duke Pearsons "Sweet Honey Bee" swingt sich als Einstieg in die B-Seite zu einem ausgelassenen Turm von Lebensfreude auf. Fantastisch ist auch ganz grundlegend das Spiel von Cedar Walton, der im Hintergrund einen fluffigen Swing-Teppich knüpft und mit exakt perfektem Timing aus der Deckung herausbricht und die Erde plötzlich um die Sonne kreisen lässt. Am Ende des Tages ist er der Star dieser Session - trotz des beteiligten "Who's Who".

Außerdem ist unbedingt das tolle Coverartwork erwähnenswert, von dem ich hier einfach die Vorder- und Rückseite präsentieren muss. "Charisma" erschien als Gatefold-Cover und so ist es auch heute noch als Counterfeit zu haben. Für durchaus schmales Geld, wie ich hinzufügen möchte.

Erschienen auf Blue Note, 1969.