13.03.2022

A Walk in My Atomic Garden - Platz 2: Bad Religion - Recipe For Hate




BAD RELIGION - RECIPE FOR HATE


Grundgütiger, das muss die ödeste und zäheste Serie aller Zeiten auf diesem Blog sein. Und es ist ja auch nicht so, als hätte ich das nicht alles schon gewusst. In meiner vor knapp 13 Jahren erschienenen Rezension von "Recipe For Hate" - und ja, damit kommt's wirklich noch dicker, denn jetzt wird's zu allem eh schon existierenden Übel auch noch redundant - eröffnete ich den Text mit dem Satz:

"Über Bad Religion Platten zu schreiben, mag auf den ersten Blick weder sonderlich originell noch anderweitig gewinnbringend sein."

...und hier sind wir dann jetzt - und ich darf hinzufügen, dass selbst der zweite und dritte Blick daran nichts Wesentliches ändern. Der jüngere Flohihaan hatte ganz offensichtlich noch ein paar brennende Kerzen auf der Torte, heute schwimmt der Kompass für Stil und Relevanz in abgesenkten und brackigen Hirnwasser der Verzweiflung herum. Pi-Pa-Peinlich. 

An meinen Ansichten zu "Recipe For Hate" hat sich seitdem indes wenig geändert; im Grunde ist jedes Wort aus dem Jahr 2009 auch heute noch richtig, sieht man mal von der Verwendung des Deppenworts "massiv" ab. Das gibt Abzüge in der B-Note. 

""Recipe For Hate" ist ein Kind seiner Zeit, was man der Platte mit etwas Abstand geradewegs beeindruckend schnell anhören kann. Vor allem hinsichtlich der Produktion fällt eine zeitliche Zuordnung gar nicht so schwer: die Gitarren dick wie Sirup und verschwommen vor sich hin blubbernd, mit einem Weichzeichner in die Breite gedrückt und mit Feedback in Bob Mould-Sphären schwebend, eine extrem räumlich klingende, massiv im Vordergrund stehende Stimme Greg Graffins und insgesamt eine Soundästhetik, die zur Krönung in 1992er Alternative Rock-Gold getaucht wurde. So klangen Bad Religion nie wieder. Für meine Begriffe ist das klangliche Experiment geglückt und zu meiner großen Überraschung ist "Recipe For Hate" bei Weitem nicht so schlecht gealtert, wie es vielen anderen Alben aus den neunziger Jahren passiert ist. 

Auch das Songwriting stellt eine Zäsur zwischen den früheren Klassikern und dem Spätwerk dar. Zum einen gaben sich Bad Religion experimentierfreudig wie nie, öffneten ihren Sound passend zur Hochzeit Seattles für Grunge-Elemente ("Struck A Nerve"), ließen fast schon progressive Strukturen erkennen ("All Good Soldiers") und wagten sich für "Man With A Mission" gar auf Folk und Country-Terrain. Zum anderen klangen selbst die eher klassischen Uptempobrecher wie "Skyscraper" oder der fantastische Titelsong zwar immer noch klar nach Bad Religion, präsentierten sich aber viel durchdachter, gereifter, vielleicht auch abgeklärter. Es war plötzlich nahezu unmöglich, dass einer dieser Tracks auf einem der Vorgängeralben hätte stehen können, allerhöchstens "My Poor Friend Me" erweckt den gefühlten Anschein, ein Überbleibsel der "Generator"-Sessions zu sein. So positioniert sich "Recipe For Hate" rückblickend als (experimentelles) Bindeglied zwischen dem schnellen, unbekümmerten Punkrock eines "Against The Grain" und den späteren, kontrollierteren Alben wie "Stranger Than Fiction" oder "The Gray Race" und ist dennoch viel mehr als das."

Dass ich zwar einerseits die "Hochzeit Seattles" und "Grunge" erwähnte, andererseits aber ausließ, die Beteiligung von Pearl Jams Eddie Vedder an "Recipe For Hate" herauszustellen, dessen Beitrag zur Strophe von "Watch It Die" nebst Backingvocals für den Hit "American Jesus" ja durchaus meine Alternative-These noch weiter hätte stützen können, erscheint einigermaßen balla-balla. Ich reiche das hiermit mit einer nur winzig kleinen Verzögerung von beinahe eineinhalb Dekaden nach. 

Am Ende ist meine tief empfundene Liebe zu "Recipe For Hate" keine Überraschung mehr. Ich bin erstens ein Kind des Grunge und des Alternative Rocks und ich spüre zweitens seit über dreißig Jahren eine große Verbundenheit mit Bad Religion. "Recipe For Hate" verbindet diese beiden DNA-Stränge miteinander. Zudem sah ich die Band im Sommer 1993 erstmals live in der Hugenottenhalle in Neu-Isenburg, und auch wenn ich mir darüber im Klaren bin, dieses Erlebnis schon mehrfach auf meinen dreikommaviernull Quadratmetern verwertet zu haben, tu ich's schon wieder: es war eines der beeindruckendsten Konzerterlebnisse meines Lebens. Ich habe seitdem nie wieder so viele Menschen auf einem Haufen derart ausrasten sehen und es ist _WIRKLICH_ keine Übertreibung, wenn ich sage, dass es im gesamten Zuschauerraum kein einziges Fleckchen gab, auf dem keine Körperteile durch die Luft wirbelten. 

Das im obigen Foto herumhängende T-Shirt stammt von jenem Montagabend, dem 5.Juli 1993. Es kostete 10 Mark. Und es wird mich für immer an diesen so besonderen Moment in meinem Leben erinnern.


   


Erschienen auf Epitaph, 1993.



27.02.2022

A Walk in My Atomic Garden - Platz 3: Bad Religion - No Control




BAD RELIGION - NO CONTROL

Ich kaufte die CD von "No Control" im Spätsommer 1993 in einem kleinen Plattenladen in Weil am Rhein, zwischen einem Rollkunstlaufwettbewerb, just einsetzender Pubertät und in Davidoff "Zino" getauchten Karohemden, zusammen mit der CD-Single von Nirvanas "Heart-Shaped Box" (mit dem fantastischen "Marigold" auf der B-Seite und außerdem einen großen "In Utero"-Aufkleber; Trivia von mir für Dich, bitte, danke.). Es war damit auch die letzte Platte der fünf bis zu diesem Zeitpunkt erschienenen Alben zwischen "Suffer" und "Recipe For Hate", die ich mir nach ihrem Re-Start im Jahr 1988 als Tonträger kaufte. "No Control" war also ein Spätzünder im Hause Dreikommaviernull - aber das lag an meinem sehr, sehr kleinen Schüler-Portemonnaie und nicht etwa daran, dass mir mein von meinem Bruder aufgenommenes und mittlerweile recht ausgemergeltes Tape von einer Auseinandersetzung mit dem Album abriet. Tatsächlich besuchte ich ein paar Monate vorher mein erstes Bad Religion-Konzert in der Hugenottenhalle in Neu-Isenburg und das geriet wie an anderer Stelle bereits erwähnt derart eindrücklich, dass ich in den kommenden Jahren den Autopiloten einschalten sollte und also alles kaufte, was ich in die Finger bekam. Sogar völlig beschissen klingende Bootleg-CDs waren nicht mehr vor mir sicher. Ich stand förmlich in Flammen. 

"No Control" konnte den Brand nicht löschen. Auch wenn ich anerkenne, dass sowohl die stilistischen als auch qualitativen Unterschiede zwischen "Suffer", "Against The Grain" und "No Control" verschwindend gering ausfallen, trifft das 1989 erschienene Album den so oft zitierten Sweet Spot.

"Suffer" lebte vielleicht nicht in erster Linie, aber zu einem guten Stück von der Sensation des Neuen und hatte bei aller juveniler Energie noch ein paar Bremsklötzer zwischen die Songs gelegt, "Against The Grain" zeichnete dagegen erste zaghafte Linien in Richtung Souveränität und - zugegeben: Redundanz. "No Control" platziert sich exakt dazwischen: ihr berüchtigter Drive zeigt sich hier in voller, wilder Blüte, das Songwriting ist flüssiger und sicherer als noch auf "Suffer", die ganze Band schien selbstbewusster und konnte so das Tempo und zugleich die melodischen Elemente nochmals nach oben schrauben; ganz besonders offensichtlich wird das in den mehrstimmigen Gesangsarrangements. Im Ergebnis präsentiert sich "No Control" mit großer Lockerheit und mühelosem Swing und wirkt dabei gleichzeitig schärfer und eindringlicher als der Vorgänger und Nachfolger. 

Wer alleine nach dem furiosen Einstiegstrio mit "Change Of Ideas", "Big Bang" und dem Titelsong noch ohne Blutdrucksenker auskommt, lässt sich auch bei OBI die Haare schneiden.


   


Erschienen auf Epitaph, 1989.

19.02.2022

A Walk in My Atomic Garden - Platz 4: Bad Religion - Stranger Than Fiction


BAD RELIGION - STRANGER THAN FICTION


"Stranger Than Fiction" ist der Soundtrack meiner Adoleszenz, die (Spät)Sommerplatte des Jahres 1994 und mit den im gleichen Jahr erschienenen Alben Fates Warnings ("Inside Out"), Vicious Rumors' ("Word Of Mouth") und natürlich "Superunknown" von Soundgarden einer der absoluten Meilensteine meiner musikalischen Laufbahn. Für immer in meinem Herzen. Und sowas ist auf Platz 4, lol.

Dabei habe ich immer noch das Geflenne der wahren, echten Punkrocker im Ohr: Ausverkauf! Verrat! Kapitalistenschweine! "Stranger Than Fiction" war das erste Album Bad Religions auf einem Major Label, und die Basis schäumte vor Wut. Und sie musste ja sowieso schon einiges aushalten, die Basis: "Dookie" und "Smash" spülten den Punkrock im Sommer 94 mit harmlosem Tralala- und Schalala in den Mainstream und in der Folge tat der Kapitalismus eben das, was der Kapitalismus eben so tut - er saugt noch den absolut letzten Tropfen Idealismus aus einer Jugendbewegung, korrumpiert und schießt damit eine gesamte Szene über den ganzen verfickten Haufen. Ein paar Jahre später spielen Punkbands auf von Megakonzernen gesponserten Megafestivals mit all ihrem strukturellen Megarassismus, all ihrer strukturellen Megamisogynie, all ihrem strukturellen Kniefall vor dem Kapital und lassen sich für Werbung für Energydrinks und Rucksäcken einspannen. Inhalte, Schmihalte - Mund auf, hier kommt die nächste Ladung Bullshit. Und immer schön schlucken. 

Auch Bad Religion haben dieses Spiel mitgemacht und es wäre heuchlerisch, hier nur auf den ach so verdammten Mainstream einzuprügeln und die vermeintliche integre Heldencombo um den feinen Herrn Professor und den Label-Millionär im schön verklärten Weichzeichner den Freifahrtschein auszustellen. Es wäre aber auch so verdammt leicht. Und leicht haben sie's einem schon auch gemacht, beispielsweise als die Band 2010 auf irgendeiner Werbescheiße der Deutschen Telekom oder T-Mobile oder - ach, scheißrein, 's eh schon alles egal: gleich mehrfach bei den Rock Am Ring- und Rock Im Park-Shitshows spielten; da war das von Gitarrist Brian Baker aufgetragene Burzum-Shirt ja wohl mal die voll geile Provokation, Alter! Punkrock!     

Propagandhi sangen über "sowas" in ihrem Song "Rock For Sustainable Capitalism" auf dem 2005 erschienenen Wunderwerk "Potemkin City Limits":

I fuckin’ love that one rock video where that fucking jack-ass mohawked millionaire prances around by far the worst sausage party on earth, where by mere chance he’s caught on film shaking hands with an incredibly diverse collection of patriotic skins. I like the message it sends: With a Rebel™ yell, Just Do Exactly What You’re Told. One million douche bags can’t be wrong? “When did punk rock become so safe?” You’ll excuse me if I laugh in your face as I itemize your receipts and PowerPoint your balance sheets. I hear this year’s Vans Warped Tour is “going green!” I guess they heard that money grows on trees. Hope they ship all those shitty bands overseas like they did the factories. Music’s power to describe, compel, renew … It’s all a distant second to the offers you can’t refuse. Anyone remember when we used to believe that music was a sacred place and not some fucking bank machine? Not something you just bought and sold? How could we have been so naïve? Well, I think when all is said and done, just cuz we were young doesn’t mean we were wrong. And I’ll rock back and forth on this two-bit hobbyhorse ’til she splinters and gives way. I’ll tend the flowers by her grave. And whisper her name. If anyone out there understands can I please see a show of hands just so I know I’m not insane? Ever get the feeling you been played? Well, that’s rock for sustainable capitalism and you know, we may face a scorched and lifeless earth, but they’re accountable to their shareholders first. That’s how the world works.


 


Und ich habe jetzt schon wieder einen Riesenhals, das "Worst To Best" Feature nicht mit den ganzen tollen Propagandhi-Platten gemacht zu haben, anstelle des so offensichtlichen Bad Religion-Katalogs. Capitalism fooled my once again. Fucking Hell. 


Und wenn ich jetzt noch schreiben tät, dass "Stranger Than Fiction" trotz dieses ganzen Irrsinns eines der allerbesten Bad Religion-Alben ist, säße ich wohl noch tiefer in der angerichteten Scheiße. Als dann, mit dem Kopf voraus, 's kann eh nicht viel kaputtgehen: "Stranger Than Fiction" ist eines der allerbesten Bad Religion-Alben. 

Selbst wenn die Band leider darauf verzichtete, die auf dem Vorgänger "Recipe For Hate" sehr zaghaft installierten Experimente weiterzuführen (wahrscheinlich als Statement, um DIE_BASIS ein wenig zu besänftigen; very punkrock, huh?!) und stattdessen mit furios perlendem Punk direkt ins Fegefeuer der Majorlabels zu pinkeln, lassen sich auf "Stranger Than Fiction" mit maximal zwei Ausnahmen nur Hochkaräter finden. Polierte Hochkaräter, meinetwegen. Aber eben doch herausragende Songs wie den philosophischen Titelsong, dem zornigen "Leave Mine To Me", dem rasenden "Marked" oder "Inner Logic", für den der an der Schwelle zur Volljährigkeit stehende Flori den CD-Player für einige Wochen auf Endlosschleife programmierte. Vor allem das zum Ende gesungene Mantra mit der Textzeile "no equality, no opportunity, no tolerance for the progressive alternative" in Verbindung mit dem Refrain "there is an inner logic, and we're taught to stay far from it. It is simple and elegant, but it's cruel and antithetic. And there's no effort to reveal it" war ein echter Augenöffner in Bezug auf Engstirnigkeit und ritualisierter Reflexe von Politik, Medien und der eigenen Umwelt. 

Zum Schluss noch das Offensichtliche: natürlich sind Bad Religion nicht Green Day. Natürlich singen sie nicht über Masturbation und Liebesbeziehungen (zumindest nicht auf _dieser_ Platte). Natürlich sind die beiden Texter Graffin und Gurewitz viel zu schlau, um nicht zu verstehen, welchen Anteil ihre eigenen Aktionen am Zustand der Welt haben. Wenn sich in den 40 Jahren Bandkarriere eines aus ihren Texten immer und immer wieder herauslesen lässt, dann ist es der eigene Kampf mit jener Ambivalenz, diesem Spannungsgefühl aus eigener Verantwortung und dem drohenden Untergang. Einerseits Autoritäten in Frage zu stellen und gleichzeitig die alleinige Autorität für das eigene Handeln und Leben zu sein. Einerseits Selbstbestimmung, andererseits systemischer Zwang. 

Der Kabarettist Georg Schramm sagte in seiner Paraderolle des Lothar Dombrowski in Bezug auf die Irrungen des Kapitalismus einmal folgende Worte, die mir in diesem Zusammenhang als sehr passend erscheinen:

"Und glauben Sie ja nicht, da ist etwas aus dem Ruder gelaufen. Im Gegenteil. Das Schiff ist auf Kurs. Es ist aber nicht unser Kurs. Es ist ja auch nicht unser Schiff."


 


Erschienen auf Atlantic Records, 1994.



29.01.2022

A Walk in My Atomic Garden - Platz 5: Bad Religion - The Gray Race




BAD RELIGION - THE GRAY RACE


Ich kenne all das Gerede. Der mit dem Vorgänger "Stranger Than Fiction" begonnene Majorlabel-Ausverkauf geht mit "The Gray Race" in die zweite Runde, noch mehr Kommerz, noch mehr Bigotterie, und von wem jetzt eigentlich GENAU weiß ja kein Mensch, noch mehr Pop. Dazu: alles zu langsam, alles zu gewöhnlich, alles zu melodisch. UND ALLES NUR WEGEN DEM SCHEISS GELD! DAS GELD, DAS GELD, DAS GELD! DIESE SCHWEINE! 

Bevor nun der kleine Schlaganfall an die Tür klopft, ich kann den Schwachsinn einfach nicht mehr hören, wechseln wir schnell das Thema: "The Gray Race" war in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre so manches Mal ein Lebensretter. Es ist vielleicht das melancholischste Werk Bad Religions - und ich war melancholisch im Winter/Frühjahr 1996. Keine Dramaqueen, ich trug das nicht unbedingt ins Außen - aber die innere Ziellosigkeit, das Gefühl alleine zu sein und nirgends so richtig dazuzugehören, dieses graue Grundrauschen, die Angst vor schulischem Versagen und die sich daraus entwickelnde Enttäuschung trafen zeitgleich auf Musik und Texte, die sich selbst ein paar Jahre nach Grunge und Alternative Rock-Hype und im Weichzeichner der neunziger Jahre noch immer nach dem Aufbruch in eine neue Ära anfühlten. Es gab tatsächlich Euphorie in all dem Gefühlschaos eines viel zu spät pubertierenden Idioten aus Frankfurt. Und Bad Religion waren Identifikationsfiguren; ihre Musik half mir bei der Selbstfindung und der Orientierung, ihre Texte weckten den intellektuellen Geist, das Interesse am Politischen, die Lust am Philosophischen, die Begeisterung, Zusammenhänge zu erkennen und einzuordnen. Sie halfen mir dabei, mich selbst und die Welt um mich herum zu verstehen. 

Natürlich lässt es sich nicht leugnen, dass die Musik auf "The Gray Race" im Gesamtbild nochmal ein paar Ecken und Kanten verloren hat. Das liegt in erster Linie an einer sensationell ausgewogenen Produktion, die es darüber hinaus aber gleichfalls schafft, die Songs in gräulich schimmernder Melancholie einzukapseln. Greg Graffins leicht abgedunkelt wirkende und angeraute Stimme klang noch nie so gut wie hier, und seine Texte wie in "Parallel" (auch musikalisch eines der herausragenden Stücke ihrer Diskografie, fight me!), die einerseits vom bevorstehenden Untergang, andererseits von Gemeinschaft und Verbindung erzählten, prägen mich bis heute. Wie sollten sie auch nicht - die Themen sind heute aktueller denn je. 

Was ich aber eigentlich sagen wollte: wenn es eine Band schafft, derart makellose, zu gleichen Teilen mitreißende wie nachdenkliche Songs zu schreiben, können sie es meinethalben bis zur totalen Durchsichtigkeit polieren. Diese Songs sind unkaputtbar.


   



Erschienen auf Sony Music, 1996.

22.01.2022

A Walk in My Atomic Garden - Platz 6: Bad Religion - Against The Grain




BAD RELIGION - AGAINST THE GRAIN


Es schmerzt, eine Platte wie "Against The Grain" auf Platz sechs zu verheizen. Wie "Suffer", "No Control" und "Generator" gehört sie zu jener Riege der frühen Bad Religion-Platten, die mein Denken und mein Leben maßgeblich beeinflussten und veränderten - und sowas sortiert man ja normalerweise eher aufs Treppchen. Und, klar: Ich schreibe das ab jetzt für jedes der (noch) folgenden Alben, keine Bange. Das wird die Hookline. Bis zum Erbrechen wiederholt. Top Of The Pops.

"Against The Grain" war, wie bereits in der Einleitung zu dem ganzen Quatsch ausgeführt, meine allererste Begegnung mit Bad Religion, und noch bevor ich auch nur einen Ton ihrer Musik hörte, war ich fasziniert von diesem Albumcover. Kein Bandname, kein Titel, ich raffte null - aber es hatte dadurch einen mysteriösen Indie/Underground-Vibe, der mich anzog. Und als dann später die Songs es sich in meiner DNA gemütlich machten, war das Paket komplett: Hits, Hits, Hits. Ich kann mich daran erinnern, "Operation Rescue" so oft gehört zu haben, bis es mir eines Tages tatsächlich zum Hals heraus hing - nur um wenige Wochen später den CD-Player erneut auf "Repeat: Song" einzustellen.

Herausragend natürlich der überfallartige Opener "Modern Man", das geniale "Anasthesia" und das vielleicht populärste Stück ihrer ganzen Karriere "21st Century Digital Boy" - aber es gibt wie auf beinahe jeder Platte von Bad Religion auch heimliche Favoriten, die es nie zu ganz großem Ruhm brachten. Auf "Against The Grain" gehört für mich der ungewöhnlich arrangierte Titelsong dazu, der zunächst mit fast militärischem Stakkatoriffing und eingängiger Gitarrenmelodie im Dickicht lauert, bevor die Band in der letzten halben Minute das Riff lockert und damit diesen unnachahmlichen Drive entwickelt. 

Textlich ist "Against The Grain" möglicherweise das ganzheitlichste Bad Religion-Album, das die Ambivalenz zwischen eigener Verantwortung, Lethargie, und dem Zustand der Welt am deutlichsten herausarbeitet und sie letzten Endes mit dem Wesen des Kapitalismus erklärt. Eine Gesellschaft, die Veränderungen fürchtet, obwohl das kollektive Bewusstsein längst die Notwendigkeit eines Wechsels anerkennt, gefangen im Netz aus Indoktrination, ritualisierten Zwangsneurosen, freiwilliger Aufgabe der Selbstbestimmung, Religion und Kapital. Ahnungslos, ignorant und gepeinigt von grandioser  Selbstüberschätzung. Das geht vermutlich uns allen so, für ein Volk jedoch, das sich selbst unentwegt zu einem Teil des "greatest country on earth" hochjazzt, ganz besonders.    

Ich weiß nicht, ob Graffin und Gurewitz auch dreißig Jahre später noch ein ähnlich düsteres Bild vom kommenden Untergang der menschlichen Rasse zeichnen würden. Es hat sich freilich viel verändert, und gar nicht so wenig durchaus zum Positiven. Aber die Wurzel unseres Seins scheint mir immer noch der alte, stinkende, herummodernde Misthaufen zu sein, der unter der Oberfläche fröhlich vor sich hin dampft.       


 


Erschienen auf Epitaph, 1990.

16.01.2022

A Walk in My Atomic Garden - Platz 7: Bad Religion - Suffer



BAD RELIGION - SUFFER

Ab hier wird's kriminell. Die folgenden sieben Platten könnte ich im Prinzip auswürfeln und wäre trotzdem mit jeder Reihenfolge d'accord. Jedes Album könnte an manchen (lies: allen) Tagen auf Platz 1 stehen und keines hätte Platz sieben verdient.

Aber sowas kommt eben von sowas: in einer insomniaverseuchten Nacht eine fixe Idee haben, weil plötzlich selbst die ehemals eher als semigeil abgespeicherten Bad Religion-Alben eine ungemeine Attraktivität ausstrahlten und also ungefragt rehabilitiert werden müssen oder so ein Vollquatsch, anschließend vollmundig an seine per Hand ab- und durchgezählten acht Leser und das ganze verdammte Internet verkünden, man werde sich nun in den kommenden Wochen (lol, dass ich immer noch diesen völlig unbegründeten Optimismus mit mir herumtrage, ist DER KNALLER IN TÜTEN! *bumm*) gemeinsam durch die Diskografie Bad Religions kämpfen wollen (lies: müssen), und spätestens bei den ersten/letzten/besten sieben Alben merken, welch totale Scheißidee das war. 

Jetzt sitze ich hier seit Tagen und versuche, eine Reihenfolge für strenggenommen sieben 10/10-Klassiker zu stricken. Total bescheuert. I mean - how the fuck am I supposed to do that? 

Und nicht nur das, es "kommt" ja noch "dicker": wer will denn ernsthaft noch die bazillionste Lobeshymne über "Suffer" oder "Against the Grain" lesen? Ich hatte über die letzten 14 Jahre stets versucht, die ganz offensichtlichen "Everybody's Darlings" von diesem Blog fernzuhalten und jetzt muss ich mich hier echt mit diesem Mumpitz auseinandersetzen? Ich könnt's ja auf die Pandemie schieben oder auf den Dreiklang "Selbsthass, Depression und Langeweile" (Schmidt), das passt immer. Aber dann sitze ich immer noch hier. Und ihr auch. 

Also, sei's drum - "Suffer" hat's nun also getroffen und darf den "undankbaren" (Waldi Hartmann) siebten Platz einheimsen. Ich weiß selbst nicht warum, ich liebe die Platte. Ich habe über volle zwei Jahre niemals das Haus verlassen und und mich auf den Weg zur Schule gemacht, ohne "Suffer" im Walkman gehabt zu haben. Jeden Morgen begrüßte mich Greg Graffin mit "You Are The Government", während ich zur Bushaltestelle lief und mich auf einen weiteren Tag mit mobbenden Vollidioten vorbereitete - und darüber hinaus die Auseinandersetzung mit der eigenen Doofheit verarbeiten musste (Benson & Hedges, Baileys auf Eis, Grave Digger). "Suffer" sagte mir täglich "Du bist zwar doof, aber es gibt Hoffnung!". Das motiviert zwar nicht, aber es spendet Trost. 

Ich machte das Beste daraus, und Bad Religion gaben mir ihr Bestes:

Hey, I don't know if the billions will survive
But I'll believe in God when one and one are five
My moniker is man and I'm rotten to the core
I'll tear down the building just to pass through the door

Schalten Sie auch das nächste Mal wieder ein, wenn es heißt: Oppa erzählt vom Kriech. Bis dahin: viel Glück und gute Besserung.

 



Erschienen auf Epitaph, 1988.

07.01.2022

A Walk in My Atomic Garden - Platz 8: Bad Religion - The Empire Strikes First




BAD RELIGION - THE EMPIRE STRIKES FIRST

Mit "The Empire Strikes First" erreichen wir nun den endgültigen Wendepunkt der Diskografie und machen es uns auf der Sonnenseite des Leben als Fan von Bad Religion gemütlich - und ich hätte im Jahr 2004, zumal nach den Bruchlandungen mit "No Substance" und "The New America" im Leben nicht mehr daran geglaubt, ein neues Bad Religion Album mit derartiger Begeisterung zu umarmen.

Manchmal traute ich sogar meinem eigenen Urteil nicht mehr. Warum ausgerechnet diese Platte? In den letzten 25 Jahren hat mich keines ihrer anderen Werke derart gepackt, nicht mal annährend. Liegt's an meinen damaligen Lebensumständen, daran, wie ich sie mir mit einem klitzekleinen Sozialhilfe-Budget erarbeiten und ersparen musste? Liegt es an meinem zu jener Zeit auf dem Höhepunkt angekommenen Zorn gegenüber der imperialistischen US-Amerikanischen Politik unter der Führung des Kriegsverbrechers Dabbelju, der auf "The Empire Strikes First" praktisch mit jedem Songtext vermöbelt wird - und fühlte ich mich deswegen so gut verstanden? Waren die Texte von "Let Them Eat War" oder dem Titeltrack meine Stimme im vermeintlich gerechten Kampf gegen Krieg, Korruption, Religion und Kapitalismus? Und ich frage Sie: warum landet einer, der seit 1998 jeden halbsteif aufgenommenen Superschnarcher dieser Band mit manchmal weit über das Ziel hinausschießender Verve gegen die nächstbeste Wand klatschen möchte, plötzlich mit all den Superschnarchern - und dazu auch noch oft scheißlangen Superschnarchern - auf "The Empire Strikes First" im Bett, nackt, geil, eingerieben in Hamsterfutter und zu allem bereit? 

Immer wieder versuchte ich, all das zu verstehen. Immer wieder musste ich mich fragen, ob ich nicht vielleicht doch falsch lag. Dann lege ich das Album auf und vierzig Minuten später war jedes Mal aufs Neue klar: ich liege immer noch goldrichtig. "The Empire Strikes First" lebt in erster Linie von einem durchgängig hochklassigen Songwriting, das die typischen, oft melancholischen Melodien Greg Graffins mit ihrem klassischen und bis dato verloren geglaubten Drive amalgamiert. So sind sogar die gebremsten Schunkelhits wie "Beyond Electric Dreams" und besonders "Boot Stamping On A Human Face Forever" von der ersten bis zur letzten Sekunde fesselnd und packend. "God's Love" ist sowohl textlich auch musikalisch mit Leichtigkeit einer meiner absoluten Bad Religion-Lieblingssongs aus den letzten 25 Jahren. Der Sound, wenngleich vor allem im Vergleich mit ihrem Frühwerk bereits unangenehm komprimiert, ist noch nicht derart angedickt wie auf eigentlich allen Nachfolgern und hat immerhin noch einen Lufthauch von Transparenz. 

Für mich ist "The Empire Strikes First" das beste Bad Religion-Album seit dem Erscheinen von "The Gray Race". Angesichts ihrer aktuellen Form täterääät's mich nicht wundern, wenn das wenigstens mittelfristig auch so bleibt.


   


Erschienen auf Epitaph, 2004.

02.01.2022

A Walk in My Atomic Garden - Platz 9: Bad Religion - True North



BAD RELIGION - TRUE NORTH

Bad Religion hatten mich bis zum Jahr 2013 schon derart zermürbt, dass ich ein neues Album nur noch mit einem angedeuteten Schulterzucken quittierte. Wahrscheinlich hörte ich mir den vorab ausgekoppelten Titeltrack nur mit einem Ohr an, verdrehte die Augen und hielt darüber hinaus vor allem eines: Abstand. Aber the pandemic made me do it: ICH HÖR MIR JETZT SELBST DIE SCHEISSPLATTEN AN, IHR FICKER! 

Und dann wurden aus den vermeintlichen Scheißplatten welche, die ich überraschenderweise immer wieder hören wollte. "True North" wurde im ersten Halbjahr 2021 zum Soundtrack der täglichen Spielrunde mit Hund Fabbi, und ganz offenbar fanden wir beide Gefallen an dem Album - und ich muss nur ein ganz kleines bisschen die Einschränkung offenbaren, dass Fabbi mit seinen 17 Jahren im Grunde mittlerweile stocktaub ist. 



Ich kann nicht sagen, dass die Band auf "True North" durchgängig ein glückliches Händchen hatte, vor allem melodisch operiert die Truppe ein wenig zu oft unter ihren früheren Qualitätsstandards. Aber das zumindest in Teilen wiederentdeckte Gespür für ihren alten Drive, der zu gleichen Teilen mühelos wie unerbittlich wirken kann, und der einfach zu dieser Band gehört wie eine zünftige Vergiftung mit süßem Senf zu einem Oktoberfestzelt, macht "True North" in der Rückschau zu einem sehr kurzweiligen und sehr vergnüglichen Bad Religion Album. 

Immerhin das erste seit "The Empire Strikes First" aus dem Jahr 2004, auf dem ich praktisch keinen Totalausfall, dafür aber eine Handvoll wirklich toller Songs finden kann: der Titeltrack gehört zum Besten, was die Band seit ihrer Glanzzeit bis zur Mitte der 1990er Jahre geschrieben hat, "Fuck You" ist mittlerweile ein Klassiker und immer wiederkehrender Bestandteil des Livesets, "Nothing To Dismay" und die Selbstzitatesammlung "The Island" sind herausragendes Bad Religion-Material. Selbst das reichlich albern wirkende "Dharma And The Bomb" ist cool. 

Hätte ich im Prinzip auch schon vor acht Jahren herausfinden können. Manchmal bin ich einfach doof.

   

Erschienen auf Epitaph, 2013.

26.12.2021

A Walk in My Atomic Garden - Platz 10: Bad Religion - The Process Of Belief




BAD RELIGION - THE PROCESS OF BELIEF


"The Process Of Belief" hatte praktisch ab der ersten Sekunde einen schweren Stand. Zum einen spukten "The New America" und vor allem "No Substance" noch ausgesprochen unangenehm im Frontallappen herum und reiherten auf sämtliche meiner blank liegenden Nervenenden, zum anderen befand sich Herr Dreikommaviernull, und das muss man so deutlich sagen, beim Release des Albums im Januar 2002 eigentlich schon auf dem direkten Weg ins Jenseits. Seit einem halben Jahr schluckte ich jeden Tag die Maximaldosis Diclofenac wegen unerklärlicher Rückenschmerzen, schlief kaum noch und wurde zusehends kraftloser und vor allem blasser. Um mich herum wurde das Leben immer trostloser. Es war dunkel im Winter 2002. Zwei Monate später wurde ich mit einem Hämoglobinwert von 3 ins Krankenhaus eingeliefert. Der Krebs war zurück - und die Musik verstummte. Ich ertrug in dieser Zeit praktisch nichts, was auch nur einen kleinen Pieps machte, und die Aussicht, vermeintlich halbsteifen Punkrock aus dem sommerlichen Los Angeles zu hören war aus mehreren Gründen unvorstellbar. 

Jedes Hören von "The Process Of Belief" legt auch zwanzig Jahre später noch den bleischweren Mantel jener Zeit über meine Schultern und zaubert kleine und überaus eklige Erinnerungsblitze aus dem Unterbewusstsein in die Gegenwart. Das Licht im damaligen Haus im Niemandsland zwischen Wiesbaden und Limburg. Der Geruch im Krankenhaus. Selbst dieses halbtote, blutleere Gefühl meines auf dem absolut letzten Rest Notstromenergie dahindämmernden Körpers fährt mir manchmal zurück in die Glieder. Es. Ist. Nicht. Schön. 

Das Album komplett losgelöst von meiner damaligen Existenz zu bewerten, erscheint unmöglich. Ich hielt in den letzten zwanzig Jahren allerdings auch (wenig überraschend) einen gewissen Sicherheitsabstand zu "The Process Of Belief" ein und hatte es in der Diskografie im letzten Drittel einsortiert, wohlwissend, dass viele eingefleischte Fans zum einen die Rückkehr des verlorenen Sohns Mr.Brett, zum anderen die im Vergleich zu "The New America" wiedergefundene Schärfe und Geschwindigkeit feierten. Tatsächlich klingen Bad Religion hier wieder deutlich mehr nach ihrer pre-"No Substance"-Phase: das rasante Einstiegstriple ist sofort ein dickes, mit 300bpm gekritzeltes Entschuldigungsschreiben und auch im weiteren Verlauf war der Fünfer wieder deutlich mehr von der Muße geküsst als zuletzt: "Kyoto Now" hat in Musik und Worten wieder das erfreuliche  Überhangmandat zu dieser unwiderstehlichen Kraft dieser Band, "Epiphany" ist trotz des Abstechers ins bräsige Alternativerock-Abwasser das melodisch stärkste Stück der Platte (und dabei viel besser als das immer noch ziemlich unerträgliche "Broken") und der Rausschmeißer "Bored & Extremely Dangerous" erinnert an typische, leicht gräulich schimmernde und herausragende Abschlusstracks wie "Skyscraper", "Markovian Process" oder "Walk Away". 

Meine Lieblingsplatte wird das alleine aus den eingangs erwähnten Gründen nicht mehr, aber ich kann mich immerhin zu folgenden Urteil hinreißen lassen: das ist eine gute Platte.


   


Erschienen auf Epitaph, 2002.


16.12.2021

A Walk in My Atomic Garden - Platz 11: Bad Religion - New Maps Of Hell




BAD RELIGION - NEW MAPS OF HELL


"New Maps Of Hell" ist der etwas ältere und leicht behämmerte Bruder des Vorgängers "The Empire Strikes Back" aus dem Jahr 2004: ein bisschen außer Kontrolle geraten, halbstark, einer, der immerzu zu viel und zu dick aufträgt und dabei flach ist wie eine Regenpfütze kurz hinter Kassel. Distortion: rauf! Gaspedal: Bodenblech. Das Schlagzeug? Scott Columbus hat aus dem Jenseits angerufen und möchte seine Drums Of Doom zurück. Noch mehr? Kannste haben: die megapeinlichen Riotshouts in "Requiem For Dissent" lassen auch 14 Jahre nach Erstkontakt noch sämtliche inneren Organe unter stummen Schmerzensschreien verwelken. Darüber hinaus ist die Produktion viel zu fett und metallisch, der Zeitgeist ist einfach ein Arschloch, und Wundertrommler Brooks "Haudraufundschluss" Wackerman passt zur Band wie ein Maschinenschlosser zum Telekolleg "Kaltnadelradierung". 

Und als ob das alles nicht schon wirklich genug Migräne macht, fragt die Herzallerliebste bei "Honest Goodbye" mit einiger Skepsis in der Stimme, was denn mit denen passiert sei; ob sie das beim Kaffeeklatsch im Seniorenstift komponiert hätten, den Blasenkatheter könne man ja praktisch riechen.

Und dennoch: ich kann nicht verleugnen, dass sich einige sehr gute Momente auf "New Maps Of Hell" versammelt haben, die sich zu meiner Überraschung sogar im oft eher ungeliebten, weil qualitativ nicht selten eher vernachlässigten letzten Drittel tummeln. "Lost Pilgrim" ist von der besten "The Gray Race"-Melancholie-Schule abgegangen, "Scrutiny" hätte sich mit einer offeneren Produktion auch bestens zwischen "Against The Grain" und "Generator" aufs Stühlchen setzen können, "The Grand Delusion" ist gar ein erstaunlich abwechslungsreiches, melodisch herausragendes und in gerade mal gut zwei Minuten gepresstes Juwel, und auch wenn der Abschluss mit "Fields Of Mars" wegen der albernen Pianosequenz zur Mitte deutlich zu lang und weilig gerät, schafft die Band hier einen außerordentlich bildhaften Hochgeschwindigkeitspunker. 

Sowas können nicht viele Bands. Vielleicht sind Bad Religion sogar die Einzigen.


   


Erschienen auf Epitaph, 2007.



07.12.2021

A Walk in My Atomic Garden - Platz 12: Bad Religion - How Could Hell Be Any Worse?

 


BAD RELIGION - HOW COULD HELL BE ANY WORSE?


Die Bewertung des Bad Religion-Debuts aus dem Jahr 1982 mündet in einen Generationskonflikt, denn auch wenn sich hier und da ein paar Hinweise darauf finden lassen, in welche Richtung sich die Musik unserer Helden später mal entwickeln sollte, schlagen hier wohl in erster Linie die Herzen jener höher, die "How Could Hell Be Any Worse?" vor dem Erstkontakt mit "Suffer" kennenlernten. 

Ich weiß wenig von der US-amerikanischen Punkszene Anfang der 1980er Jahre, aber ich benötige dennoch nur wenig Fantasie, um den Einfluss dieser Platte halbwegs richtig einzuschätzen: auch wenn vergleichbare und etwa zur gleichen Zeit erschienene Alben wie "Damaged", "Bad Brains" oder "Out Of Step" sich im kollektiven Bewusstsein stärker als unantastbare Klassiker etablieren konnten, steht  "How Could Hell Be Any Worse?" für viele Fans der ersten Stunde bis heute ebenfalls in dieser Reihe. 

Im Vergleich mit dem, was ab "Suffer" die Soundsignatur des Quintetts bilden sollte, ist das Debut ein bemerkenswert apokalyptisches und düsteres Werk, dem einerseits (und logischerweise) eine gewisse Unbekümmertheit im Spiel mit Atmosphäre und Worten anzuhören ist, dem gleichzeitig bereits jene Ernsthaftigkeit und Dringlichkeit spiegelt, für die die Band später so geliebt wie berüchtigt werden sollte. 

Ich kann all das problemlos anerkennen, den Einfluss, die Relevanz, den Überraschungsmoment im Jahr 1982 - aber das sind noch nicht "meine" Bad Religion, die mich Anfang der 1990er Jahre an die Hand nahmen und mir zunächst die Welt auf links krempelten, bevor sie sie mir erklärten. Wäre ich zehn Jahre früher geboren worden und hätte dennoch eine vergleichbare Sozialisation erlebt, sähe ich das vermutlich sehr anders und "How Could Hell Be Any Worse?" wäre das Magnum Opus dieser Band. Der Urknall, der alles veränderte. Immerhin weiß ich, wie sich sowas anfühlen kann.

   

Erschienen auf Epitaph, 1982.

27.11.2021

A Walk in My Atomic Garden - Platz 13: Bad Religion - The Dissent Of Man


BAD RELIGION - THE DISSENT OF MAN


Es gibt im Großen und Ganzen selten wirkliche Überraschungen, wenn es um Platzierungen im Sinne einer Reihenfolge für Alben von Bad Religion geht. "The Dissent Of Man" findet sich beispielsweise bei den allermeisten Fans stets im unteren Drittel der Diskografie wieder, und ich sehe nicht, was ich mit meiner Auswahl daran ändern könnte - dafür lassen alleine die Klassiker aus den 1980er und 1990er Jahren so oder so nur wenig Spielraum. Aber auch ohne den ausschweifenden Blick über das verdorrte Tal der Nostalgie hat das Album einen schweren Stand.  

Im Veröffentlichungsjahr 2010 war "The Dissent Of Man" nicht gut genug für mich. Möglicherweise hat mich die Platte damals in einer Phase erwischt, in der ich soweit von Punkrock entfernt war wie LalaLaschet von einem zweistelligen IQ, vielleicht erschien mir das alles aufs erste Hör' als zu schalala und tralala, vielleicht habe ich "Wrong Way Kids" gehört und mich wegen der unsagbar peinlichen Chöre vollgekotzt, ich weiß es nicht mehr. In den vergangenen zwölf Monaten vertiefte sich die Auseinandersetzung mit dieser Platte indes, und meine Aversion ist seither auf ein unerwartet niedriges Niveau geschrumpft. Möglicherweise bin ich andererseits mittlerweile auch einfach so angeschimmelt und weichgespült, dass mir nicht mal eine Deppenrock-Frechheit wie "Cyanide" oder bräsiger Mittneunziger-Collegerock wie "I Won't Say Anything" die Laune verhageln können. 

Was "The Dissent Of Man" im Jahr 2021 vermutlich in erster Linie für mich rettet, ist eine gefühlte Qualitätsglättung: die Tiefen sind nicht ganz so tief wie es beispielsweise bei "Age Of Unreason" der Fall ist, die Höhen schnuppern dafür ein bisschen dringlicher am eigenen Klassikerkanon - "Avalon" und "Only Rain" reihen sich wie selbstverständlich in die lange Liste herausragender Songs dieser Band ein - und "die Midde" (Birne) ist eben genau da: in der Mitte, über weite Strecken vereint mit dem Großteil ihres Oevres nach 2001. 

Geht schlechter. Besser aber leider auch.


   


Erschienen auf Epitaph, 2010.   

12.11.2021

A Walk in My Atomic Garden - Platz 14: Bad Religion - Age Of Unreason


BAD RELIGION - AGE OF UNREASON


Meine früheren Bewertungen für jene Bad Religion-Alben, die nach "No Substance" erschienen, waren erstens nicht immer schmeichelhaft und zweitens - das weiß ich jetzt - vielleicht auch nicht immer akkurat. Oder fair. Ich bin Emotionshörer, ein recht volatiler noch dazu, und manchmal grätscht mir irgendwas Herbeihalluziniertes die "Gude Laune!" (Väth) weg, ich rede/denke mich in Rage, alles ist verdammt, wir warten apathisch auf den Untergang, Fleischsalat aus der Dose, Mutti ist in Rente, schlimm, schlimm, schlimm. Mal bleiben solch vernichtenden Urteile Jahre und gar Jahrzehnte unangetastet und wie der zusammengerollte Hunni im Kokshäufchen stehen, manchmal sieht man mich aber auch hektisch zurückrudern. In Sack und Asche, weil ich ein Kanisterkopp bin, pardon, sorry, kommt nicht wieder vor. 

Es gibt einige Platten, über die hier noch zu schreiben sein wird, bei denen ich heute weiß, dass ich zu streng und/oder zu doof war. Muss ich anerkennen. An dieser Stelle darf die große Einlaufwelle nun endlich den Badestrand erreichen: "Age Of Unreason" ist keine solche Platte, und solange das Wachkoma mich nicht schnappt, wird sich daran auch mit sehr großer Sicherheit nichts mehr ändern. Aus mir völlig unerklärlichen Gründen finden selbst langjährige Fans, "Age Of Unreason" sei endlich der "langersehnte Befreiungsschlag", eine Rückkehr zu "alter Größe" - und das alleine macht die Platte fast noch ein bisschen ärgerlicher. Nicht, dass es hierfür noch zusätzliche Unterstützung bräuchte, denn die Sammlung von wirklich kaum zu ertragenden Schunkelrocksongs mit einem manchmal erschütternd tattrigen Greg Graffin und einer höchst diskussionswürdigen, weil mumpfigen Produktion ohne jeden Biss sind schon schlimm genug. 

Aber dass diese windelweiche und karobehemdete Gaslightanthemisierung des Punk Rock mittlerweile die Köpfe derart verklebt zu haben scheint, durch und durch entsetzliche Offenbarungseide wie "Candidate" oder "Downfall", zu denen sich Dieter Thomas Heck die obligatorischen sechs Aquavit noch vor seiner Moderation der ZDF-Hitparade über die eigene Dauerwelle gekotzt hätte, fröhlich nickend durchzuwinken, macht mich auch an den Tagen zwischen den Tagen einigermaßen fassungslos. 

Immerhin, und das soll nicht verschwiegen werden: vier Songs ("Chaos From Within", "The Approach", "Old Regime" und der Titelsong) werden sich künftig auf der Florian'schen "Best Of Bad Religion"-Playlist wiederfinden. Ich bin möglicherweise manchmal ein Blödmann, aber ja auch kein Unmensch.

 


Erschienen auf Epitaph, 2019.