29.01.2022

A Walk in My Atomic Garden - Platz 5: Bad Religion - The Gray Race




BAD RELIGION - THE GRAY RACE


Ich kenne all das Gerede. Der mit dem Vorgänger "Stranger Than Fiction" begonnene Majorlabel-Ausverkauf geht mit "The Gray Race" in die zweite Runde, noch mehr Kommerz, noch mehr Bigotterie, und von wem jetzt eigentlich GENAU weiß ja kein Mensch, noch mehr Pop. Dazu: alles zu langsam, alles zu gewöhnlich, alles zu melodisch. UND ALLES NUR WEGEN DEM SCHEISS GELD! DAS GELD, DAS GELD, DAS GELD! DIESE SCHWEINE! 

Bevor nun der kleine Schlaganfall an die Tür klopft, ich kann den Schwachsinn einfach nicht mehr hören, wechseln wir schnell das Thema: "The Gray Race" war in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre so manches Mal ein Lebensretter. Es ist vielleicht das melancholischste Werk Bad Religions - und ich war melancholisch im Winter/Frühjahr 1996. Keine Dramaqueen, ich trug das nicht unbedingt ins Außen - aber die innere Ziellosigkeit, das Gefühl alleine zu sein und nirgends so richtig dazuzugehören, dieses graue Grundrauschen, die Angst vor schulischem Versagen und die sich daraus entwickelnde Enttäuschung trafen zeitgleich auf Musik und Texte, die sich selbst ein paar Jahre nach Grunge und Alternative Rock-Hype und im Weichzeichner der neunziger Jahre noch immer nach dem Aufbruch in eine neue Ära anfühlten. Es gab tatsächlich Euphorie in all dem Gefühlschaos eines viel zu spät pubertierenden Idioten aus Frankfurt. Und Bad Religion waren Identifikationsfiguren; ihre Musik half mir bei der Selbstfindung und der Orientierung, ihre Texte weckten den intellektuellen Geist, das Interesse am Politischen, die Lust am Philosophischen, die Begeisterung, Zusammenhänge zu erkennen und einzuordnen. Sie halfen mir dabei, mich selbst und die Welt um mich herum zu verstehen. 

Natürlich lässt es sich nicht leugnen, dass die Musik auf "The Gray Race" im Gesamtbild nochmal ein paar Ecken und Kanten verloren hat. Das liegt in erster Linie an einer sensationell ausgewogenen Produktion, die es darüber hinaus aber gleichfalls schafft, die Songs in gräulich schimmernder Melancholie einzukapseln. Greg Graffins leicht abgedunkelt wirkende und angeraute Stimme klang noch nie so gut wie hier, und seine Texte wie in "Parallel" (auch musikalisch eines der herausragenden Stücke ihrer Diskografie, fight me!), die einerseits vom bevorstehenden Untergang, andererseits von Gemeinschaft und Verbindung erzählten, prägen mich bis heute. Wie sollten sie auch nicht - die Themen sind heute aktueller denn je. 

Was ich aber eigentlich sagen wollte: wenn es eine Band schafft, derart makellose, zu gleichen Teilen mitreißende wie nachdenkliche Songs zu schreiben, können sie es meinethalben bis zur totalen Durchsichtigkeit polieren. Diese Songs sind unkaputtbar.


   



Erschienen auf Sony Music, 1996.

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