BAD RELIGION - RECIPE FOR HATE
Grundgütiger, das muss die ödeste und zäheste Serie aller Zeiten auf diesem Blog sein. Und es ist ja auch nicht so, als hätte ich das nicht alles schon gewusst. In meiner vor knapp 13 Jahren erschienenen Rezension von "Recipe For Hate" - und ja, damit kommt's wirklich noch dicker, denn jetzt wird's zu allem eh schon existierenden Übel auch noch redundant - eröffnete ich den Text mit dem Satz:
"Über Bad Religion Platten zu schreiben, mag auf den ersten Blick weder sonderlich originell noch anderweitig gewinnbringend sein."
...und hier sind wir dann jetzt - und ich darf hinzufügen, dass selbst der zweite und dritte Blick daran nichts Wesentliches ändern. Der jüngere Flohihaan hatte ganz offensichtlich noch ein paar brennende Kerzen auf der Torte, heute schwimmt der Kompass für Stil und Relevanz in abgesenkten und brackigen Hirnwasser der Verzweiflung herum. Pi-Pa-Peinlich.
An meinen Ansichten zu "Recipe For Hate" hat sich seitdem indes wenig geändert; im Grunde ist jedes Wort aus dem Jahr 2009 auch heute noch richtig, sieht man mal von der Verwendung des Deppenworts "massiv" ab. Das gibt Abzüge in der B-Note.
""Recipe For Hate" ist ein Kind seiner Zeit, was man der Platte mit etwas Abstand geradewegs beeindruckend schnell anhören kann. Vor allem hinsichtlich der Produktion fällt eine zeitliche Zuordnung gar nicht so schwer: die Gitarren dick wie Sirup und verschwommen vor sich hin blubbernd, mit einem Weichzeichner in die Breite gedrückt und mit Feedback in Bob Mould-Sphären schwebend, eine extrem räumlich klingende, massiv im Vordergrund stehende Stimme Greg Graffins und insgesamt eine Soundästhetik, die zur Krönung in 1992er Alternative Rock-Gold getaucht wurde. So klangen Bad Religion nie wieder. Für meine Begriffe ist das klangliche Experiment geglückt und zu meiner großen Überraschung ist "Recipe For Hate" bei Weitem nicht so schlecht gealtert, wie es vielen anderen Alben aus den neunziger Jahren passiert ist.Auch das Songwriting stellt eine Zäsur zwischen den früheren Klassikern und dem Spätwerk dar. Zum einen gaben sich Bad Religion experimentierfreudig wie nie, öffneten ihren Sound passend zur Hochzeit Seattles für Grunge-Elemente ("Struck A Nerve"), ließen fast schon progressive Strukturen erkennen ("All Good Soldiers") und wagten sich für "Man With A Mission" gar auf Folk und Country-Terrain. Zum anderen klangen selbst die eher klassischen Uptempobrecher wie "Skyscraper" oder der fantastische Titelsong zwar immer noch klar nach Bad Religion, präsentierten sich aber viel durchdachter, gereifter, vielleicht auch abgeklärter. Es war plötzlich nahezu unmöglich, dass einer dieser Tracks auf einem der Vorgängeralben hätte stehen können, allerhöchstens "My Poor Friend Me" erweckt den gefühlten Anschein, ein Überbleibsel der "Generator"-Sessions zu sein. So positioniert sich "Recipe For Hate" rückblickend als (experimentelles) Bindeglied zwischen dem schnellen, unbekümmerten Punkrock eines "Against The Grain" und den späteren, kontrollierteren Alben wie "Stranger Than Fiction" oder "The Gray Race" und ist dennoch viel mehr als das."
Dass ich zwar einerseits die "Hochzeit Seattles" und "Grunge" erwähnte, andererseits aber ausließ, die Beteiligung von Pearl Jams Eddie Vedder an "Recipe For Hate" herauszustellen, dessen Beitrag zur Strophe von "Watch It Die" nebst Backingvocals für den Hit "American Jesus" ja durchaus meine Alternative-These noch weiter hätte stützen können, erscheint einigermaßen balla-balla. Ich reiche das hiermit mit einer nur winzig kleinen Verzögerung von beinahe eineinhalb Dekaden nach.
Am Ende ist meine tief empfundene Liebe zu "Recipe For Hate" keine Überraschung mehr. Ich bin erstens ein Kind des Grunge und des Alternative Rocks und ich spüre zweitens seit über dreißig Jahren eine große Verbundenheit mit Bad Religion. "Recipe For Hate" verbindet diese beiden DNA-Stränge miteinander. Zudem sah ich die Band im Sommer 1993 erstmals live in der Hugenottenhalle in Neu-Isenburg, und auch wenn ich mir darüber im Klaren bin, dieses Erlebnis schon mehrfach auf meinen dreikommaviernull Quadratmetern verwertet zu haben, tu ich's schon wieder: es war eines der beeindruckendsten Konzerterlebnisse meines Lebens. Ich habe seitdem nie wieder so viele Menschen auf einem Haufen derart ausrasten sehen und es ist _WIRKLICH_ keine Übertreibung, wenn ich sage, dass es im gesamten Zuschauerraum kein einziges Fleckchen gab, auf dem keine Körperteile durch die Luft wirbelten.
Das im obigen Foto herumhängende T-Shirt stammt von jenem Montagabend, dem 5.Juli 1993. Es kostete 10 Mark. Und es wird mich für immer an diesen so besonderen Moment in meinem Leben erinnern.
Erschienen auf Epitaph, 1993.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen