03.09.2011

Ihr könntet mich hören...


...denn ich beschalle gerade Wiesbaden, wenn nicht gar Deutschland oder das gesamte zugeschissene Universum, mit einer tatsächlich sensationellen Punkscheibe der aus dem polnischen Antifa-Umfeld stammenden Band EL BANDA. Womit wir auch gleichzeitig die Sommerpause von 3,40qm beenden.

EL BANDA - PRESEJDZIE CI EL BANDA

Es ist nicht leicht, Informationen über das Quintett zu finden - was man findet ist meist in polnischer Sprache gehalten und der Google-Übersetzer - nun, er tut sich nicht wirklich leicht. Was indes herauszufinden war: El Banda sind aus den Trümmern der gar nicht mal so unberühmten Post Regiment auferstanden, wurden im Jahr 2003 in Warschau gegründet und haben mit Sängerin Matki Zajdel praktisch ein Urgestein des polnischen Punkrocks am Mikro.

Die hier präsentierte Scheibe "Prezejdzie Ci El Banda" wurde im Jahr 2007 veröffentlicht und ist eine taufrische, bretthart und kristallklar inszenierte Punkrockabfahrt. Absolut melodiös und durchaus eingängig, drückt die Truppe aber fast durchgängig das Gaspedal bis zum Anschlag durch. Und selbst wenn das Midtempo hier und da verzückt herüberwinkt, gleitet die Musik niemals in den seichten und angepassten Dreck ab, den einige heute tatsächlich als Punkrock bezeichnen. Dafür sorgt alleine Matki mit ihrem herrlich rauhen Organ und den hart und kantig klingenden polnischen Worten. Sie steht offenkundig im Fokus der Scheibe, aber wer die Ohren ein wenig weiter aufsperrt und ein wenig tiefer gräbt, wird erkennen, dass die ungemein treibende Schlagzeug- und Gitarrenarbeit der heimliche Star von "Prezejdzie Ci El Banda" ist. Hinzu kommt die allgegenwärtige Dunkelheit, die Melancholie, der Zorn, der Wahnsinn aus denen sich eine in weiten Teilen des Albums geradewegs luftabschnürende Intensität entwickelt.

Wie ich kürzlich direkt vom Pasazer Label erfuhr, liegt die Band gegenwärtig auf Eis, nachdem im letzten Jahr das bisher letzte und immer noch aktuelle Album "Skutki uboczne" (engl. "Side Effects") erschien. Auf diesem Werk zieht die Band schlussendlich alle Register und weitet den Punkrock-Begriff in Teilen bis hin zum Freejazz aus. "Ein Konzeptalbum über Liebe, Unterdrückung und Sexualität." schreibt Plastic Bomb. Ein Werk für die nächste Entdeckungsreise.

Anbei eines der stärksten Stücke von "Prezejdzie Ci El Banda" via Youtube. Glasvitrinen vorher eventuell in Sicherheit bringen.



Erschienen auf Pasazer Records, 2007

31.07.2011

Bitte nicken Sie....JETZT!


PAUL WHITE - MY GUITAR WHALES

Das Classic Rock-Sample zu Beginn des Titeltracks verstört zunächst, und der Bruch in einen psychedelischen, schamanischen Kirmesschunkler mit stoischem Beat und vermeintlich afrikanischen Stimmsamples ist nicht unbedingt leichter zu verdauen. Wer es schafft, "My Guitar Whales" öfter auf den Teller zu wuchten, wird jedoch nach ein bisschen Eingewöhnungszeit mit dem etwas kruden Gebimmel-Gebammel-Rabumm recht flott warm. Auf der Flip geht es mit "The Bright Future" etwas straighter weiter, auch wenn hier wieder der Anfang verwirrt: drei Sekunden Synthie-Pop münden in fünf Sekunden Flying Lotus-Verschachtelung, bis ein feines Pianosample die beiden Enden zusammenführt und es mit Kaffee, Kuchen und einem Ausritt auf Englands grüne Wiesen endet. Das dazu passende Album heißt übrigens "Paul White & The Purple Brain" und basiert ausschließlich auf gesampelter Musik des nahezu unbekannten schwedischen Psychedelic-Gurus ST Mikael. Klarer Fall: hier wird dem Tablettenmissbrauch Tür und Tor geöffnet.

Als Goodie könnt ihr euch HIER die neue Single aus dem am 21.8. erscheinenden Album "Rapping With Paul White" herunterladen. Mit dabei: Detroits Guilty Simpson.

30.07.2011

Omega


SOFA SURFERS - BLINDSIDE


Eine der rätselhaftesten Bands der letzten Jahre. Seitdem sich die Sofa Surfers mit ihrem selbstbetitelten Album im Jahr 2005 fast gänzlich vom Dub, Downbeat und Techno als ihr bisher bekanntes Terrain entfernten, kann ich sie weder musikalisch eindeutig verorten, noch kann ich mit Sicherheit sagen, ob ich Ihnen zu- oder abgeneigt bin. Und während ich diese letzten Wörter schrieb, schoss plötzlich ein Gedanke in den Kopf, den ich - ganz ehrlich! - bis dato noch nicht mal als weit entfernte Option auf dem Schirm hatte: ich könne die Musik der Österreicher ja auch ganz unaufgeregt mit einem Schulterzucken und einem "Is' ja ganz nett." abkanzeln. Und wenn alles geht, so geht das eben nicht.

Dafür beschäftigt mich die Band viel zu sehr, und diese Auseinandersetzung geht durchaus über die Frage nach Sympathie oder Antipathie hinaus. Ich bin außerdem auch nach einem (fantastischen) Livekonzert und dem letztjährig erschienenen "Blindside"-Album nicht wirklich weiter gekommen. Indes, "Blindside" ist deutlich gereifter als das auch "Das rote Album" genannte "Sofa Surfers"-Werk. Ich hatte schon vor sechs Jahren den Eindruck, dass die Band an mancher Stelle orientierungslos, fast ängstlich wirkt. Andererseits, wer will es Ihnen verdenken? In den Sound der Sofa Surfers hielten plötzlich ein echtes Schlagzeug und eine echte elektrische Gitarre Einzug, zudem kam mit Sänger Mani Obeya ein Mann in die Band, der mit einer umwerfenden, souligen und dunklen Stimme meine durchaus als "fixiert" zu bezeichnende sexuelle Orientierung nochmal in Frage stellen könnte. Das neue Klangbild hatte mit der Abstraktheit und Distanz der früheren Arbeiten nichts mehr zu tun, das Gegenteil war der Fall. Es hatte etwas von einer intimen Proberaumsession, an der man als Zuhörer teilnahm. Das deutliche Bekenntnis zur Rockmusik nicht zu vergessen. Und dann schaute hier und da auch mal der Trip Hop um die Ecke - ein Genre, das die neunziger Jahre ja niemals hätte überleben dürfen, wenn man mich fragt aber das ist wieder eine andere Diskussion. Und außerdem fragt mich auch nie jemand.

Auf "Blindside" macht vieles mehr Sinn als auf dem Vorgänger, die Songs sind spannender und mit größerer Raffinesse arrangiert. Sie haben mehr Luft zum Atmen, und vor allem Obeya scheint sich wohler in seiner Haut zu fühlen. Wo er auf "Sofa Surfers" mit dem Anspruch und der Vision einiger Songs noch überfordert schien, hat die Band offenbar genauer darauf geachtet, seine oftmals melancholische, gar manchmal an der Grenze zur Apokalypse entlangtänzelnden Stimme, angemessen in die Pinselstriche der Musiker zu vermischen und -wischen. Das Ergebnis ist paradoxerweise kristallklar, und ich glaube, wenn ich ein Problem mit der Musik des Quintetts habe, dann ist es am Ende des Tages tatsächlich die architektonische Reinheit, die auch vom Brodeln der Trip Hop-Elemente nicht besudelt werden kann.

Das hat zweifellos seine Momente - tatsächlich hörte und höre ich "Blindside" regelmäßiger als so manch andere Scheibe in der Sammlung, der ich ein eindeutigeres und in der Folge positiveres Urteil ausstelle - und es ist vor allem die ruhigere und nokturnere B-Seite, die ich angesichts so toller Songs wie "Sinus" oder "100 Days" gar als ausnahmslos gelungen bewerten würde. Und doch ist da dieser auf- und abspringende Gedanke, der mir beim Hören unentwegt "Die sind noch nicht fertig, die sind noch nicht angekommen, das wird alles noch besser, schöner und größer!" in die Synapsen triggert.

Ich bin sehr gespannt, wie das mit den Herren weitergeht. Und solange das so ist, kann ich die initiale Frage nach der Zu- und/oder Abneigung ja ganz klar positiv beantworten.

Erschienen auf Monoscope, 2010.

23.07.2011

Neunziger (5)

WORLD-FUCKIN'-CLASS!!!!!!!!!!!!!

FFS! AAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHH


22.07.2011

Nur für den Fall....

...dass ihr denkt, der Musikexpress sei das furchtbarste Schreckgespenst in der Springer-Geisterbahn im Themenkomplex "Musik" und "Journalismus", und dass es viel schlimmer nicht mehr ginge:

Doch, geht.

16.07.2011

It's a Love/Love Relationship





SACRED REICH - THE AMERICAN WAY


Eine komplett aussichtslose Situation. Der damals noch 13-jährige Florian belatschert seine Erzeuger über einen Zeitraum von gut sechs Wochen täglich, ihn doch bittebittebitte alleine zu diesem einen Konzert gehen zu lassen. Der eigentlich zur Begleitung abkommandierte Bruder ist zu diesem Termin abkömmlich, aber es muss sein: ich muss da hin!

"Es ist doch ausgerechnet an meinem Geburtstag. Da bin ich ja dann schon 14."

Ich weiß es noch wie heute: meine Eltern nahmen mich damals zum allmonatlichen Kegelabend mit und auf dem Heimweg hörte ich dann die so lange ersehnten Worte.

"Also gut. Aber der Papa fährt Dich hin und holt Dich auch wieder ab. Und um 23 Uhr ist Schluss."

Ich habe die folgende Nacht vor Freude nicht geschlafen.

Das Line-Up dieses Abends liest sich wie der feuchte Traum eines jeden Thrash Metal Fans: die Bay Area-Legende Heathen, die ihr gerade geborenes Album "Victims Of Deception" promoten wollen, gehen als erste Band des Abends auf die Bretter, die Brasilianer von Sepultura holzen mit ihrer letzten guten Scheibe "Arise" im Gepäck als Headliner alles um, und in der Mitte wollen Sacred Reich ihr "The American Way"-Album vorstellen, das ein Jahr zuvor in Europa veröffentlicht wurde, und das ich zu jenem Zeitpunkt schon in- und auswendig kannte.

Sacred Reich stammen aus dem US-Bundesstaat Arizona und veröffentlichten bis zur ersten Bandauflösung im Jahr 2000 insgesamt vier Studioalben. Drei EPs und ein Livealbum vervollständigen die Diskografie. Das zweite Studioalbum "The American Way" erschien 1990 und gilt heute, wie auch das Debut "Ignorance", als Klassiker des Thrash Metals.

Das ist einerseits verwunderlich, denn "The American Way" hat mit den High Speed-Thrashern, die auf "Ignorance" und der großartigen "Surf Nicaragua"-EP zu finden waren, nicht mehr viel zu tun. Bis auf einige rare Geschwindigkeitsausbrüche regiert das Mid-Tempo und ein geradewegs höllischer Groove, der insbesondere vom eigentlich recht simplen, aber ungeheuer originellen Riffing entwickelt wird. Für jene Zeit ist das schon durchaus ungewöhnlich, und auch wenn die Thrash Metal Fans zu jener Zeit mit einigen Soundkorrekturen ihrer Lieblingsbands leben mussten (= zu kämpfen hatten), kratzten sich 1990 nicht wenige am Kopf und fragten sich, ob das eigentlich noch der pure, reine Thrash Metal sei. Darf man das eigentlich noch gut finden? Und damit kommen wir zum Andererseits: Ja, das musste man sogar gut finden. Eigentlich bleibt einem bei Riff-Granaten wie dem zunächst etwas sperrigen Opener "Love...Hate", dem fantastischen Titelsong, dem Groove-Monster "The Way It Is", dem endzeitlichen "Crimes Against Humanity", oder der Hymne "Who's To Blame?" gar nichts anderes übrig: das ist alles (!) viel zu gut. Sacred Reich loten hier keine Extreme aus - bis auf extrem gutes Songwriting: das Quartett hat mit "The American Way" ein beeindruckend kompaktes Album geschrieben und an das Ende sogar ein experimentelles Funkrock-Intermezzo namens "31 Flavors" gesetzt, das mit Bläsern und einem Bootsy Collins Gedächtnis-Basslauf überrascht und textlich den Spirit der Band auf den Punkt bringt:

I love the Chilis
freaky, uplift, mother's milk
Faith No More
Mike Patton's voice is smooth as silk
Metallica's
music makes me want to rage
Sting's lyrics
have something to say
Jimi Hendrix
plays guitar like a no one else
Black Sabbath
Ozzy's voice is sick as hell
Prince, Fishbone, NWA
these are the things that I like to play
Mr. Bungle
is so very cool
so don't be
an ignorant fool
there's so much music
for you to choose
so don't just be
a metal dude
it's cool fool






Vermutlich wäre ein solches Stück mit einem solchen Text angesichts der damaligen sehr sturen und engstirnigen Szene für jede andere Band das kommerzielle Todesurteil gewesen, aber Sacred Reich waren auch aufgrund der im Mittelpunkt stehenden, sozialkritischen und politischen Texte viel zu glaubwürdig, um hier einen billigen Marketing-Trick zu unterstellen. "Who's To Blame?" griff die Anschuldigungen gegen Judas Priest und Ozzy Osbourne auf, sie seien für den Selbstmord von Jugendlichen direkt verantwortlich. "Crimes Against Humanity" richtet sich gegen die Umweltverschmutzung, "The American Way" beschreibt den Zerfall der US-amerikanischen Gesellschaft mit der Zeile "No truth, no justice...The American Way.", mit der darüber hinaus seither die Konzerte der Band eröffnet werden.
Apropos "Konzerte", Teil 1: die Buben sind seit 2007 wieder mehr oder minder regelmäßig live unterwegs - sogar in der Alten Welt. Zur Festivalsaison gibt es eigentlich jedes Jahr die Möglichkeit, die quietschfidele Truppe auf einer Clubbühne zu sehen. Was ich hiermit ausdrücklich empfehlen möchte.

Apropos "Konzerte", Teil 2: Der Abend im Juni 1991 war selbstverständlich denkwürdig. Ich werde niemals vergessen, wie mein Vater, stilecht im burgundfarbenen Pullunder und mit brauner Wildlederjacke und Schnauzbart bewaffnet, die Tür zur Halle im Frankfurter Volksbildungsheim just in dem Moment öffnete, als Andreas Kisser zu einem Gitarrensolo ansetzte, und Papa sich also in Nullkommanix mitten im Pulk bekiffter und besoffener Thrash-Assos befand und mit besorgter Miene Ausschau nach seinem Sohn hielt. Der, ebenfalls selbstverständlich, mit einem sauberen Tinnitus auf den Heimweg geschickt wurde und der "The American Way" seitdem nicht mehr von der Seite weicht.

Erschienen auf Roadrunner, 1990.

08.07.2011

Lee Morgan - Charisma


LEE MORGAN - CHARISMA

Das Entdecken von alten Lee Morgan Alben aus den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts (wie das klingt, ey...) ist immer eine Investition von Zeit und Geld wert. Denn auch wenn der Trompeter zu jener Zeit eine Blue Note-Session nach der anderen aufnahm, und der geneigte Beobachter alleine ob der Menge des Outputs hinsichtlich der Qualität leicht skeptisch die Stirn zunzeln könnte, ist wenigstens mir persönlich keine einzige auch nur mittelmäßige Aufnahme von ihm bekannt. Was alle Sessions miteinander verbindet: der Soul. Der Blues. Der Funk. Und die Tatsache, dass sich hier immer die Krönung der damaligen Jazzmusiker versammelte. Auf "Charisma" tummeln sich Hank Mobley (ts), Jackie McLean (as), Billy Higgins (dr), Paul Chambers (bs) und Cedar Walton am Piano.


Nach seinem drogenbedingten Absturz zu Beginn der 1960er, der Abreise aus New York und einer eingelegten Zwangspause in seiner Heimatstadt Philadelphia, kehrte Morgan 1963 wieder zum Big Apple zurück, unterschrieb einen Vertrag bei Blue Note und legte mit der Veröffentlichung von "The Sidewinder" praktisch aus dem Stand einen künftigen Klassiker vor. Auch wenn Morgans Karriere selbstverständlich schon viel früher, mit regelmäßigen Aufnahmesessions als Leader ab 1956, sowie als Sidekick von Art Blakey and The Jazz Messengers, Hank Mobley oder Jimmy Smith, begann, schlug erst der funkige, mit sattem Boogaloo-Rythmus ausgestattete Titeltrack von "The Sidewinder" so richtig ein. Morgan versuchte in den kommenden Jahren mit zum Teil durchaus ähnlichen Themen und Ansätzen ("The Rumproller") an diesen Erfolg anzuknüpfen, was ihm aber nicht mehr gelang. Trotzdem blieb er bis zu seinem Tod 1972 (er wurde von einer seiner Freundinnen in New York auf offener Straße erschossen) einer der großen Jazzkomponisten. "Charisma" wurde 1966 in den Rudy Van Gelder Studios aufgenommen, von Blue Note aber erst drei Jahre später veröffentlicht.

Was für mich auf dieser Platte im Vordergrund steht, ist der unbändige und hörbare Spaß der Musiker. "Charisma" ist über die gesamte Distanz so locker und flockig, so cool swingend, dass mein kleines Köpfchen unentwegt am Mitwippen ist. Der funkige Einstieg mit "Hey Chico" lässt schon die Glückshormone sprießen, während vor allem das nachfolgende "Something Cute" mein Favorit ist. Hier kann sich vor allem Jackie McLean, nicht erst seit gestern einer meiner ganz persönlichen Jazzhelden, mit einem tollen Solo richtig austoben. "Rainy Night", komponiert von Pianist Cedar Walton hingegen ist eine soulige, nokturne Ballade mit melancholischem Sommerurlaubsfeeling. Duke Pearsons "Sweet Honey Bee" swingt sich als Einstieg in die B-Seite zu einem ausgelassenen Turm von Lebensfreude auf. Fantastisch ist auch ganz grundlegend das Spiel von Cedar Walton, der im Hintergrund einen fluffigen Swing-Teppich knüpft und mit exakt perfektem Timing aus der Deckung herausbricht und die Erde plötzlich um die Sonne kreisen lässt. Am Ende des Tages ist er der Star dieser Session - trotz des beteiligten "Who's Who".

Außerdem ist unbedingt das tolle Coverartwork erwähnenswert, von dem ich hier einfach die Vorder- und Rückseite präsentieren muss. "Charisma" erschien als Gatefold-Cover und so ist es auch heute noch als Counterfeit zu haben. Für durchaus schmales Geld, wie ich hinzufügen möchte.

Erschienen auf Blue Note, 1969.

Lovers Melt II

Flying Lotus hat einen extrem fluffigen, von Soul, Funk und Jazz durchsetzten Sommer Mix 2011 auf der Homepage seines Labels zum kostenlosen Download angeboten.

Wenn man nicht gerade mit Rotznase, Schädelspaltung extraordinaire und Bollerhusten langsam mit der Couch zusammenwächst, sondern stattdessen lieber auf den Straßen seiner Lieblingsstadt lässig mit einem Cuba Libre oder einer schönen Erektion herumlungert und den lieben "Religionserfinder" (Malmsheimer) einen guten Mann sein lässt, dann ist das Dein Soundtrack.

Schnell zugreifen, der Scheißwinter kommt schnell genug.

Der Link zum Mix

Alternativer Link zum Mix

30.06.2011

"...und ein Paket Kies!"

Seit meiner letzten, geradewegs hündischen und eklatant ranschmeißerischen Lobhudelei auf den ehemaligen Redakteur der Titanic Stefan Gärtner ("Der Ethik Schniedel") vor drei Jahren, hat sich einiges getan: zwar ist Gärtner kein Redaktionsmitglied mehr, schreibt aber bereits seit geraumer Zeit - und geschnitten Brot sei Dank: regelmäßig - den politischen Essay im endgültigen Satiremagazin. Und hatte ich früher das Ritual, nach Eintreffen der neuen Ausgabe im Postbriefzustellempfängniskasten, zunächst die Rubriken "Briefe an die Leser" und "Vom Fachmann für Kenner" als topgesetzte Priorität zu verschlingen, haben sich Gärtners monatliche Beobachtungen des Wahnsinns in der Zwischenzeit auf die Pole-Position geschoben, und ich bin trotz des eigenen (vermuteten) wachen Blicks immer wieder erstaunt, was so mancher "verwahrloste Akademiker" (Rether) in die Zeitung schreiben darf, ohne von der Bundeswehr oder sagenwirmal: den Flippers einen schönen selbstgegrabenen, angemessen tiefen Brunnen nebst Betonschuhen gebaut/gegossen zu bekommen. Gärtner zeigt mir das so gekonnt auf, dass ich zwar immer noch kurz vor einem Halsschalgaderriss stehe, aber relativ leicht die zwei Meter Sicherheitsabstand einhalten kann, die mir einen kaum gemäßigteren, dafür aber auf jeden Fall humorvolleren Blick auf diese Brut verleihen. Kurz: irgendwann werde ich mir mit seinen gesammelten Werken die Bude tapezieren.

In der aktuellen Ausgabe hat sich Gärtner mit den "Spiegel Online"-Spektakel auseinandergesetzt - und ich stehe erneut laut applaudierend auf meinem Stapel alter ausgelesener St.Pauli Nachrichten. --> Hier geht's lang!

Stefan Gärtner schreibt außerdem als Kolumnist für das Onlinemagazin "The European".

29.06.2011

Fast richtige Wikipedia-Artikel (1)

Ja, Panik waren 2009 für den Anus Award, den größten österreichischen Musikpreis in der Kategorie Alternative/Rock nominiert.


27.06.2011

Tribe After Tribe - White Boys In The Jungle - II

Jaja, zuviel Text, viel zu lang, liest kein Schwein.

My ass!!



Tribe After Tribe (1991)

Das selbstbetitelte Album ist auch zwanzig Jahre später noch eines der beeindruckendsten Debuts aller Zeiten. Irgendwo zwischen Led Zeppelin, U2 und Pink Flyod, den zarten Anfängen
des Alternativerocks ("Als ich zum ersten Mal Janes Addiction live sah, musste ich fast weinen." - Robb) hat das Trio ihre afrikanische Tribalmusik eingebaut. Das Ergebnis ist ein siedender, groovender, völlig klischeefreier Rock-Cocktail, geschmückt mit poetischen und spirituellen Texten, afrikanischen Chören und Schreien, extatischen Jamsessions und revolutionärer Aura. Praktisch jeder Song ist ein Volltreffer: ob wir vom ruhigen und ungewöhnlichen Einstieg "Remember" oder vom folgenden, tödlich groovenden "Build A Subway" sprechen, ob vom 10-Punkte-Hammer "The Mode" oder vom Underground-Hit "White Boys In The Jungle", vom anrührenden "Out Of Control" oder der originellen Gänsehaut-Ballade "Just For A While"
- "Tribe After Tribe" bleibt sensationell gut.




Love Under Will (1993)

Zwei Jahre nach dem Debut erscheint mit "Love Under Will" der Nachfolger - ein überlanges Opus, das auf Vinyl als Doppel-LP erscheint. Die Band klingt einerseits dunkler, zum Teil sogar härter, andererseits grundlegend etwas anschmiegsamer. Aus meiner Sicht alles eine direkte Folge des deutlich gestiegenen Psychedelic-Levels. Tribe After Tribe wurden eine Spur komplexer und verschachtelter. Der auf dem Debut noch hier und da aufblitzende straighte Riffrock ist zugunsten einer brütendenden, betörenden Atmosphäre zurückgewichen. Als ich die Scheibe kürzlich nochmal hörte, war ich überrascht wie unfassbar gut "Love Under Will" auch heute noch klingt. Die Produktion von Jim Scott ist reichhaltig und drückend, ohne dabei den Songs die Luft ab zu schnüren. Die Tribal-Jams wurden ausgebaut und nochmals verfeinert (der neue Drummer: der unglaubliche Chris Frazier), woraus sich noch zwingendere und detailreichere Grooves entwickelten, die umgehend in die Beine gehen. Wer zum Fick kann hier noch stillstehen?

In der Folge ging die Band mit Pearl Jam auf US-Tournee. Und was vielversprechend begann, endete in einem Fiasko. Ich hatte vor fünf Jahren (meine Fresse, schon wieder fünf Jahre rum!) das große Glück und die Ehre, mit Robbi Robb ein Interview zu führen, in dem er folgendes zu Protokoll gab: "Jedesmal, wenn wir in der Vergangenheit einen Vetrag unterschrieben haben, bekamen wir die allerbesten Reaktionen unserer Plattenfirma. Sie taten wirklich alles für uns. Dann schickten sie uns auf Tour und zack, sie gingen Pleite. Unser Video geht auf Nummer eins der Top 75-Charts in Amerika, es steht sogar über Bowie und Madonna. Wir sind die Nummer eins für volle drei Wochen! Aber wir haben keine Plattenfirma. Pearl Jam beknieten uns "Lasst uns zusammen auf Tour gehen, lasst uns zusammen auf Tour gehen!!!", und unsere Plattenfirma geht Pleite. In Europa spielten sie unsere Single "Ice Below". Überall. Aber wir hatten kein Label. Sowas passierte jedesmal, fünf mal bis jetzt. Das ist verrückt, oder?"

Es dauerte vier Jahre, bis das nächste Tribe After Tribe-Album erscheinen sollte - und im Grunde war da schon die Messe gelesen. In Europa hatte man die Band bis auf eine Handvoll Clubshows nicht sehen können, in den Staaten versackte zuerst die Plattenfirma und dann Robb nebst Gefolge. In den vier Jahren, in denen Tribe After Tribe auf Eis lagen, nahm Robb mit dem Pearl Jam-Bassisten Jeff Ament das Debut des Three Fish-Projekts auf. Auf dem Album sollte auch der spätere Tribe-Drummer Richard Stuverud erstmals im Robbi Robb-Kosmos zu hören sein. Der, das möchte ich unbedingt hinzufügen, seinen Vorgängern in Nichts nachsteht. Der Typ ist ein Monster, einer der allerallerbesten Schlagzeuger, die ich jemals sah. Und hörte.



Pearls Before Swine (1997)

Praktisch aus dem Nichts erschien das vierte Album "Pearls Before Swine" auf Bullet Proof/Intercord im Frühjahr 1997. Neben Robb und dem erwähnten Richard Stuverud zählten Doug Pinnick von King's X, Joey Vera von Armored Saint und Jeff Ament als Bassisten zum neuen Lineup, nachdem Robbis jahrelanger Sidekick Robby Whitelaw aufgrund seiner Arbeit auf dem Bau und der damit verbundenen angeschlagenen Motorik seiner Finger und Hände aufgeben musste. Auch "Pearls Before Swine" ist ausufernd und ähnlich ambitioniert wie sein Vorgänger, wirkt aber im Ganzen etwas aufgeräumter. Für mich sind Tribe After Tribe hier bei ihrem Sound angekommen: "Pearls Before Swine" bündelt alle Qualitäten der Band zu einem spacigen, trippigen, psychedelischen, extatischen Groovemonstrum, das zwischen berauschenden Brechern wie "Fire Dancers" und "Boy" (Was für ein Riff! Was für ein Beat!) und besinnlichen, tiefen Folk-Balladen wie "Ballad Of Winnie" umhertanzt. Wenn man mir die Pistole auf die Brust setzt und mich nach meinem liebsten Tribe After Tribe-Album fragt - ich würde wohl letzten Endes "Pearls Before Swine" antworten. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich die Band bei der folgenden (ersten offiziellen) Europatournee 1997 in Frankfurt erleben konnte und somit eine nähere Verbindung gerade zu diesem Album aufbaute. Auch so ein Abend, der mir auf immer unvergesslich sein wird. Aber das nur am Rande. Hallo Christoph!


Enchanted Entrance (2002)

1999 erschien das zweite und bis heute letzte Three Fish-Album "The Quiet Table" und dann folgte der nächste Schicksalsschlag: Robb verletzte sich bei einem Surfunfall so schwer an der Hand, dass über fast 2 Jahre nicht an Gitarrespielen zu denken war. Die nach dieser Zwangspause veröffentlichte fünfte Tribe-Scheibe "Enchanted Entrance" war dann der nach dem kommerziellen auch der künstlerische Bruch. Zum einen waren fünf Jahre Pause selbst dem loyalsten Europäer mittlerweile zuviel, zum anderen machte sich alleine am Sound des Albums bemerkbar, dass die Band mittlerweile kleine Brötchen backen musste - viel kleinere Brötchen. "Enchanted Entrance" klang, mit neuer elektronischer Schlagseite, seltsam dumpf, fremd und unfertig. Im Vergleich mit den druckvollen und glasklaren Produktionen aus den Neunzigern, zog die Platte eindeutig den Kürzeren. Was sich auch bei den Songs fortsetzte: die Kompaktheit war dahin, viele Songs wirkten wie Skizzen. Und auch, wenn es eine Handvoll guter Tracks zu hören gab, blieb man mit einer kleinen Enttäuschung hinter den Erwartungen zurück.


M.O.A.B. - Stories From Deuteronomy (2008)

Es vergingen erneut sechs Jahre, bis "M.O.A.B. - Stories From Deuteronomy" das Licht der Welt erblickte. Ein überaus ambitioniertes Konzeptalbum über "die fatale Absurdität überkommener Glaubenssysteme, die von nur allzu menschlichen Missgriffen geprägt sind, und nun, nach 2000 Jahren, unsere Welt zu vernichten drohen" (Bandinfo). Auch hier bekam man das Soundproblem nicht in den Griff: "M.O.A.B." klang noch dumpfer und mumpfiger als der Vorgänger. Und auch wenn man hörbar versuchte, sich auf die früheren Stärken zu fokussieren und zu den leicht metallisch angehauchten Riffs zurückkehrte, blieben viele Versprechen uneingelöst. Der bis heute letzte Versuch der Band, doch nochmal Fuß zu fassen, ersoff geradewegs im Klischee. Wenn man alles von der Band kannte - das war neu. Als ich beispielsweise meinen Bandkollegen vorschwärmte, wie toll die Band sei und freudestrahlend auf der Rückfahrt vom Proberaum zum ersten Mal das Album im Auto auflegte, erntete ich nur fragende Blicke. Die Magie, die tiefe Verbundenheit mit der Welt, den Menschen, dem Universum waren wie weggeblasen. Und was bis dato undenkbar schien, wurde Wirklichkeit: "M.O.A.B." fand sich nur wenige Tage (und drei Hörversuche später) auf Ebay wieder.

Live ist die Band an einem guten Tag nachwievor schwer zu schlagen, hier entfacht sie die Magie und das Feuer, hier bittet Zeremonienmeister Robbi Robb zum legalen Durchdrehen auf Rezept, hier flutet die Energie der Band das komplette Nervensystem. Aber ob ich wirklich nochmal ein Studioalbum von ihnen benötige, wage ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt zu bezweifeln. Andererseits: Robb und Gefolge sind Stehaufmännchen - warum sollten sie denn nicht nochmal die (letzte?) Kurve kriegen? Ich behalte sie weiterhin mit einem Auge im Blick, denn ich würde trotz einiger Enttäuschungen immer noch ziemlich viel für ein weiteres Erweckungserlebnis geben.

Die Hoffnung stirbt, wenn der Eistee ausgegangen ist.

Eistee für alle.

26.06.2011

Tribe After Tribe - White Boys In The Jungle - I


Lange geplant, nun endlich sowas ähnliches wie Realität: ein Blogeintrag über Robbi Robb und seine Formation Tribe After Tribe. Hurra!

Ich vermute, was mich bisher abschreckte, das Thema in der gebotenen Ausführlichkeit zu behandeln, war der Umfang der Lebensgeschichte Robbs. Einerseits will ich nur ungern mit seitenlangen Ausführungen langweilen, andererseits verlangt eine Auseinandersetzung mit einem solchen Mann und seiner Musik eben Zeit und außerdem ein paar Textzeilen mehr. Aber es hilft ja nix, packen wir's an.

Robbi Robb wächst im ehemaligen südafrikanischen Apartheidstaat unter ausgesprochen schwierigen Bedingungen auf. Sein Vater verlässt die Familie, als Robb gerade mal vier Jahre alt ist. Nach einer Odyssee durch Internate und Kinderheime lebt er für zwei Jahre bei seinem Vater im Rassisten-Bezirk Orange Free State. Mit zunehmender Verwahrlosung kümmert sich fortan wieder seine Mutter um ihn und unterrichtet ihn in Mythologie, Literatur und Kunst. Sie war es auch, die ihm später zum ersten Mal Led Zeppelin und Janis Joplin vorspielen sollte.

Robb reißt mit 14 Jahren zum ersten Mal von zu Hause aus und versucht die Grenze zu Mosambik zu überqueren - wo er in den Bergen von einem Stammeshäuptling aufgegriffen wird, bevor er als Mittagessen für die zahlreichen Raubtiere endet. Anschließend wandert er dann auch erstmals ins Gefängnis. Mit 17 Jahren will Robb die Straße kennenlernen und landet auf seinen Reisen bei einer Hippie-Kommune. In späteren Interviews erwähnt Robb immer wieder Neil Agget, einen Gewerkschafts- und Arbeiterführer, der ihm in Politik unterrichtete, ihm die südafrikanischen Verhältnisse erläuterte und dessen Erfahrung und Spiritualität großen Einfluss auf Robbs Leben haben sollten. Robbs spätere Karriere als Agitator fand zu jenen Zeiten ihren Anfang:"Das war der Grund, warum ich auf der Bühne und in den Songtexten die Wahrheit hinausgetragen habe." Und weiter:"Agget war der erste Weiße, den die Polizei im Gefängnis ermordete."

In Soweto, einer für Weiße eigentlich verbotenen Zone, spielt er in einer schwarzen Jazzband und entwickelt damit ein Gespür für das Elend der schwarzen Bevölkerung. Robbs erste eigene Band nennt sich Asylum Kids, eine Punkformation, auf deren Konto eine der ersten Indieveröffentlichung Südafrikas überhaupt geht. Robb:"Eine sehr, sehr, sehr gute Band. Ich war ziemlich abgefuckt zu jener Zeit und ich erkannte damals nicht, wie gut diese Band wirklich war. Bis ich eines Tages, zehn Jahre nachdem sich die Asylum Kids aufgelöst hatten, ein Video von uns sah. Und eines konnte ich an dieser Musik nicht begreifen: die Komplexität der Arrangements. Ich meine, wir waren eine Punkband, aber wir hatten soviele Songparts. Das ist normalerweie etwas, was mir bei Led Zeppelin einfällt..."Wow, soviele Parts!"...ich weiß nicht, wie wir das damals machten." "Schoolboy" heißt die Debutsingle, die im Radio verboten wird. Aber da ist es schon zu spät: "Schoolboy" hat sich da schon lange zum Protestsong der Unterdrückten entwickelt. Ein Konzert der Band vor 35.000 Leuten (!) wird von der Polizei nebst einer schönen Hundestaffel (!!) gestürmt. Robb versteckt sich zunächst im Drumriser, wechselt später bei einem Freund die Klamotten und kann entkommen.

In Swasiland hören Robb und sein Asylum Kids-Gefährte Robbie Whitelaw nachts die zeremoniellen Trommelrythmen aus dem Dschungel. Die beiden nehmen Kontakt mit den Eingeborenen auf und gründen wenig später Tribe After Tribe.

Die EMI nimmt die Band trotz (oder gerade wegen) ihres Protest-Images unter Vertrag und veröffentlichen im Jahr 1985 das Album "Power", das zum damaligen Zeitpunkt noch von britischen Wavesounds inspiriert ist. In Südafrika avanciert das Album zu einem nationalen Hit. Es folgen Benezifshows für Minenarbeiter, Kriegdienstverweigerer und Polizeiopfer - was den Behörden logischerweise so gar nicht gefällt. Tribe After Tribe sehen sich zunehmend einer organisierten politischen Verfolgung ausgesetzt. Radiostationen werden auf der Suche nach Beweismitteln durchsucht, die Band wird im Wald von der Geheimpolizei zusammengeschlagen ("als letzte Warnung" - Robb), ihr Schlagzeuger wird festgenommen und erhängt sich angeblich in seiner Zelle, ein Freund der Band wird von der Polizei erschossen. Robb sagte später, die übrigen Mitglieder hatten die Sorge, dass sie die nächsten Gefangenen oder gar die nächsten Toten sein könnten, zumal ein Gesetz erlassen wurde, das subversive Künstler ins Gefängnis bringen konnte:"Den Namen Mandela öffentlich auszusprechen war verboten. Ich habe mich vor 10.000 Leuten auf die Bühne gestellt und vom "großen Löwen" gesprochen - jeder wusste, wer gemeint war. Ein anderes Mal habe ich vor 120.000 Menschen den traurigsten Song überhaupt angekündigt - und die südafrikanische Nationalhymne gespielt. Man legte mir dann nahe, schleunigst zu verschwinden."

1986 wird die Band mit Hilfe der EMI und Menschenrechtsorganisationen ausgeflogen und beantragt in Los Angeles politisches Asyl.

Und hier beginnt sozusagen die "offizielle" Karriere Tribe After Tribes. Megaforce-Labelgründer Jonny Zazula nimmt die Band unter Vertrag und veröffentlicht 1991 das erste internationale Album der Band.

Das und noch mehr - im zweiten Teil.

19.06.2011

The King Will Rise Again




BRUCE DICKINSON - THE CHEMICAL WEDDING



Es ist mal wieder soweit: mich hat der Dickinson-Rappel erwischt. Zwei bis drei Mal pro Jahr habe ich das dringende Bedürfnis, die Soloscheiben des Iron Maiden-Frontmanns zu hören, am liebsten über mehrere Tage oder besser: Wochen, meistens ausgelöst durch das zunächst mal zwanglose Hören eines Songs von "Balls To Picasso" oder "The Chemical Wedding" via der vermaledeiten Shuffle-Funktion eines portablen Abspielgeräts - und es bleibt selten bei nur einem Stück. Die erwähnten Alben von 1994, beziehungsweise 1998 zählen für mich heute zu den Sternstunden des Dickinson'schen Schaffens: das eine, "Balls To Picasso", weil es nach dem Absprung vom bereits im Sinken befindlichen Maiden-Kutters tatsächlich den so oft zitierten Befreiungsschlag markierte und dessen Songs so viel luftiger und vielschichtiger waren als alles, was Dickinson bis dato trieb. Das andere, "The Chemical Wedding", weil es einerseits so tonnenschwer und düster, andererseits so fokussiert, so ungemein ernsthaft und fast schon intellektuell wirkte. Und vor allem letzteres gab es, bei allem Respekt, von einem Mann, der einen Text wie "Bring Your Daughter To The Slaughter" erdachte, nicht all zu häufig.

Außerdem könnte man "The Chemical Wedding" in Bezug auf die Texte und des zugrundliegenden Konzepts als letztes wirklich relevantes, weil aussagekräftiges, durchdachtes und ambitioniertes Lebenszeichens Dickinsons werten, der sich nach der Wiedervereinigung mit Iron Maiden von Bandleader Steve Harris musikalisch wie textlich lediglich durch die Manege schleifen lässt. Darüber hinaus veröffentlichte er nur noch ein weiteres Soloalbum ("Tyranny Of Souls", 2005), das allerdings im direkten Vergleich mit seinen Vorgängern das wohl schwächste des Sängers ist: nicht nur, dass hier keine echte Band mehr, sondern eingekaufte Sessionmusiker am Werkeln waren (wofür man das grandiose Roy Z - Adrian Smith - Eddie Casillas - Dave Ingraham - Gespann der beiden Vorgängeralben aufgab - und was für ein fundamentaler Verlust alleine Casillas am Bass war, Verflucht noch eins!), so wurden die einzelnen Instrumente teils mit einem großen zeitlichen Abstand voneinander eingespielt, während Dickinson seine (erneut nicht sonderlich tiefgründigen) Texte während seiner Tourneen mit Maiden zusammenstückelte. Man hört dem Album deutlich dieses Flickwerk und seine Oberflächlichkeit an - in jeder Beziehung, wie ich schnell hinzufügen möchte.

"The Chemical Wedding" ist nichts von alledem. Vom ersten Moment des extrem tiefergelegten Openers "King In Crimson" (mit über die Gitarren gespannten Bass-Saiten) mit seinen vorantreibenden Wahnsinnsriffs, über den ätherisch vor sich hin groovenden Titelsong mit seiner Über-Hookline, das klassische "The Tower" mit den fantastischen Twin-Guitars oder die beiden modernen und brettharten Adrian Smith-Kompositionen "Killing Floor" und "Machine Men", bis zum abschließenden, alles plattwalzenden Opus "The Alchemist" mit dem vielleicht besten Metalriff der letzten 15 Jahre ist das Album beeindruckend stimmig, perfekt ausgearbeitet, überaus modern und verzichtet des Weiteren als vielleicht größte Stärke auf die sonst allgegenwärtigen Klischees des Heavy Metals. "The Chemical Wedding" ist zu ernsthaft und zu detailliert, als in breitbeinigen Posen und stumpfem Headbanging zu enden. Und wo das gesagt ist: es taugt nicht zuletzt deshalb nicht zu einem Vergleich mit Dickinsons Brötchengeber. Ich empfand es immer als irritierend, dass Dickinsons Rückkehr zum Metal mit dem Vorgänger "Accident Of Birth" an jeder Ecke mit Maiden verglichen wurde. Für mich war das schon immer ein unangemessener Vergleich: In Sachen Sounds, Arrangements, Melodik und Dramatik waren Maiden und die damalige Bruce Dickinson-Band nicht mal auf verschiedenen Seiten im selben Buch - sie waren in anderen Büchern. Ich möchte den Umstand zunächst gar nicht mal unbedingt qualitativ bewerten, aber Dickinsons Solowerke klangen in meinen Ohren immer deutlich anders, moderner, straffer, frischer und schmissiger. Puh, jetzt hab' ich es doch gewertet. Mal abgesehen davon, dass Maiden mit ihrer heutigen musikalischen Fast-Food-Mentalität ein derart ambitioniertes Werk wie "The Chemical Wedding" nicht mal mehr im Ansatz hinbekommen würden. Sich auf den sicheren Allgemeinplätzen aufhalten ist viel erholsamer und außerdem erfolgreicher.

"The Chemical Wedding" ist eines der sensationellsten Metalalben der neunziger Jahre, veröffentlicht in einer Zeit, in der der Metalfan nicht viel zu lachen hatte. In Europa regierte eine Metal-Parodie namens Hammerfall, Metallica parodierten sich mit "Reload" selbst, Megadeth sollten nur ein Jahr später mit "Risk" die musikgewordene Fassungs- und Ratlosigkeit veröffentlichen, Paradise Lost waren Dank "One Second" endgültig perdue und Maiden...? Maiden hatten Blaze Bayley als Sänger und hatten gerade den veritablen Flop "Virtual XI" ausgelangweilt.

Auch wenn sich wenigstens dieses letzte Missverständnis seit 1999 aufgelöst hat: einen Bruce Dickinson in der Form von "Chemical Wedding" zu verlieren, erscheint mir gerade im Rückblick auf die letzten zwölf Jahre Iron Maiden an schlechten Tagen als unbestritten zu großes Opfer.

Junge, komm' bald wieder.






Erschienen auf Sanctuary, 1998.