BVDUB - The Art Of Dying Alone
Großer Gott - hätte ich nicht erst Mitte Februar Wind von diesem Album bekommen, meine Jahrescharts hätte es regelrecht zerbröselt. Seit meinem Kauf von "The Art Of Dying Alone" erklang in meinen Hallen in Hessen-Hitler-City keine andere Musik so oft wie jene des US-amerikanischen Produzenten Brock Van Wey, es gab Tage und Nächte, in welchen sie einfach auf Dauerrotation durchlief, und ich will offen sprechen: im Moment kommt nichts und niemand an ihn heran und schon gleich gar niemand an ihm vorbei.
Ich habe ja durchaus großes Glück, dass ich etwa zwei Mal die Woche im Home Office sitzen und in Ruhe arbeiten kann und es wurde in den letzten Wochen zu einem liebgewonnen Ritual, zunächst mittles der Deckenfluter ein sanftes Licht zu installieren, die Heizung hoch zu fahren, den CD-Player zu aktivieren und zu den ersten betörenden Klängen des Openers "Descent To The End" in die Küche zu schlurven, um die Senseo-Maschine (Scene-Points: -18) zu einer großen Tasse schwarzen Kaffees zu überreden. Die Stimmung, die sich daraus entspinnt, ist so friedlich, so atmosphärisch warm, so überaus romantisch und hell-neblig, dass ich mir keinen besseren Start in den Tag ausmalen mag.
Die Herzallerliebste, ebenfalls hingerissen von diesem Meisterwerk, bezeichnete die Musik als den Soundtrack zum Anklopfen an die Himmelspforte und tatsächlich versteckt "The Art Of Dying Alone" neben viel Trauer und Melancholie auch etwas Sakrales, Heiliges und Geheimnisvolles in sich, zu gleichen Teilen aber eine Reinheit und Schönheit, dass mir fast die Tränen kommen. Die mit weniger Empathie gesegneten unter uns würden sich sehr wohl langweilen, vielleicht von "orientierungslosem Rauschen" sprechen und schnell das Weite suchen, aber für die wurde diese Sammlung ja auch nicht gemacht. Ich selbst bin ehrlich gesagt auch noch nicht zum Kern dieser einhüllenden und umarmenden Musik gelangt, die Fixpunkte sind Repetition, Hall und Delay, Feedback-Drones und ohne Scheiß jetzt: ein helles Licht, dass direkt aus dem Lautsprecher in Dein Herz einschlägt. Aber warum es so funktioniert, wie es funktioniert...ich habe keinen blassen Dunst.
"The Art Of Dying Alone" ist das Schönste, was ich seit langem gehört habe, und ich werde das Gefühl nicht los, dass sich künftig verdammt viel an dieser Platte messen lassen muss.
Erschienen auf Glacial Movements, 2010.
19.03.2011
Nachzügler 2010 #2
Nachzügler 2010 #1
Als Ergebnis plumpsten fünf Scheiben aus dem großen Sack, die am lautesten "HIER!" geschrien haben. Ich bitte zu beachten, dass dies nun nicht der dämliche Versuch ist, die Opfer meiner Top 20-Auswahlpolitik nachträglich ins Rampenlicht zu rücken, also etwas forsch ausgedrückt: die Resterampe zu präsentieren. Alle fünf Platten wäre unter anderen Umständen locker in die Top 20 gerutscht - hätte ich sie nur früher gehört. Oder wären es keine Wiederveröffentlichungen. Oder Sampler.
Und keine Bange, ich mach's kurz.
BOBBY JACKSON - The Café Extra Ordinaire Story
Ein gehobener Schatz aus der "Holy Grail" Re-Issues Serie des britischen Jazzman-Labels, das unter anderem bereits an dieser Stelle positiv in Erscheinung getreten ist. "The Café Extra Ordinaire Story" wurde 1966 in Minneapolis aufgenommen und erst acht Jahre später in minimaler Auflage veröffentlicht. Ein Blick auf Popsike.com verrät: der Bausparvertrag ist fällig, will man die Originalversion sein Eigen nennen.
Bassist Bobby Jackson ist unter all den großen Geistern des Jazz einer der Vergessenen, einer derjenigen, die nie am richtigen Ort zur richtigen Zeit waren und die von den Blue Note, Prestige und Impulse!-Hauptquartieren meilenweit entfernt waren. Aber auch einer, der beispielsweise seinen Job kündigte, um einen Jazzclub in seiner Heimatstadt zu eröffnen, und der viel aufgeben und gleichzeitig viel kämpfen musste, um seinen Traum zu verwirklichen. Diese Platte ist das passende Instrument für eine tolle Zeitreise in eine Stadt, die gemeinhin als weißer Fleck auf der Jazz-Landkarte der 60er Jahre gilt. Das Sextett spielt einen swingenden, angesoulten, modalen Jazz, stilistisch und spirituell vielleicht mit dem vergleichbar, was sich Ende der 60er- und Anfang der 70er Jahre rund um Künstler wie Pharaoh Sanders, Alice Coltrane und Sun Ra entwickelte. Das größte Plus ist seine Nicht-Perfektion: die Aufnahme ist hier und da übersteuert und das Piano ist manchmal auch nicht in tune, aber wenigstens ich finde das total sympatisch und - Achtung, verbotenes Wort: authentisch.
180g Vinyl, auf 1000 Stück limitiert und leider arschteuer, aber ich bereue keinen Cent. Und um Dusty Groove zu zitieren: "These Jazzman Holy Grail series vinyl releases disappear in no time. Don't sleep!"
Erschienen auf Jazzman, 201027.02.2011
2010 #1 - Bonobo °° Black Sands
"Und wenn dann noch Andreya Triana ihre dunkle, angerauhte, brennende Sehnsucht versprühende Stimme in die Songs hineinwirft, verbinden sich die Gegensätze zu einem großen Statement, zu einer großen Statue der Weite, des Raums und der Zeit."
Das ist der letzte Satz meiner letztjährigen Vorstellung des aktuellen Bonobo-Albums und wieder einmal stehe ich vor einem Problem, das auch schon die Flying Lotus-Abhandlung erfasste: wie kann das bereits richtig gesagte nochmal richtiger werden? Im Grunde reichte es völlig aus, den Link zur besagten Besprechung nochmal hier 'reinzukleben, alles noch stimmig und plausibel, ich hab's getestet. Natürlich erwartet aber mindestens Oma Meume von einer Nummer 1, also der besten Platte des Jahres 2010, einen angemessenen Rückblick.
Ich hatte das weite Feld des Downbeats bereits einige Zeit aus den Augen verloren, ich könnte auch elitär erklären, dass ich es schlicht hinter mir gelassen habe (bis auf die Buben der Thievery Corporation, weil die mich ja quasi entjungeferten
, m...musikalisch, MUSIKALISCH!), weil ich mich, wie schon so oft angemerkt, richtig: langweilte. Das mag in der Anfangszeit meiner Auseinandersetzung mit elektronischer Musik alles sehr spannend, weil neu für mich gewesen sein, aber spätestens nach der 20.Platte, deren Rubrum zum wiederholten Male "Eklektisch" mittels kleiner LED-Lämpchen aufleuchtete, verlor ich bei aller positiver Verbundenheit langsam aber sicher das Interesse. Zumal die Veröffentlichungsflut auch hier Einzug erhielt, auch wenn (oder: besonders weil) sich das Genre immer mehr in Richtung Underground zurückzog.
Nun steht ein Mal pro Monat der Streifzug durch die virtuellen Plattenläden dieser Welt auf meinem Programm, der aus strategischen Gründen prinzipiell kurz nach Gehaltseingang in Angriff genommen wird. Also - die Bestellung an sich. Die Auswahl der gewünschten Scheiben fordert in der Regel ein bis zwei Wochen harte Arbeitund mindestens 18 Nervenzusammenbrüche nebst einem Jammeranfall nach dem anderen in Richtung der Ehefrau, die offiziell seelische Unterstützung leisten, inoffiziell die Erweiterung des Budgets genehmigen soll, was für gewöhnlich mit einem lapidaren "Dann leg los!" geschieht.
Und so muss es wohl auch im Juni 2010 abgelaufen sein.
Nichtsdestotrotz, am Anfang war das Cover. Und was für ein Cover das war. Fast schon erschlagend mächtig, in Weite und Schönheit mindestens auf einer Ebene mit einer gewissen Ausstrahlung von Bedrohung und Furcht - wobei sich wahrscheinlich sowieso beides bedingt. Hach, was waren das noch Zeiten, als man früher, also im letzten Jahrtausend (...), im Plattenladen stand und Platten noch nach den Coverartworks aussuchte, wenn schon nicht zum Kauf, dann wenigstens zum Mitnehmen an den Anhörtresen. Ich weiß noch, dass ich mich genau daran kurz erinnerte, bevor ich wusste, dass "Black Sands" gleich in den Warenkorb wandern würde. Und wo wir schon von Plattenläden sprechen: ich muss in diesem Zusammenhang gleichfalls zugeben, dass ich noch nie Freund des vorherigen Anhörens war. Die Situationen, in denen ich früher, also im letzten Jahrtausend (...²), im Laden stand und mir eine LP/CD vorspielen ließ, kann ich ungelogen an fünf Fingern abzählen. Mir war das immer irgendwie unangenehm, außerdem würde mir doch dann die Überraschung zu Hause verdorben werden, wenn ich bereits wüsste, was mich bei der ein oder anderen Platte erwartet? Außerdem ging es in 9 von 10 Fällen gut, ergo: never change a winning Hirnschaden. Kurzum, ich habe dieses Vorgehen in die virtuelle Welt hinübergerettet, mehr als angezappte, megakurze Schnipsel kommen mir in den seltensten Fällen in die Tüte. Und jene Schnipsel dienen letzten Endes auch nur zum Beantworten der Frage, ob das Genre an sich meinem Beuteschema entspricht - solange es kein Reggae ist, ist eh alles gut. Und nach einem winzigen Moment mit "Kiara" und "Eyesdown" war mir klar, dass sich "Black Sands" demnächst auf dem Redaktionsplattenteller drehen würde. So kam ich also zu "Black Sands". Und so kam ich darüber hinaus auch zu Bonobo: seine übrigen Veröffentlichungen sind ebenfalls ausgesprochen empfehlenswert.
Jetzt habe ich in diesem wieder viel zu langen Text fast kein einziges Wort über die Musik auf "Black Sands" verloren - aber ich kann's mir leisten, sorry: alles, was es zu dieser Sternstunde zu sagen gibt, wurde bereits gesagt, und es gibt keine Zelle meines Körpers, die auch nur ein Wort meines vorangegangenen Urteils zurücknehmen würde. Ganz im Gegenteil.
"Black Sands" erstrahlt auch in den trüben und kalten Tagen des Februars 2011 in Größe, Anmut und Schönheit und ist somit ohne jeden Zweifel die beste Platte des Jahres 2010.
Ich verneige mich - und bin immer noch platt.
Erschienen auf Ninja Tune, 2010.
22.02.2011
2010 #2 - Gil Scott-Heron °° I'm New Here
Ich weiß nicht, welchen Erfahrungen meine geneigten Leser Jahr für Jahr gegenüberstehen, aber zumindest in den hangargroßen Redaktionshallen von 3,40qm gilt im Rückblick auf die vergangenen musikalischen Jahre: wenn's ganz prima lief, bleiben etwa drei bis fünf Alben eines Jahrgangs übrig, die fortan irgendwie zu einem gehören. Mit denen man eine spezielle Verbindung hat. Die man künftig in der Denkmurmel unter "Woah, was für eine Platte!" abgespeichert hat. Die man Freunden (wenn man welche hat) ehrfürchtig unter die Nase hält, mit einem Blitzen in Augen. So mache ich das jedenfalls (hätte ich Freunde). Und so mache ich das seit einem guten Jahr mit "I'm New Here", dem ersten Studioalbum der US-amerikanischen Legende Gil Scott-Heron seit seinem 1994er Werk "Spirits".
Dieser Gil Scott-Heron sang schon im Jahre 1970 in seinem Klassiker "The Revolution Will Not Be Televised":
You will not be able to stay home, brother.
You will not be able to plug in, turn on and cop out.
You will not be able to lose yourself on skag and skip,
Skip out for beer during commercials,
Because the revolution will not be televised.
(...)
There will be no highlights on the eleven o'clock
news and no pictures of hairy armed women
liberationists and Jackie Onassis blowing her nose.
The theme song will not be written by Jim Webb,
Francis Scott Key, nor sung by Glen Campbell, Tom
Jones, Johnny Cash, Englebert Humperdink, or the Rare Earth.
The revolution will not be televised.
Dieser Gil Scott-Heron agitierte Anfang der 80er Jahre gegen die Politik Ronald Reagans und besang 1974 den "Winter In America":
And now it's winter
It's winter in America
And all of the healers have been killed
Or been betrayed
Yeah, but the people know, people know
It's winter, Lord knows
It's winter in America
And ain't nobody fighting
Cause nobody knows what to save
Save your souls
From Winter in America
Und in einem Interview mit der Berliner Tageszeitung aus dem Jahr 2005 erklärte er dazu:
"Am Tag, als John F. Kennedy ermordet wurde, begann der Winter, und Amerika hat sich davon immer noch nicht erholt, es gab zu viele Verluste."
Er widerspricht (im selben Interview) Archie Shepp, wenn jener sagt, dass den Black People Leadership fehle:
"Nein, nein, nein! Wir hatten Leadership. Unsere Leader sind hingerichtet worden. Wir hatten das doch alles schon. Heute ist es Zeit, sich selbst an die Arbeit zu machen. Leader können einen nur bis zu einem bestimmten Punkt führen. Irgendwann ist man dann auch selbst gefordert zu handeln. Die Leader haben bereits alles thematisiert. Wir sollten nicht so tun, als hätten wir nichts. Wir haben viel erreicht, das ist aufzuarbeiten, zu würdigen, auszuwerten und den Kids zu vermitteln. Denen hilft Leadership nicht mehr."
Das hat zunächst nicht viel mit "I'm New Here" zu tun, aber vielleicht fällt es leichter, hinter die Kulissen dieses Albums zu blicken, wenn das ein oder andere gesagt oder geschrieben wurde. Das Titelstück, eine Coverversion von Smog, beinhaltet zum Beispiel die Textzeile:
"No matter how far wrong you've gone you can always turn around"
Und im Anschluss sinniert Heron in einem der kurzen Zwischenspiele, die zwischen die Songs gepackt wurden, über seine große Rechnung, die auf ihn zukommt, sollte man irgendwann mal dafür bezahlen müssen, wenn man in seinem Leben etwas falsch gemacht hat.
At the end of the day...
Auf der musikalischen Seite winken einige Überraschungen: Produzent Richard Russell hat dem Sänger hier und da einen schweren, dunkeln und tief-brummelnden Trip Hop-Bass mit regennassen Melodiefragmenten unter die Mütze geschummelt, einen swingenden und orchestralen Düsterblues in "Me And The Devil" und folk-jazziges im fantastischen "New York Is Killing Me", während das erwähnte Titelstück das Arrangement eines aufgeriebenen Nick Drake auf den Leib geschneidert bekam.
Ich trage "I'm New Here" nun schon seit langer Zeit sehr nah bei mir und ich hoffe inständig, dass sie mich nicht verlässt. Das wäre mal ein Verlust.
Erschienen auf XL Recordings, 2010.
P.S.: Wie schon bei dem Album von Silver Mt.Zion gilt auch hier: wer die Finger noch an die Vinylausgabe bekommen sollte, dem ist hiermit dringend geraten, umgehend zuzuschlagen, denn die Aufmachung ist nah an einer Sensation. Ein dicker Cover-Karton, zwei großformatige Bilder des Meisters, 180g Doppel-Vinyl und auf der beigelegten Bonus-LP gibt's noch zusätzlich bisher unveröffentlichte Studio-Sessions und Soloaufnahmen zu hören. Das ist gar so schön, dass ich mich manchmal gar nicht traue, die Platte überhaupt nur anzufassen. In echt.
17.02.2011
2010 #3 - Flying Lotus °° Cosmogramma
Als ich im Juni 2010 zum ersten Mal über "Cosmogramma", das dritte Album von Steve Ellington aka Flying Lotus, schrieb, stellte ich angesichts des hier herrschenden, positiven Irrsinns gleich einen Sack voller Fragen, aber eine einzelne, spezielle möchte ich nochmal aufgreifen: wird "Cosmogramma" denn überhaupt von einer politischen oder gesellschaftlichen Message getragen, die mit den großen Meilensteinen des Jazz zu vergleichen ist?
Heute, mehr als ein halbes Jahr und unzähliche Jahresbestenlisten später, muss man die Antwort in zwei Teile aufspalten. Wenigstens in meiner Wahrnehmung ist "Cosmogramma" mit den großen Jazzwerken der Vergangenheit spirituell verbunden - hier lebt eine ganze Legion von gesellschaftlicher Beobachtungen und Anklagen unter kilometerdicken Layern aus Klappern, Zischlern und Kratzern. Da ist der Drang nach Freiheit zu spüren, das naive Herumtollen, das Austoben im Unbekannten, so kreativ und voller Drang, an einen Ort zu gelangen, den noch niemand vor ihm betreten hat - der Mann hat einen Auftrag. Hat den Auftrag aber auch jeder mitbekommen? Und das führt uns zum zweiten Teil der Antwort: war es nicht auffällig, wie wenig Aufmerksamkeit diese Platte am Ende des Jahres erhielt, wo noch im Mai gefühlt das halbe Internet auf dem Kopf stand? Wo waren denn plötzlich all die Drive-In-Anbeter, die "Here today and gone tomorrow" auf ihren Baseballkappen spazieren tragen? Ich kann's Euch sagen: die waren im seichten Fahrwasser der Indietronic-Bewegung, die waren im knietiefen Morast der moralischen Befindlichkeitslyrik, tsehe: die waren WEG! Die waren dem schmerz- und inhaltslosen Delirium verfallen, die wollten nicht, dass es zwickt.
Aus einer (mir völlig fremden) technischen Sicht betrachtet, begeistert es sehr wohl nachwievor die Nerds und Tüftler, die Ellington ob seines Sampling-Geschicks den Heiligenschein ausstellen, es begeistert aber auch jene, die nicht immer und überall die polierten und allgegenwärtigen Discounterproduktionen ohne jeden Tiefgang hören möchten. Eben jene, die sich auch in Jahren stetig sinkender grundsätzlichen Relevanz der Kunstform Musik, noch ein Album (noch so ein aussterbender Dinosaurier...) erarbeiten möchten - und bevor jetzt wieder der erste kräht, dass Musikhören doch nichts mit Arbeit zu tun hätte: genau das hat uns zu den heutigen Konsumaffen gebracht, denen eingeredet wird, dass Aussage, (Weiter)Entwicklung und Leidenschaft gefälligst nichts mehr in unseren Köpfen zu suchen haben. Kauf' das, Du Sau! Und dann sei still!
Lasst sie uns nicht das nehmen, was wir lieben. Lasst uns wieder versinken in diesen geradewegs apokalytischen Tiefen, lasst uns wieder spüren, wie viel Leidenschaft da jemand in einen Klang von epischer Breite gesteckt hat, lasst uns wieder entdecken, wie Kreativität und Intuition unser Leben bereichern können. Verfluchte Scheiße! *mit erhobenem zeigefinger rumfuchtel*
Wann immer ihr dieses Album spielt, spielt es so laut ihr nur könnt.
Erschienen auf Warp, 2010.
16.02.2011
2010 #4 - Minus The Bear °° Omni
Für die Indie-Elite steht bereits seit Jahren fest: "Highly Refined Pirates" ist und bleibt das beste Minus The Bear-Album aller Zeiten. Da klangen sie noch so schön rauh und so ein bisschen verwaschen, so frech-spritzig, naiv und vor allem hatte und hat man sein persönliches Alleinstellungsmerkmal, weil die Band aus Seattle (Oha!) damals eben allerhöchstens einer Handvoll Leute bekannt war. Das ist wichtig in Checkerkreisen.
Wie auch immer - der Nachfolger "Planets Of Ice" aus dem Jahr 2007 war, nachdem ich mich unter Schmerzen dazu durchgerungen hatte, es mir wenigstens mal anzuhören, alleine atmosphärisch eine komplett andere Baustelle, die Entwicklung im Bandsound hielt sich jedoch in Grenzen. Das ist sicherlich eine andere Platte, die klingt ganz bestimmt auch anders, aber das ist der Punkt: sie KLINGT anders. Dabei hatte die Band ihr musikalisches Rezept weitgehend beibehalten, die Gitarren tupften immer noch die flackerndsten Reflexe aufs Tableau, der unwiderstehliche Fluss ihrer Kompositionen mit einer traumhaften Bass- und Schlagzeugabteilung machte auch ihr drittes Studioalbum zu einer ganz hervorragenden Platte. Aber, wie in einer früheren Rezension schon angedeutet: ich langweile mich ziemlich schnell. Und wahrscheinlich hätte die Hölle zufrieren müssen (alternative Optionen: Schalke wird deutscher Meister, ein neues Interpol-Album hat wenigstens einen Hauch von Relevanz, Stefan Raab wird Mutter), bevor ich mir nach "Planets Of Ice" ernsthaft nochmal überlegt hätte, ein neues Minus The Bear-Album anzuhören. Ich kenne ihren Sound, den haben sie schon lange perfektioniert - der ist fraglos gut und originell, aber ich kenne "Menos El Oso". Alles gesagt.
Findet ihr das eigentlich auch so scheiße, wenn ein Schmierfink eine elendlange *dramatisches Donnergerumpel* REZENSION ins Weltnetz rotzt und dabei erst am Schluss ein paar Worte über die neue Platte verliert, über die er eigentlich schreiben wollte? Also mir könnte das ja nicht pass....
Die Antwort lautet: eine moderne und tiefergelegte Version der "Invisible Touch"-Ära von Genesis. Sorry, klingt hart, aber! Wenn der Springer'sche Musikexpress-Kompostklumpen (...) "wenn sie so weitermachen, sind sie beim nächsten Album bei Supertramp angekommen" schreiben darf, darf ich ja wohl auch Genesis erwähnen. DAS WIRD MAN JA IN DIESEM LANDglglglglgl...jedenfalls: das würde sowieso zu der immer noch präsenten Progressive Rock-Kante passen, auf die das Quintett offensichtlich immer noch Wert legt. Wie man's am Ende des Tages dreht und wendet:"Omni" ist auf dem besten Weg mit "Menos El Oso" gleich zu ziehen und ich hätte es ums Verrecken nicht mehr für möglich gehalten.
Moment, das habe ich doch schonmal irgendwo geschrieben....
Erschienen auf Dangerbird Records, 2010
12.02.2011
2010 #5 - Four Tet °° There Is Love In You
Ich lehne mich nun etwas aus der Hofeinfahrt, aber es gibt Momente auf dieser Platte, die sind größer als alles, was es im letzten Jahr zu hören gab. Solche Momente, in denen der Körper die Glückshormone nur so von sich schleudert, wie es sonst nur Til Schweiger [zensiert]*** ***** ********** ******** *******. *************** *********, **** *** ****** ***[/zensiert] dumme Sau [zensiert]********** ************.[/zensiert] Aber zurück zu "There Is Love In You", wenigstens im weiteren Sinne.
2008 wurde "Ringer" veröffentlicht, eine 4-Track-EP, die großartige, von Krautrock beeinflusste, rhythmische und erstaunlich melodische Stücke enthielt. Im Nachhinein war "Ringer" der logische Vorläufer zu "There Is Love In You": der krude und verschachtelte Ansatz von "Everything Ecstatic" wurde zugunsten von klareren Arrangements und mehr Melodie fallen gelassen, die sich hier nun vollends entfalten können. "Love Cry" und "Sing" sind hell leuchtende, freundliche Tanzbodenhits, "Angel Echoes" beschwört als Opener die spirituelle und kosmische Liebe, "This Unfolds" entwickelt sich - Nomen est Omen - vom etwas grimmigen Beginn zu einer prachtvoll atmenden Blüte, "Circling" kreiselt sich zu Buddhas drittem Auge empor, während "Plastic People" und "She Just Likes To Fight" mit etwas mehr Ruhe und Übersicht eine gnadenlos gute, stimmige, spirituelle, moderne Zusammenstellung zeitgenössicher elektronischer Musik beschließen.
Als Bonus findet ihr unter dem folgenden Link eine zum Heulen fantastische Aufzeichnung des Sets aus dem New Yorker Le Poisson Rouge-Clubs vom 17.1.2010 - genießt es. Und danke für den Tipp, Doc!
FOUR TET LIVE AT LE POISSON ROUGE 2010
Erschienen auf Domino Records, 2010
06.02.2011
2010 #6 - On °° Something That Has Form And Something That Does Not
Kenner meines kleinen Irrgartens im Oberstübchen wissen, dass ich praktisch schon (und spätestens) im Mai eines jeden Jahres damit beginne, die Jahresbestenliste zu führen, umzustellen und neu zu bewerten. Das eine kommt neu hinzu, das andere rutscht 30 Plätze nach unten, eine weitere Scheibe verschwindet auf immer im Nebel. Erstes Qualitätsmerkmal bei der Auswahl potentieller Kandidaten: die Verweildauer vor der Anlage. Sehr zum Leidwesen der Herzallerliebsten stehen durchgängig 30 bis 40 Scheiben direkt am Plattenspieler, die also die Hall Of Fame darstellen. Was dort nach zwei Wochen Aufenthalt wieder rausrutscht, ist in den meisten Fälle eine cause perdue und hat es in den folgenden Wochen und Monaten schwer.
Das nunmehr dritte Album von Steven Hess and Sylvain Chauveau unter dem On-Banner reiht sich hinsichtlich der Methodik hinter den ersten beiden beiden Alben ein. Hess und Chauveau nehmen in Chicago ihre Instrumental-Improvisationen auf und leiten das Ergebnis an einen befreundeten Musiker weiter, der sich dann an dem Material austoben darf. Diesmal wählten die beiden niemand Geringeren als Christian Fennesz aus, nachdem sich auf dem Vorgänger "Your Naked Ghost Comes Back At Night" Deathprod die Pulsadern aufschlitzen durfte. Ganz im Gegensatz zu ebenjenem Entwurf der reinen Macht der Dunkelheit, hat Fennesz aus den Rohstoffen für "Something That Has Form And Something That Does Not" eine Lichtsäule aus Feedbacks, Drones und Klangräumen geschaffen, die im Allgemeinen beeindruckend friedlich und subtil flackert, im Speziellen durch minimale und kaum wahrnehmbare Detailverschiebungen unter Dutzenden von Soundlayern nicht mehr aufhört in die Höhe zu klettern. Besonders der 13-minütige Titeltrack und der gar über 19 Minuten lange Schlusspunkt "The Sound Of White" strahlen ob der steten Wiederholungen einzelner Rhytmus- und Melodie-Fragmente eine selbstbewusste Form der Zurückhaltung aus, die sie in einer selten zuvor dagewesenen Reinheit und Schönheit in hellem Glanz leuchten lässt.
Wenn jedes effektgeiferndes Geballer in und an seiner Kraft versagt, wenn aus der allerorten zur Schau gestellten Dunkelheit nur noch ein platter Zynismus empordampft, wenn Triviales plötzlich an Relevanz gewinnt, dann ist "Something That Has Form And Something That Does Not" Gegengift, Muskelrelaxans und Lichtnahrung in einem, und ich sehe den Tag noch nicht, an dem diese Platte, und sei es nur vorübergehend, im Regal verschwindet.
Erschienen auf Type, 2010
30.01.2011
2010 #7 - Zola Jesus °° Stridulum II
Im Reich der Düfte sagt man, es gäbe zwei Merkmale, die ein gutes Parfum ausmachen: Melancholie und Mystik. Legt man diesen Maßstab auf "Stridulum II" an, handelt es sich entsprechend um ein gutes Parfum, Blödsinn: eine gute Musik, denn wenn dieses Debut (rechnet man einige Kollaborationen mit Aurora Borealis, Sacred Bones und Die Stasi nicht mit ein) von zwei Attributen geprägt wird, dann sind es - genau: Melancholie und Mystik.
Denn auch die Musik von Zola Jesus ist auf den ersten Blick nicht frei von entsprechenden Verweisen, was mir mein direkt am Schallgesims fest installierter "Anti-Gothic"-Geigerzähler mehrfach bestätigte. Nachdem ich feststellen musste, dass das Suchtpotential von "Stridulum II" über die letzten Monate geradewegs erschreckende Ausmaße angenommen hat, war ich mir selbst gegenüber in Erklärungsnot. Eigentlich dürfte ich das per se gar nicht hören, andererseits war's mir gerade, pardon, scheißegal!
Zum anderen habe ich aus dieser Frage resultierend echte Kategorisierungs- und Definitionsprobleme. Die allgemeine Stimmung auf "Stridulum II" ist romantisch und surreal, alle Strukturen und Melodien sind im dicken Nebel versunken. Schemenhaft wie eine Galeere, die wie von Geisterhand bewegt wird, treibt die Musik über einen unsichtbaren Untergrund, stolz und majestätisch. Es ist ein merkwürdiger Zwiespalt aus der sich vor allem in der Stimme zeigenden und wie in Beton gegossenen Stärke und einer zeitgleich unkonkreten, verschwommenen Verheißung derselben. Derselbe Gegensatz ließe sich auch auf das Wechselspiel von Licht und Schatten anwenden. Könnte zunächst der Eindruck die Oberhand gewinnen, Zola Jesus präsentieren hiermit den Soundtrack für die nächste Weltuntergangsparty, so schleppend und depressiv Songs wie "I Can't Stand" wirken, fiel für mich der Groschen, nachdem ich mich der Anziehungskraft dieser Musik nicht mehr entziehen konnte und wollte: Zola Jesus ist eine Kämpferin des Lichts. Die Kraft in ihrer messerscharf inszenierten Stimme kann unmöglich für den Untergang taugen. Sie treibt an, sie inspiriert, sie ist das hellste Licht, das diese trüben Tage erhellt. Ein Lebensspender.
Erschienen auf Souterrain Transmissions, 2010.
27.01.2011
2010 #8 - Demdike Stare °° Liberation Through Hearing
Hier ist pechschwarze Nacht. Gischt spritzt dir ins Gesicht, ganz fein und auf der Haut kaum spürbar. Aber du fühlst sie selbst wenn du schon lange nichts mehr fühlst, und was du damit in deinem Kopf verbindest, ist nichts Gutes. Irgendwo weit draußen rauscht ein Fluss, vielleicht ist er aber auch nur ein paar wenige Zentimeter entfernt, ein stetig an- und abschwellender Beweis der zerstörerischen Kraft des Wassers, das Leben spendet und Leben nimmt, einfach so. Wasser ist sehr viel machtvoller, als wir es wohl jemals begreifen werden: es hält sich in den Zwischenwelten auf, und wer kann schon deuten, wer oder was die Entscheidung über Leben und Tod in diesem abgeschlossenen System trifft, und sei es nur der schnöde Zufall (den es bekanntlich gar nicht gibt). Dazu ist ein konzentrierter Strudel wahrnehmbar, der in das vermeintliche Nichts führt, das zwischen fester Materie und gelöster Energie keinen Unterschied mehr macht - warum auch? Ich spüre plötzlich einen schmerzenden, pumpenden Druck auf der Brust. Wie arrogant Schmerz sein kann und wie zermürbend die Kommunikation mit ihm ist. Es ist immer eine Einbahnstraße, die dumme Sau lässt einen links liegen, immer. Und aus dem Reich der Götter höre ich nichts als höhnisches Lachen über meinen Versuch auf den Beinen zu bleiben, während die Mauern des Lichts auf der einen und jene des Schattens auf der anderen Seite immer näher heranrücken, und der Boden unter dem, was eben noch meine Füße waren, zu einem wachsweichen, zersetzenden Sumpf wird.
Ich bin schon lange nicht mehr ich, ich war und bin an allen Orten und in allen Zeiten und in allen Dimensionen gestorben und geboren. Und wo die Toten tanzen, sich das Echo im endlosen Raum vereint und die Geisterfaust regiert, da liegt die Freiheit im wärmenden Schein des süßen Nichts.
24.01.2011
2010 #9 - Nik Bärtsch's Ronin - Llyria
Der Schweizer Pianist Nik Bärtsch schießt nun mit der dritten Platte in Folge in meine Jahresbestenliste, und ich hatte wenigstens in diesem Jahr ehrlicherweise nicht wirklich damit gerechnet. Während das ECM-Debut "Stoa" aus dem Jahr 2006 für mich zu den großen musikalischen Erweckungserlebnissen der jüngeren Vergangenheit zählt, war der Nachfolger "Holon" aus dem Jahr 2008 zwar qualitativ immer noch sehr gut, im Nachgang aber an der ein oder anderen Stelle einen Tacken zu straight, vielleicht zu klar. Außerdem langweile ich mich dummerweise sehr schnell, und das Grund-Korsett von Ronin ist nun nicht derart komplex geschnürt, als dass ich hiervon wirklich jede einzelne Veröffentlichung benötigen würde. Was tatsächlich und ausschließlich mein Problem ist und nicht das von Nik Bärtsch. Aber das nur am Rande.
Ich bereue es zu keiner Sekunde, denn Ronin hat mich wieder versöhnt, vorausgesetzt, es bestand überhaupt jemals Bedarf an einer Versöhnung. Die fünf Musiker haben wieder den großen Zeichenstift und den Superkleber herausgeholt. Mit letzterem fixieren sie die Zeit. Wer sich auf "Llyria" einlässt wird ineinen mehrdimensionalen Lichtkreisel hineingezogen, in dem alles im Fluss ist und gleichzeitig alles stillsteht. Diese Musik besteht aus mehreren Ebenen, alle sind miteinander verbunden und doch völlig autark. Jede Ebene hat ihre eigene Realität, ihre eigene Farbe, ihre eigene Struktur, sogar ihren eigenen Duft. Es erscheint wie ein blühendes, pulsierendes Vakuum, in dem die Regeln aufgehoben sind, in dem das Streben nach Entwicklung und Kontinuität sich selbst bekämpft. Den Zeichenstift benutzt die Band, um wie geistesabwesend und versunken ihre Vorstellung von klanglicher Architektur zum Leben zu erwecken. Der Beginn von "Modul 53" illustriert möglicherweise am besten, was ich meine: als stünden sie vor einer großen Leinwand, versunken in Winkeln, Ecken, Kammern, einfühlsam und dialogfreudig auf der einen, dabei aber so souverän und triumphierend selbstbewusst auf der anderen Seite. Und alle prüfen unentwegt das gezeichnete Bild, die Struktur, die Beweglichkeit und die Standfestigkeit, jeden einzelnen Milimeter dieses Entwurfs. Damit überprüfen sie logischerweise und in erster Linie sich selbst und die eigene Beweglichkeit. Und wie sie sich bewegen. Ronin würden selbst in Schuhen aus Blei den Rudolf Nurejew mit nie dagewesener Anmut und Leichtigkeit tanzen.
Erschienen auf ECM, 2010.
17.01.2011
2010 #10 - Electric Wire Hustle °° Electric Wire Hustle
Wir starten mit einer Platte in die Top Ten, die seit ihrer Veröffentlichung im Sommer 2010 in einigen (Underground-)Kreisen mächtig Staub aufwirbeln konnte. Dieses 2007 gegründete Trio aus Neuseeland machte erstmals durch die Beteiligung an Gilles Petersons "Brownswood Bubblers"-Reihe (Vol.5) auf sich aufmerksam. Der beigesteuerte Track "They Don't Want", der später auch als eigenständige 7-Inch Single in den Handel gelangte, machte mich ehrlich gesagt ziemlich wuschig - gar so wuschig, dass ich für die kleine 2-Track-Single mehr Geld ausgab, als vormals für so manche LP. Als das vollständige Album dann im Player rotierte (hier muss ich notgedrungen auf die schnöde CD zurückgreifen), war klar: "They Don't Want" ist keine Eintagsfliege.
Die Atmosphäre ist dunkel, schwül, glühend. Es pulsiert, es ist sexy. Es lebt. Ein fantastisches Debut. Warum ist die Scheibe eigentlich in keiner (weiteren) Bestenliste aufgetaucht? Vergisst dieses Scheißinternet am Ende wirklich so schnell?
Erschienen auf BBE Records, 2010
14.01.2011
2010 #11 - Thee Silver Mt. Zion Memorial Orchestra °° Kollaps Tradixionales
Aufmerksamen Lesern meines Blogs (im hinteren Teil des Satzes ist ein Oxymoron versteckt!) wird es wie Schuppen vom Pimmel, Quatsch: von den Augen fallen: Postrock als Genre hat mit dem Godspeed You! Black Emperor-Schwanengesang "Yanqui U.X.O." aus dem Jahr 2002 seinen Höhe- als auch Schlusspunkt gefunden. Danach hätte die komplette Schublade wegen mir und meiner Muddi den Laden schön dichtmachen können, denn seien wir ehrlich, danach war ja plötzlich alles egal. Ich sage das jedes Jahr mindestens acht Mal und "jedes Mal wird dieser Satz richtiger" (Schmidt), nur dieses Jahr ist er ausnahmsweise - genau - verkehrt. Eigentlich war er schon vor 5 Jahren verkehrt, als "Horses In The Sky", das vierte Album des ehemaligen (und heute emanzipierten) Godspeed-Nebenprojekts Thee Silver Mt. Zion Memorial Orchestra erschien, aber das schreibe ich besser nicht, das würde mich ja total unglaubwürdig machen, 'zefix!
Wie soll ich's bloß sagen...? Auch "Kollaps Tradixionales" stand zunächst nicht auf der Einkaufsliste, und es mag sich ganz schön gemein anhören, aber ich bin schon zuweilen der Überzeugung, dass es irgendwann dann auch mal reicht mit so einer Band, dass ich also nicht jedes Album brauche, eine Tour gleich gar nicht. Vielleicht geht das Hand in Hand mit meiner Verachtung für Zugabenrufer und -spieler: warum sollte sich der Schnabel nochmal öffnen, wenn alles, also so wirklich ALLES schon sehr lange, ausführlich und meinetwegen auch noch in einer angemessenen Lautstärke gesagt ist? Der Zufall spielte mir einige Monate nach Veröffentlichung dann doch noch die Vinylausgabe von "Kollaps Tradixionales" in die Hände, und an die Adresse derer, die jetzt wieder beide Hände über dem Kopf zusammenschlagen, weil's auf Vinyl/CD/MP3 doch nun weiß Gott nicht ankäme: Doch, da kommt's drauf an, wir sprechen da gleich noch drüber.
Die Kanadier hatten mich nach weniger als fünf Minuten wieder im Sack. "There Is a Light" ist als Opener so betörend schön und gleichfalls tragisch, so kraftvoll und ebenso resignierend, so triumphierend wie tödlich verzweifelnd, dass mir nichts anderes übrig bleibt, als den alten Postrock (Da! Schon wieder!)-Altar umgehend aus dem vor sich hin schimmelnden Keller zu holen. In den nächsten Minuten gibt sich das Orchester, wie bereits von "Horses In The Sky" gewohnt, rockiger als auf den Frühwerken, die einem ja auch heute noch wie Blei im Magen liegen können. Schwerverdaulich wäre hierfür eine glatte Untertreibung, aber die Zeiten sind vorbei. Silver Mt. Zion sind heute viel zugänglicher, ohne dabei ihre Aufrichtigkeit und Ernsthaftigkeit aufgegeben zu haben. Noch immer hört man in jeder angeschlagenen, geblasenen oder gezupften Note den Drang nach Kommunikation, nach Liebe und Verständigung auf der einen Seite und ebenso ist die Wut zu spüren, die Trauer und die Fassungslosigkeit gegenüber dieser Welt, die manchmal einfach nicht die unsere sein kann. Das verbindet und das spendet Trost. "Kollaps Tradixionales" erstrahlt in seiner kompositorischen Souveränität und mit seiner ausufernd romantischen und umarmenden Aura in schierer Größe und ich hätte wirklich nicht gedacht, dass ich solche Worte nochmal über ein Postrock-Album schreiben werde.
Erschienen auf Constellation, 2010
P.S.: Ich wollte es nur schnell gesagt haben, nicht, dass es hinterher wieder heißt, ich hätte es nicht gesagt: die Vinylausgabe von "Kollaps Tradixionales" erschien auf wunderbar schwerem Vinyl und auf dem noch wunderbarerern 10-Inch-Format und hat neben unendlich vielen Gimmicks, Bildern, Collagen, Texten, Grafiken, Poster und "weiß ich was" (Martha Lelek) auch noch eine kostenlose CD-Version des Albums ins Täschchen getackert (im übertragenen Sinn). Mir kommen angesichts von soviel der wunderbarsten Kunst fast ein bisschen die Tränen.