07.11.2011

Dadrock Volume I

GARRY MULHOLLAND - FEAR OF MUSIC - THE 261 GREATEST ALBUMS SINCE PUNK AND DISCO

Wir lieben Listen. Listen sind toll. Musiklisten, Bestenlisten, zumal. Sie provozieren immer eine Reaktion - und in neun von zehn Fällen fällt ebenjene überaus kritisch aus, fällt sie nicht? Geradewegs vernichtend. Aufstellungen, die Alben oder Singles oder auch nur einzelne Songs präsentieren, sind grundlegend immer unvollständig. Sie listen immer (IMMER!) die falschen Platten auf. Und es gibt niemals ein anerkennendes Nicken, wenn der Autor mal ausnahmsweise ins richtige Töpfchen griff. Das sind schließlich Selbstverständlichkeiten. 

Der britische Musikjournalist Garry Mulholland hat nach seinem Mammutwerk "This Is Uncool - The 500 Greatest Singles Since Punk And Disco" aus dem Jahr 2002, ein vier Jahre später erschienenes weiteres Mammutwerk vorgelegt. "Fear Of Music" behandelt diesmal, wie bereits am Untertitel zu erkennen ist, das Albumformat - an dem sich Mulholland eigentlich nicht abarbeiten wollte. In der Einleitung zum vorliegenden Buch schreibt er, dass er Singles im Pop-Kontext schon immer wichtiger und spannender fand: sie mussten in ihrer kurzen Lebensdauer von drei oder vier Minuten das Langzeitgedächtnis mit ihrer einzigen Idee tapezieren. Die unmittelbare Auseinandersetzung und das Touch & Go-Prinzip können faszinieren, und sie stehen in direktem Widerspruch zur Kunstform "Album", die mit dem Vorhaben ins Rennen geht, man baue eine langfristige Verbindung auf, die im besten Fall ein ganzes Leben lang hält.

Mulholland geht chronologisch vor. Die Ramones stehen mit ihrem Debut aus dem Jahr 1976 an erster Stelle, am Ende steht das Hip Hop-Duo Outkast mit ihrem "Speakerboxxx/The Love Below"-Brocken von 2003. Das alleine reicht aus, um wenigstens die stilistische Bandbreite, aber auch besonders die Entwicklung über 27 Jahre hinweg zu verdeutlichen. Womit der aus meiner Sicht größte Pluspunkt von "Fear Of Music" bereits erwähnt ist. Denn auch wenn der Schwerpunkt deutlich auf den Jahren 1977 bis 1982 und dem damaligen Höhepunkt der Punk und Post Punk-Ära liegt - nicht weniger als 105 von den präsentierten 261 stammen alleine aus diesen 5 Jahren - ist es ausgesprochen erfrischend, wenn nach den erwähnten Ramones und den Modern Lovers plötzlich eine Stevie Wonder-Scheibe auftaucht. Oder dass nach dem Body Count-Debut (und da geht das eingangs erwähnte Diskutieren schon los, ne?!) und "Copper Blue" von Bob Moulds Sugar, die Country-Folk-Rock Truppe der Jayhawks auf der Matte steht. Talking about changes: Mulholland hat ein weiteres Steckenpferd. Spätestens ab 1988 entdeckt er den Hip Hop für sich und huldigt neben mehr oder minder bekannten Alben von Eric B. And Rakim, EPMD, Public Enemy, Cypress Hill, A Tribe Called Quest, De La Soul und den unvermeidbaren N.W.A. auch obskurem Stoff, beispielsweise "Bazerk, Bazerk, Bazerk" von Son Of Bazerk (Featuring No Self Control And The Band), "the greatest-ever hip hop album that no one's ever heard of", bevor in den späteren Jahren auch Stars wie Nas, 2 Pac, Dr.Dre und Eminem auf ihre Kosten kommen. Auch in späteren Zeiten tauchen immer wieder Werke auf, die schon lange vom Radar der Musikwelt verschwunden sind, wie zum Beispiel das vor allem in den USA völlig untergegangene "Kaleidoscope"-Album von Kelis. Gerade in diesen Momenten macht es großen Spaß, sich durch dieses Buch (= durch die eigene Sammlung = Ebay = Mailorderfirmen) zu tauchen, auch wenn Mulholland das weitverbreitete, nerdige Verhalten, das immer die unbekanntesten und ominösesten Alben in den Vordergrund stellt, entschieden ablehnt. Auf der anderen Seite: wir alle kennen "Thriller" oder "Ray Of Light" und wir alle sind immer auf der Suche. Immer auf der Suche. Suche. Immer. Alle. Wir. So.

Zu jedem Album gibt es Angaben über die Produzenten, die Schlüsselsongs, die Plattenfirma, das genaue Erscheinungsdatum, sowie die Chartpositionen in England und den USA. Letztere sind im ein oder anderen Fall beeindruckend, verdeutlichen sie doch die kulturelle Kluft zwischen Europa und den Vereinigten Staaten. Wo Hip Hop- und R'n'B-Alben jenseits des Atlantiks regelmäßig große Erfolge feiern konnten, verbuchen dieselben Scheiben in England deutlich niedrigere Chartplätze. Entgegengesetzt sind Punk und Post Punk-Alben blanke Hits im Königreich, während die USA in vielen Fällen nicht mal Notiz von ihnen nahm. Das wird in den teils sehr persönlichen Anmerkungen, die Mulholland zu jedem Album abliefert garniert und liest sich dank der vielen Hintergrundinformationen und Querverweise runter wie Apfelsaft.

Unabhängig von meiner subjektiven Einschätzung hinsichtlich seiner Auwahl fällt es mir dennoch schwer, den verbindenden Faden zu finden - und ich bin mir sehr wohl darüber im Klaren, dass es zunächst unangemessen erscheint, überhaupt anzunehmen, dass es einen solchen per se geben muss. Vielleicht ist diese Zusammenstellung doch das beste Gegengift gegen ein solches Gerüst?! Und steht sie nicht für sich selbst? Erteilt sie mit ihren ganzen Stilbrüchen nicht automatisch eine Absage an all jene, die verzweifelt nach einer Struktur suchen? Andererseits erwähnt Mulholland selbst, dass er hofft, das Buch erzähle eine Geschichte und zeige die Entwicklung auf. Um verbotenerweise zu werten: ich kann der Hoffnung nur zur Hälfte entsprechen. Zwar verstehe ich sein Anliegen und ich kann der Geschichte und der Entwicklung auch folgen - aber sie hat Lücken. Und jetzt kann ich das Grinsen auf Euren Gesichtern erkennen.

Es geht mir allerdings weniger bis gar nicht um die ersten Absatz beschriebene "beleidigte Leberwurst", die kurz vor einem Fenstersprung aus der 34.Etage steht, weil das heilige Lieblingsalbum nicht genannt wird, sondern um die fehlende Konsequenz, das abgesteckte Terrain aus zu füllen. Einerseits fehlen Beispiele aus der elektronischen Musik bis auf die sicheren Standards von Kraftwerk, dem zumindest wegeweisenden "My Life In The Bush Of Ghosts" von Eno und Byrne und einer halben Handvoll Compilations vom Techno/House Urknall Ende der 80er Jahre komplett, ebenso lässt er Beispiele aus der Grunge-Ära völlig außen vor, Metal bis auf die leicht irritierende Auswahl von System Of A Downs "Toxicity" sowieso. Und vom Jazz ist nur in einigen Hip Hop Reviews die Rede. stattdessen müssen wir uns drei Mal durch Massive Attack, zwei Mal durch Portishead und immerhin nur ein Mal durch ein Tricky-Album kämpfen, also durch ein Genre-Phänomen namens Trip Hop, das zeitlich als auch künstlerisch arg limitiert war...und dummerweise weiterhin ist. Ich gebe zu, dass ich seinen Ansatz vor diesem Hintergrund nicht ganz verstehe. Aber möglicherweise geht es ihm eben auch gar nicht um das große, komplette Bild; wohlwissend, dass er es gar nicht zeichnen kann. Es geht nicht darum, den Komplettisten zu befriedigen. Es geht auch nicht um Konsens. Oder etwa doch?

Geht es um den großen, unausgesprochenen Konsens, der allen präsentierten Alben innewohnt? Der dafür sorgte, dass Michael Jackson vor 30 Jahren auch deswegen eine so große Karriere vor sich hatte, weil er auch von Punkern heimlich gehört wurde? Oder dass Hip Hop-Alben außerhalb der dafür vorgesehenen Community gehört und respektiert wurden? Irgendein verstecktes Noten-Gen, dass die Botschaft aussandte, dass man zusammen gehört? 

Am Ende ist's doch wieder pathetischer Mist, immer diese esoterische Idee von der verbindenden Kraft der Musik auf zu wärmen. Nur: man möcht's halt so sehr gerne glauben. Diese Einsamkeit macht auf Dauer eben doch mürbe.
...
Auf zwei der im Buch versteckten Hinweise möchte ich dann dennoch gerne, äh, hinweisen. 

Erstens hat er mich sofort mit der Nennung des letzten Afghan Whigs-Albums "1965" im Sack gehabt. Period. Darüber gibt es demnächst an dieser Stelle auch etwas zu lesen.

Zwotestensns: Prince! Prince! Großer Gott: PRINCE!!!


Erschienen bei Orion Book, 2007

30.10.2011

Ikonen & Legenden



GRACE JONES - HURRICANE

Mal kurz durchatmen. Ich müsste die folgenden Zeilen eigentlich Freund Eigenheim aus dem Jazzforum widmen, ohne den ich wohl niemals eine Platte von Grace Jones gekauft, geschweige denn angehört (Reihenfolge ist übrigens richtig) hätte. Für die Wahrnehmung ihrer Arbeiten aus den siebziger und achtziger Jahren war ich wohl einen Tacken zu jung und obwohl ich sie aus dem ein oder anderen Film kannte, und natürlich auch ihre fantastischen Coverartworks gesehen hatte, hatte ich nie den Drang, ihre Musik zu hören. Die 1948 auf Jamaika geborene Jones machte sich nach der Veröffentlichung ihres Albums "Bulletproof Heart" im Jahr 1989 rar, ich wäre sogar geneigt zu sagen, dass sie sich komplett unsichtbar machte - weshalb die Chancen, dass ich meine in den letzten Jahren erworbene Neugierde und Offenheit an und mit ihr ausleben konnten nicht allzu gut standen. Erst als das erwähnte Eigenheim angesichts der Ankündigung eines neuen Albums im Jahr 2008 in Jubelschreie ausbrach, wurde ich hellhörig. Auch wenn mein erster Gedanke mit "Grace Jones? What the fuck?" übersichtlich intelligent war und damit nicht unbedingt Einzug in die Ruhmeshalle erhalten sollte. Vielleicht reicht es für die Ruhmeshalle von Fußballerzitaten. Oder für das RTL II-Programm. So oder so nicht besonders schmeichelhaft. Belassen wir es dabei. Das sind so Sachen, die man bei Licht betrachtet vielleicht doch besser für sich behalten sollte.

Die große Einflugschneise muss ich übrigens fliegen, damit eines klar wird: was ich für ein ignoranter Hornochse war! Nur für den Fall, dass es noch nicht aufgefallen ist. Grace Jones veröffentlicht ihr erstes Album seit 1989 und ich stehe achselzuckend knietief im Gesabberten - die Sache war allerdings nach dem ersten Hören der ersten Single "Corporate Cannibal" gegessen, im Sinne von "erledigt". Was für ein Song! Was für eine Stimme! Was für eine Frau!

Und je länger ich hier vor diesem Text sitze, desto kleiner werde ich. Outing, Teil 2: ich wollte schon lange über "Hurricane" schreiben, aber ich traute mich einfach nicht ran. Zu groß erschien mir der Mensch Grace Jones zu sein, zu bizarr und unwirklich wirkt die Kunstfigur Grace Jones, und wo ziehe ich den Strich zwischen diesen beiden Charakteren - sind es überhaupt zwei? Über Grace Jones könnte man ein Buch schreiben, ohne ihr trotzdem jemals auch nur vage auf die Schliche gekommen zu sein. Zur Veröffentlichung von "Hurricane" gab sie der FAZ ein Interview, in dem sie auf die Frage, ob sie früher soviel verdient habe, dass sie zwanzig Jahre ohne Einnahmen leben konnte, antwortete:"„Ich hatte auch drei, vier Auftritte pro Woche. Auf Privatpartys. Bei Louis Vuitton in Japan, bei Cartier in Paris...Ich bin auch in Clubs aufgetreten, aber das lief immer unter der Hand. Ohne Presse. Meine Fans mussten mich finden. Ich würde mich lieber in Luft auflösen, als eine Celebrity zu sein." Von früheren Mitschülern wurde sie im Highschool-Jahrbuch als "socially sick" bezeichnet, später, nach Ihrer Zeit als Model mit Titelseiten der Vogue, der Muse von Andy Warhol und Hauptrollen in Hollywood-Blockbustern, sorgt sie mit Handgreiflichkeiten gegen Talkmaster Russell Harty für Schlagzeilen. Sie ist gefürchtet und unberechenbar - sie kokettiert mit Sex und lässt sich in freizügigen Posen fotografieren, gleichzeitig geriert sie sich als ultimativ unerreichbar. Mit Eiseskälte. Als Vamp. Als androgynes Wesen aus einem anderen Sonnensystem. Sie tritt Ende der siebziger Jahre in Schwulenbars und im New Yorker Studio 54 auf, einem Ort, an dem zur damaligen Zeit Sodom und Gomorra das Zepter in der Hand halten. Und die heute sagt:"'To be honest, my life is not really as way-out and myth-loaded as people like to portray it,' she says softly. 'A friend has a great quote about me which would make a great song: "I'm not a rock star, I'm a soft person." I think it's hilarious. In the Seventies and Eighties we all had our fun, and now and then we went really too far. But, ultimately, it required a certain amount of clear thinking, a lot of hard work and good make-up to be accepted as a freak.'"

Diese beeindruckende Frau, die "mit 60 noch besser aussieht als ich mit 40" (Jodeffes), hat also 2008 mit "Hurricane" ihr seit Jahren angekündigtes Comebackalbum endlich veröffentlicht - in der Zeit zwischen "Bulletproof Heart" und "Hurricane" hatte sie nach eigener Aussage zwei Alben fertiggestellt, sie aber in den Schredder geworfen, weil sie das Ergebnis nicht zufriedenstellte. Und jetzt, für "Hurricane", hat also alles gepasst. Sie arbeitete wie zu ihren großen Zeiten in den Achtzigern mit Sly Dunbar zusammen und holte sich neue, frische Produzenten und Ideengeber an Bord: Ivory Guest produzierte und komponierte, Tricky schrieb den Titeltrack mit ihr, und Brian Eno arbeitete am entstehenden Album ebenso mit wie ihr Sohn Paolo (aus Jones' Liaison mit dem Fotografen Jean-Paul Goude - von ihm stammt beispielsweise das berühmte "Island Life"-Artwork).



"Hurricane" ist ein beeindruckendes Werk. Irgendwo zwischen Dub, Reggae, Trip Hop, und Pop platziert sich Grace Jones mit ihrer nachwievor umwerfenden Stimme und entwickelt eine im Vergleich mit früheren Alben zwar in Teilen deutlich düsterere, gleichfalls aber offenere Musik, die überraschenderweise nicht mal im Ansatz anachronistisch, sondern taufrisch und zeitlos wirkt. Die Produktion ist trotz vereinzelter Trip Hop-Elemente im Titeltrack und bei "Devil In My Life" state-of-the-art, zu jeder Sekunde stimmungsvoll und milimetergenau in das künstlerische Konzept eingepasst. "Corporate Cannibal" ist schon jetzt ein Klassiker. "I consume my consumers" raunt die Ikone zu Beginn, während es im Hintergrund unheilvoll beginnt zu surren. Ein Stück wie eine Theaterinszenierung. Ein Tanz, vielleicht eine Jagd.

Ist sie wirklich so furchtlos und stark, wie sie wirkt?

„Ich bin eigentlich ein sehr privater Mensch“, sagt sie. „Es kostet mich Anstrengung, auf die Bühne zu gehen. Es ist jedes Mal wieder eine Überwindung.“

Wie hat man sich das vorzustellen - Sie stehen hinter der Bühne und atmen tief durch, und dann nehmen Sie die Schultern zurück und sind: Grace Jones?

„Genau so.“

Sind Sie in Wahrheit ein ängstlicher Mensch?

„Ja. Ich brauche immer sehr lange, meine Wohnung zu verlassen. Man weiß nie, was einen draußen erwartet. Manchmal bleibe ich einen ganzen Monat lang zu Hause. Ich gehe dann keinmal vor die Tür. Ich bestelle mir Essen, manchmal kommen Freunde vorbei, aber nicht viele, nur ausgewählte, wenige.“

"This is my voice, my weapon of choice." singt Grace Jones zu Beginn des Openers "This Is" und ich lasse mich von dieser Waffe seit Tagen regelmäßig und mit immer noch wachsender Begeisterung niederstrecken.

Ladies & Gentlemen, I don't want to say much more but....Grace Jones is in the house.

She is, indeed.

Erschienen auf PIAS, 2008

27.10.2011

It's Oh So Bright


Q AND NOT U - DIFFERENT DAMAGE

Ich bin ja grundlegend ein ziemlich begeisterungsfähiger Typ. Wenn mir beispielsweise Musik gefällt, dann gefällt sie mir meistens so gut, dass ich letztlich nur noch zu den mehr oder minder bekannten Fantasterbar-Formeln greifen kann. Ein inflationärer Gebrauch ist das Risiko, das es zu tragen gilt - da ich andererseits aber auch ein spießiger Vollmusiknazi bin, der (i) nur wenig eben so richtig gut findet und (ii) sich an kleinsten Nuancen stören kann (was oftmals sehr irritierend für Menschen in meinem Umfeld sein kann - verzeiht mir!), schätze ich die Gefahrenstufe nicht über Gebühr hinaus auf Stufe Rot ein.

Im Falle von Q And Not U, einer leider bereits aufgelösten Formation aus Washington DC, die drei Alben via Dischord veröffentlichte, sehe ich die Gefahr nicht, komplett am vielbeschworenen Rad zu drehen, aber my goodness: die waren gut. Dabei ist es eine seltsame Geschichte zwischen ihnen und mir. Ich hatte sie seit Jahren auf dem Schirm, selbst nach ihrer Auflösung hatte ich immer mindestens eine Platte auf irgendwelchen Mailorder-Wunschzetteln herumfliegen - aber ich habe bis vor einigen Monaten nie eine ihrer Platten gekauft. Ich startete dann endlich mit dem Abgesang "Power" aus dem Jahr 2004 und zog nun mit Album Nummer 2 nach. "Different Damage" litt anfangs unter meiner, durch Rezensionen von offenbar hörgeschädigten Pavianen, die zufällig auch mal über Musik schreiben durften, fehlgeleiteten Vorstellung über ihre Musik. Ich erwartete Ausbrüche, Geschrei, Kraft und Chaos - und bekam zunächst nichts von alledem. Gut, charmant war das schon, es war ein bisschen abgedreht, und dass die Jungs wussten, wie man die Arrangements schön verzwirbelt, konnte ich auch hören. Aber ich wollte doch etwas ganz anderes. Wollte ich nicht?

Nach vier Durchläufen war alles vergessen, und ich wollte gar kein Geschrei und Chaos mehr. Viel mehr sah ich mich wie in alten Tagen zu den Füßen meiner Lautsprecher sitzen, ich hielt das Textblatt in den Händen - ich muss zugeben, dass die meisten Platten, die ich mir heute so kaufe, gar keine Texte mehr haben, weshalb das beschriebene Vorgehen (leider) eine Seltenheit geworden ist - und verfolgte also jedes gesungene Wort mit den Augen und jede gespielte Note mit den Ohren und scheißrein: das ist Indie/Postcore im ALLERbesten Sinne, das ist so losgelöst, dabei kein bisschen abgehoben, in seiner Schieflage ungeheuer kraftvoll und inspirierend. Hier und da liegen noch ein paar Überbleibsel von Vater Punk und Mutter Hardcore herum, aber im Vordergrund stehen einfallsreich gestrickte Gitarrenspielereien, das alles nach vorne treibende Schlagzeug und ein toll arrangierter Gesang. Und:
es ist viel schwieriger und in der Folge lohnender, das Chaos derart transparent darzustellen, als es von einer Wand aus Lärm überdecken zu lassen. Hier gibt es viel zu Entdecken.

Es wäre total super gewesen, hätte ich mir schon früher einen Ruck gegeben und sie kennengelernt. Wieder mal ein "Fail!" aus dem Hause Florian. Sei's drum.

Erschienen auf Dischord, 2002

23.10.2011

Sperrfeuer am Kaffeekränzchen


edIT - CRYING OVER PROS FOR NO REASON

"N'aaaaach, das ist mir jetzt zu zerrissen."

Es war während einer letztjährigen Busfahrt durch das indische Hinterland, auf der Fahrt von Bangalore ins 200 Kilometer entfernte Mysore, als ich meinem britischen Arbeitskollegen zunächst meinen selbstfabrizierten Krach und vor allem die großfantastischen Propagandhi via MP3-Abspielgerät näher brachte, bevor er mir zwei Alben empfahl, die zu wenigstens seinen Lieblingsscheiben gehören. Beide stammen aus ein und demselben Elektrofuddelhirn, jenem des US-amerikanischen Produzenten und DJs Edward Ma, besser bekannt unter seinem Künstlernamen edIT. "Certified Air Raid Material" erschien im Jahr 2007 und hatte einige echte Wahnsinnsmomente zur Folge, als ich bei 30°C, etwa 1300% Luftfeutigkeit und in einem Gefährt, in dem man hierzlande nicht mal einen Sack Kartoffeln spazieren fahren würde, aus Angst, die ein oder andere Knolle könnte auf problematische Weise zu unschönen Druckstellen kommen, durch die dunkle Nacht kutschiert wurde. Ich erinnere mich heute nicht mehr vollständig daran, was letzten Endes blieb war ob der Texte und der leichten, versteckten Macho-Attitüde ein fader Beigeschmack. Zumal "Certified Air Raid Material" schon im Ansatz deutlich mehr im Hip Hop steckt, als der Vorgänger. Was grundlegend nichts Schlechtes sein muss, aber ich bin gegenüber Hip Hop etwas etepetete.

Aber dann kam "Crying Over Pros For No Reason" und hier erledigte sich zunächst mal das Problem hinsichtlich der Texte. Es gibt schlicht keine. edITs Debutalbum erschien im Jahr 2004 und ist bis auf vereinzelte, dubiose Sprachsamples komplett frei von mutmaßlichem Unsinn. Letzteres gilt für mehr als nur eine Ebene. Der Engländer (an sich) würde wohl "This is serious shit!" dazu sagen und ich antwortete mit einem saftigen "Hell Yeah". Mir fiel es just in den letzten Tagen wie Schuppen von den Boxershorts: sie kratzen vielleicht am Anfang ein bisschen, "aber später will man gar nicht mehr raus."(Garth Algar). Die Platte mag auf den ersten Blick nicht das sein, was gemeinhin unter "leichtverdaulich" oder "komplikationslos" verstanden werden dürfte. Die Lücke zwischen ihren zwei zentralen Elementen, anschmiegsame, flächige und melodisch sorgsam ausgearbeitete Wohlklänge zum einen und harte Beats, alles zerschneidende Clicks und die Harmonie durchschneidende Brüche auf der anderen Seite sind zunächst zu groß und wer den Song hinter den ganzen Cuts nicht sieht, wird eh auf dem falschen Fuß erwischt. Ähnlich erging es mir zu Beginn. Ich war eingenommen von der Zartheit und Zerbrechlichkeit der Soundscapes, aber ich war gleichzeitig irritiert von dieser mutwilligen Zerstörung.

Und nun hat es endlich "Bim-Bam" gemacht. edIT, unter anderem auch Mitglied der in Los Angeles-beheimateten Band The Glitch Mob, hat mit Elementen des Hip Hop, aus Teilen des Ambients und der elektronischen Musik ein Album zusammengepuzzelt, das in Sachen Perfektion fast an die Irren von Autechre heranreicht, dabei aber deutlich beatlastiger und schmutziger, aber gleichzeitig auch aufgräumter und fokussierter erscheint.

Ich finde es immer noch schwierig, in der richtigen Stimmung zu sein, um "Crying Over Pros For No Reason" wirklich genießen zu können, aber wenn's denn mal soweit ist, trifft es mich wie ein Blitz und ich erkenne: das ist fantastischer Kram.

Noch ein Wort zur Verbreitung, weil's dann doch überrascht: die CDs (!) der "Crying Over Pros For No Reason" und "Certified Air Raid Material"-Alben gibt's entweder gar nicht mehr (!!), oder für einen schlappen dreistelligen (!!!) Eurobetrag. Irgendwas läuft hier echt ziemlich schief. Wie dem auch sei, dann kauf' halt die doofen MP3s...

Erschienen auf Planet-Mu, 2004.

03.10.2011

Fast richtige Wikipedia-Artikel (2)

"Michelle Bachmann besitzt ein zentrales Nervensystem bzw. ein diffuses Nervennetz, jedoch konnte noch kein Organ identifiziert werden, das man als Gehirn bezeichnen könnte."

02.10.2011

Newermind

VARIOUS ARTISTS - NEWERMIND

Es ist nicht so, dass ich keinen Grund hätte, über Nirvanas "Nevermind" zu schreiben. Nachdem die Elogen zum zwanzigjährigen Jubiläum im Spiegel, in der TAZ, in der Süddeutschen sowie im Metzgerfachblatt "Tanz, Du Sau!" an uns vorbeigezogen sind, natürlich immer mit einer kaum bis extrem stark auffälligen Vermischung von redaktionellem Inhalt ("Sprachrohr einer Generation", "Verzweiflung", "So jung kommen wir nicht mehr zusammen!") mit plump und clever platzierter Werbung ("DIE DICKE JUBILÄUMSBOX ZUM JUBILÄUM! JUBILÄUM! JUBILÄUM! NUR 800 EURO! JUBILÄUM!"), könnte ich ja mal so tun, als ob sich irgendeine alte Sau noch dafür interessiert, was ich über "Nevermind" zu sagen hätte. Das Problem ist jedoch, dass ich mich nach zwanzig Jahren selbst nicht mehr dafür interessiere, wie ich über "Nevermind" denke.

"Nevermind" ist längst in meinen Knochen verbaut. Ich muss das nicht mehr mit allen verfügbaren Floskeln analysieren, zumal niemand, der die Explosion (zuerst) und die Implosion (später) live und in Farbe miterlebte, es jemals analysieren wollte. Es war einfach da, und es war überwältigend. Und das war mehr als ausreichend. Wir wären vermutlich alle wahnsinnig geworden, hätten wir wie vom Teufel getrieben unsere Gedanken und Gefühle reflektieren und erklären müssen. Es fühlt sich falsch an, über "Nevermind" heute noch mehr Worte zu verlieren.

Was allerdings durchaus klappt: ein Song-für-Song Live-Review des "Newermind" Tributalbums vom SPIN-Magazin.

Den Download findet ihr HIER


MEAT PUPPETS
"Smells Like Teen Spirit"


Der halbwegs erfahrene 90er Jahre Alternative-Fan könnte hinter eine Nirvana-Coverversion der Meat Puppets wohl einen Haken setzen, ohne auch nur einen Ton davon gehört zu haben. Und so kann man sich täuschen: die Kirkwood-Brüder igeln sich unter dem Druck der zugegebenermaßen schwierigen Songauswahl ein und brechen saft- und kraftlos zusammen. Ratlosigkeit schon nach knappen fünf Minuten. Das geht ja gut los.

BUTCH WALKER & THE BLACK WIDOWS
"In Bloom"


Die hauen tatsächlich eine knallbunte, beschwingte und sonnige Indiepop-Version raus. Einfach so. Tsehe! Der Mann von heute trägt dazu einen 50-Tage-Bart, eine Latzhose und einen Strohhut. Als Duft wählt er "Harte Arbeit auf dem Feld und Wasser ist mir fremd", dazu gibt's einen Löwenzahn-Knoblauch-Tee. Das ist super, ich bin Fan.


MIDNIGHT JUGGERNAUTS
"Come As You Are"


Die Chipmunks lassen sich neuerdings auch ein Holzfällerhemd stehen. Und ich meine nicht Scott Stapp. Diese Elektronikfummler aus Melbourne setzen sich mit einem Space Shuttle ins Weltall ab und schweben an funkelnden Sternen (Zimt, Kokos) vorbei. Problem: die Reise dauert mir definitiv zu lange und ich habe außerdem Höhenangst. Grundsätzlich schöne Idee, aber ich beginne mich zu langweilen. Jetzt schon.


TITUS ANDRONICUS
"Breed"


Huppsi! Die Quasi-Punkrock-Stylos halten sich sehr eng an das Original - und fahren damit gar nicht so schlecht. Eine ordentliche Wand aus Bass, Bass und einem Spritzer Bass, dazu noch etwas Muskeln aus und auf dem Gesangschor ans kreisrunde Riffing genagelt - fertig ist die Kopie. Nicht besonders kreativ, aber hey - funktioniert! "No small mercies these days."(L.Turin)


THE VASELINES
"Lithium"


Kurt hätte sich vielleicht bis über alle Maßen geehrt gefühlt, dass die Vaselines einen seiner Songs covern - etwas, das die beiden Schotten jahrelang kategorisch ausschlossen. Jetzt spielten sie schlussendlich doch mit - und hätten es von mir aus auch lassen können. Ein sakraler Orgel-Fistelvoice-Langweiler, so spannend wie tiefgefrorene Dosenravioli. Warum macht man sowas?


AMANDA PALMER
"Polly"


Palmers Amanda besuchte den VHS-Kurs "Wie soll man "Polly" covern, ohne dabei zu verlieren (Würde, Ehre, Klingelbeutel)?" und hat nicht schlecht aufgepasst: Ihre Version hat etwas geheimnisvolles und furchteinflößendes, was ja zum Text so schlecht nicht passt. Ich werde das vermutlich nie wieder hören, aber das hat sie gut gemacht. Wenn ich es mir recht überlege, hat sie es sogar sehr gut gemacht.


SURFER BLOOD
"Territorial Pissings"


Originalversion, Teil 2: die Blutsurfer (aus dramaturgischen Gründen frei übersetzt) spielen "Territorial Pissings" nach, die Aufnahme kostete etwa soviel wie ein ÖPNV-Fahrkarte von Stuttgart HBF nach Bietigheim-Bissingen. Kann man machen, man kann sich aber auch was Schönes einfallen lassen. So was anderes. Was anderes Schönes.


FOXY SHAZAM
"Drain You"


Spätestens jetzt beginnt auf "Nevermind" der wenig abgenudelte Teil der Platte, mit also Songs, die man nicht blind und betrunken auf einem Xylophon nachspielen könnte (First Take!). Foxy Shazam machen aus "Drain You" eine durchgeknallte "Bohemian Rhapsody"-trifft-auf-die-Tequila-Blasehasen"-Version. Das war beim ersten Durchgang, äh...nennen wir es gewöhnungsbedürftig. Also ganz schön kacke. Mittlerweile ist es zu einem prächtigen Pimmelwurz gewachsen. Wenn der Yeti onaniert hört er diesen Track.


JESSICA LEA MAYFIELD
"Lounge Act"


Das Original ist mein heimlicher Lieblingssong auf "Nevermind" und da spitze ich mal extra streng die Ohren. Jessicas "Lounge Act" schlurft müde durch eine verlassene Stadt, es ist dunkel, und eine leicht neben der Spur liegende Stimme aus Monthy Pythons Mäuseorgel durchschneidet sanft Stromkabel am Aquädukt. Wenn Scarlett Johannson wenigstens ansatzweise so singen könnte - ich würde mir ihr Tom Waits-Coveralbum sogar ohne die sonst üblichen schweren neurologischen Ausfälle anhören können.


CHARLES BRADLEY & THE MENAHAN STREET BAND
"Stay Away"


Krass. Und das auf vielen Ebenen. Erstens: die Version des wiedergeborenen James Brown ist das beste Cover dieser Compilation. Zwotens: es verwundert nicht, sein "No Time For Dreaming"-Album ist schon eine Wucht in Soul-Tüten. Das geht einfach in einer Linie so weiter, ein glatter Durchschuss. Drittens: ich habe den Song nicht erkannt. Ich musste mir tatsächlich nochmal "Nevermind" auflegen und hören, wie "Stay Away" klingt. So kirre hat mich der Scheiß gemacht. Groß!


TELEKINESIS
"On a Plain"


Originalversion, Teil 3. Sind wir nicht alle Schwiegermütter? Michael Benjamin Lerner wäre unser aller Liebling. Guter, sauberer Spaß. Fühle mich gerade wie 1994. Verfluchte Axt. Ach, stimmt gar nicht, eher wie 1990. Lemonheads, Weltmeister, Pickel im Schritt. Und sowas halt.

JEFF THE BROTHERHOOD
"Something in the Way"


Erinnert entfernt an die legendären Nirvana-Liveversionen, ist aber am Ende nur eine ziemlich ungut klingende Studioaufnahme fast komplett ohne einen Funken Intensität. Dass die angeblichen Doomjünger am Ende ein verschwirbeltes Gitarrengebratze anhängen ist zwar charmant, aber mir fällt gerade kein Grund an, warum ich das nochmal hören sollte. Vielleicht beim Staubsaugen.


EMA
"Endless Nameless"


EMA bekommt die gelbgetönte Butch Vig-Sonnenbrille für den engagierten Zweitplatzierten überreicht. Ich bin ja grundlegend großer Freund der beiden Nirvana Reprise-Songs - "Endless Nameless" auf "Nevermind", sowie "Gallons Of Rubbing Alcohol Flow Through The Strip" auf "In Utero". Dieser Krach, dieser Lärm. Diese Freiheit. Diese Kraft. Viel davon erkenne ich in dieser Version wieder. Bratziger Feedback-Schnarz mit Chaos, Wut und Rebellion in jeder Note. Ich kenne EMAs sonstige Werke nicht, aber ich könnte wetten, dass er eigentlich so rebellisch wie 'ne Fußmatte ist. Was er dann immerhin mit mir gemeinsam hätte, und ich stehe auf Gemeinsamkeiten.


Famous last words: Ich weiß nicht, wem es nützt. Aber wer vielleicht ein letztes Mal hinter seine Songs und diese Wand aus Gitarren und einem donnernden Schlagzeug blicken will, der kann selbst in schwachen Momenten dieser Zusammenstellung viele beeindruckende und verbindende Elemente in "Nevermind" finden, die jede Veränderung und jede Lage aushalten. Eine Art universeller Aura, die in jedem Song mit glühender Leidenschaft erstrahlt.

Ich schalte die Floskelmaschine jetzt auch aus, is' ja schon gut.

01.10.2011

"God damn, we stole PUNK from black people, too?!"

DEATH - ...FOR THE WHOLE WORLD TO SEE

Schon der Einstieg, die ersten Sekunden des Openers "Keep On Knocking", eignet sich für das erste zaghafte Ausflippen: Jimi Hendrix hat bei den Stooges gespielt. Jetzt ist's raus. Und King's X-Sänger und Bassist Doug Pinnick hat schon 1974 in einer afro-amerikanischen Punkband gespielt. Tjaha! Wenigstens macht sein Alter jetzt Sinn, aber...warum weiß ich davon nichts?
Und noch schlimmer: warum wisst ihr nichts davon?

Wir reden bei Death selbstredend nicht von der gleichnamigen und mittlerweile nicht mehr existenten Death Metal Band aus Florida, sondern von den drei Brüdern Bobby Hackney (Bass, Gesang), Dannis Hackney (Schlagzeug) und David Hackney (Gitarre), die 1974 in ein Studio in Detroit spazierten, um unter der Leitung von Jim Vitti insgesamt zwölf Songs für ihr Debutalbum auf dem Label Groovesville Productions einzuspielen. Dessen Inhaber, Don Davis, reichte zu jener Zeit ein paar Demotracks an befreundete Labelmanager herum, und Clive Davis von Columbia Records hatte kurz darauf angebissen. Da war sie also, die Chance auf einen großen Deal. Der Haken: Davis wollte, dass sich die Hackneys einen anderen Namen für ihre Band aussuchten, Death sei nun wirklich nicht so irrsinnig verkaufsfördernd. Gitarrist David stellte sich stur, sah sich in seiner künstlerischen Freiheit eingeschränkt und lehnte vehement ab. Death würden ihren Namen auf keinen Fall ändern. Als Ergebnis nahm man statt der geplanten 12 Tracks nur 7 auf - und jene wanderten umgehend in einen Labeltresor. In dem sie die nächsten 35 Jahre herumlagen. Death verschwanden von der Bildfläche und gingen durch die Mitte der siebziger Jahre einsetzende Disco-Welle unter. Und alles, was sie hatten, war eine auf 500 Stück limitierte Single mit den beiden Tracks "Politician In My Eyes" und "Keep On Knocking". Dass die Bad Brains übrigens diese Single solange auf ihrem Plattenteller rotieren ließen, bis sie jede Note in ihre DNA aufgenommen hatten, ist hierbei übrigens bloß ein Gerücht.

2009 veröffentlichte das Drag City Label die sieben aufgenommenen Songs unter dem Titel "For The Whole World To See" erstmalig auf LP und CD. Das weiter oben erwähnte "Keep On Knocking" wurde mir einige Tage vor der offiziellen Veröffentlichung als erster Song unter die Nase gerieben, und ich wurde tatsächlich recht umgehend ziemlich wuschig: eine rauhe, krachige, laute Produktion, ein durch Funk- und Soul-Elemente zersägter Protopunk mit tadelloser Energie. Kein außer Kontrolle geratener, schmutziger Garagenrock der MC5 oder gar der Stooges - Death waren äußerst akurat, dabei völlig uneingebildet lässig und cool. Und auch wenn nicht jeder der sieben Songs auf meinen Lieblingslisten landen wird, das zähe und leicht psychedelische "Let The World Turn" fällt mit seinen sehr ruhigen Parts ziemlich aus der Reihe: "For The Whole World To See" hat mindestens vier todsichere Klassiker im Köcher. Und einen dieser Klassiker möchte ich besonders herausstellen: "Politicians In My Eyes" ist der goße Moment dieser Platte. Hymnisch, mit toller Schlagzeug- und Gitarrenarbeit, treibend, gefährlich - für knapp sechs Minuten jammt sich das Trio in einen wahren Rausch.

In einem launigen und tragisch-glücklichen Interview mit dem Nackedei-Magazin Suicide Girls erzählen Bobby und Dannis (Gitarrist David starb im Jahr 2000 an Lungenkrebs) von dem Erlebnis als ihre eigenen Kinder die vermeintlich vergessen Musik ihrer Eltern auf einer Party in Kalifornien hörten und das möchte ich Euch nicht vorenthalten:

"Well, he [Bobbys Sohn] called me up and he said, "Hey Dad, did you know these people are groovin' to your music at these underground parties? Every time they play you, the crowd goes wild, and people just rush the dance floor." I'm like, "What are you talking about? Lambsbread?[die später gegründete Reggaeband der Brüder]" I thought he was talking about our reggae band, you know? He was like, "No, Dad, you were in a band in the '70's called Death." And then I got a little quiet ... [laughs] It was just kind of a shock for us to find this out."

Erschienen auf Drag City, 2009


P.S.: Drag City veröffentlichten im Jahr 2011 mit "Spiritual • Mental • Physical" eine Compilation aus Demos und Session-Outtakes.

24.09.2011

In eigener Sache - Blank When Zero


Unser kleines Punkrocktrio plant für Ende Oktober/Anfang November eine kleine Release-Party-Tournee durch die Rattenlöcher der Republik - und sucht noch zwei Auftrittsmöglichkeiten für Samstag, 29.10. und Sonntag, 30.10.2011.

Alles, was wir brauchen: eine Bühne, eine halbe Stunde Zeit, eine Band, an die wir uns ranzecken können und eine Handvoll Spritgeld.

Wenn Euch etwas einfällt, wo und mit wem wir auf die Bretter steigen können, dann meldet euch bitte entweder in den Kommentaren, schickt eine Mail an dreikommaviernull[at]yahoo[dot]com, oder kontaktiert uns via Facebook.


Die bisherigen Termine:

28.10.2011 Frankfurt, tba.
29.10.2011 tba.
30.10.2011 tba.
31.10.2011 Köln, Sonic Ballroom

Was mich gleich zum zweiten Teil dieses Blogposts führt: unsere neue Homepage ist online.

BLANK WHEN ZERO

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

19.09.2011

Kellerleichen

GREAT WHITE - CAN'T GET THERE FROM HERE


Gäbe es regelmäßige Treffen der anonymen Great White-Fans – ich würde meinen Jahresbeitrag wohl für die nächsten 20 Jahre auf einen Schlag überweisen. Man verzeihe mir die reißerische Eröffnung, und bei Licht betrachtet, ist es ja auch totaler Kappes: ich habe aus meiner Verehrung gegenüber dem kalifornischen Bluesrock-Quintett niemals wirklich einen Hehl gemacht, ernte bei entsprechendem Bekenntnis dennoch immer wieder Reaktionen, die mit "verstörend " noch recht liebevoll umschrieben sind. 


 Great White starteten ihre äußerst wechselhafte Karriere Anfang/Mitte der achtziger Jahre mit dem selbstbetitelten Debut, auf das 1986 das zweite Album „Shot In The Dark“ folgte, und erreichten spätestens mit ihrem vierten Album „…Twice Shy“ (1989) ihren kommerziellen Höhepunkt. Schon der Vorgänger „Once Bitten…“ aus dem Jahr 1987 konnte in den knietief im Corporate Rock-versunkenen Vereinigten Staaten mindestens eine Platin-Auszeichnung einfahren, mit „…Twice Shy“ gingen die Verkäufe schlussendlich durch die Decke, nicht zuletzt durch die Coverversion des Ian Hunter-Songs "Once Bitten, Twice Shy", die bis auf Platz 6 der US-amerikanischen Singlecharts vorstoßen konnte. Bis heute stehen geschätzte drei Millionen verkaufte Exemplare alleine dieses Albums auf der Habenseite. Great White standen bis zu Beginn der Neunziger also auf der Sonnenseite des Musikgeschäfts und wenigstens aus meiner Sicht standen sie dort mit Recht. Ihr relaxter, kräftig mit Rhythm & Blues-getränkter Hardrock war sündhaft originell und verzichtete fast gänzlich auf die damals so heißen Klischees, wie sie Bands wie Mötley Crue, Poison, Warrant oder Ratt aus dem Eff-Eff beherrschten. Great White brauchten keine Skandale, sie brauchten keine Schminke, sie brauchten keine explodierenden und sich um 360° drehenden Bühnen. Sie hatten in erster Linie großartige Songs aus der Feder von einem der besten Songwriter der gesamten Hardrockszene, dem Multiinstrumentalisten Michael Lardie. Hinzu kamen mit Jack Russell ein charismatischer Frontmann und mit Mark Kendall ein großartiger Bluesgitarrist, der mehr Feeling im kleinen Fingernagel hat als meinereiner am ganzen Körper,. Musiker, die sich auch hinsichtlich ihrer Ausstrahlung wohltuend vom Rest der übrigen erfolgreichen Hair Metal Bands absetzten. 


Der „Twice Shy“-Nachfolger „Hooked“ verkaufte sich, kurz vor der Grungewelle veröffentlicht, ebenfalls noch prächtig, beim Nachfolger „Psycho City“ indes wurde die Band erbarmungslos hinweggespült. Die logische Konsequenz: Great White verloren ihren Plattendeal mit dem Major Capitol Records. Die nächsten Jahre verliefen mehr schlecht als recht. Es gab einige Lineup-Wechsel, Platten, die keiner hören wollte, erschienen auf obskuren, kleinen Labels, die keiner kennen wollte, mit „Let It Rock“ wurde gar ein Album ausschließlich in Japan veröffentlicht, weil die Japaner 1996 das einzige Volk auf dieser Erde zu sein schien, das sich wenigstens noch ansatzweise für die Band interessierte, und zu schlechter Letzt erschien 1998 ein zwar gutes, aber trotzdem leicht verzweifelt wirkendes Led Zeppelin-Tributealbum unter dem Namen Great Zeppelin. 


 Bevor die Band im Jahr 2003 mit der Feuerkatastrophe in einem Club in Rhode Island, USA, für traurige Schlagzeilen sorgte, erschien 1999 mit „Can’t Get There From Here“ das vielleicht bis heute beste Album ihrer Karriere, und ich könnte es jetzt eigentlich fix durch- und euch einpauken, ohne auch nur ein Fragezeichen im Raum stehen zu lassen: 12 Songs - 12 Hits. Thank you, good night. Ich kann es drehen und wenden, wie ich will. Matthias "Der" Breusch schrieb in seiner damaligen Rezension, "Can't Get There From Here" sei "ein tiefer Blick in die Seele des melodischen Westcoast-Rock" und alles an diesem Satz ist korrekt. Eine ungeheure Souveränität und Lockerheit, ein durchgängiges Monstersongwriting auf Weltklasseniveau, große Gefühle, Sonnenschein. Ich stehe dem so oft kolportierten American Way Of Life nicht wirklich nahe, aber Verzeihung: dieses Album gehört auf Endlosschleife gehört! Bei Temperaturen von 600°C im Schatten. In einer großen Ami-Limousine. In 'nem Cabrio. Und wenn man im billigen Motel in der Wüste Arizonas angekommen ist, säuft man billigen Whiskey-Fusel und qualmt Zigarren. Mit Sonnenbrille auf der Nase. Nachts um 4. Und verbrüdert sich mit den Betonmischergroßen Kakerlaken auf dem fleckigen Bettlaken, das viele Geschichten aus längst vergangenen Tagen zu erzählen weiß. 


 Ohrwürmer! OHRWÜRMER! ALLES VOLLER OHRWÜRMER!!! 


Erschienen auf Portrait, 1999.

13.09.2011

Georg Schramm (3)

Wie mir ein Vögelchen eben zwitscherte, strahlt ZDF-Kultur am heutigen Dienstagabend um 20:15 Uhr einen Mitschnitt des aktuellen Soloprogramms "Meister Yodas Ende" von Georg Schramm aus.

Und das wollte ich mit Euch teilen.

Hach. So bin ich.


Update 15.9.2011:

Freundliche Youtube-Nutzer haben damit begonnen, den Mitschnitt in (bisher noch) kleinen Häppchen hoch zu laden. Hier ein schönes Sanftleben Best-Of:

12.09.2011

In eigener Sache - Sun Never Sets

Der ein oder andere wird es ja möglicherweise wissen: der Idiot, der diesen ganzen Kram hier - seit erschreckenden vier Jahren, wie mir heute aufgefallen ist - zusammenschreibt, spielt und singt außerdem in zwei Bands. So mit Gitarren und Kreischen und Trommeln und Bumsfallera.

Jedenfalls: die eine der beiden Bands nennt sich Sun Never Sets, die andere Blank When Zero. Letztere, ein kleines aber feines Punk- und Hardcore Trio, werden Ende Oktober ihr erstes quasi-Album veröffentlichen. Darüber gibt's hier an dieser Stelle mehr zu lesen, wenn es soweit ist. Bleibt gestimmt.

Sun Never Sets haben nun schon seit einiger Zeit ihren Krempel aufgenommen, und jetzt hätten wir ganz gerne, dass das Zeug auch mal jemand hört. Wenn's denn recht ist.

Unter folgendem Downloadlink könnt ihr das Album komplett und kostenlos als MP3 (320kbit) herunterladen. Das Frontcover gammelt ebenfalls im gezippten Ordner herum.


Sun Never Sets
"The Absurd"
September 2011

Tracklist:

01 As Below So Above
02 Gasoline
03 What They Need
04 Serenity
05 Gutting
06 The Absurd
07 Floodstream
08 Black Cocoons
09 Dissolute


DOWNLOAD

Homepage


Ich bedanke mich vielmals für die Aufmerksamkeit.

Und Rückmeldungen sind natürlich gerne gesehen und gelesen.

11.09.2011

Der Franzose kann's...

Erfreulich oft fand in den letzten Tagen dieses ganz wunderbare Set des französischen DJs und Produzenten NHAR seinen Weg in mein Schallgesims - auch wenn der Auftritt im 200 Club/Studio 672 in Köln stattfand und meine Verbundenheit damit eigentlich auf der Roten Liste stehen müsste. In Teilen fühle ich mich an die Euphorie und diese wahnsinnig positive Ausstrahlung von Gui Borattos Meisterwerk "Chromophobia" von 2007 erinnert.

Nach der bereits fantastischen "Megumi/Bluedrop"-Single aus dem Mai dieses Jahres - folgerichtig auf dem Kölner 200 Records Label erschienen - ist die hier weiter unten zu hörende (und auch zu downloadende, by the way) Aufnahme ein weiteres sicheres Zeichen dafür, dass man den Mann künftig unbedingt auf dem Zettel haben sollte.

Nhar - Live @ Club 200 - Studio672 - Köln by Nhar