edIT - CRYING OVER PROS FOR NO REASON
"N'aaaaach, das ist mir jetzt zu zerrissen."
Es war während einer letztjährigen Busfahrt durch das indische Hinterland, auf der Fahrt von Bangalore ins 200 Kilometer entfernte Mysore, als ich meinem britischen Arbeitskollegen zunächst meinen selbstfabrizierten Krach und vor allem die großfantastischen Propagandhi via MP3-Abspielgerät näher brachte, bevor er mir zwei Alben empfahl, die zu wenigstens seinen Lieblingsscheiben gehören. Beide stammen aus ein und demselben Elektrofuddelhirn, jenem des US-amerikanischen Produzenten und DJs Edward Ma, besser bekannt unter seinem Künstlernamen edIT. "Certified Air Raid Material" erschien im Jahr 2007 und hatte einige echte Wahnsinnsmomente zur Folge, als ich bei 30°C, etwa 1300% Luftfeutigkeit und in einem Gefährt, in dem man hierzlande nicht mal einen Sack Kartoffeln spazieren fahren würde, aus Angst, die ein oder andere Knolle könnte auf problematische Weise zu unschönen Druckstellen kommen, durch die dunkle Nacht kutschiert wurde. Ich erinnere mich heute nicht mehr vollständig daran, was letzten Endes blieb war ob der Texte und der leichten, versteckten Macho-Attitüde ein fader Beigeschmack. Zumal "Certified Air Raid Material" schon im Ansatz deutlich mehr im Hip Hop steckt, als der Vorgänger. Was grundlegend nichts Schlechtes sein muss, aber ich bin gegenüber Hip Hop etwas etepetete.
Aber dann kam "Crying Over Pros For No Reason" und hier erledigte sich zunächst mal das Problem hinsichtlich der Texte. Es gibt schlicht keine. edITs Debutalbum erschien im Jahr 2004 und ist bis auf vereinzelte, dubiose Sprachsamples komplett frei von mutmaßlichem Unsinn. Letzteres gilt für mehr als nur eine Ebene. Der Engländer (an sich) würde wohl "This is serious shit!" dazu sagen und ich antwortete mit einem saftigen "Hell Yeah". Mir fiel es just in den letzten Tagen wie Schuppen von den Boxershorts: sie kratzen vielleicht am Anfang ein bisschen, "aber später will man gar nicht mehr raus."(Garth Algar). Die Platte mag auf den ersten Blick nicht das sein, was gemeinhin unter "leichtverdaulich" oder "komplikationslos" verstanden werden dürfte. Die Lücke zwischen ihren zwei zentralen Elementen, anschmiegsame, flächige und melodisch sorgsam ausgearbeitete Wohlklänge zum einen und harte Beats, alles zerschneidende Clicks und die Harmonie durchschneidende Brüche auf der anderen Seite sind zunächst zu groß und wer den Song hinter den ganzen Cuts nicht sieht, wird eh auf dem falschen Fuß erwischt. Ähnlich erging es mir zu Beginn. Ich war eingenommen von der Zartheit und Zerbrechlichkeit der Soundscapes, aber ich war gleichzeitig irritiert von dieser mutwilligen Zerstörung.
Und nun hat es endlich "Bim-Bam" gemacht. edIT, unter anderem auch Mitglied der in Los Angeles-beheimateten Band The Glitch Mob, hat mit Elementen des Hip Hop, aus Teilen des Ambients und der elektronischen Musik ein Album zusammengepuzzelt, das in Sachen Perfektion fast an die Irren von Autechre heranreicht, dabei aber deutlich beatlastiger und schmutziger, aber gleichzeitig auch aufgräumter und fokussierter erscheint.
Ich finde es immer noch schwierig, in der richtigen Stimmung zu sein, um "Crying Over Pros For No Reason" wirklich genießen zu können, aber wenn's denn mal soweit ist, trifft es mich wie ein Blitz und ich erkenne: das ist fantastischer Kram.
Noch ein Wort zur Verbreitung, weil's dann doch überrascht: die CDs (!) der "Crying Over Pros For No Reason" und "Certified Air Raid Material"-Alben gibt's entweder gar nicht mehr (!!), oder für einen schlappen dreistelligen (!!!) Eurobetrag. Irgendwas läuft hier echt ziemlich schief. Wie dem auch sei, dann kauf' halt die doofen MP3s...
Erschienen auf Planet-Mu, 2004.
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