Platz 3: JORDAN RAKEI - WALLFLOWER
Im Oktober des letzten Jahres schrub ich an anderer Stelle über "Wallflower", das zweite Album des gebürtigen Australiers Jordan Rakei werde in der Jahresendabrechnung ganz sicher unter den ersten 5 zu finden sein. Nun ist es tatsächlich die Bronzemedaille geworden - und das ist, wie ich mir just in diesem Augenblick nochmal via Endlosschleife auf dem Plattenteller versichern lasse, nicht nur verdient, sondern sogar das untere vorstellbare Limit. Das ist eine sensationell gute Platte.
Aufmerksam geworden bin ich auf den mittlerweile in London lebenden Multiinstrumentalisten bereits 2016. Das Coverartwork seines "Cloak" Debuts (erschienen auf Soul Has No Tempo), ein kunterbuntes und geheimnisvolles Gemälde von der kuwaitischen Künstlerin Zaina Al Hizami versprach wenigstens Interessantes - und ich sollte nicht enttäuscht werden. "Cloak" ist ein beeindruckendes Debut und zeigt bereits Rakeis Fähigkeit, aus rhytmisch raffinierten Kompositionen eingängige Refrains zu entwickeln. Fatalerweise war und ist die Vinylpressung von "Cloak" eine der furchtbarsten aller Zeiten, und so gab ich nach drei Versuchen (jeweils bei unterschiedlichen Mailorders bestellt) entnervt auf: die erste Lieferung hatte zwei Mal die A/B-Seite in der Hülle stecken, aber keine C/D-Seite - trotz Laminierung! Was zum Fick? Der zweite und dritte Anlauf sollte die negativen Kommentare auf Discogs bestätigen: ein einziges Kratzen, Schleifen und Springen. Ich habe wirklich noch niemals eine derartig miese Pressung gehört, aber das hält natürlich niemanden davon ab, "Cloak" immer noch zum Verkauf anzubieten. Ganz im Gegenteil, denn mittlerweile ist das Vinyl ziemlich rar geworden und kostet eine ordentliche Stange Geld. Augen auf beim Plattenkauf: so toll die Musik auf der Platte auch ist, ist hier ganz sicher ein anderes Format vorzuziehen.
Die Vinylpressung von "Wallflower" hingegen ist fehlerlos und damit ganz so, wie man es von Ninja Tune erwarten konnte. Rakei ist mittlerweile zum britischen Spezialistenlabel für modernen Eklektizismus gewechselt und das macht Sinn: seine Musik zeigt Einflüsse aus Jazz, Rhythm & Blues, Hip Hop, Electronica, Soul und Reggae, die er hier noch mehr als auf "Cloak" zu einer homogenen, äußerst stimmungsvoll in Szene gesetzten Melange zusammenfügt. "Wallflower" ist nicht nur ernster und dunkler als der Vorgänger, es zeigt auch einen lyrisch deutlich intimere Seite des Musikers, der unglaublicherweise erst 25 Jahre alt ist: Rakei reflektiert in seinen Texten sein Leben als "Outsider" in sozialen, zwischenmenschlichen Situationen, zeigt sich auf "Wallflower" sehr persönlich und und wollte das auch im Coverartwork widerspiegeln: das Bild des kleinen Jungen mit dem überspannten Regenschirm ist der junge Jordan im australischen Brisbane:
"It's an image that's very personal to my family and me. It's a picture of me that used to sit in our house when we were growing up. Visitors would always comment on it. Because the album is so personal, I wanted to make sure I didn't overcomplicate the artwork. I was focused on portraying as much vulnerability as possible, and this photo definitely represents that."
Das fällt bei der Wohngemeinschaft Dreikommaviernull mit seinen ehemaligen Kindern des Grunge natürlich auf offene Herzen und geradewegs in sanft pulsierende Hosen: wir waren beide derart angetan von dem über Wochen auf heavy rotation laufenden "Wallflower", dass wir uns an einem kalten Novemberabend und nach einem wie gemalt maximal abgefuckten Arbeitstag ins 80 Kilometer entfernte Mannheim bewegten, um gemeinsam mit einer überraschend hohen Anzahl Besucher Rakei nebst seiner Liveband auf der Bühne zu bewundern. Wir würden es jederzeit wieder tun. In a heartbeat.
Ich habe weiter oben von Rakei's "rhythmisch raffinierten Kompositionen" geschrieben und als Paradebeispiel kann, wenn nicht gar: muss "Sorceress" genannt werden; hier in einer leider nicht optimal aufgenommenen Liveversion aus New York. Es ist jedes Mal aufs Neue verwunderlich, wie prima das alles ineinanderfließt - und wie die Band es schafft, dabei nicht komplett auseinanderzufallen:
Und weil die Performance von "Talk To Me" beim letztjährigen North Sea Jazz Festival so umwerfend ist, gibt es das Video noch als extra Zugabe - auch wenn der Song vom Vorgängeralbum "Cloak" stammt. Was für ein Monsterdrummer das ist.
Erschienen auf Ninja Tune, 2017.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen