07.01.2009

Platz 18



Philip Jeck - Sand



Wer erinnert sich noch an die stundenlangen Dauerwerbesendungen, die Anfang der neunziger Jahre im deutschen Privatfernsehen zu allerlei Amüsemang beitrugen? Die ursprünglich amerikanischen Verkaufs- und Anpreisshows, die dann von (vermutlich) Verhaltensgestörten im Elektroschockrausch synchronisiert wurden, sodass künftig auch die deutsche Hausfrau ein praktisches Häkelset, irrsinnige Gemüseschnitzelmaschinen und Wischmopps kaufen konnte?! Ein damaliger Verkaufsrenner war ein Putzmittel namens Quick'n'Brite. Zur Demonstration der Fähigkeiten dieser Weißmach-Pampe stellte der Marktschreier ein mit Wasser gefülltes Glasbecken auf einen Tisch und schüttete allerhand Mist hinein: Tinte, Rotwein, Jod, Schweineblut (gelogen), Hirnflüssigkeit (auch gelo...naja, wer weiß...), Schlamm, Kirschsaft und was sonst noch eher unvorteilhafte Flecken auf Textilien hinterließ. Alsdann nahm der Zampano in Hosenträgern eine Handvoll des Reinemachers und verteilte es in der mitunter sehr unappetitlich aussehenden, schwarz-rot-braunen Brühe und - Zack! - innerhalb von handgestoppten dreikommaviernull Sekunden erstrahlte der Schlammblutrotz-Tümpel in dem weißesten Weiß, das jemals von einer Hausfrau gesehen wurde. Ja, einige berichteten gar von Augenschäden ob des hellen Glanzes! Es war ein schieres Wunder, und der Amerikaner verkaufte es für sensationelle 39,95 deutsche Mark!

Die Musik des britischen Avantgardisten Philip Jeck ist der angemessene Soundtrack zu dieser Szene, und das meine ich gar nicht despektierlich. Seine Musik hat gewaltiges, klärendes Potential. Aufgenommen lediglich mit zwei alten Plattenspielern aus den sechziger Jahren, auf denen er seine obskuren Singles auf 33, 45, 75 und 16rpm abspielen kann, einem Keyboard, einem Mixer und, wenn er gerade Lust drauf hat, einem Gitarreneffektgerät, lässt er seine Kompositionen Stück für Stück, beinahe beiläufig, wachsen, mal grollend, mal schleichend und verhüllend. Kleine Tupfer von Melodien flitschen am Ohr vorbei wie ein Fisch unter der Eisdecke eines zugefrorenen Sees. Nicht selten folgt ein Ausbruch, ein Aufbäumen. Der Vorhang fällt im Augenblick des ungeahnten Moments: eine große, dramatische Melodie kehrt alles um. Wie zum Geier sind wir nun an diesen Ort gekommen?
Auf bereits bestehender Kunst entsteht Neues, ein stimmungsvolles Spiel mit knisternden Loops und flackernden Melodien, die nicht selten wie die musikalische Untermalung eines schwarzweißen Stummfilms klingen: vertraut knisternd, staubig und grobkörnig, dafür aber wunderbar tragisch. Auf einen Schlag ist das klar und pur, was eben noch surreal und verloren herumirrte. Dabei präsentiert sich Philip Jecks Musik durchgängig in stiller und bewusster Erhabenheit.


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