VARIOUS ARTISTS - NEWERMIND
Es ist nicht so, dass ich keinen Grund hätte, über Nirvanas "Nevermind" zu schreiben. Nachdem die Elogen zum zwanzigjährigen Jubiläum im Spiegel, in der TAZ, in der Süddeutschen sowie im Metzgerfachblatt "Tanz, Du Sau!" an uns vorbeigezogen sind, natürlich immer mit einer kaum bis extrem stark auffälligen Vermischung von redaktionellem Inhalt ("Sprachrohr einer Generation", "Verzweiflung", "So jung kommen wir nicht mehr zusammen!") mit plump und clever platzierter Werbung ("DIE DICKE JUBILÄUMSBOX ZUM JUBILÄUM! JUBILÄUM! JUBILÄUM! NUR 800 EURO! JUBILÄUM!"), könnte ich ja mal so tun, als ob sich irgendeine alte Sau noch dafür interessiert, was ich über "Nevermind" zu sagen hätte. Das Problem ist jedoch, dass ich mich nach zwanzig Jahren selbst nicht mehr dafür interessiere, wie ich über "Nevermind" denke.
"Nevermind" ist längst in meinen Knochen verbaut. Ich muss das nicht mehr mit allen verfügbaren Floskeln analysieren, zumal niemand, der die Explosion (zuerst) und die Implosion (später) live und in Farbe miterlebte, es jemals analysieren wollte. Es war einfach da, und es war überwältigend. Und das war mehr als ausreichend. Wir wären vermutlich alle wahnsinnig geworden, hätten wir wie vom Teufel getrieben unsere Gedanken und Gefühle reflektieren und erklären müssen. Es fühlt sich falsch an, über "Nevermind" heute noch mehr Worte zu verlieren.
Was allerdings durchaus klappt: ein Song-für-Song Live-Review des "Newermind" Tributalbums vom SPIN-Magazin.
Den Download findet ihr HIER
MEAT PUPPETS
"Smells Like Teen Spirit"
Der halbwegs erfahrene 90er Jahre Alternative-Fan könnte hinter eine Nirvana-Coverversion der Meat Puppets wohl einen Haken setzen, ohne auch nur einen Ton davon gehört zu haben. Und so kann man sich täuschen: die Kirkwood-Brüder igeln sich unter dem Druck der zugegebenermaßen schwierigen Songauswahl ein und brechen saft- und kraftlos zusammen. Ratlosigkeit schon nach knappen fünf Minuten. Das geht ja gut los.
BUTCH WALKER & THE BLACK WIDOWS
"In Bloom"
Die hauen tatsächlich eine knallbunte, beschwingte und sonnige Indiepop-Version raus. Einfach so. Tsehe! Der Mann von heute trägt dazu einen 50-Tage-Bart, eine Latzhose und einen Strohhut. Als Duft wählt er "Harte Arbeit auf dem Feld und Wasser ist mir fremd", dazu gibt's einen Löwenzahn-Knoblauch-Tee. Das ist super, ich bin Fan.
MIDNIGHT JUGGERNAUTS
"Come As You Are"
Die Chipmunks lassen sich neuerdings auch ein Holzfällerhemd stehen. Und ich meine nicht Scott Stapp. Diese Elektronikfummler aus Melbourne setzen sich mit einem Space Shuttle ins Weltall ab und schweben an funkelnden Sternen (Zimt, Kokos) vorbei. Problem: die Reise dauert mir definitiv zu lange und ich habe außerdem Höhenangst. Grundsätzlich schöne Idee, aber ich beginne mich zu langweilen. Jetzt schon.
TITUS ANDRONICUS
"Breed"
Huppsi! Die Quasi-Punkrock-Stylos halten sich sehr eng an das Original - und fahren damit gar nicht so schlecht. Eine ordentliche Wand aus Bass, Bass und einem Spritzer Bass, dazu noch etwas Muskeln aus und auf dem Gesangschor ans kreisrunde Riffing genagelt - fertig ist die Kopie. Nicht besonders kreativ, aber hey - funktioniert! "No small mercies these days."(L.Turin)
THE VASELINES
"Lithium"
Kurt hätte sich vielleicht bis über alle Maßen geehrt gefühlt, dass die Vaselines einen seiner Songs covern - etwas, das die beiden Schotten jahrelang kategorisch ausschlossen. Jetzt spielten sie schlussendlich doch mit - und hätten es von mir aus auch lassen können. Ein sakraler Orgel-Fistelvoice-Langweiler, so spannend wie tiefgefrorene Dosenravioli. Warum macht man sowas?
AMANDA PALMER
"Polly"
Palmers Amanda besuchte den VHS-Kurs "Wie soll man "Polly" covern, ohne dabei zu verlieren (Würde, Ehre, Klingelbeutel)?" und hat nicht schlecht aufgepasst: Ihre Version hat etwas geheimnisvolles und furchteinflößendes, was ja zum Text so schlecht nicht passt. Ich werde das vermutlich nie wieder hören, aber das hat sie gut gemacht. Wenn ich es mir recht überlege, hat sie es sogar sehr gut gemacht.
SURFER BLOOD
"Territorial Pissings"
Originalversion, Teil 2: die Blutsurfer (aus dramaturgischen Gründen frei übersetzt) spielen "Territorial Pissings" nach, die Aufnahme kostete etwa soviel wie ein ÖPNV-Fahrkarte von Stuttgart HBF nach Bietigheim-Bissingen. Kann man machen, man kann sich aber auch was Schönes einfallen lassen. So was anderes. Was anderes Schönes.
FOXY SHAZAM
"Drain You"
Spätestens jetzt beginnt auf "Nevermind" der wenig abgenudelte Teil der Platte, mit also Songs, die man nicht blind und betrunken auf einem Xylophon nachspielen könnte (First Take!). Foxy Shazam machen aus "Drain You" eine durchgeknallte "Bohemian Rhapsody"-trifft-auf-die-Tequila-Blasehasen"-Version. Das war beim ersten Durchgang, äh...nennen wir es gewöhnungsbedürftig. Also ganz schön kacke. Mittlerweile ist es zu einem prächtigen Pimmelwurz gewachsen. Wenn der Yeti onaniert hört er diesen Track.
JESSICA LEA MAYFIELD
"Lounge Act"
Das Original ist mein heimlicher Lieblingssong auf "Nevermind" und da spitze ich mal extra streng die Ohren. Jessicas "Lounge Act" schlurft müde durch eine verlassene Stadt, es ist dunkel, und eine leicht neben der Spur liegende Stimme aus Monthy Pythons Mäuseorgel durchschneidet sanft Stromkabel am Aquädukt. Wenn Scarlett Johannson wenigstens ansatzweise so singen könnte - ich würde mir ihr Tom Waits-Coveralbum sogar ohne die sonst üblichen schweren neurologischen Ausfälle anhören können.
CHARLES BRADLEY & THE MENAHAN STREET BAND
"Stay Away"
Krass. Und das auf vielen Ebenen. Erstens: die Version des wiedergeborenen James Brown ist das beste Cover dieser Compilation. Zwotens: es verwundert nicht, sein "No Time For Dreaming"-Album ist schon eine Wucht in Soul-Tüten. Das geht einfach in einer Linie so weiter, ein glatter Durchschuss. Drittens: ich habe den Song nicht erkannt. Ich musste mir tatsächlich nochmal "Nevermind" auflegen und hören, wie "Stay Away" klingt. So kirre hat mich der Scheiß gemacht. Groß!
TELEKINESIS
"On a Plain"
Originalversion, Teil 3. Sind wir nicht alle Schwiegermütter? Michael Benjamin Lerner wäre unser aller Liebling. Guter, sauberer Spaß. Fühle mich gerade wie 1994. Verfluchte Axt. Ach, stimmt gar nicht, eher wie 1990. Lemonheads, Weltmeister, Pickel im Schritt. Und sowas halt.
JEFF THE BROTHERHOOD
"Something in the Way"
Erinnert entfernt an die legendären Nirvana-Liveversionen, ist aber am Ende nur eine ziemlich ungut klingende Studioaufnahme fast komplett ohne einen Funken Intensität. Dass die angeblichen Doomjünger am Ende ein verschwirbeltes Gitarrengebratze anhängen ist zwar charmant, aber mir fällt gerade kein Grund an, warum ich das nochmal hören sollte. Vielleicht beim Staubsaugen.
EMA
"Endless Nameless"
EMA bekommt die gelbgetönte Butch Vig-Sonnenbrille für den engagierten Zweitplatzierten überreicht. Ich bin ja grundlegend großer Freund der beiden Nirvana Reprise-Songs - "Endless Nameless" auf "Nevermind", sowie "Gallons Of Rubbing Alcohol Flow Through The Strip" auf "In Utero". Dieser Krach, dieser Lärm. Diese Freiheit. Diese Kraft. Viel davon erkenne ich in dieser Version wieder. Bratziger Feedback-Schnarz mit Chaos, Wut und Rebellion in jeder Note. Ich kenne EMAs sonstige Werke nicht, aber ich könnte wetten, dass er eigentlich so rebellisch wie 'ne Fußmatte ist. Was er dann immerhin mit mir gemeinsam hätte, und ich stehe auf Gemeinsamkeiten.
Famous last words: Ich weiß nicht, wem es nützt. Aber wer vielleicht ein letztes Mal hinter seine Songs und diese Wand aus Gitarren und einem donnernden Schlagzeug blicken will, der kann selbst in schwachen Momenten dieser Zusammenstellung viele beeindruckende und verbindende Elemente in "Nevermind" finden, die jede Veränderung und jede Lage aushalten. Eine Art universeller Aura, die in jedem Song mit glühender Leidenschaft erstrahlt.
Ich schalte die Floskelmaschine jetzt auch aus, is' ja schon gut.