03.01.2016

2015 ° Platz 20




MS. JOHN SODA - LOOM


Vor einigen Jahren erfreute sich der Blog Rezirezen - ein noch immer anerkennendes Nicken in Richtung Berlin - großer Beliebtheit bei Herrn Dreikommaviernull. Rezirezen widmete sich den schlimmsten Geschmacklosigkeiten der von der Plattentests.de-Redaktion verfassten Plattenkritiken und entblößte die stilistischen, sagenwiresmalhöflich: Unzulänglichkeiten von legendären Sahnesteifschreibern wie Armin Linder und Oliver "Das" Ding auf köstlich-amüsante Weise. Wenig später kamen auch noch die Reviews von der gerechterweise seit knapp sechs Jahren auf der virtuellen Müllhalde vor sich hingammelnden Popcultures.de-Redaktion an die Reihe und also Rezirezen vor die Bloggerflinte: das war sehr gewitzt und charmant geschrieben, und wer sich nicht so irre ernst nahm, konnte selbst als betroffener Autor darüber lachen - nur lachte eben keiner von ihnen. Was immer noch mehr über ebenjene als über Rezirezen aussagt.

Rezirezen hätte mittlerweile mit der alten Tante Spex seine helle Freude. Vielleicht. Über Ms.John Sodas neues Album "Loom" schreibt Christoph "wie Hose" Jacke:

Gegen eine Adiaphorisierung, also Entmoralisierung, im Sinne des Soziologen Zygmunt Bauman. Oder auch gegen den etwas weniger bedrohlichen Verlust einer Utopien offerierenden Popmoderne im Sinne des Journalisten und Zeitdiagnostikers Mark Fisher.

Oder eben gegen Kochlöffel aus Eis oder Hirsebrei mit heißer Himbeerkacke, jedenfalls: wer Rezensionen ohne eine den Tisch anhebende Erektion verfasst, werfe den ersten Stein, aber ich würde den Herrn Zeitdiagnostiker gerne mal fragen, wie weit das Hirn auf halb acht gedreht werden kann, bis das Ei im Kopf wachsweich gegart ist. 

Ich habe mich auch ohne Journalisten, Soziologen und Eierkocher sehr über "Loom" gefreut, immerhin das erste Album des Duos Stefanie Böhm und Micha Acher seit über neun Jahren. Seit 2006 gibt es immer diesen einen Moment in einem Jahr, an dem ich die damals erschienene Platte "Notes And The Like" aus dem Regal ziehe und sie für ein paar Tage, manchmal sogar Wochen, im CD-Player oder auf dem Plattenteller lasse. Es ist dann meistens Herbst oder Winter, und Ms.John Sodas Sucht nach den schönsten Harmonien, dem wolligsten Einkuschelfiepen, den heilenden Farben im grauen Netz und den bittersüßesten Texten ist in den dunklen und kurzen Tagen ein großer Trost. Auch für "Loom" heißt es, melancholisch am heißen Kakao zu nippen - und dennoch fühlt es sich falsch an, nur das große Kuscheln auszurufen: ihre Musik ist vor allem harmonisch komplexer gestrickt, als es auf das erste Hören erscheint und wirkt manchmal gar seltsam unwirklich und entrückt. 

Wenn in den letzten Wochen am Abend eines diskussionswürdigen Arbeitstages der innere Ruf aus der Rumpelkammer der Seele unüberhörbar wurde, das Hirn möge sich doch bitte mal kurz ausklinken und ein Mini-Reset durchführen, dann waren diese angenehm kurzweiligen und wohltemperierten 35 Minuten "Loom" dieses wunderbaren Duos wie eine Therapie gegen den Wahnsinn. 





Erschienen auf Morr Music, 2015.

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