20.05.2013

Pusherman


BEN WESTBEECH - WELCOME TO THE BEST YEARS OF YOUR LIFE

"Und wo wir schon mal da sind, dann bleiben wir auch hier." (Jürgen von der Lippe)

Was passiert, wenn man einen jungen Mann, der bis zu seinem achtzehnten Lebensjahr klassischen Cello- und Pianounterricht erhielt auf Hip Hop, Dance Music und Soul loslässt? Richtig, Gilles Peterson hört sein Demo.

Und zwar im Autoradio eines gemeinsamen Freundes. Verzeihung, aber vielleicht benötigt irgendjemand mal diese Info beim Trivial Pursuit spielen. Peterson, längst lebende DJ-Legende und knietief in allen angesagten Sounds zwischen Dub, Soul, Jazz, Hip Hop, Latin und House präsent, signte den Newcomer Westbeech aus Bristol vom Fleck weg für sein Label Brownswood Recordings, schickte ihn in Roni Sizes Studio und ließ ihn sein Debut zusammen mit dem Drum'n'Bass-DJ Die zusammenzwirbeln. Herausgekommen ist ein megaleichtes, im freien Raum schwebendes und vielseitiges Album, das sein wahres Potential überraschenderweise erst im letzten Drittel offenbart. Wer dann aber noch stillsitzt, trinkt auch Biermixgetränke und uriniert auf offener Straße vorbeilaufende Senioren an.

Vor allem wenn man eben die Prachtstücke neun bis vierzehn betrachtet und von ihnen ganz arg durchgerüttelt wird. "Stop What You're Doing" ist eine klassische Verbeugung vor dem Funk der 60er Jahre, "Dance With Me" eine Art britische Version des Justin Timberlake-Pop, fresh, funky und sexy as fuck, "Get Closer" der perfekte Spagat zwiwschen D'n'B-beeinflussten Beats und Singer-Songwriter-Pop. Dazu gibt es mit dem ultracoolen, leicht angeschrägten "Pusherman" (der Basslauf, Leute! DER BASSLAUF!!!) und dem exotischen "In/Out" die beiden ungewöhnlichsten Stücke als Krönchen obendrauf, bevor "Beauty" mit leicht melancholischem Unterton eine Platte beschließt, die vor sechs Jahren unzulässigerwiese etwas untergegangen ist. Eigentlich auch eine prima Sommerplatte.

Erschienen auf V2 Records, 2007.




19.05.2013

Drinking Pure Sunshine



Lange herrschte Funkstille aus dem Lager der britischen Soul-Sängerin Andreya Triana. Nach ihrem immer noch beeindruckenden Debut "Lost Where I Belong" und der Zusammenarbeit mit Bonobo auf dessen "Black Sand"-Meilenstein aus dem Jahr 2010 wurde es etwas ruhig um die derzeit vielleicht schönste Stimme Englands. Via Twitter war indes ab der zweiten Jahreshälfte 2012 zu erfahren, dass sich Triana in einem Studio verschanzt hat. Das Ergebnis: eine EP mit drei neuen Songs, die im Laufe des Jahres noch veröffentlicht werden soll.

Im unten eingebetteten Video erzählt Triana von den Aufnahmen und weiteren Plänen, und präsentiert außerdem einen neuen Song:"Everything You Never Had".






Die eigentliche Überraschung ist aber der Remix des Tracks von einem alten Bekannten: Breach aka Ben Westbeech hat sich "Everything You Never Had" vorgeknöpft und es zu einem treibenden Clubsmasher umgestrickt.




Und ihr wisst jetzt ja dann alle, was ihr zu tun habt: nackig ausziehen, einölen, Lautsprecherboxen besteigen.

17.05.2013

Tout Nouveau Tout Beau (8)

Wir bleiben nochmal für fünf Minuten bei der härteren Gangart. Zwei Plattenläden meiner Wahl kauften in den letzten Wochen große Sammlungen alter Metalalben der achtziger und neunziger Jahre an, und in einem solchen Fall lasse ich bekanntermaßen gerne alle Hüllen fallen. Es gibt immer noch so irrsinnig viele unentdeckte Perlen - oder eben längst Vergessenes, das somit wieder auf den Schirm kommt, dass es einfach einen Riesenspaß macht, durch die scheinbar unendliche Flut neuer alter Musik zu tauchen.

Deswegen in der heutigen Ausgabe der "Neue Besen kehren gut"-Reihe: schweres Metall im Zeichen der Schaufel.




BURNT OFFERING - BURNT OFFERING

Eigentlich eine Unfassbarkeit, diese Platte überhaupt in Europa im Allgemeinen und in Deutschland im Speziellen zu finden, aber irgendein verrückter Thrashfreak muss sie sich Ende der achtziger Jahre als Import aus den USA besorgt und gut 24 Jahre später in der Second Hand Abteilung eines schwäbischen Plattenladens geparkt haben. Burnt Offering spielten sich aus der Underground Thrashszene Chicagos in einen Plattenvertrag mit Walkthrufyre Records und veröffentlichten dort 1989 ihr selbstbetiteltes Debutalbum. Logischerweise fernab von Majorproduktionen der damaligen Zeit, rumpelt sich das Quintett durch elf furiose und naive Thrashsongs, kaum einer länger als dreieinhalb Minuten, und es ist in erster Linie der Drummer, der mit völlig abstrusen Breaks und der ein oder anderen Timingschwankung für einen Hauch von Komik sorgt. Ich habe ja eine Vorliebe für diesen seltsamen Undergroundkram, sofern er das Feeling der Akteure widerspiegelt - dann sehe ich auch gerne über spielerische oder klangliche Unzulänglichkeiten hinweg. Streicht den letzten Halbsatz, im Prinzip ist's mir dann schlicht scheißegal. Wer auf rauhen, unpolierten Undergroundthrash abfährt, macht sich am besten auf in Richtung

http://burntofferingmetalband.com/CD.shtml

- dort lässt sich übrigens auch der knapp 10 Jahre später erschienene Nachfolger "Walk Of The Dead" für einen Fünfer runterladen.

Erschienen auf Walkthrufyre Records, 1989.




INCUBUS - BEYOND THE UNKNOWN

Die einzig wahren Incubus kommen aus Louisiana und waren bei einigen Typen, die Anfang der neunziger Jahre mit mir die Schulbank drückten, der heiße Scheiß schlechthin, was sich besonders an der Anzahl derer ablesen ließ, die mit entsprechend ausgiebig getragenen und spätestens nach drei Wochen sehr geruchsintensiven Bandshirts herumprovozierten. "Beyond The Unknown" ist das zweite Album des Trios und aufgrund des Gesangs strenggenommen eher dem Death Metal zuzuordnen, dabei waren Incubus ursprünglich eine lupenreine Thrashband. Ihr Debut "Serpent Temptation", möglicherweise auch ein Kandidat für meine Alltime Top 20 Liste des Thrash, ist eine tollwütige Thrashkeule, die in Blitzgeschwindigkeit alles zum Einsturz bringt und nur Staub und Asche hinterlässt. Aber auch auf "Beyond The Unknown" lassen sich die Wurzeln der Combo noch nachverfolgen: der Drive ihres Gehackes ist legendär, die Riffs sind gnadenlos exakt auf den Punkt gespielt, die Geschwindigkeit immer noch extrem hoch. Es ist lediglich die tiefe Röchelstimme, die "Beyond The Unknown" im Vergleich zum Debut ein bisschen an die Leine legt. Für die nun Interessierten ein Warnhinweis: die Band hat auf einem späteren Reissue von "Beyond The Unknown" auch das Debut mit auf die CD gepresst, allerdings mit neu aufgenommenen Vocals, die sich stilistisch eindeutig am Nachfolger orientieren. Das kann eine herbe Enttäuschung werden - sofern man das Original kennt. Und kennt man es nicht, ist das der eigentliche Fehler. Mit drei Klicks wird man auf Google fündig, aber das wisst ihr nicht von mir.

Erschienen auf Nuclear Blast, 1990.





DEMOLITION HAMMER - TIME BOMB

Ist die Rede von Demolition Hammer, kommt man nicht an der Erwähnung ihrer beiden Großtaten "Tortured Existence" (1990) und vor allem "Epidemic Of Violence" (1992) vorbei, die beide längst im Thrash Metal Kanon verankert sind. Die Band aus New York fiel jedoch nach dem 1992er Album zur Hälfte auseinander: Gitarrist James Reilly und Drummer Vinnie Daze verließen die Band, weil sie den angedachten musikalischen Kurswechsel der beiden verbliebenen Mitglieder Steve Reynolds und Derek Sykes nicht mitgehen wollten. Reynolds und Sykes wurden am Schlagzeug künftig von Drumtier Alex Marquez unterstützt, der folgerichtig auch "Time Bomb" aufnahm.

Tatsächlich ist vom ehemaligen Hochgeschwindigkeitsgebretter der Band nicht mehr viel übrig geblieben. Das Album, das der Aussage Reynolds zufolge unter einem neuen Bandnamen hätte veröffentlicht werden sollen und nur auf Initiative des Labels unter Demolition Hammer erschien, fiel bei der Anhängerschaft folgerichtig gnadenlos durch. Zum einen wäre zu diskutieren, ob es 1994 überhaupt noch ausreichend Thrash-Fans gab, zum anderen weicht "Time Bomb" signifikant von der wahren Thrashlehre ab - und Metalfans können in einem solchen Fall traditionell sehr ungemütlich werden. Die elf Tracks bewegen sich weitgehend im groovigen Midtempobereich, sind ultrakompakt, beschränken sich in der Hauptsache auf das Ausspielen von simplen, treibenden, fast schon hardcorigen Riffs und kommen bis auf eine zehnsekündige Ausnahme bei "Blowtorch" komplett ohne Gitarrensoli aus. Herausragend ist dafür nach wie vor die wahnsinnige Stimme von Frontmann Reynolds, der nicht für eine Nanosekunde daran denkt, stimmlich etwas auf die Bremse zu treten - und damit den Sound des Albums nachhaltig prägt: "Time Bomb" ist geradezu unanständig heavy. "Time Bomb" ist angepisst. "Time Bomb" ist räudig. Und damit steht es den beiden Vorgängern praktisch in Nichts nach.

Erschienen auf Century Media, 1994.

12.05.2013

Manifest für Seelenheil und Schokomuffins

It turns out procrastination is not typically a function of laziness, apathy or work ethic as it is often regarded to be. It’s a neurotic self-defense behavior that develops to protect a person’s sense of self-worth.

You see, procrastinators tend to be people who have, for whatever reason, developed to perceive an unusually strong association between their performance and their value as a person. This makes failure or criticism disproportionately painful, which leads naturally to hesitancy when it comes to the prospect of doing anything that reflects their ability — which is pretty much everything.

But in real life, you can’t avoid doing things. We have to earn a living, do our taxes, have difficult conversations sometimes. Human life requires confronting uncertainty and risk, so pressure mounts. Procrastination gives a person a temporary hit of relief from this pressure of “having to do” things, which is a self-rewarding behavior. So it continues and becomes the normal way to respond to these pressures.

Particularly prone to serious procrastination problems are children who grew up with unusually high expectations placed on them. Their older siblings may have been high achievers, leaving big shoes to fill, or their parents may have had neurotic and inhuman expectations of their own, or else they exhibited exceptional talents early on, and thereafter “average” performances were met with concern and suspicion from parents and teachers.


Irgendwie ist das alles eine große Erleichterung. 


Gefunden auf Cardiograms und Thoughtcatalog.

06.05.2013

Blank When Zero - Einerseits...



Vor noch einem Jahr war der Gedanke, unsere kleine Farm, quatsch: Punkband Blank When Zero könnte in gar nicht so irrwitzig ferner Zukunft sich erstmals einen fast schon fundamental zu nennenden Kindheitstraum erfüllen und also als Premiere für jeden einzelnen Krawallbruder unsererseits eine Platte veröffentlichen, so auf Vinyl, am besten noch bunt und rund und wunderbar klingend, ein echtes, handgemachtes Scheibchen aus schwarzem blauem Gold, mit tollem, weil einzigartigem Artwork, nahezu undenkbar, kaum zu machen, ein Himmelfahrtskommando, weil: wer will den Scheiß denn schon hören (außer uns). Und dann - haben wir's halt tatsächlich mal gemacht. Einfach so.

Einfach war daran natürlich fast gar nichts: wir haben zwischen Fulltimejobs und Elternfreuden acht Songs für dieses Album geschrieben und handverlesen ausgewählt, wir nahmen mit unserem Haus- und Hofproduzenten Jörg, literweise Kaffee, Karotten und Kakaocreme an einem Herbsttag im Oktober das Schlagzeug und den Bass in unserem Proberaumkomplex an der Nahe auf, wir verbrachten die nächsten beiden Wochenenden mit den Gitarren- und Gesangsaufnahmen und haben anschließend dem armen Klangknecht den ganzen Kladderadatsch aus falschen Noten, schiefem Geschrei und menschenverachtenden Texten in seinen Aufnahmebunker gesch(m)issen. Ende Januar waren der Endmix, das Mastering und Jörgs Nerven fertig. Unser liebes Presswerk erhielt Anfang März die Daten, wir erhielten Ende März im ersten Austausch mit einem schönen Geldbatzen die schwarze Testpressung, die wir irgendwann für drölf Trilliarden Euro bei Ebay verscherbeln können, und nun ist es soweit: sie ist da.






Die Platte beherbergt neben den erwähnten acht Songs in dreizehn Minuten einen Downloadcode und Ihr  bekommt sie für schlappe 10 Euro inklusive Versand- und Verpackungskosten nach Hause auf Euren Plattenteller gewuchtet.

Schreibt an kontakt [at] blankwhenzero [dot] de

oder nervt unseren Schlagzeuger auf Facebook


Und wo wir gerade bei den tollen Neuigkeiten sind: am 24.6.2013 stehen wir für unsere Release-Show im Mainzer Kulturcafe  mit den glorreichen Fights And Fires und den Aerobic Allstars auf der Bühne.

Das ist der Flyer:





Und das ist der Cornelius, der uns das ermöglicht hat:


Wir sind sehr glücklich.


Erschienen auf gar keinem Label, 2013. 

02.05.2013

Psychotic Waltz - Everything Is Nothing (6)



PSYCHOTIC WALTZ - LIVE & ARCHIVES


Nachtrag für Komplettisten und Vollnerds: posthum erschienen über das obskure Offenbacher Mini-Label Institute Of Art Records zwei Resteverwertungen, die heute zu bisweilen völlig absurden Preisen gehandelt werden und dabei inhaltlich übersichtlich essentiell sind.

Labelchef Siggi Blasey, der an den beiden Darkstar-Alben von Gitarrist Dan Rock mitarbeitete, die ebenfalls auf Institute Of Art herauskamen (interessanterweise waren an den Produktionen auch der ehemalige Grave Digger-Gitarrist Uwe Lulis und der ehemalige Schlagzeuger von Tankard Oliver Werner beteiligt - kostenloses und irrelevantes Szene-Gossip, von mir, für Dich!), veröffentlichte zunächst die Waltz'sche "Live & Archives" Doppel-CD, die neben einer Bootlegaufnahme eines Konzerts in Hamburg aus dem Jahr 1991 außerdem frühe Demos (auch aus den Zeiten, als sich die Band noch Aslan nannte) und unveröffentlichte Jams zusammenstellte. Wenn ich mich recht entsinne sind im dicken Booklet zahlreiche Bilder aus alten Bandtagen, sowie eine ganze Menge Kunstwerke von Coverartist Mike Clift und Blasey zu sehen. Als Die Hard-Fan kann man sich sowas gerne mal ins Regal stellen, für den Rest ist's so interessant wie eine geschimmelte Erdbeere (Bio, aus Spanien).

Erschienen auf Institute Of Art Records, 1998



PSYCHOTIC WALTZ - DARK MILLENIUM

Exakt das gleiche gilt für die zweite CD "Dark Millenium". Hier gibt es ein paar instrumentale Spielereien von Gitarrenheld Brian McAlpin unter dem schönen Titel "Penetralia: A Sountrack For Reaching The Higher Spheres Into Narcotic Dances", eine Handvoll Coverversionen (Ozzy, Black Sabbath, Pink Floyd) und drei Nummern des 1991er Auftritts im Rahmen des Dynamo Festivals zu hören; darüber hinaus können wir einem Interview mit Mike Clift lauschen.

Brutalstehrliches Fazit: wenn selbst einer wie meinereiner, der der Kapelle im Grunde hoffnungslos verfallen ist, die beiden Platten schon vor Jahren vertickt hat, lassen sich die Veröffentlichungen ohne größere Anstrengungen entsprechend einsortieren. Und angesichts der Preise der beiden Scheiben, die gegenwärtig zwischen 25 und 110 (!) Euro liegen, ist dann praktisch jede Diskussion überflüssig.


Zum Zeitpunkt dieser beiden Veröffentlichungen lag die Band schon zwei Meter unter der Erde. Ob es an der chronischen Erfolgslosigkeit lag, oder doch die Spannungen innerhalb der Band ausschlaggebend waren - besonders zwischen Gitarrist Dan Rock und Sänger Buddy Lackey soll es angeblich ordentlich geknirscht haben - ist heute im Grunde nicht mehr der Rede wert. Nun ist aber meine Skepsis gegenüber der Wiedervereinigung wie üblich bedeutend größer als meine Begeisterung und angesichts eines scheinbar nie enden wollenden Stroms von cooler, neuer Musik muss das angekündigte Reunionalbum wenigstens für den Moment nicht so irrsinnig dringend über den Teich paddeln. Wenn es aber so weit sein sollte: count me in!

Forever Nerd.

Erschienen auf Instite Of Art Records, 1999.

01.05.2013

Psychotic Waltz - Everything Is Nothing (5)



PSYCHOTIC WALTZ - BLEEDING

Zwei Jahre nach dem wenig erfolgreichen "Mosquito" erschien mit "Bleeding" ein Werk, das zwar grundsätzlich den stilistischen Faden des Vorgängers aufnahm, daraus allerdings einen im Detail deutlich veränderten Klangteppich knüpfte.

"Bleeding" zeigt eine Band, die schließlich in ihrem Sound angekommen war, und es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass danach zunächst mal das Licht ausging. Scott Burns, der das vierte Studioalbum ebenso wie "Mosquito" produzierte und sich zu jener Zeit eigentlich nur noch für enge Freunde hinter ein Mischpult setzte, hat zwar immer noch den für ihn nicht untypischen "Don't worry, it'll sound as heavy as fuck!" Sound zusammengepuzzelt, legte aber den Schwerpunkt auf ein offeneres, transparenteres Klangbild, das die Songs trotz aller Kompaktheit entzerrte und sie atmen ließ. Apropos Kompakt: wenn ich schon zu "Mosquito" das Quatschwort "ultrakompakt" auspacken musste, bleiben mir für "Bleeding" leider nicht mehr viele Steigerungen übrig, aber notwendig wär's dann doch schon. Die elf Songs, von denen nur zwei die Marke von vier Minuten überschreiten, sind sowohl hochkonzentrierte, als auch vielschichtige und monumentale Kompositionen, die bis in den letzten Winkel verdichtet ein perfekt abgeschlossenes System aus Groove, Melodie und Emotion formen und am Leben erhalten. Ich sprach schon zu "Into The Everflow" von der Kunst, solche Songs zu schreiben - angesichts der Raffinesse von "Bleeding" könnte man nochmal einen draufsetzen, wenn man denn wollte. Und ich will. Denn "Bleeding" besteht aus nicht weniger als elf Kunstwerken, destilliert aus dem besten, was dreißig Jahre Rockmusik hervorgebracht haben, formvollendet mit der Präzision eines Diamantbohrers in Position gebracht, mit Sternenstaub geschmückt und mit dem strahlenden Schein zarter Melancholie und brennender Intensität beschenkt.

"Bleeding" ist ein zeitloser, genuiner und untergegangener Klassiker der neunziger Jahre und bis heute das letzte Lebenszeichen einer Band, die offensichtlich genau weiß, an welchem Werk die Reunion gemessen werden wird: von dem seit über zwei Jahren angekündigten neuen Album ist weit und breit nichts zu sehen. Vielleicht schlottern auch diesen Göttern mal die Knie.(*)

Erschienen auf Bullet Proof, 1996.


(*): was natürlich Schrott im Quadrat ist, am Ende liegt's an irgendeinem Vertragsgeschnarze, oder sie können sich (mal wieder) nicht riechen, oder das Gras ist aus. Vielleicht haben sie aber auch ganz banal: einfach keine Lust mehr.