06.05.2010

The Beard Is Out There! - Beware Of Darkness


Eine Coverversion eines alten George Harrisson-Songs eröffnet Studioalbum Nummer Zwei und gibt ihm auch gleich noch den passenden Titel mit auf den Weg: mit "Beware Of Darkness" steigen Spock's Beard düsterer als zuvor in ein Album ein, das auch insgesamt mit einer dunkleren Aura schimmert. Der federleichte Stil ist angesichts von Songs wie "Walking On The Wind" oder dem Klassiker "The Doorway" natürlich immer noch durchgängig präsent, auf der anderen Seite stehen allerdings der Longtrack "Time Will Come", der erstmals sowas wie Frustration musikalisch transportiert oder das klassische, melancholische Gitarrenduo "Chatauqua". Auch "Thoughts", bekannt durch die Aufnahme beim 95er Progfest ("A song about a guy whose brain is on the fritz.") ist trotz des umwerfenden fünfstimmigen Satzgesangs nicht die pure Lebensfreude und der Hit "Waste Away" verströmt gleichfalls eher Melancholie als den Duft einer Sommerwiese, wobei das eine das andere in der Wirkung nicht ausschließen muss.

Trotzdem - oder gerade deshalb - ist "Beware Of Darkness" eines meiner Lieblingsalben der Band. Die oftmals subtil eingesetzten und im Untergrund dunklen Schattierungen der Songs helfen der Scheibe dabei, noch mehr Tiefe und noch mehr Dramatik zu entwickeln. Eine Platte, der man nur sehr schwer überdrüssig werden wird.

Erschienen auf InsideOut, 1996

02.05.2010

The Beard Is Out There! - The Official Live Bootleg


Spock's Beard hatten besonders in ihrer Anfangszeit die Angewohnheit, bei ihren Konzerten CDs zum Verkauf an zu bieten, die es niemals in den normalen Handel schaffen sollten. "The Official Live Bootleg" wurde während der ersten Deutschland-Tourneen verkauft und einige Jahre später dann doch offiziell unter dem Namen "The Beard Is Out There-Live" veröffentlicht - mit einem zusätzlichen Medley, das sich auf der Originalversion nicht finden lässt - und fasst die vier Songs des Debuts, sowie "Thoughts" vom "Beware Of Darkness"-Album zusammen, das zu dem Zeitpunkt der Aufnahme noch nicht veröffentlicht war.

Aufgenommen 1995 im Rahmen des kalifornischen Progfests, flattern die Buben mit maximaler Lebensfreude durch ihre überlangen Kompositionen, oftmals unterbrochen von einem hörbar beeindruckten Publikum, das sich immer öfter zu spontanen Beifallsstürmen während der Songs hinreißen lässt. Im Verlauf von "Go The Way You Go" werde ich allein ob der offenbar völlig durchdrehenden Zuhörer von Gänsehautattacken durchschüttelt, und wenn Neals Bruder Alan gegen Ende seine traditionell-abgeranzte Stratocaster streichelt und ihr eines der ergreifendsten Gitarrensoli aller Zeiten entlockt, dann sind auch die Tränenschleusen offen.

Unterstützt von einem erstklassigen Sound, einer um ihr Leben spielenden Band und dem erwähnt gierigen Publikum ist "The Official Live Bootleg" eine der fünf größten Liveplatten, die ich kenne. 

01.05.2010

The Beard Is Out There! - The Light

Fast exakt zweieinhalb Jahre nach meiner letzten euphorisierten Spock's Beard-Phase schlägt die Göttertruppe erneut völlig unbarmherzig zu. Auslöser für meine nun schon seit zwei Wochen andauernde Verbeugung war wieder einmal Freund Marek, der kürzlich - mit seeligem Lächeln - die Liveversion des 24-Minuten-Hammers "The Water" auf seinem Notebook anspielte und mich damit in das Jahr 1997 zurück katapultierte. Das Ergebnis: ein wohliges Suhlen im Backkatolog der Kalifornier und die Erinnerung daran, warum Spock's Beard für mich zu jener Zeit der heißeste Scheiß unter der Sonne waren. Derart angefixt, stürzte ich mich auf jene sechs Scheiben, die in der zweiten Hälfte der Neunziger für ein Comeback des Progressive Rock sorgten.

Wir starten chronologisch mit dem Erstling "The Light". Stifte raus, alles schön mitschreiben! 




Das überlebensgroße Debut. Soundtechnisch noch etwas schwach auf der Brust, dafür mit vier Longtracks vollgepackt, die vielleicht das endgültig Beste sind, was jemals unter dem Banner des Progressive Rock erschienen ist. Das mag übertrieben, beinahe sensationslüstern klingen, andererseits fällt es angesichts dieser Musik schwer, mildere Worte zu finden. Hier noch ohne die erst zur nächsten Platte eingestiegene Tastenmaus Ryo Okumoto, schüttelt die Band unter der spirituellen Leitung von Tausendsassa Neal Morse (Keyboard, Gitarre, Drums, Gesang, Wahnsinn, Wahnwitz, Irrsinn) die lockersten und zugleich ergreifendsten Passagen der Welt aus dem Ärmel: der 16-minütige Titeltrack durchflattert mal eben 40 Jahre Musikgeschichte und verknüpft das traditionelle Progsongwriting des Yes-Albums "Close To The Edge" mit…ja, mit was eigentlich? Vielleicht brachte die Band "lediglich" ihr ungeheures Talent und ihre Frische ins Spiel. Spock's Beard befanden sich immer in diesem wunderbaren Zwiespalt: einerseits eine tiefe Verneigung vor den klassischen Progressive-Epen aus den siebziger Jahren (Yes, Genesis, Gentle Giant) mit einer entsprechenden und allgegenwärtigen Zitatesammlung, andererseits eine Frische und Modernität, die am Ende fast zwangsläufig zu einer völlig neuen Betrachtung eines gesamten Genres führen musste. Denn auch wenn beispielsweise Dream Theater schon zum Ende der achtziger Jahre einigen Staub vom Kaminsims blasen konnten, in dem sie die Klassiker mit hartem Metal verbanden, oder eine Band wie Marillion dank des Fish-Nachfolgers Steve Hogarth ihre Idee des alten Genesis-Klons immer mehr zu einem sehr eigenständigen, gleichfalls sehr modernen Sound weiterentwickeln konnte, dachte Mitte des letzten Jahrzehnts, im Rausch von Alternative Rock und Crossover, wirklich niemand an Progressive Rock. Und dann machten Spock's Beard das Fenster auf: der alte Muff war komplett verschwunden, der grundsätzliche Ansatz der alten Tage war hingegen derart präsent, dass man fast den Eindruck gewinnen musste, Spock's Beard würden sich Ironie oder sogar eine Parodie ganz groß auf die Fahnen schreiben. Aber nix da: denn auch wenn die Band in den kommenden Jahren vor allem live eine große Portion Selbstironie präsentierte, war sie ihrem Sound sehr leidenschaftlich und aufrichtig verbunden. Die vier Perlen auf "The Light" sprühen nur so vor Lebensfreude, vor Dramatik, Pathos, Leichtfüßigkeit, Spielfreude, und explodierender Kreativität. Das bereits erwähnte Epos "The Water" ist dabei der theatralische Höhepunkt dieses Debuts, eine emotionale Achterbahnfahrt, eine große, spannende Erzählung des "Ocean King". Gänsehaut am laufenden Band. 

Erschienen auf InsideOut, 1995

28.04.2010

Das spammen die anderen (1)

Gestern fand ich dieses Kleinod in den Kommentaren, und ich bin versucht zu sagen, dass kein anderer Bot diesen Blog so wunderbar mit niedlicher Spamscheiße zumüllt wie "User" "Anonym": 

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Jetzt mal ehrlich, ist das nicht total süß?

25.04.2010

Zwischenruf (3)

Zur Feier des hiermit 200.Blogeintrags seit Bestehen von 3,40qm, gibt's zweimal Leckerli mit Sahne: die jeweils vollständigen Albumstreams der neuen Alben von Broken Social Scene und der großartigen Nice Nice. N-Joy.


Broken Social Scene - Forgiveness Rock Record


Nice Nice - Extra Wow


22.04.2010

Best Of 2009 - Plätze 01 - 05


Platz 1


The Life And Times - Tragic Boogie

Ich habe nun schon wirklich oft genug die Größe von The Life And Times im Allgemeinen und "Tragic Boogie" im Speziellen auf diesem Blog erwähnt, und da dachte ich mir: ich mach's nochmal. Shoegaze, Indie und leichter Noise formen die Platte des Jahres, keine Diskussion.


Platz 2


SND - Atavism


Alleine im ersten hörbaren Sound von "Atavism" steckt mehr Tiefe und Wärme als in manch kompletter Banddiskografie. Mark Fells und Mat Steel knüpfen den Balla-Balla-Funkcore aus dem reinsten Weiß, das je ein Plattencover gesehen hat. Wo Frank Bretschneider auf "Rhythm" den Skelett-Funk entwickelte, tragen die Knochengerüste von SND Discokugeln im Schritt und die prächtigsten Pornoschnauzer seit YMCA. "Atavism" ist strategisch und verkopft, funky, aber nicht sexy und kann wohl deswegen nicht auf einem Label wie Warp, sondern muss eben zwangsläufig auf Raster Noton erscheinen. Manchmal denke ich mir, dass so eine neue Jimmy Edgar Platte klingen könnte, wenn der den ganzen Glitzer-Fummel mal im Körbchen liegen lässt und stattdessen Alpina Weiß schnüffelt. Macht nach einer Weile Kirre im Oberstübchen, aber so geht Leben, vermute ich.


Platz 3


Emeralds - What Happened?


Ein fürwahr faszinierendes Album. Ich kenne tatsächlich nur wenige Ambient-Platten, deren Einfluss auf Stimmung und Reizsensibilität trotz der sublimen und vernebelten Pfade ihrer präsentierten Musik so groß ist. "What Happened" berührt vom ersten Ton an, und das ist so beeindruckend, dass man die Aufmerksamkeit nur schwer auf etwas anderes lenken kann. Alleine der Opener "Alive In The Sea Of Information" kann in Sachen Aufbau und oszillierenden, sich wie Wellen auftürmenden Sounds, die ob ihrer Urgewalt beinahe physisch manipulieren, so dermaßen alles, dass nur ein vollkommen durchgeblödeter Zappelpiller gelangweilt abwinken würde. Das Trio aus Ohio ist alleine klanglich bisweilen auf einer qualitativ völlig anderen Ebene als die Konkurrenz: hier passiert nichts beiläufig, "What Happened?" ist durchgehend schmerzend relevant.


Platz 4


The Necks - Silverwater


Der britische Guardian bezeichnete sie im Zuge der Platte "Hanging Gardens" von 1999 als eine der besten Bands des Planeten, der Sydney Morning Herald adelte "Silverwater" als
"the finest studio album in their 22-year history"und vermutlich haben beide Recht. Das Konzept des australischen Trios, improvisierte Musik im großen Stil und weitgehend barrierefrei durch eine Platte gleiten zu lassen, bis sie nach meistens 50 bis 70 Minuten wenigstens formal zum Stillstand kommt, trägt die Band auch auf "Silverwater" wieder in den Olymp. Ihr Jazz-Ambient Sound ist immer noch und wieder ein grandioser Ohrenschmeichler mit unfassbar viel Gespür für die richtige Option. Der Titel hätte angesichts dieses mysteriös fließenden Traumspiels nicht besser gewählt werden dürfen. Ein fantastisches Artwork gibt's obendrauf.


Platz 5


Propagandhi - Supporting Caste


Jaleckmichamarsch! Ist das noch Punk? Ist das Metal? Nein, es ist Superdingens! Diese Songs können töten. Politische Sprengkraft in den Texten gepaart mit den unglaublichsten Punk/Hardcore-Songs der letzten Jahre ergeben ein Album, das mich zu Beginn total überforderte. Kompletter Informationsoverkill. Und die Kanadier verdrehten mir nicht nur im übertragenen Sinne den Kopf. Nach ungefähr 287 Durchgängen raffte ich zwar immer noch nicht viel, aber ich kann die Ahnungslosigkeit wenigstens in Worte fassen: technisch brilliant, höllisch komplex und doch catchy, die Produktion ist eine Sensation, die Gitarrenarbeit WELTKLASSE, die Songs schon jetzt legendär.


19.04.2010

Best Of 2009 - Plätze 06 - 10

Bevor der Listenquatsch nun aufhört: mir ist aufgefallen, dass ich zu wenig über die Platten des abgelaufenen Jahres geschrieben habe, und irgendwie muss ich diesbezüglich nachsitzen. Deshalb hier flott in Kurzform die 10 besten Scheiben 2009, aufgeteilt in zwei Portionen, zum besseren Verdauen. Tötö!

Platz 6


Malakai - Ugly Side Of Love

Bezirzendes Weirdo-Gerumpel aus englischen Garagen, in denen Nasarechner und Strohballen gemeinsam Kühe bumsen. Typ trägt vermutlich Dreads und einen grün-schwarz gestreiften Schlabberpullover. Soul und Funk treffen auf herrlich unprätentiöse Hip Hop-Beats, als Beilage wird eine Stimme gereicht, die seit Tagen nur Kaffee und Zigarettenqualm und die Spucke eines Crack rauchenden Stevie Wonder an sich vorbeischwimmen sah. Die FAZ brachte Beck als Vergleich ins Spiel, aber das hat Malakai nicht verdient. Die FAZ hingegen schon. Und trotz Bristol- und Portishead-Verbindung: macht richtig Spaß.


Platz 7



The Heavy - The House That Dirt Built

Nach dem Debutklassiker "Great Vengeance And Furious Fire" aus dem Jahr 2007 schmiss die Band aus dem Vereinten Königreich einen ebenso fantastischen Nachfolger auf die Tanzfläche. Ihr dreckiger, schmieriger Soul- und Bluesrock mit einem sehr feinen Händchen für großartige Hooklines und Melodien reifte auf "The House That Dirt Built" zu einem steppenden Monster voller Glückseligkeit, schmutzigem Sex, Drogen und Garagenrock. Modern und frisch, gefährlich und höllisch tanzbar. Eine der besten Bands der Gegenwart.


Platz 8

Fever Ray - Fever Ray

Die Hälfte der schwedischen Geschwisterbande The Knife dreht hier eigenständig frei: Karin Dreijer Andersson mit einem knisternden, nokturnen, sehr warmen Elektro Album für den Ambient-Club auf Psychopharmaka. "Fever Ray" hat eine erstaunliche Tiefe, ist zu gleichen Teilen umarmend und abweisend und einen großartigen Flow über Albumdistanz. Muss man auch erstmal "hinkriegen" (G.Schröder). Dauerbrenner 2009.


Platz 9


Pan American - White Bird Release

Neben der Emeralds-Platte das großartigste Stück Ambient 2009. Wunderbar zusammengestellt, kreiselnde Sounds, die mich immer wieder tiefer in den akustischen Wattebausch drücken, toller Spannungsaufbau. "White Bird Release" ist sehr subtil, die verhuschten Gitarrenloops hängen sich kaum merklich an dubbige Dürre und verschmelzen zu einem sehr organischen Klangkörper, der wenig mit Sterilität und klaren Konturen zu tun hat. Mark Nelson - früher übrigens mit der Postrock-Quasi-Legende Labradford unterwegs - weiß sehr genau, was er hier tut, und das meint nicht "souverän", sondern mit großem Weitblick und großer Neugier. Du spürst es nicht immer, wenn diese Musik läuft, aber wenn die Auslaufrille erreicht wurde, dann fehlt Dir was.


Platz 10


Black Dice - Repo

Teerschwarze Raupen, so groß wie die Hochhäuser Brooklyns, schrauben sich durch würmelnde Beatkrabbler, Fetzen von Silberfolie kontaminieren klares, kaltes Wasser. Vernoised und verhext von zwei durchgeknallten Soundchaoten mit Tourrettsyndrom aus New York, die mit "Repo" etwas erschaffen haben, das so klar ist wie die Wurzel aus 78842343748437483523783425478250257309. Ein Flow wie ein umherstolpernder Wolpertinger aus dem Kopftunnel von Karl Valentin, und mindestens genauso humorvoll. "Repo" schleppt sich nur so durch eine heruntergekommene Postmoderne, rotzt unentwegt Blut an die eigene Fassade, hinter der nichts als Egomanie und komplette Leere regiert. Eine angemessene Zustandsbeschreibung des vergangenen Jahres. 

13.04.2010

2000-2009 #20: Vladislav Delay - Whistleblower


"Whistleblower" ist flüssiges Dickicht. Gestrüpp, in Fetzen, trotzdem samtweich. Nicht besonders sentimental, dafür fundamentale Selbstsuche, sogar für den, der sich nicht ins tiefe Wasser traut. Über ein Jahr war dieses immer noch beeindruckende Album mein fast täglicher Begleiter, angestachelt von dem Drang, diesen so mysteriösen Sound zu entschlüsseln. Immer wieder die Frage was dahinter steht, eher gleitet, ach was: schleicht, fließt, schwebt. Was macht dieser pulsierende Atem mit mir, der sich nach wenigen in Watte verpackten Sekunden zu einem - ich will's gar nicht sagen, weil es selbst mit dem leisesten Adjektiv immer noch so zerstörerisch wirkt - hingehauchten Groove entwickelt? Sind das die tiefen, halligen Schluchten und Höhlen eines unbewohnten Planeten, oder ist der leise vor sich hinbrodelnde lake of fire, in dem die Verdammten und die Heiligen das letzte Mal die Wärme und die Liebe spüren können bevor es graue Asche regnet? Wahrscheinlich ist es beides, sowohl als auch. Des Teufels glühende Pfütze in der Untererde eines fremden Planeten, in einem fremden Universum, von dem selbst Gott nichts weiß, weil er nicht so weit gucken kann. Und da sitzen und schunkeln wir - unwirklich und so weit draußen, so nah beieinander und doch so unendlich entfernt von allem, was uns nach diesen 70 Minuten wieder in das zurückholt, was jeder, der das Aussteigen und das Träumen auf dem Weg zu seinen 40qm Deutschland verloren hat, als Realität bezeichnet, als eine Unfiktion in der es eben nur Nullen (und davon gibt's mit Verlaub 'ne Menge) und Einsen gibt, schwarz und weiß und das Wetter nach dem Heute-Journal. Ätherisch umherschwabbernd im Nichts, gemartert von grau-staubigen Blitzen, die eine Idee eines Bewusstseinsschleiers vorgaukeln. Die uns in Wahrheit sedieren und uns ausknipsen, damit die Chimären noch näher an uns herankommen und uns den leisen Hauch des Wahnsinns in die Memoiren drücken können. Das ist die Heilung, die das Feuer mit dem Feuer bekämpft. Lasst es Tote regnen, denn sie spüren den Aufprall nicht mehr.

Du wachst auf, und das Nichts hat seine Bedeutung verloren. "Don't be afraid, ever, because: it's just a ride."(Bill Hicks)

Erschienen auf Huume Records, 2007

11.04.2010

2000-2009 #19: Tomte - Hinter All Diesen Fenstern



Ein bisschen Zahnschmerzen habe ich schon dabei, Tomte im Jahr 2010 doch nochmal positiv zu erwähnen, aber es hilft alles nichts:"Hinter All Diesen Fenstern" war 2003 eine Sensation für mich und riss meine Vorurteile gegenüber deutschsprachiger Musik in die bodenlose Tiefe - nur um kurze Zeit später in exakt jener Tiefe darin bestärkt zu werden, einheimische Lyrik zu meiden wie Horst Köhler einen IQ oberhalb 40. Das hat erstmal nicht viel mit der Band um Saufziege Thees "Beck's" Uhlmann zu tun, aber spätestens mit dem aktuellen Album "Heureka" und dessen zum blanken Klischee verkommenen Sprachmischung aus trostloser Befindlichkeitslyrik und anschleimendem Szenegelaberdreck ist es mal sowas von vorbei, dass es fast schon vorbei ist.

Ich weiß noch, dass ich mich beim Erscheinen von "Hinter All Diesen Fenstern" mit Händen und Füßen dagegen wehrte, diese Band auch nur in Ansätzen zu nah an mich heran zu lassen. Nach dem "Genuss" eines Interviews in der Indie-Schmu-Postille Visions (natürlich wie bestellt von Krampfjournalist Armin Linder ans Kreuz genagelt), kam mir angesichts der zur Schau gestellten Milchsemmel-Mentalität mit Blümchen, Bienchen und Bierchen das ein oder andere unschöne Wort über die Lippen und ich beschloss, mir eher die Ohren mit Flüssigbeton aus zu gießen, als einmal Tomte zu hören - oder noch schlimmer: mir sogar die Platte zu kaufen. Mein Vorsatz hielt exakt 13 Tage. Dann lief der zuvor immer brav weggeskippte Track "Schreit Den Namen Meiner Mutter" von der Visions-CD dann doch mal während des Zwiebelschneidens über die Stereoanlage in der Küche und ich wusste plötzlich nicht mehr: heule ich vor Ergriffenheit oder wegen dieser verkackten Zwiebel?! Ich wehrte mich weitere zwei Wochen und dann knickte ich ein: die Platte muss her.

Was folgte war pure Ergebenheit. Das waren Texte, bei denen man sich fragte, warum man sie nicht selbst geschrieben hat und sich als Antwort entweder überlegte, dass man selbst eben bei Weitem nicht so weise oder wenigstens so betrunken sei wie Ulhmann oder - die Pathosantwort - dass es zu sehr schmerzte, hätte man sie selbst geschrieben. Als ich zum ersten Mal "Endlich Einmal" hörte, eine Geschichte über Uhlmanns Beziehung zu seinem Hund, musste ich ungelogen abwechselnd Lachen und Heulen. Und auch wenn es nicht besonders en vogue ist, zu zugeben, dass man bei Tomte-Songs heult: ich tat es. Um ehrlich zu sein tue ich es noch heute, wenn beispielsweise "New York" oder "Die Geigen Bei Wonderful World" vom Nachfolger "Buchstaben Über Der Stadt" laufen. Ich heule immer. Ich kann nichts dagegen tun, die Schleusen sind spätestens offen, wenn mir bestimmte Zeilen "ans Lauschgesims laffeln" (Olaf Schubert):

Wie die Straßen mäandern
Wie die Städte zerfallen
Wie meine Hoffnung sich erhebt in diesen heiligen Hallen
Wir heben einen Finger, um zu sehen
Aus welcher Richtung der Wind weht
Und der Wind steht gut, denn es ist nicht zu spät
Ich habe ein Gespür entwickelt, wie gut es mir geht
Oh, ein Kuss auf die Stirn und danke für die Stunden
Man fühlt sich, als habe man die Liebe erfunden
Ich will dich treffen, wo's am schönsten war
Ich will dich treffen in zehntausend Jahren
Am Reservoir


Da brech' ich zusammen.

Aber zurück zu "Endlich Einmal":

Ich und mein Hund,
wir mögen zusammen gehen,
da vorne könnte etwas passieren,
wir bleiben stehen.
Ich ziehe deine Anwesenheit
den meisten Menschen vor.
Du trägst immer eine Leine
und das nur wegen mir.

Denn ich würde töten,
wenn du stirbst
und das sage ich nur dir
in dieser Welt, die für uns
aus drei Sachen besteht.
eine Hand auf dem Bauch,
eine Stunde an der Luft,
eine Jagd auf den Geruch,
der Lust verspricht.

Endlich einmal etwas, das länger als 4 Jahre hält,
endlich einmal, etwas das länger als 4 Jahre hält.

Du jagst die Kronkorken,
die ich schmeiße.
du hast viel zu tun
in dieser zeit.
du wirst unruhig,
wenn du die Elbe riechst,
du weißt ich war nervös,
während dieser Monat verstrich.
das ist kein Urlaub,
das ist eine Reise,
das ist alles andere als
die gute Seite.
sie erreichen ihre Ziele,
für uns ist es unsagbar weit.

Endlich einmal etwas, das länger als 4 Jahre hält,
endlich einmal etwas, das länger als 4 Jahre hält.

Aber wir gehen unsagbar weit,
aber wir gehen unsagbar weit,
aber wir gehen unsagbar weit,
aber wir gehen unsagbar weit,
aber wir gehen unsagbar weit,
aber wir gehen unsagbar weit.

Endlich einmal etwas, das länger als 4 Jahre hält,
endlich einmal etwas, das länger als 4 Jahre hält.


Als dann der hier besungene Hund ein halbes Jahr nach der Veröffentlichung tatsächlich im Hamburger Straßenverkehr sein Leben ließ und die Nachricht darüber die Runde machte, litt ich mit Thees Uhlmann und musste sofort an dieses Lied denken. Und es tat scheißeweh.

Ich könnte hier jetzt noch stundenlang über die schiere Größe von Hymnen wie "Du Bist Den Ganzen Weg Gerannt" oder "Die Schönheit Der Chance" mit seinen tollen Bläsern, der unbeschreiblichen Euphorie und der Textzeile "Das ist nicht die Sonne die untergeht, sondern die Erde die sich dreht" schreiben, reden und mich nassmachen, aber im Grunde ist eh alles gesagt. Nur noch das: es fühlt sich beinahe seltsam an, das heute so zu schreiben, weil in den letzten sieben Jahren eben doch eine Menge passiert ist und ich mich heute nur schwer in meine Gedanken- und Gefühlswelt
des Sommers 2003 hinein versetzen kann. Es fühlt sich fast ein bisschen falsch an, Tomte auch heute noch zu mögen. Dann höre ich dieses Album und sämtliche Zweifel sind verloren. Immer noch und in vollster Überzeugung: "Hinter All Diesen Fenstern" ist eine ganz riesige Platte.

Erschienen auf Grand Hotel Van Cleef, 2003

06.04.2010

2000-2009 #18: Thievery Corporation - The Cosmic Game


"Für jemand der keine Erfahrung mit dieser Musik hat kann die CD als durchaus genial empfinden." So formuliert es Amazon-Kunde "hanswurst" in seiner "Kritik" zu Thievery Corporations "The Cosmic Game" aus dem Jahr 2005. Und auch wenn man über die grammatikalische Qualität dieses kleinen Sätzchens sicherlich trefflich diskutieren, wo nicht schmunzeln könnte, vielleicht ist ja am Inhalt - sofern man ihn erahnen kann - tatsächlich eine Kleinigkeit dran.

Ich hatte es schon mal erwähnt, wenn ich nicht irre: 2005 war musikalisch ein einschneidendes Jahr für mich und innerhalb kurzer Zeit beschäftigte ich mich mit Musik, der ich zuvor nur sehr wenig Aufmerksamkeit zukommen ließ - wenn ich überhaupt wusste, dass es sie gibt. So stieß ich zur Veröffentlichung von "The Cosmic Game" auf Rob Garza und Eric Hilton und ihre Thievery Corporation, hatte von elektronischer Musik keinen sitzen und wollte nur eine kleine Horizonterweiterung genießen. Was dabei herauskam sehen wir hier und heute: eines der großartigsten Alben des letzten Jahrzehnts.

Mit der Unterstützung von den Flaming Lips, Perry Farrell, David Byrne und einer guten Handvoll weiterer Gastmusiker zaubern die beiden US-Amerikaner ein dubbiges Downbeat-Gestrüpp zurecht, in dem am einen Eck indische Psychedelica, am anderen rockiges Postpunk-Gestein gedeiht, während ihre lyrischen Attacken auf George W. Bush die revolutionären Dornen anspitzen. Zwischendrin wuseln Jazz- und Bossa Nova-Elemente umher, die das musikalische Spektrum nochmal erweitern. Und obwohl Reggae ja bekanntermaßen die schlimmste Musik der Welt ist, stören mich dessen Einflüsse zu meiner großen Überraschung auf "Cosmic Game" nicht die Bohne. Gut, der gewalttätig-homophobe Scheißdreck ist erfreulicherweise selbst mit der dicksten Kritikerlupe nicht zu hören/finden, dann reißt mir auch nicht die Halsschlagader. 

Perfekt produziert, perfekt arrangiert, perfekt ausgerollt, perfekt ausgedacht. Möglicherweise sehen das die Cracks ein bisschen anders, aber ich kann mir auch nach nunmehr fünf Jahren mit ausgedehnter Erfahrung nur schwer vorstellen, dass man solch Musik besser inszenieren kann - inklusive der klaren und mutigen* politischen Positionierung. Deshalb nur eine logische Konsequenz, dass "The Cosmic Game" seinen Platz in dieser Liste findet.

*: Ob es besonders mutig war, zum Höhepunkt der Anti-Bush-Bewegung eine Anti-Bush-Platte zu veröffentlichen, ist zweitrangig. In erster Linie finde ich es durchaus bewundernswert in einer im Grunde sehr unpolitischen und weitgehend oberflächlichen Szene klar Stellung zu beziehen. Und dass sowas gerade im konservativen Teil Amerikas (also gut 95%) hier und da nicht so gut ankommen kann, mussten schon ganz andere Künstler lernen. Und wo ich es gerade schreibe, fällt mir auf: Thievery Corporation hörten trotz Obama-Euphorie auf ihrem Nachfolger "Radio Retaliation" aus dem Jahr 2008 nicht damit auf, die Revolution zu fordern und zu füttern. Insofern kann ihnen niemand vorwerfen, mit "Cosmic Game" eine Platte für politische Eintagsfliegen zusammengeschraubt zu haben. Im Presseinfo zur aktuellen Platte findet sich in diesem Zusammenhang die Aussage Garzas:"Radio Retaliation is definitely a more overt political statement [...] There's no excuse for not speaking out at this point, with the suspension of habeas corpus, outsourced torture, illegal wars of aggression, fuel, food, and economic crises. It's hard to close your eyes and sleep while the world is burning around you. If you are an artist, this is the most essential time to speak up."

Find' ich gut.

Erschienen auf Rykodisc/Warner, 2005.

05.04.2010

2000-2009 #17: The Sea And Cake - Car Alarm


Wenn ich meiner in früheren Besprechungen geäußerten Beobachtung folgen will, muss "Car Alarm", das immer noch aktuelle Album von The Sea And Cake aus dem Jahr 2008 in dieser Bestenliste auftauchen - und nicht wie ursprünglich geplant "Everybody" aus dem Jahr 2007. Wann immer eine neue Scheibe der Postrock-Institution aus Chicago erscheint, ist es für mich auch gleichzeitig ihr bis dato bestes Werk, demnach wäre es inkonsequent, nun den Vorgänger zu erwähnen. Aber ich muss schon zugeben: ich habe innerlich den ein oder anderen Ringkampf gerungen.

Trotzdem ist es am Ende eine gute und stimmige Entscheidung, denn das Quartett klingt auf "Car Alarm" so perfekt wie noch nie - und das will was heißen. Natürlich sind auch überragende Songs wie "On A Letter" oder "Pages" gute Argumente für eine entsprechende Auswahl, aber im Grunde hatte auch "Everybody" brilliante Stücke im Gepäck, ich denke da nur an den Opener "Up On Crutches" oder das weich-schummrige "Coconut". Die Nasenlänge, die "Car Alarm" in Sachen Songwriting vorne liegt ist geschenkt, wir sprechen hier von winzigen Nuancen und die Bewertung derselben sind nicht selten tagesformabhängig. Was mich jedoch an "Car Alarm" nach diesmal etwas länger andauernden Eingewöhnungszeit so faszinierte (und mich außerdem bis heute fasziniert) ist wie es ihnen gelang, ihren unverwechselbaren Klang derart tadellos ein zu fangen. Aus produktionstechnischer Sicht ist "Car Alarm" eine Meisterleistung. Die Band schwebt selbst in den etwas ruppigeren Momenten nur so dahin, ist immer bei sich, megakompakt, kommuniziert ohne Unterbrechung miteinander, spielt sich die Bälle zu, nimmt andere auf, immer souverän aber nie abgeklärt, immer präsent aber nie aufdringlich. Ganz wie es ihrer Natur entspricht, vollzieht sich die Weiterentwicklung immer auf subtilstem Niveau, die harten Brüche und naiven Interpretationen überlassen sie anderen. Im Rückblick muss vermutlich die lange Pause zwischen "One Bedroom" (2003) und "Everybody" (2007) als Meilenstein der Sinn- und Soundsuche gefeiert werden. Wo die Frühwerke wie das selbstbetitelte Debut, "Nassau" oder das ebenfalls großartige "Oui" noch von einem spröden Selbstvernachlässiger-Charme getragen wurden, wo nicht selten eine immer leicht scheppernde, verzerrte Indie-Ästhetik im Vordergrund stand, konnte der auf "One Bedroom" geschärfte, aber weitaus elektronischere Ansatz in den vier Jahren bis zum Comeback auf ein Gitarrenkonzept umgesetzt werden. Gitarrist Archer Prewitt gab im Interview, das ich vor drei Jahren mit ihm führen konnte, auch folgerichtig zu, dass er mit der elektronischen Ausrichtung von "One Bedroom" nicht hunderprozentig einverstanden war - aus der Sicht eines Gitarristen, wie er schnell anfügte, weil er eben viel weniger zu spielen hatte als zuvor.

Irgendetwas muss also in diesen vier Jahren geschehen sein. The Sea And Cake klingen seit "Everybody" anders - nennen wir es professioneller, runder, stimmiger. Und die Entwicklung ist für "Car Alarm" nicht abgebrochen, ganz im Gegenteil. Sie schafften den größten Sprung auf den denkbar sublimsten und feinsten Pfaden. "Car Alarm" erstrahlt in Größe.

Erschienen auf Thrill Jockey, 2008

02.04.2010

2000-2009 #16: The Mars Volta - De-loused In The Comatorium


Ist das die Geburtsstunde des Prog-Core oder die Auferstehung des Progressive Rock? Aus der Asche der am Ende ver- und ausgebrannten Hardcore-Sensation At The Drive-In erschienen Gitarrist Omar Rodriguez-Lopez und Wundersänger Cedric Bixler-Zavalas knappe 2 Jahre später mit ihrem Baby The Mars Volta auf der Bildfläche. Zunächst mit der reichlich wirren und un(ter)produzierten "Tremulant"-EP, im Sommer 2003 mit dem ersten Studioalbum "De-Loused In The Comatorium", definierten sie zusammen mit Produzent Rick Rubin ein ganzes Genre komplett neu - oder besser: sie stampften es aus dem Boden. 70er Jahre Progressive Rock (King Crimson!!!), Latin-Fusion-Jazz (Santana!!!), Hardcore (At The Drive In, Fugazi!!!), Krautrock (Can!!!) - sowas gab's noch nie! Und auch sieben Jahre später steht "De-Loused In The Comatorium" immer noch als ultimativer Fixpunkt am Firmament, Abnutzungserscheinungen gleich Null. Ich habe es gerade gestern nach längerer Abstinenz erneut getestet und wurde angesichts dieser explodierenden Virtuosität und Kreativität wie am ersten Tag einfach nur umgeblasen.

Betrachtet man die weitere Karriere von The Mars Volta mit schwerverdaulichen Alben wie "Frances The Mute" und besonders dessen ätherischen Nachfolger "Amputechture", für deren Produktion einzig Gitarrist Omar verantwortlich war, kann man ungefähr ermessen, wie groß der Einfluss Rubins auf dieses Debut gewesen sein muss. Wo die folgenden Alben noch kaputter und verrückter wurden, wo ein veritabler Single-Hit durch minutenlanges Froschzirpen absichtlich sabotiert wurde, wo die komplette Band außer Rand und Band erschien (und damit zumindest bei "Frances The Mute" einen weiteren glasklaren Volltreffer landen konnte), sind die ebenfalls alles andere als straight zu bezeichnenden Kompositionen von "De-Loused In The Comatorium" in ihrer Stringenz und Fokussierung überragende Beispiele für eine visionäre und schlicht perfekt gestaltete Songsammlung.

Man muss kein Fan der von Rubin produzierten Bands sein, und man muss beileibe nicht alles kritiklos abnicken, was der irre Waldschrat so verbricht - schließlich betreut er immer wieder/noch die unerträglichen Red Hot Chili Peppers, was alleine ausreichen würde, um den Mann auf eine einsame Insel, mindestens jedoch auf eine Psychiatercouch zu wuchten. Dass Rubin nichtsdestotrotz ein umwerfendes und vor allem genreübergreifendes Gespür für die Stärken seiner Bands hat, ist schon einigermaßen beeindruckend. Auch für The Mars Volta lässt sich erahnen, dass er seine Finger in der väterlichen Rolle als Wegweiser und Chancenanbieter kräftig im Spiel hatte. Anders lässt sich der qualitative Quantensprung von der "Tremulant"-EP hin zum Debut kaum erklären. Die Band hatte plötzlich eine klar erkennbare Vorstellung, wie sie klingen will, sie erkannte sich selbst viel deutlicher als zuvor und ließ sich auch viel besser erkennen. Plötzlich machte alles Sinn: Omars verspultes und sich wie in Trance windendes Gitarrenspiel, Cedrics hoher, emotionaler, glasklarer Gesang, und die unbeschreiblich tighte Rhythmusabteilung mit einem Drummer von einem anderen Stern, dazu ein wahrer Orkan an Ideen und Eingebungen, einem Informationsoverkill gleich. Ein irrer Ritt. Mein Herzschlag beschleunigt sich und pendelt sich erst nach einigen Stunden wieder in normalen Gefilden wieder ein. Wahnsinn, im wahrsten Sinne.

Erschienen auf Universal, 2003

26.03.2010

2000-2009 #15: The Bronx - The Bronx I


Möglicherweise das beste Debut der letzten zehn Jahre: "The Bronx" des gleichnamigen Quartetts aus Los Angeles schlug beim Erscheinen vor nunmehr sieben Jahren ein wie eine Bombe. Angeblich unter dem Einfluss von Aufputschmitteln und hektoliterweise Kaffee im Wohnzimmer des ehemaligen Guns'n'Roses-Gitarristen Gilby Clarke eingespielt, durchschlägt alleine der Opener "Heart Attack American" bis heute (und vermutlich für die kommenden dreikommaneunsieben Milliarden Jahre ebenso) selbst meterdickes Panzerglas als sei es Marmeldade. Ich kann wirklich nicht mehr zählen, wie oft ich alleine den Beginn dieses Monsters auf voller Pulle durch die Lautsprecher gejagt habe und daraufhin das Mobiliar zertrümmerte, aus dem Fenster sprang (19.Etage) und auf dem Rückweg durch das Treppenhaus alle übrigen Butzen gleich mit verwüstete, bevor zunächst die Stadt, später das Land und am Ende der ganze Scheißplanet zu 'nem Häufchen Asche zusammengebröselt wurde. Dieser Paukenschlag verleiht keine Flügel, dafür aber endloses und fast kostenfreies Adrenalin und dazu Arme wie Vorschlaghammer und außerdem "Pranken wie ein Tischgrill"(O.Kalkofe). Hinterher sieht man dann so aus wie Sänger Matt Caughthran, der - ich erinnere mich als sei es gestern gewesen - beim ersten Gig, den ich von The Bronx im Vorprogramm der kanadischen Rocker Danko Jones im Jahr 2004 erlebte, wie vom Gnu geknutscht mit Füßen voran ins teils durchdrehende, teils verängstigte Publikum sprang und erstmal einen gepflegten Circle-Pit inklusive Fausttanz anzettelte, sich währenddessen die Seele aus dem Leib schrie und Granaten wie "Gun Without Bullets", "False Alarm", "Cobra Lucha", "I Got Chills" oder "They Will Kill Us All" wie Pech und Schwefel auf die Meute herabregnen ließ. 

Das ist verkackt asozial, verschissen schnell, bekacktschissen laut und verpisst hart. Für Menschen, die sich Zahnpasta und Buttersäure durch die Nase ziehen. 

OUUUUUUUUUUUUUUUUHHHHHHHHHHHHHHHH!!!!!!!!!!!!

Erschienen auf White Drugs, 2003