KILLING JOKE - PYLON
Audiophile Supersnobs können mich sowohl zum Lachen als auch zum Weinen bringen - ab und an ist sogar ein schöner Wutanfall drin, wenn die Voodootänze um bei Vollmond geschliffene Tonabnehmersysteme und mit aus dem Erdkern handdestilliertem (sic!) Edelgas gefüllte Lautsprecherkabel all zu hysterisch ausfallen. In den Discogs-Kommentaren zu "Pylon" des britischen Wave/Industrial-Flagschiffs Killing Joke wird die Soundqualität auf der Schallplatte, diplomatisch formuliert: bemängelt, und angesichts meiner zwar mit einigen, in dem noisigen Inferno der Tracks sowieso niemals wahrnehmbaren, Knacksern ausgestatteten, davon abgesehen aber tadellos klingenden Kopie frage ich mich durchaus bisweilen, ob der ein oder andere die derzeit ubiquitäre (und im Kern ja durchaus notwendige) Diskussion um schlechte Pressungen "wie vernagelt" (Polt) am Laufen halten muss und dabei die Musik wegen des ganzen HiFi-Kladderadatsch in den Hintergrund drückt. Schließlich gibt es ja auch noch so etwas wie Klang. Im besten Fall den eigenen, eigenständigen Klang einer Band. Kennt man heute gar nicht mehr, aber er existiert wirklich immer noch. Und er existiert ganz besonders bei Killing Joke.
Denn "Pylon" hat wie alle Killing Joke-Alben der letzten 15 bis 20 Jahre einen sehr speziellen, zäh pumpenden, schmutzigen Sound, den man natürlich nicht mögen muss, der aber wenigstens für mich eine gewisse Faszination ausstrahlt, und der darüber hinaus auch für das Klangbild, ja: das Selbstverständnis und die Message der Band von großer Wichtigkeit ist. Ganz besonders der Gitarrensound ist eine Sensation, und wer den Beweis dafür benötigt, hört sich das gnadenlos dreckige Riffgebratze in "Dawn Of The Hive" an, das bereits für einige spitze Schreie im Casa Dreikommaviernull verantwortlich war. Ich darf außerdem feststellen, von der grundsätzlichen Qualität des Albums nicht unangenehm überrascht worden zu sein - und eigentlich habe ich "Pylon" nur deshalb kürzlich gekauft, weil ich die Vinylausgabe mehr oder weniger zufällig für schlappe 12 Euro im Regal stehen sah. Für eine seit 36 Jahren und außerdem aus absoluten Vollchaoten bestehende Band klingt "Pylon" nicht nur frisch, sondern auch erfreulich leidenschaftlich und aufrichtig. Selbst die Herzallerliebste ließ sich zu einem hörbar verblüfften "Ich find' die Platte eigentlich ganz gut?!" hinreißen. Und das können wir uns alle mal rot im Kalender anstreichen.
Dabei kommt es besonders mir sehr entgegen, dass Jaz Coleman weitgehend auf seine geröchelte Runkelrübenstimme verzichtet und stattdessen mit seinem im pathologischen Sinne wahnsinnig klingenden Klargesang melodisch voll durchzieht. Höhepunkte sind in diesem Kontext die in der Schnittmenge von "poppig" und "ruppig" angesiedelten "Euphoria" und "Big Buzz", während sich der kaum aushaltbare Zynismus, der Zorn und die Unberechenbarkeit dieser Band und ihrer Protagonisten, am deutlichsten bei dem unbarmherzigen "I Am The Virus" zeigen, das wie eine Nilpferdfamilie über sämtliche Nervenstränge hinwegtrampelt, wenn es einen auf dem falschen Fuß erwischt.
Nun habe ich mich seit Jahren von Veröffentlichungen dieser Band absichtlich ferngehalten, weil ich ihr, Achtung, Achtung: persönliche Wahrnehmung ungleich universelle Wahrheit, dieser Blog ist irrelevant, bitte keine Morddrohungen schicken, lieber im 3.Welt Laden ein Pfund Kaffee kaufen! - Ranschmeißen an die Kuttenmetallerfraktion ehrlich gesagt ziemlich eklig fand und ich weiß auch nicht, ob ich als Rosaplüschkönig mit glitzernden Bommelschuhen aus reiner Watte künftig wirklich oft Lust auf solche Musik haben werde, aber für den Moment und bei einer Affenhitze, die mir das Resthirn zunächst wabbelig kocht und anschließend förmlich 'rauskondensiert, habe ich viel Spaß mit "Pylon" - ganz bestimmt mehr, als ich zunächst dachte.
Erschienen auf Spinefarm Records, 2018.