27.09.2008

What Are You Made For?



Zugegeben, "Sufferboy" hatte es nicht leicht. Was als Rockprojekt der Berliner Fullbliss-Belegschaft um David Judson Clemmons begann und sogar mit einigen Gigs in Berlin bedacht wurde, entwickelte sich mit der Zeit zu einem Comeback, an das so mancher nicht mehr glauben wollte: JUD wollten es also tatsächlich nochmal wissen und kündigten Ende des letzten Jahres eine neue Platte an. Aufgenommen in der Besetzung, die bereits an den Arbeiten am Fullbliss-Oevre beteiligt war. Das überraschte wenig, da Clemmons' Headquarter in Berlin einerseits eine Spur zu weit entfernt war, um mit den ehemaligen Mitgliedern Steve Cordrey (Bass) und Hoss Wright (Drums) nochmal gemeinsame Sache zu machen, und andererseits bewiesen Jan Hampicke und James Schmidt (der sowieso schon das fantastische 98er Jud-Album "Chasing Califonia" eintrommelte) in mehreren Livegigs, dass sie die legendäre Intensität und die unbändige Kraft des Trios bestens fortführen können.

Zugegeben, "Sufferboy" hatte es nicht leicht. Weil die Alben "The Perfect Life" (2001) und das bereits erwähnte "Chasing California" über die Jahre hinweg zu mehr als nur zwei guten Freunden wurden und es mittlerweile geradezu undenkbar ist, ohne diese beiden Meisterwerke des verschrammelten Indierocks zu existieren, war neben all der Freude über die Wiederkehr auch Skepsis ein ständiger Begleiter. Hält "Sufferboy" wirklich das Niveau der Vorgänger? Die Frage war ja auch: mag ich das eigentlich wirklich noch hören? Und vor dieser Antwort hatte ich ehrlich gesagt weitaus mehr Angst. Als die Band das neue Stück "Drained" als Vorgschmack auf ihrer Homepage präsentierte, wurde ich indes wieder etwas ruhiger. Alles in Butter.

Zugegeben, "Sufferboy" macht es einem nicht leicht. Was Clemmons in einem Interview als "Fucking Mental Torture" beschreibt, sind wahrlich die wütendsten und härtesten Songs, die es wohl jemals von Jud zu hören gab. Alleine das Eröffnungsduo "Bright White Light" und "Drained" prasselt wie eine LKW-Ladung Bleikugeln auf einen nieder und auch "Asylum" (mit tonnenschwerem Doomriff) oder "Satisfy" sind Kaliber, mit denen man nicht unbedingt rechnen konnte. Auch Clemmons' Stimme passt sich dieser Ausrichtung an; er klingt in manchen Momenten derart zerstörerisch und aggressiv, dass ich mich durchaus frage, aus welchem Körperteil GENAU er sich diese Töne herauskratzt. Auf der anderen Seite stehen mit "Universal" oder "The Maggots" Songs auf dem Programm, die - entsprechend arrangiert - auch auf einem Fullbliss-Album stehen könnten. Apropos: das auf dem letzten Album "Yes Sir" befindliche "The Cowboy Song" gibt es auf "Sufferboy" in der breitbeinig rumstehen & lässig aussehen-Version und ist für mich das klare Highlight dieser Platte.

Zugegeben, "Sufferboy" macht es einem nicht leicht. Auf den ersten Blick (wohl auch aufgrund der Härte) ungewohnt sperrig und zerfahren, entwickelt sich das Album erst nach einigen Durchläufen zu einem wahren Koloss. Und wenn man erstmal durch die in typischer Clemmons-Manier angeschrägten und vor allem zeitgemäßen Riffmonster gegraben hat, die sich die drei Herren hier aus dem Ärmel schütteln, dann merkt man zum wiederholten Male, wie kriminell eigenständig diese Band eigentlich ist. Und hat damit wohl auch die Antwort auf die Frage gefunden, warum die Buben nicht schon längst drei, vier Stufen auf der Karriereleiter genommen haben. Ich für meinen Teil hätte gar nichts dagegen, wenn demnächst größere Hallen gebucht werden müssten...und "Sufferboy" könnte es ihnen eigentlich ganz leicht machen.



"Sufferboy" von JUD ist im August 2008 auf Noisolution erschienen.

21.09.2008

[zensiert]



Wenn du völlig übernächtigt, mit einer überdimensonalen Unlust gesegnet, geradewegs elf Stunden auf einer staubig-verdreckten Fläche Welt stehst; wenn dieser September so kalt und ungemütlich ist, dass die November-Depression schon zwei Monate zu früh unter die Bettdecke kriecht; wenn deine Knochen und deine Muskeln, ach was: jede verdammte Faser, jede Zelle deines Körpers dir von innen in dein Gesicht brüllt, dass alles, was du jetzt noch willst ein Bad in heißem, mit "wertvoller Mandelmilch veredeltem" Wasser ist, damit du nach einer gefühlten Ewigkeit mal wieder eine Hauch von dem spürst, was dir jedes Medienarschloch als "Entspannung" vor die Füße rotzt; wenn du dich in einer solchen Stunde nicht von einem sozial und physisch verwahrlosten Singer/Songwriter-Trauermops vollspeien lassen willst und darüber hinaus sowieso der Meinung bist, dass die furchtbar revolutionäre künstlerische Innovation in Form von Ergänzung klassischer Komponenten in moderne Rock-/Pop-/Tanz-Musik der allerallerallergrößte Irrwegscheiß ist, der deinem Sinn für Ästhetik seit Äonen zugemutet wurde, dann ist "Genesis" von Hiroshi Watanabe eine Platte, die dir in bestimmten Lebensmomenten so gut tut wie "fingerdick Nutella auf frischem Kastenweißbrot" (J.Schliemann).

Watanabes ausufernder, warmer und pompöser Ambient Techno-Sound ist durch und durch so harmonisch, dass er dir für Stunden die Seele massieren könnte, ohne dabei zu glatt, zu kitschig oder selbstverliebt zu sein: "Genesis" pusht und treibt, es hält dich auf eine wunderbar angenehme Art und Weise am Atmen, auch wenn um dich herum der dicke Staub des Wahnsinns schwebt und dir die Kehle und das Herz zudrückt. "Genesis" ist das Antidot.


"Genesis" von Hiroshi Watanabe ist im Jahr 2007 auf Klikrecords erschienen.




P.S.: ich hoffe auf eine wenig überraschende, dafür aber durchaus angemessene und entsprechend aussagekräftige Google-Zugriffstatistik in den kommenden Tagen.

Update 30.12.2008: Titel gelöscht. Mir gehen die Schmierfinken mittlerweile etwas auf den Zeiger. Aber keep goin'!

15.09.2008

Abends, am See....



Es gibt soviel unentdeckte Musik. Soviel spannende, höchst inspirierte, stimulierende und doch unentdeckte Musik. Auch "Drift" des Kölner Improvisationsduos sonargemeinschaft wäre mir wohl verborgen geblieben, hätte es das Schicksal nicht so gut mit mir gemeint. Gemeinsam mit dem britischen Gitarristen und Multiinstrumentalisten Fred Frith als Gast präsentieren sich Dirk Raulf am Saxofon und Frank Schulte (Electronics) auf einem Niveau, das mir tatsächlich nicht alle Tage vor die Ohren kommt.

Frei improvisierte Musik gleicht immer einem Drahtseilakt und für gewöhnlich entscheiden die ersten Augenblicke über Erfolg und Misserfolg eines gemeinsamen Weges. Damit ist nicht gemeint, dass sich ein Stück nicht entwickeln dürfe; das wäre aber erst der zweite Schritt. Der erste Schritt ist ein Hauch einer Ahnung, ein minmaler Impuls oder eine grotesk-winzige Information, die darüber entscheiden, ob das, was gerade die Synapsen umweht, Substanz und Leidenschaft hat. Das Bauchgefühl täuscht sich selten, sofern man gelernt hat, es erstens überhaupt wahr zu nehmen, und zweitens es auch zu begreifen.

Wenn drei Musiker (und hier ganz besonders Raulf und Schulte) in der Lage sind derart intensiv und geschlossen mit einer Stimme sprechen zu können, dass dieses knapp siebzigminütige, aus zwei Titeln bestehende und im Kölner Loft live aufgenommene Werk sich zu einer funkelnden, blitzenden und nachgerade - Achtung, das verbotene Wort: perfekten Momentaufnahme entwickelt, zeigt sich, dass es durchaus von Vorteil sein kann, wenn sich die Musiker nicht erst vier Minuten vor Konzertbeginn am Biertresen über die Füße gefallen sind: Dirk Raulf und Frank Schulte arbeiten seit 1995 unter dem gemeinsamen sonargemeinschaft-Banner, kennen ihre Wege, Ihre Gedanken, Ihre Stärken und Schwächen. All das wird auf "Drift" gebündelt auf die Bühne gebracht. Raulfs Saxofon, das mal barsch und geradewegs animalisch anmutet, nur um im nächsten Moment so pur und rein wie ein norwegischer Fjord zu klingen (hat hier eben gerade jemand Jan Garbarek geflüstert?), und Schultes elektronische Eskapaden, die es sogar hier und da fertig bringen, wie ein Ausschnitt einer Raster-Noton-Party zu klingen, nackt und skelettiert einen feinen, minimalen Groove entwickeln und sich darüber hinaus nicht nur in den Sound einbetten, sondern ihm ein eigenes Gesicht schenken, sind die Grundpfeiler einer Musik, die im zweiten Stück "All Aboard" mit der Gitarre von Fred Frith eine weitere Komponente, einen weiteren Bauteil erhält. Auch Frith scheint ein gutes Gespür dafür zu haben, was dieser 13.Dezember wirklich benötigte, und es ist sehr wohltuend zu hören, dass er, wie seine beiden Mitmusiker auch, es unterlässt diese Bühne zu seiner alleinigen Bühne zu machen.

Und wenn selbst das angesichts der kalten Jahreszeit im Hintergrund dezent vor sich hin hustende Publikum mit dazu beiträgt, dass "Drift" ein beeindruckendes Zeugnis eines Abends ist, an dem sich drei Musiker zu einem Klang verbunden hatten, ist wirklich alles gesagt.


"Drift" von sonargemeinschaft & Fred Frith ist am 30.5.2008 auf Poise erschienen.

08.09.2008

Lauschglück



Am kommenden Freitag, 12.9.2008 findet in der Bessunger Knabenschule zu Darmstadt ein ausgesprochen interessantes Konzert statt:

Michael Wertmüller
(Drums, u.a. Brötzmann, ), Rainer Lind (Gitarre, Künstler aus Darmstadt, u.a. Brötzmann) und Joe Sachse (Gitarre, u.a. John Tchicai, Brötzmann) stehen gemeinsam auf einer Bühne.

Beginn ist um 20:30 Uhr. 

Weitere Informationen gibt es HIER.


26.08.2008

Zebra Streifen



Ein wildes Gezappel, da rund um den Springbrunnen. Die Rosen wachsen auf den braunen Betonplatten. Nicht so, wie andere Rosen wachsen, aber das sind auch keine normalen Betonplatten. Eigentlich bestehen sie aus ganz vielen, kleinen Steinen. Die passen gar nicht zusammen, aber man hat sie passend gemacht. Ob die wissen, dass Rosen auf ihnen wachsen? Naja, wahrscheinlich nicht.

"Das ist wie...wie ein Vogelschwarm, irgendwie. Einer fliegt nach...na, da raus halt, und die anderen fliegen sofort mit."

"'Die anderen' ist ja Quatsch; 's sind ja nur zwei."

"Aber immerhin klingen die zwei wie ein ganzes Rudel."

"Rudel? Eben warst Du noch beim Schwarm."

"Ja, Verzeihung. Wie's halt gerade passt."

"Rudel klingt nach Raubtieren."


Freies, attackierendes Chicago. Ist es noch hell oder schon wieder Frühstück? Eine große Tasse Kaffee, dazu Kornetthörnchen und Getrommel. Geht ja auch, wenn es erst wieder hell werden soll. Also irgendwann, wenn es noch dunkel ist.


"Und wie schön das klingelt. Wie Wasserperlen an den Badezimmerfliesen, nach dem Duschen."

"Wasserperlen, die klingeln?"

"Du weißt schon, wie ich das meine."

"Dann sag's halt."


phase out....another level of consciousness...push Away...posT...close your eyes...play, just play...aBility...FREe...another level of consciousneSs...agree....rock...disagree...


"Hat die nicht der Tortoise-Typ produziert?"

"Kann schon sein. Aber sowas interessiert doch nur Giganerds, weil sie das Wichtigste nicht kapieren wollen."

"Hast Du mich gerade Giganerd genannt?"

"Interessiert's dich wirklich?"

"Nö."

"Ich geh' ein bisschen schwimmen."


"In Praise Of Shadows" des Chicago Underground Trios ist im Jahre 2006 auf ThrillJockey erschienen. 



21.08.2008

"Even he can't play what he plays..."

Ein launiger Ausschnitt aus einem Noel Gallagher-Interview. Der Gitarrist von Oasis spricht gut fünf Minuten über The Smiths, Johnny Marr und Morrissey. Großartig!

19.08.2008

Halb zog es ihn, halb sank er dahin...



Auch das ansonsten so geschmackssichere Blue Note-Label erlaubt sich hier und da einen Ausrutscher. Auch wenn jener, der sich auf Lee Morgans "The Procrastinator" bezieht, nicht in erster Linie ein musikalischer, sondern zunächst mal ein geschäftlicher Lapsus ist. Das Label konnte auf dieser, im Juli 1967 aufgenommenen Scheibe unverschämterweise keinen Hit entdecken und verstaute die Aufnahmen im Giftschrank, ehe das Werk 1978 zum ersten Mal den Weg in die Läden fand. Ganze 17 Jahre später wurde es als limitierte Edition wiederveröffentlicht, auf der dann aber unsinnigerweise die Hälfte der Originalausgabe fehlte, nämlich eine Session aus dem Jahre 1969, unter anderem mit Julien Priester (Posaune) und George Coleman am Saxofon. Zumindest kann man damit den Gegenbeweis für die These antreten, früher sei in Sachen Musikbusiness alles besser gewesen. War es nicht.

Lee Morgan, der in den Jahren zuvor unter anderem bei Art Blakeys Jazz Messengers, der Band von Dizzy Gillespie und auf letztlich wegweisenden Klassikern wie Grachan Moncurs "Evolution" mitwirkte, hat für diese Platte die crème de la crème des Mid-60s Jazz und nicht weniger als drei Musiker der damaligen Miles Davis Band um sich versammelt. Gemeinsam mit Herbie Hancock (Piano), Wayne Shorter (Tenor Sax), Bobby Hutcherson (Vibraphon), Ron Carter am Bass und Billy Higgins am Schlagzeug präsentiert er sich im Vergleich zu seinen erfolgreichsten Jahren mit Werken wie "The Sidewinder" oder "The Rumproller" deutlich gereift, ja geradewegs zurückhaltend und bietet einen Hard Bop an, der in seinen besten Momenten die Schwelle zur Avantgarde streift und ansonsten mit erstaunlicher Tiefe und gehörigem Swing ausgestattet ist. Die vier Morgan- und zwei Shorter-Kompositionen (die wunderbare Ballade "Dear Sir" und der Bossa Nova "Rio") sind in ihrer Geschlossenheit und ihrer Souveränität ungeschlagene Perlen des modalen Jazz, zu gleichen Teilen beschwingt und hypnotisierend. Besonders letztgenannte Komponente dürfte sich in den meisten Morgan-Alben der sechziger Jahre wiederfinden.

Dass "The Procrastinator" moderner klingt als Morgans frühere Arbeiten liegt für meinen Geschmack explizit an der Beteiligung Bobby Hutchersons. Besonders sein Spiel führt die bluesigen Ansätze des Trompeters in einen tiefroten Rau(s)ch, wärmt sie und verleiht ihr einiges an mystischem Flair, das sich durch die komplette Aufnahme zieht. Dazu passt Shorters ebenfalls sehr überlegtes, zurückgenommenes Spiel und das kluge, begleitende Drumming von Billy Higgins, der sich nie in den Vordergrund drängt, sondern sich perfekt den Songs anpasst und sie abrundet.

Möglicherweise wäre Lee Morgan, der Zeit seines Lebens wie viele seiner Musikerkollegen dem Heroin nicht immer abschwören konnte, heute eine der bekanntesten und schillerndsten Figuren des Jazz, wäre er nicht 1972 während eines Streit mit seiner damaligen Freundin vor dem New Yorker Jazzclub Slug's von ebenjener erschossen worden. Aber spekulieren wir nicht weiter wild herum, lassen wir lieber den trivialen Quatsch beiseite und freuen uns, dass es von diesem Mann noch eine ganze Reihe fantastischer Platten zu entdecken gibt. "The Procrastinator" ist einfach viel zu gut, um es dem großen Nichts, dem großen Vergessen anzuvertrauen.


"The Procrastinator" ist im Jahre 1978 auf Blue Note Records veröffentlicht worden. Der hier präsentierte Re-Release erschien im Jahre 1995 ebenfalls auf Blue Note Records.

13.08.2008

Playlist 12.8.2008

Wie immer an dieser Stelle: das haben Sie gestern Abend verpasst. Oder gehört. 

01 Mice Parade - In The Land There Are Lakes
02 The Life And Times - Muscle Cars
03 I'm Not A Gun - Blue Garden
04 Do Make Say Think - Chinatown
05 Thomas Dybdahl - Love's Lost
05 Vetiver - You May Be Blue
06 Sofa Surfers - White Noise
07 Joyce Hotel - Falling/Laughing
08 Triosk - Headlights
09 IMPS - Bubble And Squeak
10 Jackie McLean - Love And Hate
11 Joe Henry - Love You Madly
12 Ostinato - Convolution
13 Jud - The Hands
14 Human Bell - Outposts Of Oblivion
15 Joanna Newsom - Cosmia
16 David Murray Octet - India
17 Mad Season - Long Gone Day
18 The Heavy - Doing Fine
19 Black Rebel Motorcycle Club - Rifles
20 Boards Of Canada - Sixtyniner
21 Rafael Anton Irrisari - Fractal
22 Anders Ilar - Color Of Rain
23 EFDEMIN - Further Back
24 Shuttle 358 - Lyndon Song
25 Yume Bitsu - Surface I

Vielen Dank fürs Zuhören!

09.08.2008

In eigener Sache: Nachtgedanken




Der lange herbeigesehnte Urlaub ist endlich da, also kann ich ihn auch gleich mit einer kleinen Radiosendung freudig begrüßen:

Am Dienstag, 12.8.2008 ab 20:30 Uhr gibt es unter folgendem Link ein bisschen Musik zur Nacht zu umarmen:

Hans-Joachim Kulenkampff freut sich über deine pinkfarbenen Waschlappen

Und das ist ja auch ganz schön so.


P.S.: Man findet schon einen geradewegs käferblöden Mist, wenn man (relativ) harmlos die Google-Bildersuche für "Nachtgedanken" anschmeißt, oder? 

25.07.2008

I Feel New Beats, I Hear New Sounds



Eine ganz und gar bemerkenswerte Platte, und das gleich in mehrfacher Hinsicht, ist "Home For An Island", das zweite Album der New Yorker Band The Exit, und es stimmt mich von Zeit zu Zeit etwas nachdenklich, dass ich dieses Juwel ohne mein ehemaliges Dasein als Hobby-Musikjournalist wohl niemals entdeckt hätte.

Das sind wohl die guten Seiten eines Jobs, bei dem ich mir manchmal nicht sicher bin, ob ihm überhaupt auch nur eine gute Faser einer nicht ganz so schlechten Seite innewohnt, und dabei beziehe ich mich ausdrücklich sowohl auf die Rolle des Lesers, als auch auf die des Schreibers selbst. Aber das ist wieder so ein ganz anderes Thema, darüber können wir uns gerne auf der nächsten Popkomm unterhalten, wenn die halbnackten Bitches, sorry: Hostessen, uns am Visions-Stand die Caipi-Schirmchen ins Haar flechten. Jedenfalls: meine grundlegende Skepsis gegenüber aktueller Rockmusik hat mich seit einiger Zeit so fest im Griff, dass sie mich heutzutage, ganz salopp geschrieben, eigentlich einen Scheiß interessiert. Ich suche auch nicht mehr danach. Wenn mir jedoch mehr oder weniger zufällig etwas vor die Füße rutscht, das mich totz meiner "Iiiih, Du bist immer so anti"-Haltung zunächst verwirrt und dann umso stärker mitreißt, so dass ich selbst zwei Jahre nach der Veröffentlichung dieses kleinen Wunders noch ein helles Funkeln in die Augen bekomme und in himmelhochjauchzende Lobhudeleien verfalle, die sogar mit jedem weiteren Durchlauf noch himmelhochjauchzender Lobhudeln, dann bin ich ein sehr glücklicher Mensch.

The Exit spielen auf "Home For An Island"...Rockmusik. Rockmusik, zu der mir interessanterweise jeder Vergleich fehlt, obwohl die Assoziationen zu der Musik des Trios nur so aus den Poren sprühen. Rockmusik, die sich zwischen The Police, The Clash und den Wurzeln des Punkrock bewegt. Rockmusik, die so sackperfekt produziert wurde, dass ich seit Jahren keinen besseren Sound mehr auf einer Rockplatte gehört habe. Rockmusik, die angesichts ihrer durchaus mainstreamigen Ausrichtung das Zeug dazu gehabt hätte, zu einem legendären Klassiker zu werden, selbst in einer Zeit, in der die Menschen selbige gar nicht mehr fänden, um einen Meilenstein überhaupt noch als solchen zu erkennen/entdecken/feiern. Hausfrauen hätten "Let's Go To Haiti" oder den Titeltrack nach monatelanger Heavy Rotation in Funk und Fernsehen mitpfeifen, ach was: mitsingen können, Schulkinder würden ihre Eltern nicht eher in Ruhe lassen, bis sie Gitarren-, Bass- und Schlagzeugunterricht gleichzeitig bezahlt bekämen, und der große alte Mann des Fickel-Hardrocks, Jon Bon Jovi, der immer noch so jung aussieht und so wunderbare Schmuseballaden schreibt, die ans Herz und in die Hose gehen, würde seinen Fotografen zuraunen:"Make me look like The Exit."

Und dann wache ich auf und sehe, dass alles ganz anders kam. The Exit haben eine vergleichsweise niedrige Anzahl von MySpace-Profilaufrufen, ihre Major-Homepage ist vom Netz genommen, sie wurden trotz des ulkigen Label-Stickers, der sie groß als "Must Hear Artist" deklarierte, zu einem "Must Be Dropped Artist", und diese Platte hier, die ist fast vergessen. Ich möchte an dieser Stelle nicht wie einer der furchtbaren Zeitgenossen klingen, die jeden zurecht unbekannten Schmonz mit einem "In einer besseren Welt wären diese Jungs hier Superstars" kommentieren; dass eine mit solchem Potential gesegnete Scheibe jedoch nahezu keine Sau juckt...das darf mich einfach nur ein bisschen Erstaunen. Darf es nicht?

"Home For An Island" von The Exit ist im Jahre 2005 bei Wind-Up Records erschienen.

15.07.2008

It's In The Mix, Stupid!



Für gewöhnlich bin ich den Arbeiten von Kieran Hebden ja durchaus wohlgesonnen: seine Postrock-Spielwiese Fridge, seine vielseitigen Four Tet-Tüfteleien, die mitunter sehr respektvoll die Einflüsse des 29-jährigen Musikers in den Vordergrund rücken, oder eben sein seit einigen Jahren laufendes Projekt mit dem Jazzdrummer Steve Reid, all das konnte mich im Grunde immer überzeugen. Vor allem das Hebden/Reid-Debut "The Exchange Sessions Vol.1" hat mich seinerzeit kräftig mitgerissen. Hebden hatte schon zu schwebenden Fridge-Zeiten großen Wert auf vertrackte Rhythmuskonstruktionen gelegt, und "Everything Ecstatic", seine großartige Four Tet-Platte aus dem Jahr 2005 baute diesen Groove-Fokus gar noch weiter aus, umgarnte ihn mit seinen typischen Wuschi-Deluxe-Sounds, frisch gemopst aus der großen Rappelkiste eines Musikverrückten. Die Kollaboration mit Steve Reid, einem freien Geist des Jazz, der in den sechziger und siebziger Jahren mit Sun Ra genauso arbeitete wie mit Miles Davis, lag als nächster logischer Schritt auf der Hand.

Während die ersten beiden Ergebnisse dieser Partnerschaft "The Exchange Sessions 1+2" sich ausbreitenden, diffusen Electro-Freejazz boten, wählte man für das dritte Werk "Tongues" offensichtlich einen luftigeren Ansatz. Durchschnittlich viereinhalb Minuten benötigen die beiden Musiker, um zu demonstrieren, dass improvisierte Musik eben auch mal bedeuten kann, dass es - Pardong! - in die Hose geht. Was grundlegend völlig in Ordnung ist. Aber mein Gefühl sagt mir auch nach dem achten Durchlauf, dass Hebden und Reid sich hier leicht verhoben haben. Reids afrikanisch beeinflusstes Schlagzeugspiel rückt auffallend weit in den Hintergrund, die Schnittstellen mit Hebdens Gezischel und Gerappel wurden so unkenntlich gemacht, dass sich bei Licht betrachtet hier nur einer austobt, und das ist Kieran Hebden. Trotzdem pendelt er lediglich zwischen zwei Extremen umher: einerseits wummert er viel Potential überraschend uninspiriert in Grund und Boden, andererseits lässt er hier und da süßliche Melodien durchblitzen, die viel zu undefiniert sind, als dass sie eine Stimmung erzeugen können, die die Songs tragen kann. Und wer jetzt irritiert die Augenbrauen anhebt und sich fragt "Moment mal, Songs??", der fragt sich das mit Recht: mir erschließt sich schon der grundlegende Gedanke hinter "Tongues" nicht, vierminütige Momentaufnahmen in einen ursprünglich uferlosen Kontext zu pressen. "Tongues" wirkt dadurch unangenehm unfertig, beeindruckend trivial und zerstäubt schneller aus dem Gedächtnis als eine Bundestagsrede von Dirk "Wirsing" Niebel.

"Tongues" von Kieran Hebden und Steve Reid ist im März 2007 auf Domino Records erschienen.

06.07.2008

(R)evolution



"When ever I have a conversation about what's wrong with the jazz business, I always start out by saying, 'Where is Grachan Moncur?'"

Jackie McLean

Manche Wahrheiten benötigen Zeit. Manche Musik benötigt Zeit. Und wenn Wahrheit und Musik aufeinandertreffen, dann können schon mal ein paar Dekaden vergehen, bevor sie aus nebligem Dickicht gezerrt und entdeckt werden. Eine sehr scheue Kombination, scheinbar. Bei Grachan Moncur III stießen die beiden Faktoren mehr als nur einmal aufeinander, und es macht den Eindruck, als habe sich in nahezu gleicher Frequenz sein Image als merkwürdiger Kauz immer weiter in die Jazzwelt hineingebohrt. Sowas kann zu einem prächtigen Boomerang werden.

Als einer der wenigen Posaunisten, die sich in der Free Jazz/Avantgarde-Welt bewegen, erscheint er mir besonders in den letzten Monaten als einer der inspiriertesten Jazzmusiker aller Zeiten. Auch wenn sich Moncur nach eigener Aussage gar nicht in der Avantgarde-Ecke zuhausefühlt ("To me, it wasn't avant-garde per say for what the avant-garde was really standing for at that time to me. The avant-garde at that time was dealing with the idea of being revolutionary music. I had no thoughts in my mind of this being revolutionary."), so gelten besonders sein Blue Note-Debut als Leader "Evolution",  und das mit Jackie McLean als Leader aufgenommene "Destination...Out!"(beide 1963 erschienen) als sehr außergewöhnlich und innovativ. Für mich begann das Phänomen Moncur mit einer Aufnahme aus dem Jahr 1969, "New Africa", aufgenommen im Rahmen einer Session für das legendäre französische BYG Actuel-Label. Die hier enthaltenen vier Songs zählen für mich mittlerweile zu den großen Sternstunden des Jazz: der ausufernde, aber zu jeder Sekunde mit glasklarer Struktur versehene Titeltrack, der sich in den ersten Minuten so traumhaft durch eine simple Klaviermelodie schleppt, das nervös-sirrende, dunkle und unheilverkündende "Space Spy", oder "Exploration", das seinem Name mit sehr freien Solos alle Ehre macht, und zu guter Letzt "When", einem mit dunklen Swing ausgestatteten Wohlfühlmonster; Moncurs Songwriting ist zu jeder Sekunde eine glatte Offenbarung, sein Stil völlig einzigartig. Zugegeben, ich bin immer noch nicht vollständig hinter sein Geheimnis gekommen. Dafür ist der Mann viel zu wendig, seine Brüche und Sprünge so fix, sein Motive so strange & beautiful, das ich sie - ganz ehrlich gesagt - auch einfach nur genießen möchte. In einem Interview mit Allaboutjazz.com sagte er über seine Art Songs zu schreiben:"I was trying to look at writing at that point the way a painter would paint. You put your thing on the easel and you sketch something and you come back to it the next day or a couple of days. That's how I was trying to think musically. I wasn't trying to finish anything. I still don't do that. I don't try to write anything that I consider a complete piece, especially now. It is always a work in progress. I don't change anything, but I add." Moncur balanciert für meine Begriffe genau an der Schnittstelle eines eher traditionellen Jazzmodells wie dem Hardbop und den Anfängen des Free Jazz in den frühen sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Hier hat er seinen Platz gefunden, fokussiert sich aber in Sachen Songwriting besonders auf Stimmungen und Kontraste. 
Möglicherweise ist speziell dieses Merkmal der springende Punkt seiner 
Musik.

Trotz seiner Zusammenarbeit mit Blue Note zählt Grachan Moncur III bis heute zu den eher unbekannteren Jazzmusikern, obwohl er bis heute Platten veröffentlicht, wenn auch in sehr unregelmäßigen Zeitabständen. In dem weiter oben erwähnten, sehr spannenden, Interview nimmt Moncur zu diesen und anderen Themen Stellung, oftmals auf eine Art und Weise, die mir alleine beim Lesen seiner Sätze den Herzschlag beschleunigt. Es ist, als könne ich seine Worte hören. Sie klingeln regelrecht in den Ohren.

"New Africa" von Grachan Moncur III ist 1969 auf BYG Actuel erschienen.

21.06.2008

"But this time, I wanna hear you scream. In pain." -"Play some Jazzrock."



Es gibt Momente, in denen ich die musikalischen siebziger Jahre gerne zusammengeknüllt in einer Biotonne liegen lassen würde, obgleich vieles aus dieser Dekade noch nicht mal kompostierbar, sondern geradewegs hochgiftig klingt. Das erste Album des hochgelobten Keith Jarrett Quartetts mit Chalie Haden (Bass), Dewey Redman (Tenor Sax) und Paul Motian (Drums) stammt aus dem Jahre 1971, und auch wenn man sich da gerade mal am Anfang des Jahrzehnts befand: "Birth" atmet bereits erstaunlich oft den Muff einer Dekade, in der so mancher Musiker auf Teufel komm raus in einer Art und Weise experimentierte, die man mit viel Wohlwollen gerade noch als naiv bezeichnen könnte, zumindest aus heutiger Sicht. "Birth" ist jedoch aus zwei Gründen nicht uninteressant, zeigt es doch erstens (nicht nur) mit Jarrett einen Musiker, der hörbar auf der Suche nach Herausforderungen war und mit vielen - ihm eigentlich fremden - Instrumenten nach einem neuen Sound forschte und zweitens einen überraschend sauberen Schnitt zwischen Tradition, Avantgarde und Jarretts künftigem ECM-Sound, der sich in erster Linie beim Opener und beruhigend-fließenden Titelstück zu erkennen gibt. Ein durchaus ungewöhnlicher Einstieg in eine ebenso ungewöhnliche, heterogene Platte, deren Ausrichtung im Folgenden wesentlich freier in Erscheinung tritt. Hier fallen besonders das rockige, fusionlastige "Mortgage On My Soul (Wah-Wah)", sowie das sehr freie, experimentelle "Spirit" auf. Während die Band bei letzterem mit allerlei Percussioninstrumenten hörbar entrückt knapp unter der Studiodecke herumfliegt, wenn nicht -albert, präsentiert sich "Mortgage On My Soul" als dick geknüpfter Rockteppich, der leider viel Charme in sich aufsaugt und ihn partout nicht mehr freigeben will, sodass ein verzerrter Charlie Haden-Bass unwidersprochen auf ihm herumtollen und noch einen Nachschlag in Sachen "Geschmacklosigkeit" bieten kann.

Damit hätten wir den Tiefpunkt dieser Platte auch schon hinter uns gelassen; danach geht es spürbar bergauf. Vor allem der Schlusspunkt "Remorse" (Jarrett an den Steel Drums und am Banjo) zeigt in seinen elf Minuten ein beeindruckendes Wechselspiel der Musiker und birgt insbesondere in Jarretts blitzschnell an- und abschwellenden Crescendos einen feinen Ausblick auf seine Arbeiten in den kommenden Jahren.

Eine seltsame Platte, auf der weißgott nicht alles Gold ist, was glänzt, die es jedoch problemlos auf drei Prachtstücke bringt. Reicht völlig aus.

"Birth" von Keith Jarrett ist im Jahre 1971 auf Atlantic Records erschienen.