21.06.2008

"But this time, I wanna hear you scream. In pain." -"Play some Jazzrock."



Es gibt Momente, in denen ich die musikalischen siebziger Jahre gerne zusammengeknüllt in einer Biotonne liegen lassen würde, obgleich vieles aus dieser Dekade noch nicht mal kompostierbar, sondern geradewegs hochgiftig klingt. Das erste Album des hochgelobten Keith Jarrett Quartetts mit Chalie Haden (Bass), Dewey Redman (Tenor Sax) und Paul Motian (Drums) stammt aus dem Jahre 1971, und auch wenn man sich da gerade mal am Anfang des Jahrzehnts befand: "Birth" atmet bereits erstaunlich oft den Muff einer Dekade, in der so mancher Musiker auf Teufel komm raus in einer Art und Weise experimentierte, die man mit viel Wohlwollen gerade noch als naiv bezeichnen könnte, zumindest aus heutiger Sicht. "Birth" ist jedoch aus zwei Gründen nicht uninteressant, zeigt es doch erstens (nicht nur) mit Jarrett einen Musiker, der hörbar auf der Suche nach Herausforderungen war und mit vielen - ihm eigentlich fremden - Instrumenten nach einem neuen Sound forschte und zweitens einen überraschend sauberen Schnitt zwischen Tradition, Avantgarde und Jarretts künftigem ECM-Sound, der sich in erster Linie beim Opener und beruhigend-fließenden Titelstück zu erkennen gibt. Ein durchaus ungewöhnlicher Einstieg in eine ebenso ungewöhnliche, heterogene Platte, deren Ausrichtung im Folgenden wesentlich freier in Erscheinung tritt. Hier fallen besonders das rockige, fusionlastige "Mortgage On My Soul (Wah-Wah)", sowie das sehr freie, experimentelle "Spirit" auf. Während die Band bei letzterem mit allerlei Percussioninstrumenten hörbar entrückt knapp unter der Studiodecke herumfliegt, wenn nicht -albert, präsentiert sich "Mortgage On My Soul" als dick geknüpfter Rockteppich, der leider viel Charme in sich aufsaugt und ihn partout nicht mehr freigeben will, sodass ein verzerrter Charlie Haden-Bass unwidersprochen auf ihm herumtollen und noch einen Nachschlag in Sachen "Geschmacklosigkeit" bieten kann.

Damit hätten wir den Tiefpunkt dieser Platte auch schon hinter uns gelassen; danach geht es spürbar bergauf. Vor allem der Schlusspunkt "Remorse" (Jarrett an den Steel Drums und am Banjo) zeigt in seinen elf Minuten ein beeindruckendes Wechselspiel der Musiker und birgt insbesondere in Jarretts blitzschnell an- und abschwellenden Crescendos einen feinen Ausblick auf seine Arbeiten in den kommenden Jahren.

Eine seltsame Platte, auf der weißgott nicht alles Gold ist, was glänzt, die es jedoch problemlos auf drei Prachtstücke bringt. Reicht völlig aus.

"Birth" von Keith Jarrett ist im Jahre 1971 auf Atlantic Records erschienen.

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