RODAN - RUSTY
"Ich glaube, dass 90% der Leute nicht definieren können, was Zynismus bedeutet. Ich hab mal gelesen bei Sloterdijk, das falsche aufgeklärte Bewusstsein, das heißt also im Grunde: ab zweieinhalbtausend netto ist jeder Zyniker. Da ist was dran." (Harald Schmidt)
Als Louisville, Kentucky das Kreissaal-Epizentrum für Post Rock und Post Hardcore war. Die beiden Extreme dieser Platte stehen gleich am Anfang: das fast siebenminütige "Bible Silver Corner" eröffnet "Rusty" mit behutsam arrangierten Akustikgitarren, die sich kreuz und quer, über-, gegen und miteinander im Dickicht verlaufen und sich alle Zeit der Welt lassen, die passend ausgeleuchtete Stimmung und die richtige Temperatur zu finden. Direkt im Anschluss folgt das brachiale "Shiner", ein zweieinhalb Minuten dauernder Wutanfall mit dissonantem Noisegetöse und blutiger Nase - und damit sind wir auf alles vorbereitet, was zumindest stilistisch in den kommenden Minuten auf diesem wegweisenden Album aus dem Jahr 1994 passiert.
Es ist möglicherweise genau eine Platte zu spät, um Patient Zero des Post Rock zu sein, aber der Einfluss dieses Quartetts auf eines der wichtigsten und - ich möchte offen sprechen: coolsten Genres der neunziger Jahre, bleibt davon unberührt. Die Frage, ob intellektuelle Distanzierung oder soziale Unbeholfenheit, grenzauflösende Intimität oder rezessiver Lebenswille die stärksten Druckpunkte dieser Musik sind, beantwortet "Rusty" mit einem bebenden "Ja!" - und zwar vor allem im zwölfminütigen Herzstück "The Everyday World Of Bodies", das sich geradezu manisch durch Hoch- und Tiefebenen bohrt.
Neverending Hyperfocus.
Vinyl und so: Das einzige Album Rodans wurde kürzlich zu seinem 30.Geburtstag auf farbigem Vinyl wiederveröffentlicht. Empfehlenswert sind darüber hinaus die bereits im Jahr 1993 aufgenommene und 2019 veröffentlichte Zusammenstellung von späteren "Rusty" Songs mit dem Titel "The Hat Factory '93" sowie "Fifteen Quiet Years" aus dem Jahr 2013 mit bis dato unveröffentlichten Songs, Sampler- sowie 7"-Beiträgen und drei Songs aus den 1994 entstandenen John Peel Sessions.
Rest In Power, Jason Noble.
Erschienen auf Quarterstick Records, 1994.