THE BILL EVANS TRIO - ON A MONDAY EVENING
Immer wenn ich Musik von Bill Evans höre, sage ich laut zu mir selbst "Man muss viel öfter viel mehr Musik von Bill Evans hören." - und ich habe sogar Zeugen dafür; die Herzallerliebste nickt mir just in diesem Augenblick mit einigem Mitleid im Gesicht zu und ich bin mir nicht sicher, ob jenes Mitleid ihr oder mir gilt. Evans' hier gefeiertes Livealbum aus dem Jahr 1966 ist hingegen eine jener Platten, die man nur selten hört, weil man Angst davor hat, die Magie könne beim nächsten Hören umständehalber verschwunden sein - und damit auch die Bedeutung der Musik für's eig'ne Sein. Traut man sich dennoch alle Jahre mal, die Platte erneut abzuspielen, und sie, die Magie, steht immer noch strahlend vor der eigenen Erektion, tritt Gevatter Hypotonie ins Oberstübchen ein und löscht für die nächsten Jahre wieder das Licht. So lässt sich's auch mit schwerer Hirnerkrankung aushalten.
"At Town Hall Vol.1" (entre-nous: ich warte seit fucking Jahren auf Vol.2) ist diesbezüglich eine kleine Ausnahme; die anderen Evans Platten im Schrank, und seit dem 2010 verfassten Textlein hat sich im Ikea-Holzschrott rein quantitativ auch etwas getan, sind gleichwohl brilliant, laufen aber nicht Gefahr, zu selten gehört zu werden. Ganz im Gegenteil. Der aktuelle Anwärter in dieser Reihe, das im Jahr 2017 veröffentlichte Livealbum "On A Monday Evening", läuft heute bereits zum dritten Mal durch die Rillen und angesichts der Geschichte und Hintergründe dieser Aufnahme scheint es eine gute Idee zu sein, mein nunmehr seit 2 Monaten andauerndes Schweigen zu brechen. Denn ähnlich wie im Falle des kürzlich veröffentlichten "neuen" Albums von John Coltrane ("Both Directions At Once - The Lost Album") wusste bis vor wenigen Jahren niemand von der Existenz dieses Mitschnitts. Evans, Eddie Gomez am Bass und Eliot Zigmond am Schlagzeug spielten am 15.November 1976 im Madison Union Theater an der Universität von Wisconsin und die beiden gerade mal 22 Jahre alten Radio-DJs der Fakultät Larry Goldberg und James Farber, die am vorangegangenen Tag noch ein Interview mit dem Pianisten führten, entschieden kurzerhand und instinktiv, das an einem Montagabend stattfindende Konzert mitzuschneiden. Die Aufnahmen gerieten in Vergessenheit und wurden erst 40 Jahre später bei Aufräumarbeiten wieder entdeckt.
Das Trio Evans/Gomez/Zigmond gilt unter Kennern als wenigstens ebenbürtig mit Evans' populärster Besetzung zu Beginn der 1960er Jahr mit Schlagzeuger Paul Motian und Bassist Scott LaFaro, das sich kurz nach Evans' Beteiligung am Meilenstein "Kind Of Blue" formierte. Mit Eddie Gomez spielte Evans bereits seit 1966 zusammen, während Zigmond gerade einmal ein knappes Jahr vor diesem Abend in Wisconsin zur Band stieß. Leider hielt diese Besetzung nur kurze Zeit. So nahm das Trio mit "You Must Believe In Spring" im Jahr 1977 lediglich eine gemeinsame Studioplatte auf, die sogar erst nach Evans' Tod 1981 veröffentlicht wurde. Auch Liveaufnahmen sind rar, tatsächlich lassen sich die Spuren der drei Helden, abgesehen von obskuren und wenig offiziellen Radiomitschnitten, nur auf der autorisierten Zusammenstellung "The Complete Fantasy Recordings" nachvollziehen, einem Boxset mit nicht weniger als neun vollgepackten CDs, die tragischerweise nicht in der Vinylversion angeboten wird. Wer sich den digitalen Schinken nicht ins Regal wurschteln will, sollte mit einiger Geduld nach der 1989 nur in Japan erschienenen CD "The Paris Concert" Ausschau halten - es handelt sich um die selben 1976er Aufnahmen wie jene aus dem Boxset. Nur damit's niemand übersieht: Wir haben 2018 und auf einem Blog (!) werden CDs (!!) empfohlen. Bizarr.
Nicht zuletzt ob der Seltenheit von Tondokumenten aus jener Zeit sind Freunde des Pianisten und seinen Trioformationen angesichts dieses entdeckten Schatzes aus dem Häuschen.
Einer der beiden oben erwähnten damaligen Radio DJs, James Farber, genießt heute einen exzellenten Ruf als herausragender Toningenieur und nahm sich der Restaurierung der Aufnahmen an.
Nick Phillips liegt richtig mit seiner Einschätzung. Evans war vor allem für sein lyrisches, poetisches Spiel bekannt, für seine außerordentliche Tiefe im Umgang mit Harmonien. Auf "On A Monday Evening" ist all das zu hören, gleichzeitig aber mit bisweilen gar furios vorgetragener Dynamik. Die Geschwindigkeit, in der die drei Musiker miteinander interagieren, der sprühende Antrieb von Eliot Zigmond am Schlagzeug, das befreite Spiel von Eddie Gomez, über den ohnehin nicht wenige sagen, er sei in dieser Phase auf dem Höhepunkt seiner Kreativität gewesen, und der funkelnde Bandleader am Piano, der stets die Richtung vorgibt, ohne nach eigener Aussage autoritär sein zu wollen, machen "On A Monday Evening" zu einem besonderen Vergnügen.
Evans hatte zu der Zeit dieses Konzerts zwar seine Heroinabhängigkeit überwunden, war aber dennoch bis zu seinem Tod kokainsüchtig und vor allem nach dem Selbstmord seines Bruders Ende der 1970er Jahre ein gebrochener und kranker Mann. Dass einer, der sich ausgerechnet zum Kokain hingezogen fühlte, zu solch atemberaubender Tiefe, Verletzlichkeit und Melancholie in seinem Spiel fähig war, macht mich jedes Mal aufs Neue sprachlos.
"On A Monday Evening" ist abgesehen von seinem historischen Wert als bislang unentdecktes Zeitdokument aus der Karriere eines großen Musikers eine tolle Momentaufnahme dieses Trios.
Wir müssen alle viel mehr Bill Evans hören.
Erschienen auf Condord Records, 2017.