12.06.2016

I lost my Plattenladen in Heidelberg (I)




EIN RUNDGANG DURCH DIE VINYLGEMEINDE


Der 39.Geburtstag wurde mit der Herzallerliebsten in den Plattenläden Heidelbergs nachgefeiert - lediglich ein vierstündiger Kurztrip, damit unsere fellnasigen Mitbewohner nicht zu lange alleine sind, aber viel länger muss man sich in der Studentenstadt auch nicht mehr aufhalten, wollen die letzten verbliebenen Musikhändler besucht werden. Freund und Blank When Zero-Schlagzeuger Simon und ich waren zuletzt 2009 vor Ort, also noch knapp vor dem großen Hype und der vielbeschworenen Rückkehr der Vinylschallplatte. Schon damals war das romantische Städtchen nicht unbedingt ein Vinyl-Mekka, andererseits ließe sich sagen, dass immerhin vier Läden in einer nicht unbedingt urban zu bezeichnenden und recht kleinen Großstadt nicht das schlechteste sind. Fühlen wir also anno 2016 mal den Puls. Sofern man ihn noch fühlen kann.

Um das Fazit vorwegzunehmen: es braucht schon etwas Fantasie. 




Wir beginnen um kurz vor 12 Uhr mittags bei Ronnie's Records (Bahnhofstraße 19) und stehen zunächst vor verschlossener Tür: Ronnie zieht wochentags erst um 12 Uhr die Rolläden hoch. Während die Herzallerliebste mich noch wegen meiner  vermeintlich schlechten Vorbereitung zärtlich und liebevoll beschimpft, biegt der Inhaber um kurz nach 12 mit seinem Auto in die Straße ein und sucht einen Parkplatz. Ich habe Ronnie's Records noch vom letzten Besuch vor sieben Jahren in ganz guter Erinnerung, allerdings ist das Lädchen wohl auf ewig mit einem strahlenden Ausbruch von Quadratblödheit des Autors verknüpft. Das dritte abendfüllende Werk der ehemaligen Drogenrockgötter von Monster Magnet "Dopes To Infinity" wurde mittlerweile zig Mal auf Vinyl wiederveröffentlicht, was dem Wert der 1995er Originalpressung jedoch fast nichts anhaben kann: noch immer bieten Verkäufer sie zu horrenden Preisen an und noch immer wird sie von Kunden zu ebenjenen horrenden Preisen gekauft. Im Jahr 2009 sah das alles noch deutlich anders aus. Von Reissues war weit und breit nichts zu sehen und der Preis für die Originalpressung lag bei läppischen 20 Euro. Ronnie's Records hatte "Dopes To Infinity" in ebenjener Erstpressung für 18 Euro ins Regal gewuchtet, und Herr Dreikommaviernull, damals wie heute großer Fan der Frühphase der Band bis eben einschließlich dieses Albums, entschied sich nach zähem Ringen schlussendlich gegen einen Kauf. Es war eben einfach zu teuer. Um es einzuordnen: 2009 lagen 18 Euro, natürlich exklusiv besonderer Raritäten und stattdessen das Standardprogramm betrachtend, schon im oberen Drittel der Preisgestaltung vieler Läden. 

Vor zwei Jahren kaufte ich schlussendlich "Dopes To Infinity" in einer ziemlich abgerissenen Version inklusive sehr deutlich ausgeprägten Katzenkrallenspuren am Cover aus - logisch! - Amsterdam für immerhin nur 34 Euro. Das war 2014 ein Schnäppchen. Wenn jemand wissen will, was in den vergangenen Jahren auf dem Schallplattenmarkt passiert ist: dieses Beispiel illustriert's ganz gut. 

Die Zeiten haben sich auch bei Ronnie geändert: um den Einbruch der Digitalverkäufe, also von CDs und DVDs, aufzufangen, musste die Preisschraube bei den Schallplatten auch hier stärker angezogen werden, aber ich fand bei meinem Besuch keinerlei Unverschämtheiten in den Regalen vor. Tatsächlich ließe ich mich dazu hinreißen, Ronnie's Records als einen der günstigeren Plattenläden zu bezeichnen. Das Sortiment im Vinylfach ist die Heidelberger Nummer 1 und neben den üblichen Verdächtigen, die sich in jeder Flohmarktkiste tummeln, lassen sich hier und da auch ausgefallenere Stücke finden. Ich entscheide mich für das Auffüllen der Journey-Sammlung ("Evolution" und "Greatest Hits") und für schwedischen Death Metal aus der Ursuppe der damaligen Bewegung: die Erstpressung von Unleashed's Klassiker "Where No Life Dwells" steht für sagenhaft günstige 21,90 Euro in der Metalabteilung und da kann ich das Portemonnaie wirklich nicht geschlossen halten. Für Metalfans darüber hinaus ganz interessant: ein großer Batzen Metal-Raritäten wartet aktuell auf neue Besitzer. Preislich sind die in Komission genommenen Scheiben teils jenseits von gut und böse, aber, und jetzt kommt's: praktisch ungespielt und in komplett neuwertigem Zustand. Im Anschluss plaudern wir noch etwas über die gegenwärtige Situation der Plattenläden in Heidelberg ("Die verkaufen mittlerweile wahrscheinlich mehr Postkarten und Schlüsselanhänger, um sich über Wasser zu halten."), fragwürdiges Konsumentenverhalten ("Journey?? Das hat hier über Jahrzehnte kein Mensch auch nur mit der Kneifzange angepackt!") und die klanglichen Unzulänglichkeiten neuer Vinylpressungen, letzteres endend in der Übereinkunft meiner schon desöfteren ungefragt mitgeteilten Einschätzung, dass der Großteil der heutigen Vinylkundschaft die Platten zwar kauft, sie dann aber ungehört ins Regal stellt und die Musik letzten Endes über Spotifuck oder Downloads in den Sessel furzen lässt. Wissenschaftlich und statistisch bestimmt schwer zu belegen, denn sowas würden ja auch nur komplette Vollidioten zugeben.


Weiter geht's zur Heidelberger Institution Crazy Diamond, einem seit 1991 existierenden Fachhandel für Tonträger mit ehemals gleich mehreren Filialen. Mittlerweile ist davon nur noch das Hauptquartier in der Poststraße übrig geblieben und auch hier musste man Federn lassen. Ich war jedenfalls über die heutige Größe irritiert. In meiner Erinnerung war der Crazy Diamond aus dem Jahr 2009 riesig und hatte eine wirklich gut gefüllte Vinylecke, die es sieben Jahre später ordentlich zusammengeschrumpelt hat: Drei Fächer mit Jazz-LPs, allerdings löblicherweise auch mit Neuerscheinungen, etwa fünf Meter A - Z Sortierung mit Indie, Mainstream, Pop und Rock-Neuware und Reissues und etwa nochmal so viele Meter in der unsortierten 2nd Hand- und Nice Price-Gruschelkiste, auf die man schon nach zwei Minuten des Durchblätterns keinen Bock mehr hat. Insgesamt wirkt das Vinylangebot durch die Platzierung in der letzten Ecke des Raumes etwas stiefmütterlich und lieblos, und die Tatsache, dass außer Herrn und Frau Dreikommaviernull in den knapp 30 Minuten Aufenthalt niemand sonst den Laden betrat, lässt mich am viel zitierten Hype ums schwarze Gold zweifeln. In Heidelberg ist er garantiert noch nicht angekommen. 

Und auch hier ein vorweg genommenes Fazit: er sollte sich auch bei den kommenden Stationen nicht zeigen.


Das Vinyl Only (Grabengasse 8) hatte ich dieses Mal gar nicht erst auf dem Zettel. Der wie der Crazy Diamond auch über die Grenzen Heidelbergs hinaus bekannte Laden machte schon 2009 mit Apothekenpreisen, unsympatischen Typen hinter dem Tresen, auffällig vielen Platten in auffällig schlechtem Zustand keinen guten Eindruck und scheint in erster Linie von seinem Namen und dem guten Ruf aus früheren Jahren zu leben. Da das Wetter allerdings innerhalb von wenigen Minuten von hochsommerlichen 30°C und Sonnenschein in Platzregen, Sturm, Blitz, Donner und Hagel umschwenkte, ich außerdem mit Stoffschuhen und kurzer Hose eher für einen Strandtag in Ibiza und nicht für eine nasskalte Schlammpfütze ausgestattet war, flüchtete ich in Richtung des Vinyl Only. Wenigstens trocken. Und wer weiß, vielleicht hat sich ja was verändert. Ein in die offene Eingangstür gestellter Postkartenständer versperrte mir indes den Weg und zwei dahinter sitzende junge Typen grinsten mich leicht dümmlich an und teilten mir um 14:17 Uhr mit, dass sie "neuerdings Siesta" hielten und erst um 16:30 Uhr wieder öffnen würden. "Tschüüühüüüüß!" 

Wie ich eben gesehen habe wird das Vinyl Only gemäß der Meldung auf Facebook von 9.Juni 2016 endgültig schließen. Wieder einer weniger.


Weiter geht's im zweiten und letzten Teil - Fortsetzung folgt.


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