24.12.2011
Zweitausendelf in Musik
Achtung, Allgemeinplatz: Wahnsinn, wie die Zeit rennt. Ich kann mittlerweile die Warnung älterer Menschen, dass sich nämlich die Wahrnehmung von Zeit im fortschreitenden Alter noch beschleunigt, wenig überraschend bestätigen.
Jetzt sind wir also am Ende von 2011 angekommen und wenngleich es im beinahe abgelaufenen Jahr hier und da auch gesellschaftliches, politisches und frechdumm-polemisches auf diesem Blog zu lesen und hören gab, liegt der Schwerpunkt freilich immer noch auf der Musik. Ich will an dieser Stelle auch nur ungern über die aktuelle Nichtentwicklung in Schloss Bellevue oder Vergleichbares schreiben - ein bisschen Relevanz beanspruche ja selbst ich für 3,40qm. Außerdem ist praktisch Weihnachten und es ist spät und der White Russian schmeckt und ich habe jetzt keine Lust, sauer zu werden. Das endet sowieso alles nur wieder in akuter Schlaflosigkeit.
Wie war das also mit der Musik in 2011? Ich sagte es kürzlich zu einem Freund: ich führe ja immer noch sowas altmodisches wie eine Excelliste, um meine gehorteten Platten aufzulisten (und um mich im Zweifelsfall an die ein oder andere Perle wieder zu erinnern, die im Alltagsdunst zwischen Bürostuhl, Parfumsammlung und Katzenklo aus meinem Schädel geplumpst ist), und ich war wie von den Socken, als ich einen Blick in die Spalte mit den Genres warf. Unter den knapp 60 gekauften Platten, die in 2011 erschienen sind, fanden sich gerade mal vier, die sich im weiteren Sinne im Rock- oder Indie-Kanon einsortieren ließen. Mir ist dieses, nennen wir es mal: Ungleichgewicht im Laufe des Jahres gar nicht aufgefallen, jedenfalls nicht im größeren Rahmen. Aber es ist ein deutlicher Unterschied zu den vorangegangenen Jahren.
Ich weiß noch nicht, was mit dieser Entwicklung anzufangen ist, und vermutlich lautet die Antwort schlicht "Gar nix!", aber ich merke durchaus, dass es schwerer wird, die Neugier zu zügeln und dass es gleichzeitig leichter fällt, Altes hinter sich zu lassen. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: ich brauche nicht jeden Tag die brutalstmögliche Innovation, aber ich brauche genausowenig eine Rockband, die 30 Jahre alte Rockriffs spielt und die anhängenden Klischees bemüht. Und das schreibt einer, der vor gar nicht allzu langer Zeit der 30 oder 300 Jahre alten Rockband Great White einen Altar gebastelt hat. - "Seht nur, diese Stilbrüche!" - Vielleicht räuspert sich so auch nur um meine Angst, nicht zu einem verdammten Althippie zu "amorpheln" (G.Polt), der sich den Spruch "So geil wie früher wird's nie wieder." auf das Stirnband gestickt hat - der allerdings auch 1978 aufgehört hat, neue Musik zu suchen und zu hören. Oder überhaupt zu hören.
Am Ende ist's ja doch alles Kappes.
Beziehungsweise eben nicht: auch im Jahr 2011 gab es beeindruckende Musik von beeindruckenden Menschen zu entdecken und zu hören. Folglich stehen die nächsten Wochen in deren Zeichen: lasst uns sie feiern. Denn was würden wir bloß ohne sie machen?
Und, ganz wichtig, bevor es losgeht: ich wünsche Euch allen friedliche und besinnliche Weihnachtstage. Genießt ein wenig Ruhe, 2012 wird sich wieder bescheuert genug.
17.12.2011
Hybris + Nemesis
NOEL GALLAGHER'S HIGH FLYING BIRDS
Die Tatsache, dass ich kurz vor dem Niederschreiben der besten Alben des Jahres 2011 über das Solodebut des ehemaligen Oasis-Gitarristen berichte, ist ein mehr oder minder großer Wink mit dem Zaunpfahl. "Nöhl" hat es mit seinen High Flying Birds nicht in meine Top 20 geschafft, trotzdem ist das Album viel wichtiger und vor allem überraschender, als ich es mir je zu Erträumen wagte. Und es hat außerdem in mir etwas ausgelöst, von dem ich dachte, ich würde es auf absehbare Zeit nicht mehr fühlen können. Und Überraschung: ich muss etwas ausholen, um es zu erklären.
Ich war praktisch ab der ersten öffentlich gewordenen Oasis-Single "Live Forever" aus dem Jahr 1993 Oasis-Fan. Ich war damals 16 Jahre alt und ich konnte erst später, wahrscheinlich erst mit voranschreitender Pubertät, erfassen, was mir ihre Musik bedeutete. Gallaghers Kompositionen hatten von Beginn an etwas tragisch-verrücktes in ihrem Kern, eine Art hedonistische Resignation. Seine Melodien waren einerseits melancholisch und brachten die eigenen Selbstzweifel mit sich, andererseits standen sie immer auf dem Gipfel der Welt, sie plusterten sich auf, sie waren larger than life. Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang, dass ich mich im Jahr 1995, während der Kursabschlussfahrt meines Abiturjahrgangs nach London, zum Britpop-Klischee auf zwei Beinen verwandelte. Ich war alleine am Picadilly Circus und genoss die Stimmung in der Stadt. Es war schon spät, ich war leicht angetrunken und setzte es mir in den Kopf, einfach Richtung Norden zu Fuß zum Hotel am Euston Square zurück zu laufen. Es war September und der britische Herbst kam täglich spätestens ab 16 Uhr zur Tür herein gestürmt und selbstverständlich begann nach wenigen Minuten Fußmarsch der typische Londoner Nieselregen einzusetzen. Es brauchte noch einige weitere Minuten, und ich hatte mich königlich bescheuert in Soho verlaufen. Und als ich da so leicht angetüdelt herumstand, mir das Wasser von der Nasenspitze tropfte und sich erstmals so ein kleiner Funken Verzweiflung im Hirn ausbreitete, ertönte auf den Kopfhörern meines Walkmans (!) "Slide Away" vom Oasis Debut "Definitely Maybe". Wie ein wärmender Mantel legte sich Noels Anfangsriff um mich, ich atmete tief durch, und obwohl ich mich wenige Sekunden vorher noch wie ein getretener und begossener Pudel fühlte, begann ich zu lachen. Und alles war gut. Ich fand den Weg wenig später wieder und kam zu den Klängen von "Rock'n'Roll Star" am Hotel an, was nach diesem Erlebnis mindestens genauso gut passte.
Ich war praktisch ab der ersten öffentlich gewordenen Oasis-Single "Live Forever" aus dem Jahr 1993 Oasis-Fan. Ich war damals 16 Jahre alt und ich konnte erst später, wahrscheinlich erst mit voranschreitender Pubertät, erfassen, was mir ihre Musik bedeutete. Gallaghers Kompositionen hatten von Beginn an etwas tragisch-verrücktes in ihrem Kern, eine Art hedonistische Resignation. Seine Melodien waren einerseits melancholisch und brachten die eigenen Selbstzweifel mit sich, andererseits standen sie immer auf dem Gipfel der Welt, sie plusterten sich auf, sie waren larger than life. Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang, dass ich mich im Jahr 1995, während der Kursabschlussfahrt meines Abiturjahrgangs nach London, zum Britpop-Klischee auf zwei Beinen verwandelte. Ich war alleine am Picadilly Circus und genoss die Stimmung in der Stadt. Es war schon spät, ich war leicht angetrunken und setzte es mir in den Kopf, einfach Richtung Norden zu Fuß zum Hotel am Euston Square zurück zu laufen. Es war September und der britische Herbst kam täglich spätestens ab 16 Uhr zur Tür herein gestürmt und selbstverständlich begann nach wenigen Minuten Fußmarsch der typische Londoner Nieselregen einzusetzen. Es brauchte noch einige weitere Minuten, und ich hatte mich königlich bescheuert in Soho verlaufen. Und als ich da so leicht angetüdelt herumstand, mir das Wasser von der Nasenspitze tropfte und sich erstmals so ein kleiner Funken Verzweiflung im Hirn ausbreitete, ertönte auf den Kopfhörern meines Walkmans (!) "Slide Away" vom Oasis Debut "Definitely Maybe". Wie ein wärmender Mantel legte sich Noels Anfangsriff um mich, ich atmete tief durch, und obwohl ich mich wenige Sekunden vorher noch wie ein getretener und begossener Pudel fühlte, begann ich zu lachen. Und alles war gut. Ich fand den Weg wenig später wieder und kam zu den Klängen von "Rock'n'Roll Star" am Hotel an, was nach diesem Erlebnis mindestens genauso gut passte.
Um all das ein wenig abzukürzen: ich gehöre auch zu den Menschen, die bis heute der festen Überzeugung sind, dass Gallagher bis zum dritten, schwer verdrogten Oasis-Album "Be Here Now" keinen einzigen schlechten Song schrieb, so eine Art Neal Morse des Britpop. Das Urteil bezieht sich ausdrücklich auch auf die B-Seiten der Band, die seit Anbeginn ihrer Karriere zum Live-Set gehörten und sich qualitativ blind mit den Albumtracks verbrüderten. Das half außerdem dabei, diesen Larger-than-Life-Mythos zu verwurzeln - Gallagher dachte wirklich, er könne gar nicht scheitern. Einen Song wie "Acquiesce" so mir nix dir nix auf eine B-Seite zu packen, das war entweder größenwahnsinnig oder lediglich außerordentlich selbstbewusst. Oder halt beides.
Die folgenden Oasis-Alben, und damit kratzen wir langsam die Kurve zu den High Flying Birds, wenn's recht ist, waren in ihrer Qualität wie eine Buckelpiste, das letzte Werk "Dig Out Your Soul" in dieser Hinsicht die Sauf-Pistenbar ganz weit drunten im Tal. What a fucking shame! Nach dem Split der Band 2009 war ich folgerichtig alles andere als scharf darauf, mir nochmal ein Album von einem der beiden Knallköppe anzuhören, von Kaufen ganz zu schweigen. Und dann kam Noel. Dann kam "Everybody's On The Run", der Opener. Dann kam "Dream On" und die erste Single "If I Had A Gun". Und plötzlich glimmte da etwas in mir. Es fühlte sich verdammt nochmal wie 1995 an, aber es war keine Romantik im Spiel, auch kein wehmütiger Blick zurück.
Die folgenden Oasis-Alben, und damit kratzen wir langsam die Kurve zu den High Flying Birds, wenn's recht ist, waren in ihrer Qualität wie eine Buckelpiste, das letzte Werk "Dig Out Your Soul" in dieser Hinsicht die Sauf-Pistenbar ganz weit drunten im Tal. What a fucking shame! Nach dem Split der Band 2009 war ich folgerichtig alles andere als scharf darauf, mir nochmal ein Album von einem der beiden Knallköppe anzuhören, von Kaufen ganz zu schweigen. Und dann kam Noel. Dann kam "Everybody's On The Run", der Opener. Dann kam "Dream On" und die erste Single "If I Had A Gun". Und plötzlich glimmte da etwas in mir. Es fühlte sich verdammt nochmal wie 1995 an, aber es war keine Romantik im Spiel, auch kein wehmütiger Blick zurück.
Gallagher 2011 klingt nicht mehr wie die 1995er Version; vielleicht ist der Hunger über die Zeit der eintrudelnden Millionenschecks etwas auf der Strecke geblieben, vielleicht muss Noel nicht mehr in jedem Atemzug "Ich Boss - Du Nix" ausdampfen, ganz sicher hat er dem Größenwahn produzierenden weißen Pulver abgeschworen. Aber er kennt noch ganz genau die Linie, die das Reich der Hybris und der Nemesis voneinander trennt, er kennt die Ausschweifung und den Absturz. Und er weiß noch genau, wie man beide Welten nicht nur verbindet - sondern auch feiert. Mit viel Pathos. Und mit viel von dem, was Gallagher in einem Interview mal so umschrieb:"That's what pop music is all about: for a guy to look ridiculous and effortlessly cool at the same time, that's what it's all about." Da funktioniert auch sowas albernes wie "(I Wanna Live In A Dream In My) Record Machine" - wenn auch nicht ganz so gut wie das vielleicht vor 15 Jahren geklappt hätte.
Dass vor allem der B-Seite mit dem zu banalen und offensichtlichen "AKA...What A Life" und dem schlicht öden "(Stranded On) The Wrong Beach" etwas die Puste ausgeht, war zu erwarten, ist aber gleichzeitig auch zu verschmerzen, weil die High Flying Birds als Ganzes durchaus beweisen, dass da noch ein Feuer brennt - sowohl in Noel Gallagher, als auch in mir.
Und niemand war darüber mehr überrascht, als der Verfasser dieser paar Zeilen.
Erschienen auf Sour Mash, 2011.
Dass vor allem der B-Seite mit dem zu banalen und offensichtlichen "AKA...What A Life" und dem schlicht öden "(Stranded On) The Wrong Beach" etwas die Puste ausgeht, war zu erwarten, ist aber gleichzeitig auch zu verschmerzen, weil die High Flying Birds als Ganzes durchaus beweisen, dass da noch ein Feuer brennt - sowohl in Noel Gallagher, als auch in mir.
Und niemand war darüber mehr überrascht, als der Verfasser dieser paar Zeilen.
Erschienen auf Sour Mash, 2011.
10.12.2011
Surf! Savage! Sacrifice!
Eine vierköpfige Horde von Eingeborenen einer unbekannten Pazifikinsel überfiel am gestrigen Freitag das Frankfurter Orange Peel. Schon zu Beginn fielen die Wilden, die sich The Tiki Kings nennen, durch aggressives Herumfuchteln aufgespießter Schrumpfköpfe und Speere auf und trieben den gefangengenommenen Forscher Professor Spiffybottom zunächst vor sich her und anschließend in einen Käfig, in dem er Großteile des Abends verbringen musste.
Unter zahlreichen Bedrohungen des fassungslosen Publikums wurde eine Jungfrau aus ebenjenem auf die Bühne gezerrt und an Ort und Stelle geopfert, das grauenhafte Savage Circle-Ritual trieb ein ebenso unschuldiges Opfer um ein Haar in den Wahnsinn und als die außer Kontrolle geratenen Holzköpfe den Scorpion Bowl herumreichten und anschließend einen weiteren Schrumpfkopf zusammenbrauten, um diesen umgehend auf den nächsten Speer zu stecken, machte sich Panik im Zuschauerraum breit.
Dazu spielten die Tiki Kings rituellen, tropischen Surfrock, zu welchem sie auf der vom nahegelegenen Vulkan ausgespuckten, glühenden Lava surften.
80 Minuten dauerte das Martyrium der unschuldigen Zuschauer, bevor die Wilden nebst Professor in der Frankfurter Unterwelt verschwanden. Das Orange Peel beherbergte in den frühen Morgenstunden ein tief verstörtes Publikum, das durch schnell angeforderte Seelsorger versorgt wurde. Die Tiki Kings hinterließen einige ihrer Musikaufnahmen, Schrumpfköpfe und primitven Bekleidungsstücke und es war erstaunlicherweise festzustellen, dass einige der Zuschauer dem hypnotischen Sound und der Präsentation ihrer Macht verfallen waren.
Die verängstigten Konzertgänger im Rhein-Main-Gebiet fragen sich nun schon länger: wann greifen hier endlich die Behörden ein? Wie lange will man es diesen Irren noch gestatten, soviel Spaß zu machen?
Sehen Sie hier einige Fotobeweise unserer Zeugin Aline Paradiso - es ist nicht auszuschließen, dass sie diese Gesichter demnächst auf Fahndungspostern des Bundeskriminalamts wiedersehen werden. Halten Sie die Augen offen!
Für eine größere Ansicht bitte auf die Bilder klicken.
The Tiki Kings - MySpace
The Tiki Kings - Facebook
The Tiki Kings - Homepage
Das Album "Surf! Savage! Sacrifice!" erscheint dieser Tage. Zu beziehen ist es unter tikikingsband@googlemail.com
09.12.2011
Das 3,40qm Gewinnspiel zu Weihnachten
Liebe Nichtleserinnen, liebe Nichtleser,
ab Ende Dezember kümmert sich das achthundertköpfige Team von 3,40qm um die obligatorische Aufstellung der zwanzig besten Alben aus dem Jahr 2011. Meine Haare werden von Tag zu Tag eine Spur grauer und mittlerweile wachsen sie sogar an Stellen, von denen ich vorher nur aus der Sagenwelt hörte. Das wollten Sie glaube ich auch unbedingt wissen, oder?
Jedenfalls: bevor dieser ganze Wahnsinn beginnt, überlog ich bei einer Tasse White Russian, es sei eine gute Vorbereitung, praktisch als Einstimmung auf das Fest der Liebe, ein kleines Weihnachtsgewinnspiel zu präsentieren.
Die Regel ist sehr einfach: einfach das unten stehende Bild mit insgesamt 16 Albencovern genau betrachten, Interpreten und Titel aufschreiben und an dreikommaviernull[at]yahoo.de senden. Es gibt einige sehr einfache Lösungen - aber hier und da wird's auch etwas knifflig. Um das Bild in voller Größe zu sehen, klickt es bitte an.
Wer die meisten Cover nebst der Interpreten erkennt, gewinnt einen persönlich erstellten Sampler mit den besten Songs des Jahres. Von mir. Für Dich.
Einsendeschluss ist der 15.12.2011. Also ran da!
ab Ende Dezember kümmert sich das achthundertköpfige Team von 3,40qm um die obligatorische Aufstellung der zwanzig besten Alben aus dem Jahr 2011. Meine Haare werden von Tag zu Tag eine Spur grauer und mittlerweile wachsen sie sogar an Stellen, von denen ich vorher nur aus der Sagenwelt hörte. Das wollten Sie glaube ich auch unbedingt wissen, oder?
Jedenfalls: bevor dieser ganze Wahnsinn beginnt, überlog ich bei einer Tasse White Russian, es sei eine gute Vorbereitung, praktisch als Einstimmung auf das Fest der Liebe, ein kleines Weihnachtsgewinnspiel zu präsentieren.
Die Regel ist sehr einfach: einfach das unten stehende Bild mit insgesamt 16 Albencovern genau betrachten, Interpreten und Titel aufschreiben und an dreikommaviernull[at]yahoo.de senden. Es gibt einige sehr einfache Lösungen - aber hier und da wird's auch etwas knifflig. Um das Bild in voller Größe zu sehen, klickt es bitte an.
Wer die meisten Cover nebst der Interpreten erkennt, gewinnt einen persönlich erstellten Sampler mit den besten Songs des Jahres. Von mir. Für Dich.
Einsendeschluss ist der 15.12.2011. Also ran da!
28.11.2011
Gods & Queens
Die US-amerikanische (Post) Punk / Hardcore Band Gods & Queens hatte einen Unfall mit ihrem Tourbus in Tschechien und bittet um ein bisschen Unterstützung, um die horrenden Behandlungskosten stemmen zu können. Anbei der ausführliche Bericht der Band:
I´m going to try and make this as short as I can. After all these years of touring in unsafe vans, and doing stupid things, I guess I was over due for this... We had a serious van accident in route from our show in Graz, Austria to Dresden, Germany, somewhere along the highway in the Czech.
I was asleep in the back of the van, so I'm unsure of what exactly happened. All I know is I felt the van skidding out and we started to slide and roll over. Not sure exactly how many times the van flipped but it was more than enough. I started screaming for everyone to tell me they were OK. Gertjan check, Ben check, Sara check, and I didnt hear Jeff.
Ben pulled me out through the windshield and I took off running, screaming for help with blood pouring down my face. I honestly though Jeff was dead. A car stopped and a slew of women started screaming at me and I was screaming at them. We were in the middle of no where and as I was running two things came to mind, I think Jeff is dead, and I hope I don´t get shot like Artimus Pyle. A woman pulled me into her house and her husband and son ran to the van crash site. I found Gertjan, and he said everyone is OK. The family started talking to me via Google Translation telling me everyone is safe and that an amublance is on the way.
The ambulance comes takes us to a hospital, we get taken care of...sort of. The police arrive on the scene and inform us that we aren´t leaving until the medical bills are paid in full. The were so kind enough to escort Sara and myself to an ATM machine to pay the entire lump of the bills in full on the spot. Even after we signed some strange papers saying we have 30 day with proof of citizenship, etc. What the fuck ever right? We asked where Gertjan was, and their respone was...prison. 300 phone calls and around €3,000 later we are out of the damned Czech and safe in Germany.
Long short, we are all somewhat OK. Jeff broke his collarbone, Ben got his hand jacked up, I am pretty alright, Gertjan is OK, as well as Sara. The van is destroyed. Booking these tours ourself really made me realize that we are 100% on our own. We had no one to call, no one to "rescue" us. I made 3 phone calles and the entire German punk scene came to our rescue. God damn thank you. Our new friends from Dresden Germany came to get us at the drop of a hat, no questions asked. Thank you.
So here it is, we are 3 grown adult males in our 30´s who play in a punk band. We are all stage hands at R5 Productions in Philly. That´s what we do to enable us to be here in Europe doing this. Never in our lives have we needed help like we do now. If you want to help us, please go to www.godsandqueens.bandcamp.com and purchas a record for $1.99. If you ever laughed at one of my awful jokes, or spend hours talking with us after a show, and you would like to help, please do. I always though our band would have too much pride to ask for help, but I am pretty sure we all agree that this time we need it. If you would like to help in any form please do jamiegetz(at)gmail.com is the paypal address if you are inclined to do so. We will also accept first class upgrades on US Air, Delta or Virgin.
Thanks.
Wer sich die 1,99 US-Dollar (etwa 1,50 Euro) zur kurzfristigen Unterstützung rauslassen will, kann das unter folgenden Link tun:
http://godsandqueens.bandcamp.com/
Bedankt.
I´m going to try and make this as short as I can. After all these years of touring in unsafe vans, and doing stupid things, I guess I was over due for this... We had a serious van accident in route from our show in Graz, Austria to Dresden, Germany, somewhere along the highway in the Czech.
I was asleep in the back of the van, so I'm unsure of what exactly happened. All I know is I felt the van skidding out and we started to slide and roll over. Not sure exactly how many times the van flipped but it was more than enough. I started screaming for everyone to tell me they were OK. Gertjan check, Ben check, Sara check, and I didnt hear Jeff.
Ben pulled me out through the windshield and I took off running, screaming for help with blood pouring down my face. I honestly though Jeff was dead. A car stopped and a slew of women started screaming at me and I was screaming at them. We were in the middle of no where and as I was running two things came to mind, I think Jeff is dead, and I hope I don´t get shot like Artimus Pyle. A woman pulled me into her house and her husband and son ran to the van crash site. I found Gertjan, and he said everyone is OK. The family started talking to me via Google Translation telling me everyone is safe and that an amublance is on the way.
The ambulance comes takes us to a hospital, we get taken care of...sort of. The police arrive on the scene and inform us that we aren´t leaving until the medical bills are paid in full. The were so kind enough to escort Sara and myself to an ATM machine to pay the entire lump of the bills in full on the spot. Even after we signed some strange papers saying we have 30 day with proof of citizenship, etc. What the fuck ever right? We asked where Gertjan was, and their respone was...prison. 300 phone calls and around €3,000 later we are out of the damned Czech and safe in Germany.
Long short, we are all somewhat OK. Jeff broke his collarbone, Ben got his hand jacked up, I am pretty alright, Gertjan is OK, as well as Sara. The van is destroyed. Booking these tours ourself really made me realize that we are 100% on our own. We had no one to call, no one to "rescue" us. I made 3 phone calles and the entire German punk scene came to our rescue. God damn thank you. Our new friends from Dresden Germany came to get us at the drop of a hat, no questions asked. Thank you.
So here it is, we are 3 grown adult males in our 30´s who play in a punk band. We are all stage hands at R5 Productions in Philly. That´s what we do to enable us to be here in Europe doing this. Never in our lives have we needed help like we do now. If you want to help us, please go to www.godsandqueens.bandcamp.com and purchas a record for $1.99. If you ever laughed at one of my awful jokes, or spend hours talking with us after a show, and you would like to help, please do. I always though our band would have too much pride to ask for help, but I am pretty sure we all agree that this time we need it. If you would like to help in any form please do jamiegetz(at)gmail.com is the paypal address if you are inclined to do so. We will also accept first class upgrades on US Air, Delta or Virgin.
Thanks.
Wer sich die 1,99 US-Dollar (etwa 1,50 Euro) zur kurzfristigen Unterstützung rauslassen will, kann das unter folgenden Link tun:
http://godsandqueens.bandcamp.com/
Bedankt.
26.11.2011
Blank When Zero Vol.II
Wie zuletzt angekündigt (oder angedroht...), möchte ich nochmals den Kopf 'rausstrecken und auf das kürzlich erschienene "Konsumrauschen"-Album meiner kleinen Punkband BLANK WHEN ZERO hinweisen.
Wir hatten uns schon früh dazu entschlossen, das Album im physischen CD-Format nicht nur auf unseren Konzerten kostenlos zu verteilen, sondern auch im Internet kostenlos zum Download anzubieten. Hinter dem unten angegebenen Link verbirgt sich also das vollständige Album im MP3-Format (320kbit), das Coverartwork und unser englischsprachiges (weil voll international, und so) Bandinfo.
Wir rufen außerdem dazu auf, den Link mit jedermann zu teilen, zu veröffentlichen, CDs zu brennen und weiter zu verteilen. Schreibt, bloggt, twittert, facebookt, telefoniert. Das volle Programm.
Saugt uns kaputt!
Blank When Zero - Konsumrauschen (2011)
Es danken
Simon, Marek, Flo
www.blankwhenzero.de
Verlassen
AMPLIFIER MACHINE - HER MOUTH IS AN OUTLAW
Es kehrt wieder Ruhe ein. Viel Ruhe.
"Her Mouth Is An Outlaw" steht seit nunmehr zwei Jahren fast ohne Unterbrechung in meinem CD-Wechsler. Manchmal entnehme ich die CD und verschiebe sie in den im Bad befindlichen CD-Spieler, wenn die Badewanne ruft und sich die Dunkelheit über die Stadt legt. Kommt jetzt noch das "Winter"-Klischee hinzu, ist wohl alles zu spät, aber dafür müsste ich lügen: ihr Breitband-Ambient funktioniert sowohl bei schwül-heißen Temperaturen nebst nach Sommer schmeckender Luft, als auch bei drei Metern Schnee in der Garageneinfahrt.
Die vereinzelten Saitentupfer zu Beginn breiten sich über tief brummelndes Bassgetöse aus, der Schlagzeugbesen rutscht im Blickkontakt mit den endlosen Synthieschleifen weg und verirrt sich danach ins Nirgendwo. Dieses Dahingleiten Postrock zu nennen benötigt angesichts des ausgemergelten Arrangements durchaus Chuzpe, die Improvisationen erschlagen jedes sich entwickelnde Kalkül in diese Richtung sowieso schon, noch bevor der erste Ton des Trios ausgehaucht ist. Ihre im Laufe zahlloser Improvisationsjams aufgestellte Regel, wonach sich die dritte Person den anderen beiden anschließt, sollten letztere sich musikalisch gefunden haben, mag dogmatisch klingen, gibt aber nur einen kleinen Rahmen vor, der einen ständigen Austausch untereinander voraussetzt. Das ist in einem Moment kaum hörbar, weil sich die Band so weit herunterdimmt, bis nur noch die Verstärker surren, im anderen Moment bricht es zaghaft aus dem leisen Klangknäuel heraus und ein rastloses Piano schubbert sich an einer sauer sägenden Violine entlang.
Mich erinnern James Dixon, Seth Rees und Alex Jarvis in ihrem organischen Ansatz an die gleichfalls fantastischen Australier von Seaworthy, vor allem, wenn der Eindruck entsteht, Amplifier Machine tragen ihre Musik eigentlich nur in den Köpfen umher. Wenn es so leise und subtil wird, dass man ihnen schon sehr nahe kommen muss, um wenigstens zu erahnen, was hier vor sich geht.
"Her Mouth Is An Outlaw" ist wie ein Buch ohne Worte, wie ein Gemälde ohne Farbe und Motiv. Es existiert ohne Inhalt - und ist in der Ansprache lauter als der Urknall.
Erschienen auf 12k, 2008
"Her Mouth Is An Outlaw" steht seit nunmehr zwei Jahren fast ohne Unterbrechung in meinem CD-Wechsler. Manchmal entnehme ich die CD und verschiebe sie in den im Bad befindlichen CD-Spieler, wenn die Badewanne ruft und sich die Dunkelheit über die Stadt legt. Kommt jetzt noch das "Winter"-Klischee hinzu, ist wohl alles zu spät, aber dafür müsste ich lügen: ihr Breitband-Ambient funktioniert sowohl bei schwül-heißen Temperaturen nebst nach Sommer schmeckender Luft, als auch bei drei Metern Schnee in der Garageneinfahrt.
Die vereinzelten Saitentupfer zu Beginn breiten sich über tief brummelndes Bassgetöse aus, der Schlagzeugbesen rutscht im Blickkontakt mit den endlosen Synthieschleifen weg und verirrt sich danach ins Nirgendwo. Dieses Dahingleiten Postrock zu nennen benötigt angesichts des ausgemergelten Arrangements durchaus Chuzpe, die Improvisationen erschlagen jedes sich entwickelnde Kalkül in diese Richtung sowieso schon, noch bevor der erste Ton des Trios ausgehaucht ist. Ihre im Laufe zahlloser Improvisationsjams aufgestellte Regel, wonach sich die dritte Person den anderen beiden anschließt, sollten letztere sich musikalisch gefunden haben, mag dogmatisch klingen, gibt aber nur einen kleinen Rahmen vor, der einen ständigen Austausch untereinander voraussetzt. Das ist in einem Moment kaum hörbar, weil sich die Band so weit herunterdimmt, bis nur noch die Verstärker surren, im anderen Moment bricht es zaghaft aus dem leisen Klangknäuel heraus und ein rastloses Piano schubbert sich an einer sauer sägenden Violine entlang.
Mich erinnern James Dixon, Seth Rees und Alex Jarvis in ihrem organischen Ansatz an die gleichfalls fantastischen Australier von Seaworthy, vor allem, wenn der Eindruck entsteht, Amplifier Machine tragen ihre Musik eigentlich nur in den Köpfen umher. Wenn es so leise und subtil wird, dass man ihnen schon sehr nahe kommen muss, um wenigstens zu erahnen, was hier vor sich geht.
"Her Mouth Is An Outlaw" ist wie ein Buch ohne Worte, wie ein Gemälde ohne Farbe und Motiv. Es existiert ohne Inhalt - und ist in der Ansprache lauter als der Urknall.
Erschienen auf 12k, 2008
24.11.2011
Face Down Heroes
FORBIDDEN - GREEN
Es wird mal wieder Zeit, die Metal-Vergangenheit zu besuchen - aus erfreulichem Anlass, wie ich anfügen möchte. Ich lese nun seit fast zehn Jahren keine Metal-Magazine mehr, Moment: eigentlich lese ich grundlegend nicht mehr, jedenfalls: dass sich das kleine Nischenlabel Night Of The Vinyl Dead dazu entschlossen hat, die beiden Forbidden-Sternstunden "Distortion" aus dem Jahr 1994 und das drei Jahre später erschienene "Green" erstmals auf Vinyl zu pressen und in einer limitierten Auflage von je 500 Stück zu veröffentlichen, ging komplett an mir vorbei. Und es brauchte eine Filiale einer großen und gleichfalls überaus nervigen Warenhauskette, um mich darauf aufmerksam zu machen, die ein Exemplar des letztgenannten Werks also tatsächlich (zu horrendem Preis) im Sortiment führte. Ein paar Minuten mit dem Mitarbeiter auf dem eilig eröffneten Bazar - und ja: ich fühlte mich schlecht dabei - und die Scheibe lag im Körbchen. Ich freue mich riesig und sage artig "Danke!".
"Green" ist das vierte Studioalbum der Bay Area-Truppe und war gleichzeitig für über zehn Jahre ihr letztes Lebenszeichen. Die Metalszene war 1997 über derartige musikalische Kurskorrekturen von alten Helden alles andere als erfreut. Die Jahreszahl hätte ich mir gleichwohl schenken können, denn verändert hat sich seitdem nur wenig. Aber dazu gleich mehr.
Forbidden starteten Ende der 80er Jahre ausgesprochen vielversprechend in ihre Karriere. Das Debut "Forbidden Evil" und das kurze Zeit später folgende "Twisted Into Form" gelten längst als unsterbliche Klassiker des Bay Area-Thrash Metals. Wer die möglicherweise brilliantesten Riffs hören mag, die je eine Thrash Band geschrieben hat, empfehle ich dringends die rasenden Abrissbirnen "Through Eyes Of Glass" vom Debut und "Infinite" vom Nachfolger, die mir auch heute noch regelmäßig die Synapsen durchkokeln. Mit "Distortion" gelang der Truppe ein beeindruckendes Comeback in einer durch Grunge und Alternative-Sounds völlig veränderten Musikwelt. Forbidden emanzipierten sich damit früh vom Thrash, wurden grooviger und dunkler und klangen insgesamt viel moderner als auf "Twisted Into Form", dabei aber überraschenderweise noch härter. Das lag aus meiner Sicht an zwei ganz entscheidenden Faktoren: Erstens, Sänger Russ Anderson hatte im Gegensatz zu seinen Kollegen eine großartige Stimme, er klang geradwegs gemeingefährlich kraftvoll und klar. Andersson schrie nicht, er brüllte nicht - er sang. Und alles, was er sang, klang fantastisch. Period. Zweitens hatten Forbidden zwei überragende Gitarristen an Bord, die gleichzeitig die Hauptsongwriter der Band waren. Tim Calvert und Graig Locicero waren vielleicht das intelligenteste Gitarrenduo des Thrash Metal, wohlwissend, dass ich damit Slayers Hannemann/King- und Exodus' Holt/Hunolt-Duos auf die billigen Plätze verschiebe. Calvert und Locicero schüttelten sich Riffs aus den Handgelenken, an denen nicht nur mein damaliger Gitarrenlehrer schier verzweifelte, wenn Florian mal wieder etwas nachspielen wollte.
Ganz abgesehen von den komplexen Strukturen der Songs, die nicht selten Überlänge aufwiesen, dabei aber praktisch niemals langweilig wurden. Was ausdrücklich auch die Langzeitwirkung betraf.
In den Jahren nach "Distortion" machten immer wieder Gerüchte die Runde, die Band fordere zuviel Geld von Labels, um die nächste Platte aufzunehmen und stehe deshalb kurz vor dem Aus, weshalb ich sie ehrlich gesagt für eine lange Zeit bereits nicht mehr auf dem Zettel hatte. Als im Frühjahr 1997 dann tatsächlich und überraschend "Green" erschien, war ich wieder umgehend Feuer und Flamme. Was für ein Brocken das war! Und immer noch ist! Der just laufende Kopfhörertest verdeutlicht es mit Nachdruck.
Mir fliegt hier ja alles weg!
Diese Riffs sind monumental. Der Einfallsreichtum in den verschachtelten Arrangements und die zupackende Intensität, die von der Band über die gesamte Spielzeit am oberen Level gehalten wird, unabhängig vom Geschwindigkeitsniveau, machen "Green" zu einem sehr anstrengenden Vergnügen. Es ist, als stünde man 50 Minuten lang unter Strom, als müsste man die ganze Zeit in einer Übersprungshandlung mit dem Kopf voran gegen die Wand rennen, um die Energie loszuwerden. Forbidden klangen auf "Green" so modern wie nie zuvor, dabei aber auch so originell wie nie zuvor. Die in den damaligen Reviews oft herbeigezerrten Vergleiche in Richtung Machine Head, Pantera und Sepultura erscheinen heute lediglich als Ausdruck einer allgegenwärtigen Hilflosigkeit. Das war alles zuviel für die Metal-Gemeinde und das konnte man in der panischen Suche nach Schubladen nicht beschreiben. In diesem Zusammenhang sollte man aber durchaus nochmal den Hut (und die Hose) für die Besprechung des Albums von Rock Hard-Chefredakteur Götz Kühnemund lüften, dessen 9-Punkte-Review sich zwar seltsam blutleer und aufdiktiert liest, der aber wenigstens den Kopf für das hinhielt, was kommen sollte: Forbidden wurden von den so furchtbar loyalen Metal-Fans fallen gelassen wie ein aufgeschrecktes Hornissennest im August. Alles viel zu modern. Die klingen ja nicht mehr so wie früher. Wendehälse. Trendreiter.
Eine bereits bestätigte Europatournee wurde angesichts der drastischen Verkaufseinbrüche abgesagt - und das war's dann. So blieb es bis zum Jahr 2010 und dem müde und konstruiert klingenden "Omega Wave"-Comebackalbums dabei: Forbidden verschwanden mit einem der beeindruckendsten Metalalben aller Zeiten in der Versenkung. Und kamen mit einem Abklatsch wieder zurück. Ich verstehe das alles nicht.
Wer offene Ohren hat, der höre. Und zwar "Green".
Erschienen auf G.U.N., 1997.
Wiederveröffentlicht (Vinyl) auf Night Of The Vinyl Dead, 2011.
"Green" ist das vierte Studioalbum der Bay Area-Truppe und war gleichzeitig für über zehn Jahre ihr letztes Lebenszeichen. Die Metalszene war 1997 über derartige musikalische Kurskorrekturen von alten Helden alles andere als erfreut. Die Jahreszahl hätte ich mir gleichwohl schenken können, denn verändert hat sich seitdem nur wenig. Aber dazu gleich mehr.
Forbidden starteten Ende der 80er Jahre ausgesprochen vielversprechend in ihre Karriere. Das Debut "Forbidden Evil" und das kurze Zeit später folgende "Twisted Into Form" gelten längst als unsterbliche Klassiker des Bay Area-Thrash Metals. Wer die möglicherweise brilliantesten Riffs hören mag, die je eine Thrash Band geschrieben hat, empfehle ich dringends die rasenden Abrissbirnen "Through Eyes Of Glass" vom Debut und "Infinite" vom Nachfolger, die mir auch heute noch regelmäßig die Synapsen durchkokeln. Mit "Distortion" gelang der Truppe ein beeindruckendes Comeback in einer durch Grunge und Alternative-Sounds völlig veränderten Musikwelt. Forbidden emanzipierten sich damit früh vom Thrash, wurden grooviger und dunkler und klangen insgesamt viel moderner als auf "Twisted Into Form", dabei aber überraschenderweise noch härter. Das lag aus meiner Sicht an zwei ganz entscheidenden Faktoren: Erstens, Sänger Russ Anderson hatte im Gegensatz zu seinen Kollegen eine großartige Stimme, er klang geradwegs gemeingefährlich kraftvoll und klar. Andersson schrie nicht, er brüllte nicht - er sang. Und alles, was er sang, klang fantastisch. Period. Zweitens hatten Forbidden zwei überragende Gitarristen an Bord, die gleichzeitig die Hauptsongwriter der Band waren. Tim Calvert und Graig Locicero waren vielleicht das intelligenteste Gitarrenduo des Thrash Metal, wohlwissend, dass ich damit Slayers Hannemann/King- und Exodus' Holt/Hunolt-Duos auf die billigen Plätze verschiebe. Calvert und Locicero schüttelten sich Riffs aus den Handgelenken, an denen nicht nur mein damaliger Gitarrenlehrer schier verzweifelte, wenn Florian mal wieder etwas nachspielen wollte.
Ganz abgesehen von den komplexen Strukturen der Songs, die nicht selten Überlänge aufwiesen, dabei aber praktisch niemals langweilig wurden. Was ausdrücklich auch die Langzeitwirkung betraf.
In den Jahren nach "Distortion" machten immer wieder Gerüchte die Runde, die Band fordere zuviel Geld von Labels, um die nächste Platte aufzunehmen und stehe deshalb kurz vor dem Aus, weshalb ich sie ehrlich gesagt für eine lange Zeit bereits nicht mehr auf dem Zettel hatte. Als im Frühjahr 1997 dann tatsächlich und überraschend "Green" erschien, war ich wieder umgehend Feuer und Flamme. Was für ein Brocken das war! Und immer noch ist! Der just laufende Kopfhörertest verdeutlicht es mit Nachdruck.
Mir fliegt hier ja alles weg!
Diese Riffs sind monumental. Der Einfallsreichtum in den verschachtelten Arrangements und die zupackende Intensität, die von der Band über die gesamte Spielzeit am oberen Level gehalten wird, unabhängig vom Geschwindigkeitsniveau, machen "Green" zu einem sehr anstrengenden Vergnügen. Es ist, als stünde man 50 Minuten lang unter Strom, als müsste man die ganze Zeit in einer Übersprungshandlung mit dem Kopf voran gegen die Wand rennen, um die Energie loszuwerden. Forbidden klangen auf "Green" so modern wie nie zuvor, dabei aber auch so originell wie nie zuvor. Die in den damaligen Reviews oft herbeigezerrten Vergleiche in Richtung Machine Head, Pantera und Sepultura erscheinen heute lediglich als Ausdruck einer allgegenwärtigen Hilflosigkeit. Das war alles zuviel für die Metal-Gemeinde und das konnte man in der panischen Suche nach Schubladen nicht beschreiben. In diesem Zusammenhang sollte man aber durchaus nochmal den Hut (und die Hose) für die Besprechung des Albums von Rock Hard-Chefredakteur Götz Kühnemund lüften, dessen 9-Punkte-Review sich zwar seltsam blutleer und aufdiktiert liest, der aber wenigstens den Kopf für das hinhielt, was kommen sollte: Forbidden wurden von den so furchtbar loyalen Metal-Fans fallen gelassen wie ein aufgeschrecktes Hornissennest im August. Alles viel zu modern. Die klingen ja nicht mehr so wie früher. Wendehälse. Trendreiter.
Eine bereits bestätigte Europatournee wurde angesichts der drastischen Verkaufseinbrüche abgesagt - und das war's dann. So blieb es bis zum Jahr 2010 und dem müde und konstruiert klingenden "Omega Wave"-Comebackalbums dabei: Forbidden verschwanden mit einem der beeindruckendsten Metalalben aller Zeiten in der Versenkung. Und kamen mit einem Abklatsch wieder zurück. Ich verstehe das alles nicht.
Wer offene Ohren hat, der höre. Und zwar "Green".
Erschienen auf G.U.N., 1997.
Wiederveröffentlicht (Vinyl) auf Night Of The Vinyl Dead, 2011.
18.11.2011
Paralleluniversum
"Nein, die Sahne steigt immer auf. Nur weil es 6 000 statt 600 Bands zu hören gibt, heißt das nicht, dass dabei die wichtigen Dinge verloren gehen. Ich glaube, die kommen immer durch. Das ist eben ein Teil dieser Pendelbewegung vom Rand zum Mainstream, so geht das."
Der Sänger der sogenannten Rockband R.E.M., Michael Stipe, im Interview mit irgendwem. Die Frankfurter Rundschau hat es veröffentlicht.
Der Sänger der sogenannten Rockband R.E.M., Michael Stipe, im Interview mit irgendwem. Die Frankfurter Rundschau hat es veröffentlicht.
12.11.2011
We Came As Lizards
ANTELOPE - REFLECTOR
Nach der Bandgründung im Jahr 2001 und zwei folgenden 7-Inch Singles veröffentlichten Antelope im Jahr 2007 ihr erstes und einziges Album - und konnten durchaus ein bisschen Staub aufwirbeln, im überschaubaren Rahmen zwar, aber man kann es schlechter treffen. "Reflector" ist die geordnete, nüchterne Version der Young Marble Giants und deren "Colossal Youth"-LP. Die Arrangements standen zweifellos monatelang auf dem Herd und sind am Ende des Tages fast bis zur Unkenntlichkeit eingekocht, geschrumpft und derart bröselig, dass ein einziger hinzugefügter Tropfen Wasser sie unweigerlich zum Einsturz bringen würde. Die Drums (HiHat, Snare, Bassdrum, ein Becken - fertig!) tackern den stoischsten Beat seit den frühen Trio und deren "dynamische Inkompetenzen" (Remmler) - sonst nichts. Der Bass ist der Baumeister für ein Haus ohne Wände, dafür sehen die nackten Stahlträger total prima aus. Und die Gitarre sucht händeringend nach Harmonien aus schwarzem Stoff, die die Stahlträger umhüllen können, und überraschenderweise findet sie sie auch. In weniger als 30 Minuten gibt es 10 kleine Songskizzen zu hören, die manchmal geradewegs verstörend spröde und kahl wirken, gleichzeitig aber auf eine ebenfalls verstörende Weise funky, tanzbar und beinahe euphorisch erscheinen. Bei den vollends durchlagenden Harmonien im Titelsong oder im Highlight "Flower", bei dem sogar ein bisschen der Post/Artrock aus Chicago durchschimmert (The Sea And Cake), fällt auf, wie diszipliniert die Band arbeitet. Wenn hier nur ein Ton nicht sitzt, kracht das ganze schöne Arrangement in sich zusammen.
"Reflector" klingt zunächst simpel und es ist eine wunderbare, ruhige Platte mit toller, positiver Ausstrahlung. Aber diese Architektur des Nichts ist alles andere als mal eben mit links auf die Festplatte genagelt. Der Gegensatz aus einer bis zur Komplettverweigerung getriebenen Lässigkeit oder gar Lethargie und der brettharten Aufgeräumtheit, die Konzentration und den Fokus einfordert - das macht "Reflector" zu einer selten schönen Eintagsfliege.
Erschienen auf Dischord, 2007.
11.11.2011
Werbepause
Eine Nachricht an die geschätzen 0,2 Menschen, die diesen Blog verfolgen und wie meine Wenigkeit mit der britischen und immer noch ziemlich lebhaften Prog-Legende Marillion sympathisieren: ihr im Jahr 2004 veröffentlichtes Meisterwerk "Marbles", unbestritten eines der besten Alben ihrer Karriere und darüber hinaus ein 3,40qm-zertifiziertes Jahrzehntwerk wurde im Mai 2011 tatsächlich auf blitzsauberem 180g Vinyl im Gatefold-Cover wiederveröffentlicht. Mir kamen bei entsprechender Entdeckung glatt die Tränen.
Ich sag's nur, aber ich sag's wegen mir auch nochmal: die kann man ruhig mal kaufen, ihr 0,2 Menschen da draußen.
Zum Beispiel unter:
Marillion.Com
Hoppala, was vergessen: der Internet-Buschfunk trommelt seit geraumer Zeit, dass allen Marillion-Alben eine (Wieder)Veröffentlichung auf Vinyl widerfahren soll, und ich erwähne es in diesem Zusammenhang explizitös: das schließt auch "Afraid Of Sunlight" aus dem Jahr 1995 ein. Tante EMI will offenbar noch ein paar Kröten verdienen. Im Laufe des Jahres 2012 soll es soweit sein.
Ich sag's nur, aber ich sag's wegen mir auch nochmal: die kann man ruhig mal kaufen, ihr 0,2 Menschen da draußen.
Zum Beispiel unter:
Marillion.Com
Hoppala, was vergessen: der Internet-Buschfunk trommelt seit geraumer Zeit, dass allen Marillion-Alben eine (Wieder)Veröffentlichung auf Vinyl widerfahren soll, und ich erwähne es in diesem Zusammenhang explizitös: das schließt auch "Afraid Of Sunlight" aus dem Jahr 1995 ein. Tante EMI will offenbar noch ein paar Kröten verdienen. Im Laufe des Jahres 2012 soll es soweit sein.
09.11.2011
Wenn Wasser Brennt...
"2011 untersuchten Wissenschaftler der Duke University in North Carolina das Trinkwasser von 60 Haushalten in der Umgebung von Schiefergasbohrungen. 13 von 26 Trinkwasserbrunnen in einem Umkreis von einem Kilometer der Bohrungen waren so stark mit Methan angereichert, dass das Wasser Feuer fangen konnte."(Quelle: Wikipedia)
ZDF Mediathek: Zoom - Gefährliche Gier - Video (28:59 Min)
"We're a virus with shoes - and that's all we are." (Bill Hicks)
ZDF Mediathek: Zoom - Gefährliche Gier - Video (28:59 Min)
"We're a virus with shoes - and that's all we are." (Bill Hicks)
07.11.2011
Dadrock Volume I
GARRY MULHOLLAND - FEAR OF MUSIC - THE 261 GREATEST ALBUMS SINCE PUNK AND DISCO
Wir lieben Listen. Listen sind toll. Musiklisten, Bestenlisten, zumal. Sie provozieren immer eine Reaktion - und in neun von zehn Fällen fällt ebenjene überaus kritisch aus, fällt sie nicht? Geradewegs vernichtend. Aufstellungen, die Alben oder Singles oder auch nur einzelne Songs präsentieren, sind grundlegend immer unvollständig. Sie listen immer (IMMER!) die falschen Platten auf. Und es gibt niemals ein anerkennendes Nicken, wenn der Autor mal ausnahmsweise ins richtige Töpfchen griff. Das sind schließlich Selbstverständlichkeiten.
Der britische Musikjournalist Garry Mulholland hat nach seinem Mammutwerk "This Is Uncool - The 500 Greatest Singles Since Punk And Disco" aus dem Jahr 2002, ein vier Jahre später erschienenes weiteres Mammutwerk vorgelegt. "Fear Of Music" behandelt diesmal, wie bereits am Untertitel zu erkennen ist, das Albumformat - an dem sich Mulholland eigentlich nicht abarbeiten wollte. In der Einleitung zum vorliegenden Buch schreibt er, dass er Singles im Pop-Kontext schon immer wichtiger und spannender fand: sie mussten in ihrer kurzen Lebensdauer von drei oder vier Minuten das Langzeitgedächtnis mit ihrer einzigen Idee tapezieren. Die unmittelbare Auseinandersetzung und das Touch & Go-Prinzip können faszinieren, und sie stehen in direktem Widerspruch zur Kunstform "Album", die mit dem Vorhaben ins Rennen geht, man baue eine langfristige Verbindung auf, die im besten Fall ein ganzes Leben lang hält.
Mulholland geht chronologisch vor. Die Ramones stehen mit ihrem Debut aus dem Jahr 1976 an erster Stelle, am Ende steht das Hip Hop-Duo Outkast mit ihrem "Speakerboxxx/The Love Below"-Brocken von 2003. Das alleine reicht aus, um wenigstens die stilistische Bandbreite, aber auch besonders die Entwicklung über 27 Jahre hinweg zu verdeutlichen. Womit der aus meiner Sicht größte Pluspunkt von "Fear Of Music" bereits erwähnt ist. Denn auch wenn der Schwerpunkt deutlich auf den Jahren 1977 bis 1982 und dem damaligen Höhepunkt der Punk und Post Punk-Ära liegt - nicht weniger als 105 von den präsentierten 261 stammen alleine aus diesen 5 Jahren - ist es ausgesprochen erfrischend, wenn nach den erwähnten Ramones und den Modern Lovers plötzlich eine Stevie Wonder-Scheibe auftaucht. Oder dass nach dem Body Count-Debut (und da geht das eingangs erwähnte Diskutieren schon los, ne?!) und "Copper Blue" von Bob Moulds Sugar, die Country-Folk-Rock Truppe der Jayhawks auf der Matte steht. Talking about changes: Mulholland hat ein weiteres Steckenpferd. Spätestens ab 1988 entdeckt er den Hip Hop für sich und huldigt neben mehr oder minder bekannten Alben von Eric B. And Rakim, EPMD, Public Enemy, Cypress Hill, A Tribe Called Quest, De La Soul und den unvermeidbaren N.W.A. auch obskurem Stoff, beispielsweise "Bazerk, Bazerk, Bazerk" von Son Of Bazerk (Featuring No Self Control And The Band), "the greatest-ever hip hop album that no one's ever heard of", bevor in den späteren Jahren auch Stars wie Nas, 2 Pac, Dr.Dre und Eminem auf ihre Kosten kommen. Auch in späteren Zeiten tauchen immer wieder Werke auf, die schon lange vom Radar der Musikwelt verschwunden sind, wie zum Beispiel das vor allem in den USA völlig untergegangene "Kaleidoscope"-Album von Kelis. Gerade in diesen Momenten macht es großen Spaß, sich durch dieses Buch (= durch die eigene Sammlung = Ebay = Mailorderfirmen) zu tauchen, auch wenn Mulholland das weitverbreitete, nerdige Verhalten, das immer die unbekanntesten und ominösesten Alben in den Vordergrund stellt, entschieden ablehnt. Auf der anderen Seite: wir alle kennen "Thriller" oder "Ray Of Light" und wir alle sind immer auf der Suche. Immer auf der Suche. Suche. Immer. Alle. Wir. So.
Zu jedem Album gibt es Angaben über die Produzenten, die Schlüsselsongs, die Plattenfirma, das genaue Erscheinungsdatum, sowie die Chartpositionen in England und den USA. Letztere sind im ein oder anderen Fall beeindruckend, verdeutlichen sie doch die kulturelle Kluft zwischen Europa und den Vereinigten Staaten. Wo Hip Hop- und R'n'B-Alben jenseits des Atlantiks regelmäßig große Erfolge feiern konnten, verbuchen dieselben Scheiben in England deutlich niedrigere Chartplätze. Entgegengesetzt sind Punk und Post Punk-Alben blanke Hits im Königreich, während die USA in vielen Fällen nicht mal Notiz von ihnen nahm. Das wird in den teils sehr persönlichen Anmerkungen, die Mulholland zu jedem Album abliefert garniert und liest sich dank der vielen Hintergrundinformationen und Querverweise runter wie Apfelsaft.
Unabhängig von meiner subjektiven Einschätzung hinsichtlich seiner Auwahl fällt es mir dennoch schwer, den verbindenden Faden zu finden - und ich bin mir sehr wohl darüber im Klaren, dass es zunächst unangemessen erscheint, überhaupt anzunehmen, dass es einen solchen per se geben muss. Vielleicht ist diese Zusammenstellung doch das beste Gegengift gegen ein solches Gerüst?! Und steht sie nicht für sich selbst? Erteilt sie mit ihren ganzen Stilbrüchen nicht automatisch eine Absage an all jene, die verzweifelt nach einer Struktur suchen? Andererseits erwähnt Mulholland selbst, dass er hofft, das Buch erzähle eine Geschichte und zeige die Entwicklung auf. Um verbotenerweise zu werten: ich kann der Hoffnung nur zur Hälfte entsprechen. Zwar verstehe ich sein Anliegen und ich kann der Geschichte und der Entwicklung auch folgen - aber sie hat Lücken. Und jetzt kann ich das Grinsen auf Euren Gesichtern erkennen.
Es geht mir allerdings weniger bis gar nicht um die ersten Absatz beschriebene "beleidigte Leberwurst", die kurz vor einem Fenstersprung aus der 34.Etage steht, weil das heilige Lieblingsalbum nicht genannt wird, sondern um die fehlende Konsequenz, das abgesteckte Terrain aus zu füllen. Einerseits fehlen Beispiele aus der elektronischen Musik bis auf die sicheren Standards von Kraftwerk, dem zumindest wegeweisenden "My Life In The Bush Of Ghosts" von Eno und Byrne und einer halben Handvoll Compilations vom Techno/House Urknall Ende der 80er Jahre komplett, ebenso lässt er Beispiele aus der Grunge-Ära völlig außen vor, Metal bis auf die leicht irritierende Auswahl von System Of A Downs "Toxicity" sowieso. Und vom Jazz ist nur in einigen Hip Hop Reviews die Rede. stattdessen müssen wir uns drei Mal durch Massive Attack, zwei Mal durch Portishead und immerhin nur ein Mal durch ein Tricky-Album kämpfen, also durch ein Genre-Phänomen namens Trip Hop, das zeitlich als auch künstlerisch arg limitiert war...und dummerweise weiterhin ist. Ich gebe zu, dass ich seinen Ansatz vor diesem Hintergrund nicht ganz verstehe. Aber möglicherweise geht es ihm eben auch gar nicht um das große, komplette Bild; wohlwissend, dass er es gar nicht zeichnen kann. Es geht nicht darum, den Komplettisten zu befriedigen. Es geht auch nicht um Konsens. Oder etwa doch?
Geht es um den großen, unausgesprochenen Konsens, der allen präsentierten Alben innewohnt? Der dafür sorgte, dass Michael Jackson vor 30 Jahren auch deswegen eine so große Karriere vor sich hatte, weil er auch von Punkern heimlich gehört wurde? Oder dass Hip Hop-Alben außerhalb der dafür vorgesehenen Community gehört und respektiert wurden? Irgendein verstecktes Noten-Gen, dass die Botschaft aussandte, dass man zusammen gehört?
Am Ende ist's doch wieder pathetischer Mist, immer diese esoterische Idee von der verbindenden Kraft der Musik auf zu wärmen. Nur: man möcht's halt so sehr gerne glauben. Diese Einsamkeit macht auf Dauer eben doch mürbe.
...
Auf zwei der im Buch versteckten Hinweise möchte ich dann dennoch gerne, äh, hinweisen.
Erstens hat er mich sofort mit der Nennung des letzten Afghan Whigs-Albums "1965" im Sack gehabt. Period. Darüber gibt es demnächst an dieser Stelle auch etwas zu lesen.
Zwotestensns: Prince! Prince! Großer Gott: PRINCE!!!
Erschienen bei Orion Book, 2007
Wir lieben Listen. Listen sind toll. Musiklisten, Bestenlisten, zumal. Sie provozieren immer eine Reaktion - und in neun von zehn Fällen fällt ebenjene überaus kritisch aus, fällt sie nicht? Geradewegs vernichtend. Aufstellungen, die Alben oder Singles oder auch nur einzelne Songs präsentieren, sind grundlegend immer unvollständig. Sie listen immer (IMMER!) die falschen Platten auf. Und es gibt niemals ein anerkennendes Nicken, wenn der Autor mal ausnahmsweise ins richtige Töpfchen griff. Das sind schließlich Selbstverständlichkeiten.
Der britische Musikjournalist Garry Mulholland hat nach seinem Mammutwerk "This Is Uncool - The 500 Greatest Singles Since Punk And Disco" aus dem Jahr 2002, ein vier Jahre später erschienenes weiteres Mammutwerk vorgelegt. "Fear Of Music" behandelt diesmal, wie bereits am Untertitel zu erkennen ist, das Albumformat - an dem sich Mulholland eigentlich nicht abarbeiten wollte. In der Einleitung zum vorliegenden Buch schreibt er, dass er Singles im Pop-Kontext schon immer wichtiger und spannender fand: sie mussten in ihrer kurzen Lebensdauer von drei oder vier Minuten das Langzeitgedächtnis mit ihrer einzigen Idee tapezieren. Die unmittelbare Auseinandersetzung und das Touch & Go-Prinzip können faszinieren, und sie stehen in direktem Widerspruch zur Kunstform "Album", die mit dem Vorhaben ins Rennen geht, man baue eine langfristige Verbindung auf, die im besten Fall ein ganzes Leben lang hält.
Mulholland geht chronologisch vor. Die Ramones stehen mit ihrem Debut aus dem Jahr 1976 an erster Stelle, am Ende steht das Hip Hop-Duo Outkast mit ihrem "Speakerboxxx/The Love Below"-Brocken von 2003. Das alleine reicht aus, um wenigstens die stilistische Bandbreite, aber auch besonders die Entwicklung über 27 Jahre hinweg zu verdeutlichen. Womit der aus meiner Sicht größte Pluspunkt von "Fear Of Music" bereits erwähnt ist. Denn auch wenn der Schwerpunkt deutlich auf den Jahren 1977 bis 1982 und dem damaligen Höhepunkt der Punk und Post Punk-Ära liegt - nicht weniger als 105 von den präsentierten 261 stammen alleine aus diesen 5 Jahren - ist es ausgesprochen erfrischend, wenn nach den erwähnten Ramones und den Modern Lovers plötzlich eine Stevie Wonder-Scheibe auftaucht. Oder dass nach dem Body Count-Debut (und da geht das eingangs erwähnte Diskutieren schon los, ne?!) und "Copper Blue" von Bob Moulds Sugar, die Country-Folk-Rock Truppe der Jayhawks auf der Matte steht. Talking about changes: Mulholland hat ein weiteres Steckenpferd. Spätestens ab 1988 entdeckt er den Hip Hop für sich und huldigt neben mehr oder minder bekannten Alben von Eric B. And Rakim, EPMD, Public Enemy, Cypress Hill, A Tribe Called Quest, De La Soul und den unvermeidbaren N.W.A. auch obskurem Stoff, beispielsweise "Bazerk, Bazerk, Bazerk" von Son Of Bazerk (Featuring No Self Control And The Band), "the greatest-ever hip hop album that no one's ever heard of", bevor in den späteren Jahren auch Stars wie Nas, 2 Pac, Dr.Dre und Eminem auf ihre Kosten kommen. Auch in späteren Zeiten tauchen immer wieder Werke auf, die schon lange vom Radar der Musikwelt verschwunden sind, wie zum Beispiel das vor allem in den USA völlig untergegangene "Kaleidoscope"-Album von Kelis. Gerade in diesen Momenten macht es großen Spaß, sich durch dieses Buch (= durch die eigene Sammlung = Ebay = Mailorderfirmen) zu tauchen, auch wenn Mulholland das weitverbreitete, nerdige Verhalten, das immer die unbekanntesten und ominösesten Alben in den Vordergrund stellt, entschieden ablehnt. Auf der anderen Seite: wir alle kennen "Thriller" oder "Ray Of Light" und wir alle sind immer auf der Suche. Immer auf der Suche. Suche. Immer. Alle. Wir. So.
Zu jedem Album gibt es Angaben über die Produzenten, die Schlüsselsongs, die Plattenfirma, das genaue Erscheinungsdatum, sowie die Chartpositionen in England und den USA. Letztere sind im ein oder anderen Fall beeindruckend, verdeutlichen sie doch die kulturelle Kluft zwischen Europa und den Vereinigten Staaten. Wo Hip Hop- und R'n'B-Alben jenseits des Atlantiks regelmäßig große Erfolge feiern konnten, verbuchen dieselben Scheiben in England deutlich niedrigere Chartplätze. Entgegengesetzt sind Punk und Post Punk-Alben blanke Hits im Königreich, während die USA in vielen Fällen nicht mal Notiz von ihnen nahm. Das wird in den teils sehr persönlichen Anmerkungen, die Mulholland zu jedem Album abliefert garniert und liest sich dank der vielen Hintergrundinformationen und Querverweise runter wie Apfelsaft.
Unabhängig von meiner subjektiven Einschätzung hinsichtlich seiner Auwahl fällt es mir dennoch schwer, den verbindenden Faden zu finden - und ich bin mir sehr wohl darüber im Klaren, dass es zunächst unangemessen erscheint, überhaupt anzunehmen, dass es einen solchen per se geben muss. Vielleicht ist diese Zusammenstellung doch das beste Gegengift gegen ein solches Gerüst?! Und steht sie nicht für sich selbst? Erteilt sie mit ihren ganzen Stilbrüchen nicht automatisch eine Absage an all jene, die verzweifelt nach einer Struktur suchen? Andererseits erwähnt Mulholland selbst, dass er hofft, das Buch erzähle eine Geschichte und zeige die Entwicklung auf. Um verbotenerweise zu werten: ich kann der Hoffnung nur zur Hälfte entsprechen. Zwar verstehe ich sein Anliegen und ich kann der Geschichte und der Entwicklung auch folgen - aber sie hat Lücken. Und jetzt kann ich das Grinsen auf Euren Gesichtern erkennen.
Es geht mir allerdings weniger bis gar nicht um die ersten Absatz beschriebene "beleidigte Leberwurst", die kurz vor einem Fenstersprung aus der 34.Etage steht, weil das heilige Lieblingsalbum nicht genannt wird, sondern um die fehlende Konsequenz, das abgesteckte Terrain aus zu füllen. Einerseits fehlen Beispiele aus der elektronischen Musik bis auf die sicheren Standards von Kraftwerk, dem zumindest wegeweisenden "My Life In The Bush Of Ghosts" von Eno und Byrne und einer halben Handvoll Compilations vom Techno/House Urknall Ende der 80er Jahre komplett, ebenso lässt er Beispiele aus der Grunge-Ära völlig außen vor, Metal bis auf die leicht irritierende Auswahl von System Of A Downs "Toxicity" sowieso. Und vom Jazz ist nur in einigen Hip Hop Reviews die Rede. stattdessen müssen wir uns drei Mal durch Massive Attack, zwei Mal durch Portishead und immerhin nur ein Mal durch ein Tricky-Album kämpfen, also durch ein Genre-Phänomen namens Trip Hop, das zeitlich als auch künstlerisch arg limitiert war...und dummerweise weiterhin ist. Ich gebe zu, dass ich seinen Ansatz vor diesem Hintergrund nicht ganz verstehe. Aber möglicherweise geht es ihm eben auch gar nicht um das große, komplette Bild; wohlwissend, dass er es gar nicht zeichnen kann. Es geht nicht darum, den Komplettisten zu befriedigen. Es geht auch nicht um Konsens. Oder etwa doch?
Geht es um den großen, unausgesprochenen Konsens, der allen präsentierten Alben innewohnt? Der dafür sorgte, dass Michael Jackson vor 30 Jahren auch deswegen eine so große Karriere vor sich hatte, weil er auch von Punkern heimlich gehört wurde? Oder dass Hip Hop-Alben außerhalb der dafür vorgesehenen Community gehört und respektiert wurden? Irgendein verstecktes Noten-Gen, dass die Botschaft aussandte, dass man zusammen gehört?
Am Ende ist's doch wieder pathetischer Mist, immer diese esoterische Idee von der verbindenden Kraft der Musik auf zu wärmen. Nur: man möcht's halt so sehr gerne glauben. Diese Einsamkeit macht auf Dauer eben doch mürbe.
...
Auf zwei der im Buch versteckten Hinweise möchte ich dann dennoch gerne, äh, hinweisen.
Erstens hat er mich sofort mit der Nennung des letzten Afghan Whigs-Albums "1965" im Sack gehabt. Period. Darüber gibt es demnächst an dieser Stelle auch etwas zu lesen.
Zwotestensns: Prince! Prince! Großer Gott: PRINCE!!!
Erschienen bei Orion Book, 2007
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