17.01.2011

2010 #10 - Electric Wire Hustle °° Electric Wire Hustle

Wir starten mit einer Platte in die Top Ten, die seit ihrer Veröffentlichung im Sommer 2010 in einigen (Underground-)Kreisen mächtig Staub aufwirbeln konnte. Dieses 2007 gegründete Trio aus Neuseeland machte erstmals durch die Beteiligung an Gilles Petersons "Brownswood Bubblers"-Reihe (Vol.5) auf sich aufmerksam. Der beigesteuerte Track "They Don't Want", der später auch als eigenständige 7-Inch Single in den Handel gelangte, machte mich ehrlich gesagt ziemlich wuschig - gar so wuschig, dass ich für die kleine 2-Track-Single mehr Geld ausgab, als vormals für so manche LP. Als das vollständige Album dann im Player rotierte (hier muss ich notgedrungen auf die schnöde CD zurückgreifen), war klar: "They Don't Want" ist keine Eintagsfliege.

Die Kiwis haben es sich zwischen Hip Hop, Downbeat, NuSoul, Jazz, Broken Beats und Marihuanaplantagen gemütlich gemacht und ästeln sich durch ein größtenteils tief pumpendes Beatgestrüpp, dessen Ansatz in manchen Momenten an den großen JDilla erinnert, bevor sich Marvin Gaye im Fernsehsessel die neuesten Errungenschaften auf dem Feld der Erwachsenenerotik anschaut. Das Trio präsentiert einen aufreizend lässigen Sound, der durch die butterweiche Stimme von Mara TK noch smoother und dickflüssiger wird. Was gerade er auf diesem Album abliefert ist sensationell und stellt den ein oder anderen gehypten Schmalzbatzen humorlos in die Ecke. Das endet mal in wahren NuSoul Perlen wie dem bereits erwähnten "They Don't Want" oder dem leicht melancholischen "Tom Boy", mal in einem nokturnen Ambientstampfer mit übergeleimter Drum'n'Bass Raufasertapete wie "Chaser" oder gar in einer Soulrockhymne ("Burn" - inklusive sympatischem Statement gegen Nuklearwaffen). Und die ebenfalls auf diesem Blog mal gastierende Stacie Epps darf den ätherischen Spiritual-Groover "Walk On" verzieren.

Die Atmosphäre ist dunkel, schwül, glühend. Es pulsiert, es ist sexy. Es lebt. Ein fantastisches Debut. Warum ist die Scheibe eigentlich in keiner (weiteren) Bestenliste aufgetaucht? Vergisst dieses Scheißinternet am Ende wirklich so schnell?

Erschienen auf BBE Records, 2010

14.01.2011

2010 #11 - Thee Silver Mt. Zion Memorial Orchestra °° Kollaps Tradixionales

Aufmerksamen Lesern meines Blogs (im hinteren Teil des Satzes ist ein Oxymoron versteckt!) wird es wie Schuppen vom Pimmel, Quatsch: von den Augen fallen: Postrock als Genre hat mit dem Godspeed You! Black Emperor-Schwanengesang "Yanqui U.X.O." aus dem Jahr 2002 seinen Höhe- als auch Schlusspunkt gefunden. Danach hätte die komplette Schublade wegen mir und meiner Muddi den Laden schön dichtmachen können, denn seien wir ehrlich, danach war ja plötzlich alles egal. Ich sage das jedes Jahr mindestens acht Mal und "jedes Mal wird dieser Satz richtiger" (Schmidt), nur dieses Jahr ist er ausnahmsweise - genau - verkehrt. Eigentlich war er schon vor 5 Jahren verkehrt, als "Horses In The Sky", das vierte Album des ehemaligen (und heute emanzipierten) Godspeed-Nebenprojekts Thee Silver Mt. Zion Memorial Orchestra erschien, aber das schreibe ich besser nicht, das würde mich ja total unglaubwürdig machen, 'zefix!

Jedenfalls: "Horses In The Sky" war genau der richtige Schritt in eine künstlerisch rosa ausflockende Zukunft. Erstmals wurde auf jedem Stück eines Silver Mt.Zions Albums gesungen, was der Band viel mehr Eigenständigkeit und in Bezug auf die zu transportierende Message durchaus noch mehr Relevanz verleihen konnte, außerdem entzauberten sie das Dogma, dass Postrock unbedingt Instrumentalmusik sein müsste, indem sie sich davon entfernten. Die Entscheidung half wenigstens in meiner Wahrnehmung auch dabei, die Abgrenzung zur vermeintlichen Hauptband zu verstärken. Also ließ ich mich nochmal breitschlagen und musste zugeben, dass Postrock, was immer er mal war, ist oder genau sein wird, eben doch noch einen spürbaren Herzschlag hatte. Der jedoch drei Jahre später offenbar für mich nicht mehr zu fühlen war, da ich das 2008er Album "13 Blues for Thirteen Moons" absichtlich mit Ignoranz strafte. Gibt es eigentlich auch unabsichtliche Ignoranz? 

Wie soll ich's bloß sagen...? Auch "Kollaps Tradixionales" stand zunächst nicht auf der Einkaufsliste, und es mag sich ganz schön gemein anhören, aber ich bin schon zuweilen der Überzeugung, dass es irgendwann dann auch mal reicht mit so einer Band, dass ich also nicht jedes Album brauche, eine Tour gleich gar nicht. Vielleicht geht das Hand in Hand mit meiner Verachtung für Zugabenrufer und -spieler: warum sollte sich der Schnabel nochmal öffnen, wenn alles, also so wirklich ALLES schon sehr lange, ausführlich und meinetwegen auch noch in einer angemessenen Lautstärke gesagt ist? Der Zufall spielte mir einige Monate nach Veröffentlichung dann doch noch die Vinylausgabe von "Kollaps Tradixionales" in die Hände, und an die Adresse derer, die jetzt wieder beide Hände über dem Kopf zusammenschlagen, weil's auf Vinyl/CD/MP3 doch nun weiß Gott nicht ankäme: Doch, da kommt's drauf an, wir sprechen da gleich noch drüber.

Die Kanadier hatten mich nach weniger als fünf Minuten wieder im Sack. "There Is a Light" ist als Opener so betörend schön und gleichfalls tragisch, so kraftvoll und ebenso resignierend, so triumphierend wie tödlich verzweifelnd, dass mir nichts anderes übrig bleibt, als den alten Postrock (Da! Schon wieder!)-Altar umgehend aus dem vor sich hin schimmelnden Keller zu holen. In den nächsten Minuten gibt sich das Orchester, wie bereits von "Horses In The Sky" gewohnt, rockiger als auf den Frühwerken, die einem ja auch heute noch wie Blei im Magen liegen können. Schwerverdaulich wäre hierfür eine glatte Untertreibung, aber die Zeiten sind vorbei. Silver Mt. Zion sind heute viel zugänglicher, ohne dabei ihre Aufrichtigkeit und Ernsthaftigkeit aufgegeben zu haben. Noch immer hört man in jeder angeschlagenen, geblasenen oder gezupften Note den Drang nach Kommunikation, nach Liebe und Verständigung auf der einen Seite und ebenso ist die Wut zu spüren, die Trauer und die Fassungslosigkeit gegenüber dieser Welt, die manchmal einfach nicht die unsere sein kann. Das verbindet und das spendet Trost. "Kollaps Tradixionales" erstrahlt in seiner kompositorischen Souveränität und mit seiner ausufernd romantischen und umarmenden Aura in schierer Größe und ich hätte wirklich nicht gedacht, dass ich solche Worte nochmal über ein Postrock-Album schreiben werde.

Erschienen auf Constellation, 2010

P.S.: Ich wollte es nur schnell gesagt haben, nicht, dass es hinterher wieder heißt, ich hätte es nicht gesagt: die Vinylausgabe von "Kollaps Tradixionales" erschien auf wunderbar schwerem Vinyl und auf dem noch wunderbarerern 10-Inch-Format und hat neben unendlich vielen Gimmicks, Bildern, Collagen, Texten, Grafiken, Poster und "weiß ich was" (Martha Lelek) auch noch eine kostenlose CD-Version des Albums ins Täschchen getackert (im übertragenen Sinn). Mir kommen angesichts von soviel der wunderbarsten Kunst fast ein bisschen die Tränen.

10.01.2011

2010 #12 - Oneohtrix Point Never °° Returnal

Diese Musik treibt entweder unter Wasser, oder sie schwebt durch das Weltall - auf der Erde ist sie jedoch nie. Ein klassischer Eingangssatz einer Musikexpress-Rezension, ich werde mich zu gegebener Zeit dafür noch ausreichend selbst züchtigen. 

Aber im Grunde stimmt's ja: "Returnal" ist tatsächlich viel zu ätherisch für feste Materie. Die, das sei gesagt, vom Albumopener sowieso und umgehend zu Klump geschlagen werden würde. "Nil Admirari" ist ein Orkan aus Lärm und Kratzern, aus Splittern und Explosionen, und er überrollt mich jedes Mal mit selten zuvor dagewesener Kraft und Macht. Die Zerstörung, die dieser Sturm anrichtet manifestiert sich in jedem Augenblick direkt vor den eigenen Augen, bevor die beiden folgenden Songs die wortwörtliche Ruhe nach dem Sturm darstellen. Sie versorgen die gerissenen Wunden, sie fügen die Scherben wieder zusammen. Ich sehne mich nach den ersten fünf Minuten des Chaos nach dieser heilenden Stille, und weder der Irrsinn noch die anschließende Ruhe verfehlen ihr Ziel. 

Die nachfolgenden Minuten gehören der Schwerelosigkeit, aneinanderklackernden Treibhölzern, wachsendem Moos aus dem Zauberwald und sich anrempelnden Sternen aus dem silbersten Silber, das jemals gehört wurde. Und ganz zum Schluss, wenn ein kleiner Hutzelzwerg im Fledderkostüm auf den Spuren von Fever Rays Karin Dreijer Andersson entlangwürmelt und eine von überrumpelnder Mystik gefärbte Stimme preisgibt und also aus einem schwarzen Spinnenkokon heraus die Worte schamanenhaft tanzen lässt, ist alles zu spät. 


Erschienen auf Editions Mego, 2010.

07.01.2011

2010 #13 - Leatherface °° The Stormy Petrel

Ich war wohl nicht der einzige, der Leatherface ein solches Album nicht mehr zugetraut hätte, aber ich war in der Folge auch nicht der einzige, der schnell einsehen musste, sich geirrt zu haben. Das Quartett um Frankie Stubbs hatte seit dem Album "Dog Disco" aus dem Jahr 2004 ihre Funkstille eingehalten, was sicherlich dabei half, die Band bereits in den ewigen Jagdgründen zu verorten. Aber Stubbs ist wie Herpes: er kommt immer wieder. 

Leatherface leiden immer etwas unter der Existenz der Klassiker in ihrer Diskografie: "Cherry Knowle" und vor allem "Mush" gelten auch 21, beziehungsweise 18 Jahre nach ihrer Veröffentlichung als endgültige Sternstunde der Briten - sowas ist für die weitere Karriere selten förderlich, weil jeder neue Ton an den Meilensteinen gemessen wird. Mein persönlicher Favorit war bisher "Minx" von 1993, wohl weil es damals meine erste Berührung mit Leatherface darstellte (Danke, Dirk!). 

"Horsebox" aus dem Jahr 2000 war nach einer fünfjährigen Pause eine positive Überraschung, während die erwähnte "Dog Disco" Langspielplatte bei den alten Fans nicht unumstritten war. "The Stormy Petrel" (mit einem traditionell beschämenden Coverartwork) ist somit die dritte Scheibe innerhalb von zehn Jahren und sie haben sich wirklich nochmal zusammengerissen. Gitarrist Dickie Hammond hatte laut einer vertrauenswürdiger Quelle schon im Herbst 2009 während der Angelic Upstarts-Tour von dem Album geschwärmt und konnte es selbst kaum glauben, dass sie nochmal eine solch hochklassige Sammlung von Songs schreiben konnten: im Grunde befinden sich auf "The Stormy Petrel" ausschließlich Hits. Hits, Hits, Hits. Man muss freilich schon eine Affinität zu ihrem Sound haben, meine Herzallerliebste bekommt nach eigener Aussage Halsschmerzen, wenn sie die Stimme von Frankie hören muss und verlässt grundlegend und unter Protest den Raum, in dem Leatherface läuft. Aber wenn man die krächzende Reibeisenstimme in sein Herz geschlossen hat, kommt sie da auch nicht mehr so einfach raus. 

Natürlich sind sie heute nicht mehr so laut oder schnell wie noch vor 20 Jahren, natürlich hört man der Stimme noch mehr als früher an, dass sie eigentlich total kaputt ist, natürlich lässt man es grundlegend ruhiger angehen. Aber ihre Melodien sind immer noch schlicht überragend. "God Is Dead" gerät mit leicht progressivem Einschlag als Einstieg überraschnd poppig, aber dann, ABER DANN! "My World's End", "Never Say Goodbye", "Another Dance", "Diego Garcia", "Disgrace", "Belly Dancing Stoat", "Isn't Life Just Sweet", "Hope" - allesamt sensationelle, hochmelodische Punkrocksongs mit enormen Tiefgang und grandiosen Hooklines, die dich künftig auf Schritt und Tritt verfolgen. Einzig das doch arg weichgespülte "Broken" will mir nicht so recht den Einlass in die Hall Of Fame finden, aber das ist bei der Qualität aller (!) übrigen Tracks durchaus zu vernachlässigen.

Es war ein toller Sommer mit dieser Platte.

Erschienen auf Big Ugly Fish, 2010

06.01.2011

2010 #14 - Andreya Triana °° Lost Where I Belong

Musik wie warmer, flüssiger Honig. Ein entspannter Ohrenschmeichler, der zu keiner Sekunde Höchstleistungen benötigt, um ein Maximum an Gefühl und Wärme zu schenken. Hier muss nicht zu gefälligen Beats abgefeiert und getanzt werden, das Publikum, das Winehouse und Duffy anhimmelt (und sich eigentlich immer noch nach Aretha Franklin sehnt), kann also zu Hause auf der Couch bleiben. 

Andreya Triana hat nach früheren Arbeiten mit Flying Lotus, Bonobo, Mr.Scruff oder Theo Parrish im Spätsommer 2010 endlich ihr Langspieldebut auf Ninja Tune veröffentlichen können. Als Produzent fungierte niemand geringerer als Simon "Bonobo" Green, nachdem Triana bereits auf dessen Alben ihre laszive, unprätentiöse Soulstimme zum Einsatz bringen durfte. Und was für eine Produktion das ist! Größtenteils mit echten Instrumenten live eingespielt und nur partiell mit einigen Samples aufgepeppt, begeistert "Lost Where I Belong" mit einem wunderbar warmen Klang, einer schwül-entspannten Stimmung und vor allem mit großen Souljazz-Songs. Melancholisch beispielsweise der Opener "Draw The Stars", der lyrisch die spirituelle Richtung für die komplette Platte vorgibt und musikalisch den größten Melodiebogen westlich der Wolga spannt. "X" setzt zum Schluss noch einen drauf und lässt selbst die schlimmste (sic!) Frohnatur zum wehmütigen Zitterklumpen werden, der sich auf den Boden eines gefüllten Whiskyglases wünscht: ein, zwei gnadenlos gut arrangierte Akustikgitarren, ein leise gestrichenes Cello und Andreyas Stimme, die mich tief in einen akustisch-virtuellen Wattebausch drückt - Wo habe ich eigentlich meine Johanniskrautpillen? Dazwischen darf es auch mal dezent lebhafter werden, aber sowohl Green als auch Triana selbst legen offensichtlich Wert darauf, dass aus Nanorissen keine Megabrüche werden. Der träge Latin-Groover "Up In Fire" beispielsweise, der so ein bisschen klingt als seinen die Bläser auf einer intravenösen Bachblüten-Hochdosistherapie hängengeblieben, ist ein Paradebeispiel, wie man das Feuer im Zaun hält, sodass die Hitze im Innern noch unerträglicher wird. 

Und ich brenne schon. Scheißrein, seit September stehe ich in Flammen. Ein Wahnsinn.

Erschienen auf Ninja Tune, 2010.

04.01.2011

2010 #15 - Antitainment °° Ich kannte die da waren die noch real

Gerade mal knappe (und extra kurzweilige) 24 Minuten benötigen die Bekloppten auf ihrem dritten Studioalbum, um den anderen Bekloppten da draußen das Hirn zu Apfelmus mit Kartoffelpuffer zu kloppen. 24 Minuten vollgepackt mit den tollsten deutschen Texten seit möglicherweise Trio (und was sie mich dafür hassen werden. Beide.), die dich und vor allem auch mich ganz schön doof da stehen lassen. Und immer wenn ich denke "Scheiße, jetzt haben sie mich erwischt!" und ich mich deswegen so richtig und vollständig rotzblöd fühle, weil jemand meinen eigenen Schwachsinn im Obergeschoss mit einem Flutlichtstrahler und einem simplen Handstreich öffentlich gemacht hat, dann kommt ein verkacktes Break über den Zaun geflogen, das all den Scheißdreck, mit dem ich mich die ganze Zeit beschäftige, vollends in der Bedeutungslosigkeit (oder in einem Osterfeuer, vgl. Kalifornien) verschwinden lässt. Und dann muss ich lachen. Am Ende wohl nicht in erster Linie über den Text an sich, sondern über meine Quadratdoofheit. Dabei kennen diese vier Wahnsinnigen mich gar nicht. 

Über die Musik muss man wohl keine weiteren Worte verlieren: "Übelster 90er Jahre Euro Dance im Stile der Kokainvernichtungsmaschinen Jam & Spoon oder auch Motörhead." (Intro, ...vielleicht)

"DAS IST KEIN PUNK, DAS RAFFST DU NIE!" - Also gut, Ihr seid der Messias!

Erschienen auf Zeitstrafe, 2010.

02.01.2011

2010 #16 - Scott Tuma °° Dandelion

Die ersten Minuten klingen wie ein Schnelldurchlauf durch die Jahreszeiten. Von am Fenster im Zeitraffer wachsenden Eiskristallen zum plötzlich in hellem Licht erwachenden und freundlichen Frühling, der in einen mit Vogelgezwitscher unterlegten Sommer übergeht. Und am Ende des Tages sitzt ein alter Mann mit Banjo auf der Veranda und spielt in den Frühherbst hinein. Je länger das Spiel dauert, desto mehr wird alles Eins. 

Der wahrgenommene Verweis auf die Launen der Natur ist kein Zufall: "Dandelion" ist eine Verbeugung vor der Größe und Macht des Lebens. Die splitternden Funken, die sich zwischen tiefen Drones und sich verflüssigenden Klangzungen abarbeiten, umschwärmen wie von einer unterirdischen Kraftquelle genährt den inneren Blutstrom. Gespeist aus Demut und Ehrfurcht, aus Liebe und Respekt. Tumas Musik lässt die Blicke ziellos werden, Gedanken ergeben sich der schieren Erhabenheit. Du stehst am Gipfel und schaust über die Welt, atmest ein, atmest aus. 

"Dandelion" ist rauh und ursprünglich. Wäre es Luft, sie hätte heilende Kräfte.

"Dandelion" ist Universum.

Erschienen auf Digitalis, 2010

31.12.2010

Zum Jahreswechsel...

...lege ich mich jetzt bis Sonntag in die Feuerzangenbowle. Rutscht gut rein, ihr wundervollen Menschen.

Habe die Ehre. 

*bussi*

2010 #17 - Atheist °° Jupiter

Ich hatte es bereits zu einem früheren Zeitpunkt auf diesem Blog angesprochen und vermutet, aber dass "Jupiter", das Comebackalbum der Techno-Death Legende Atheist, tatsächlich derart fulminant ausfallen sollte, damit hatte ich selbst bei aller Begeisterung nach den ersten Hörproben wirklich nicht gerechnet. Das erste Lebenszeichen der Band seit 1993 knüpft qualitativ an die drei Klassiker "Piece Of Time", "Unquestionable Presence" und "Elements" an und ist damit das einzige mir bekannte Comebackalbum alter Thrash- und Death Metal-Haudegen, das den Standard ihrer vorzeitlichen Großtaten zumindest halten kann - und ich bin ob dieser Tatsache immer noch baff, um ehrlich zu sein. 

"Jupiter" orientiert sich dabei stärker an ihrem vielleicht ausgereiftesten Werk "Unquestionable Presence" als am noch etwas rohen "Piece Of Time" oder dem experimentellen "Elements". Ihre verspielten Riffkaskaden, die ein bisschen wie ein verrückt gewordener Schwarm Hornissen im Kleinhirn herumtoben, suchen immer noch aussichtslos nach Konkurrenz, die wahnwitzige Schlagzeugarbeit von Steve Flynn ist fast schon grotesk genau auf Gitarre und Bass abgestimmt und selbst Sänger Kelly klingt fast 17 Jahre nach der offiziellen Auflösung (und als Ü-40er!) immer noch taufrisch. 

Ich rechne es der Band hoch an, dass sie zu keinem Zeitpunkt Kompromisse eingegangen ist: die Produktion von "Jupiter" ist ungeheuer druckvoll und gar (in Teilen) modern, ohne dabei künstlich aufgeblasen zu wirken. Die Songs sind hochkomplex, bleiben jedoch von der ersten bis zur letzten Sekunde absolut schlüssig und nachvollziehbar. Zudem sind sie jederzeit Atheist geblieben: ihr Sound ist so einzigartig wie brilliant, ihr Wiedererkennungsmerkmal ist der Wahnsinn und die unbändige Kraft in Songs wie "Second To Sun", "Third Person" (Alter...!!) oder "Fictitious Glide". Ihre ureigenen Harmonien sind sowieso auf immer in das kollektive Bewusstsein des Thrash und Death Metal eingebrannt, und "Jupiter" fügt ebenjenem die ein oder andere Sternstunde hinzu. 

Flawless.

Erschienen auf Seasons Of Mist, 2010.

30.12.2010

2010 #18 - Actress °° Splazsh

"Splazsh" ist eines der abgefahrensten Alben des Jahres 2010 und da fehlen mir glatt ein wenig die Worte. Egal, was ich hier schreiben würde, es wäre innerhalb weniger Sätze das Einfachste auf der Welt, meine Worte umgehend zu widerlegen. Würde ich beispielsweise schreiben, dass die A-Seite mit dem Opener "Hubble" und dem mit einigen Soulfetzen angereicherten "Lost" sowie dem kurzen Ambientfloater "Futureproofing" eine düstere Post-Alles-Landschaft entwickelt, die sowohl Dubstep als auch Ambient und Techno als Fixpunkte aufs Tableau zaubert, dann wäre schon beim ersten Plattenumdreher auf die B-Seite alles perdue: ein tiefer und verschachtelter Dubstep-Irrgarten auf "Get Ohn", ein großer ironischer Post-Pop-Entwurf in "Always Human", danach ein übersteuerter Bass-Schmerz mit stolpernden und allerhöchstens angedeuteten Beats. Dazu gibt es dunkle Synthie-Anleihen und schemenhaft erkennbare Songstrukturen bei "Maze" und einen lupenreinen 80er Jahre Smasher mit "Purrple Splaszh". 

Ich hatte schon im Sommer die Vermutung, dass ich offenbar schlicht zu schlicht für "Splazsh" bin und es einfach nicht verstehe, obwohl die Scheibe teils Wochen auf Heavy Rotation lief. Cunningham hat zudem auf den Einsatz starker Hooks zugunsten eines verwirrenden Gesamtentwurfs verzichtet, was sich in Sachen feierwütiger Tanzapokalypsen zwar rächt, für die Weirdo-Ästhetik einer dunklen, grummeligen Freakshow und einen monatelangen Hörspaß obendrauf aber umso bedeutsamer ist. 

Das Ende vom Lied: ich raff' das Album immer noch nicht, aber es dreht sich die ganze Zeit auf dem Plattenteller. Bald auch als Soundtrack in Deiner Psychotherapiesitzung zu hören. 

Erschienen auf Honest Jons Records, 2010.

29.12.2010

2010 #19 - Disappears °° Lux

Der Lehrer bezeichnete diese Band einst als "Schülerband" und gestand kurz darauf inhaltlich durchaus angemessen, Disappears einfach nicht zu verstehen. Angesichts seiner diesjährigen Sufjan Stevens-Ver(w)irrung kann das nur als Qualitätsmerkmal gedeutet werden, aber lassen wir die Kirche im Dorf: das hier ist auch nicht wirklich Musik für "Oma Meume und Familie Fliewatüt" (S.Gärtner). 

Auch Disappears kamen bereits im Laufes des Jahres 2010 auf diesen Seiten zu der ein oder anderen lobenswerten Erwähnung und meine Begeisterung ob ihres dreckig-verwehten Garagensounds ist nicht nennenswert zurückgegangen. Noch immer bestimmt in erster Linie ihr kaputter Lo-Fi-Sound die Szenerie, ihr konsequenter Minimalismus und die damit verbunde Offenlegung aller Tatsachen sind mir auch Monate nach der Entdeckung immer noch so sympatisch, dass "Lux" regelmäßig den Weg ins Schallgesims findet.

Kein doppelter Boden, kein Interpretationströpfchen zuviel. Intellektuell und stylish, ja. Aber kein nichtsnutziger Firlefanz. Disappears klingen, als ob Motörhead 1986 die Ausfahrt in Richtung My Bloody Valentine genommen hätten, und Lemmy nach seinem Philosophie-Studium anstatt einer Speed-Standleitung ins Nasenloch sich lieber täglich eine Haschisch-Schokotorte beim Kaffeekränzchen mit Julia Kristeva reingezerrt hätte. 

Und "Pearly Gates" ist ein verdammter Hit.

Erschienen auf Kranky, 2010.

28.12.2010

2010 #20 - Triclops! °° Helpers On The Other Side

Als größter Wackelkandidat für die Erwähnung in dieser Liste entpuppte sich dieses Jahr "Helpers On The Other Side" des Triclops!-Haufens, was bei Licht betrachtet weniger an der Qualität ihrer zweiten abendfüllenden Songsammlung, als an der Qualität der Konkurrenz-Veröffentlichungen lag und liegt. Denn auch dieses Jahr darf ich mit Vehemenz darauf hinweisen: Musik war nie besser als heute. Beziehungsweise gestern. Oder vorvorgestern, meinetwegen auch übermorgen - "Das ist Physik." (Malmsheimer).

Das beste Argument des Quartetts aus San Francisco liegt in meiner romantischen Verklärung des Vergangenen begründet, was geradewegs brilliant mit meiner eben getätigten Aussage über die Musik der Gegenwart zusammendotzt: ich höre "Helpers On The Other Side" und befinde mich augenblicklich in meinem sonnendurchfluteten Kinderzimmer, schätzungsweise 1991, abwechselnd The Jesus Lizard- und Janes Addiction-hörend. Und ich möchte einerseits darauf hinweisen, dass das durchaus eine gute Erinnerung ist, und dass andererseits die groben Eckpunkte ihres Sounds mit den beiden eben genannten Kapellen zumindest in meinen Ohren ganz gut abgesteckt sind. Aber kommt mir jetzt bloß keiner auf die Idee, eine vergleichende Riff- und Harmoniestatistik auf zu setzen! Zumal der Vergleich angesichts der, ich wage es kaum zu schreiben, Classic Rock-Einflüsse bei "Homage To Monte Cassino (Red)" und "With Sars, I'll Ride The Wind" auch wieder totaler Kappes sein könnte. Aber wer weiß das schon?

Na, ich natürlich (nicht): Triclops! springen letzten Endes zwischen Punkrock, Noiserock, Hardcore und alternativer Frühneunziger-Weirdness ("Brown Summer") umher, sind sympatisch durchgeknallt und haben hier einige durchaus progressive und in der Folge auch mutige Perlen ("Brown Summer") untergebracht. Ich höre die Scheibe vor allem aufgrund ihrer Frische und Komplexität sehr gerne ("Brown Summer") und deswegen soll ihr auch der begehrte letzte freie Platz in dieser Aufstellung gehören. So sei es ("Sown Brummer").

Erschienen auf Alternative Tentacles, 2010.

26.12.2010

Top of the Blogs 2010

Wir, also mein Listennerd und ich, haben uns außerdem dazu entschlossen, bei der tollen "Top of the Blogs 2010"-Aktion von Vinyl Galore mit zu machen.  

Vinyl Galore-Mann Martin hat in offenbar schlaflosen Nächten die Top Ten-Listen von nicht weniger als 43 Blogs ausgewertet und das Ergebnis nun exakt HIER präsentiert. 

Frei nach Bill Hicks:"Boy, is my thumb not on the pulse of the German indie scene!"

Aber schön isses ja doch yngwie. 

Danke für die Mühe, Martin.