PARADISE LOST - SHADES OF GOD
„Ich mache mich stark für die Wiedereinführung der europäischen Gurkenkrümmungsverordnung. Das Parlament hat sie 2009 abgeschafft, weil zu viele Leute darüber gelacht haben. Ich möchte die Verordnung für den Export von deutschen Waffen, von dem es ja zur Zeit wieder sehr viel gibt, wiedereinführen. Ich will, dass jeweils zehn Zentimeter Lauf zwei Zentimeter Krümmung aufweisen müssen.“ (Martin Sonneborn)
Paradise Lost waren für mich schon immer eine schwierige Band. Mittlerweile steht außer "Shades Of God" aus dem Jahr 1992 kein einziges ihrer Alben mehr im Schrank, und offen gesagt habe ich mich nach dem 1993 erschienenen "Icon" weitgehend absentiert. Denn soviel warme Worte ich für ihren Mut aufbringen kann, ein paar Kuttenadolfs mit dem zwar sicher gut gemeinten, aber nicht wirklich gut gemachten Depeche Mode-Klon "Host" (1999) auf die Barrikaden gebracht zu haben, so unwürdig erscheint mir ihre wenige Jahre später eingeleitete Rückkehr ins Altenheim des Metal, weil's dann doch irgendwann dämmerte, dass nur die loyalen und in Teilen offensichtlich dementen Metalfans mit dem dicken und in den neunziger Jahren gewonnenen Stein im Brett diese Band künftig am Leben halten können. Ich habe im Prinzip keinerlei emotionale Bindung mehr zu Paradise Lost.
Und doch hat all das "Shades Of God" in meiner Welt keinen Kratzer zugefügt. Platziert zwischen den zwei im Metalkanon als Klassiker geführten Werken "Gothic" (1991) und eben "Icon", erschien mir das Album dabei im Vergleich immer ein bisschen unterrepräsentiert zu sein. Bei näherer Betrachtung mag das Gründe haben, die über das Classement hinaus gehen: die Band fummelte sich einen herausfordernden Stilmix aus Doom, Thrash, Goth und Progressive Rock zusammen, der für das Jahr 1992 eine kleine Revolution war und den ich in dieser Form bis heute für ziemlich einzigartig halte. So sind vor allem die vier Longtracks "Crying For Eternity", "No Forgiveness", "Daylight Torn" und das überragende "Your Hand In Mine" monumentale, stimmungsvoll inszenierte Kompositionen mit von Schwarzlicht reich bestrahlten Melodien, so unvermittelt wie clever gesetzten Breaks und einem Nick Holmes, der tatsächlich mal sowas wie einen Charakter aus seiner Stimme herausholt, weil er sich im mutmaßlichen Sweetspot zwischen derbem Growling aus der Frühphase und dem Doom-Hetfield auf "Icon" bewegt und damit an der klanglich ausgefransten Aura des Albums perfekt andocken kann. "Shades Of God" ist ruppig und wirkt vor allem wegen der oft holzig wirkenden Schlagzeugarbeit ungewöhnlich kantig - und dennoch strömt aus diesen Songs eine äußerst anziehende Geschmeidigkeit; eine weichgezeichnete Melancholie, die mich bis heute berührt.
Bei allem Verständnis für die Faszination, die von "Gothic" und "Icon" ausgeht, ist "Shades Of God" als Verbindungsstück, als Brücke, das tiefgründigere, vorausschauendere, zeitlosere Album. Außerdem, und das ist nicht zu unterschätzen: was für ein wunderbares Coverartwork!
Vinyl und so: "Shades Of God" ist einer jener höchst unerfreulichen Fälle, in denen die Wiederveröffentlichungen preislich mindestens auf dem Niveau der Erstpressung, wenn nicht sogar darüber liegen. Plattensammlern muss man eigentlich 24/7 eine paddeln. Die im obigen Text geäußerte Einlassung, "Shades Of God" sei "unterrepräsentiert", erfährt auch hinsichtlich der Vinyl-Verfügbarkeit Bestätigung: Die 2011 von Peaceville und 2015 von The End Records veröffentlichten Reissues liegen nicht selten im unteren dreistelligen Bereich, für ein gut erhaltenes Original reicht die Spanne von 80 bis 120 Euro. 2016 brachten Music For Nations als bis heute letzte Version eine Picture Disc heraus, die etwas günstiger ist und auch schön aussieht - aber wer hört sich eine Picture Disc an?!
Erschienen auf Music For Nations, 1992.