20.09.2025

My Nineties Were Better Than Your Nineties - #180: Paradise Lost - Shades Of God




PARADISE LOST - SHADES OF GOD


„Ich mache mich stark für die Wiedereinführung der europäischen Gurkenkrümmungsverordnung. Das Parlament hat sie 2009 abgeschafft, weil zu viele Leute darüber gelacht haben. Ich möchte die Verordnung für den Export von deutschen Waffen, von dem es ja zur Zeit wieder sehr viel gibt, wiedereinführen. Ich will, dass jeweils zehn Zentimeter Lauf zwei Zentimeter Krümmung aufweisen müssen.“ (Martin Sonneborn)


Paradise Lost waren für mich schon immer eine schwierige Band. Mittlerweile steht außer "Shades Of God" aus dem Jahr 1992 kein einziges ihrer Alben mehr im Schrank, und offen gesagt habe ich mich nach dem 1993 erschienenen "Icon" weitgehend absentiert. Denn soviel warme Worte ich für ihren Mut aufbringen kann, ein paar Kuttenadolfs mit dem zwar sicher gut gemeinten, aber nicht wirklich gut gemachten Depeche Mode-Klon "Host" (1999) auf die Barrikaden gebracht zu haben, so unwürdig erscheint mir ihre wenige Jahre später eingeleitete Rückkehr ins Altenheim des Metal, weil's dann doch irgendwann dämmerte, dass nur die loyalen und in Teilen offensichtlich dementen Metalfans mit dem dicken und in den neunziger Jahren gewonnenen Stein im Brett diese Band künftig am Leben halten können. Ich habe im Prinzip keinerlei emotionale Bindung mehr zu Paradise Lost. 

Und doch hat all das "Shades Of God" in meiner Welt keinen Kratzer zugefügt. Platziert zwischen den zwei im Metalkanon als Klassiker geführten Werken "Gothic" (1991) und eben "Icon", erschien mir das Album dabei im Vergleich immer ein bisschen unterrepräsentiert zu sein. Bei näherer Betrachtung mag das Gründe haben, die über das Classement hinaus gehen: die Band fummelte sich einen herausfordernden Stilmix aus Doom, Thrash, Goth und Progressive Rock zusammen, der für das Jahr 1992 eine kleine Revolution war und den ich in dieser Form bis heute für ziemlich einzigartig halte. So sind vor allem die vier Longtracks "Crying For Eternity", "No Forgiveness", "Daylight Torn" und das überragende "Your Hand In Mine" monumentale, stimmungsvoll inszenierte Kompositionen mit von Schwarzlicht reich bestrahlten Melodien, so unvermittelt wie clever gesetzten Breaks und einem Nick Holmes, der tatsächlich mal sowas wie einen Charakter aus seiner Stimme herausholt, weil er sich im mutmaßlichen Sweetspot zwischen derbem Growling aus der Frühphase und dem Doom-Hetfield auf "Icon" bewegt und damit an der klanglich ausgefransten Aura des Albums perfekt andocken kann. "Shades Of God" ist ruppig und wirkt vor allem wegen der oft holzig wirkenden Schlagzeugarbeit ungewöhnlich kantig - und dennoch strömt aus diesen Songs eine äußerst anziehende Geschmeidigkeit; eine weichgezeichnete Melancholie, die mich bis heute berührt. 

Bei allem Verständnis für die Faszination, die von "Gothic" und "Icon" ausgeht, ist "Shades Of God" als Verbindungsstück, als Brücke, das tiefgründigere, vorausschauendere, zeitlosere Album. Außerdem, und das ist nicht zu unterschätzen: was für ein wunderbares Coverartwork!


Vinyl und so: "Shades Of God" ist einer jener höchst unerfreulichen Fälle, in denen die Wiederveröffentlichungen preislich mindestens auf dem Niveau der Erstpressung, wenn nicht sogar darüber liegen. Plattensammlern muss man eigentlich 24/7 eine paddeln. Die im obigen Text geäußerte Einlassung, "Shades Of God" sei "unterrepräsentiert", erfährt auch hinsichtlich der Vinyl-Verfügbarkeit Bestätigung: Die 2011 von Peaceville und 2015 von The End Records veröffentlichten Reissues liegen nicht selten im unteren dreistelligen Bereich, für ein gut erhaltenes Original reicht die Spanne von 80 bis 120 Euro. 2016 brachten Music For Nations als bis heute letzte Version eine Picture Disc heraus, die etwas günstiger ist und auch schön aussieht - aber wer hört sich eine Picture Disc an?!





Erschienen auf Music For Nations, 1992. 

13.09.2025

My Nineties Were Better Than Your Nineties - #181: Laika - Sounds Of The Satellites




LAIKA - SOUNDS OF THE SATELLITES


"Heinzibert Fassplunder" (Harald Schmidt)



"Eigentlich wie Trip-Hop, nur viel, viel schneller" sagte Laika Gründungsmitglied und Sängerin Margaret Fiedler mal, als Sie nach einer Einschätzung der Musik ihrer Band Laika gefragt wurde. Ich könnte außerdem noch hinzufügen, dass die rhythmisch anspruchsvollen und auf ungeraden Takten aufgebauten Kompositionen, die außerweltlichen Soundbubbles, die durch den Klangraum transzendieren und das stoische Element ihres Sounds in der Kombination auch irgendeinen mysteriösen, weil höchstens in feinsten Nuancen wahrnehmbaren, verwischten Postpunk-Klecks mitschleifen - und auch wenn es wirklich so gar nix mit "Sounds Of The Satellites" zu tun hat, hat Fiedler bei der 2008er Tournee von Wire übrigens die Gitarre gespielt; wo wir halt gerade bei Postpunk waren, ähem. Wie verwirrend das alles wirklich ist, zeigt sich unter anderem auch daran, dass ich hier und jetzt auch problemlos etwas von einem "Funk-Drive" schreiben könnte, ohne dafür ins Kittchen für unbegabte Musikblogger gesperrt zu werden. Ich würde einfach "Bedbugs" abspielen und triumphierend in Dein verdutztes Gesicht schauen. Ha!

Laika zählten in den neunziger Jahren zum Besten, was das Vereinigte Königreich abseits des Britpop-Hypes musikalisch zu bieten hatte. Zum Besten - und zum Kreativsten. Die Bandgründer Guy Fixsen und Margaret Fiedler, gemeinsam mit Flötistin/Saxofonistin Louise Elliott und Schlagzeuger Lou Ciccotelli, später sogar mit Rob Ellis (PJ Harey) als zweiten Schlagzeuger, gestalteten ihren Sound zu gleichen Teilen experimentell-elektronisch - was wetten wir, dass Radiohead vor der Produktion von "Kid A" nachts zum Einschlafen "Poor Gal" gehört haben?! - und harmonisch, warm, zugänglich. Eine in gedimmtes, warmes Licht getauchte Dream Pop-Atmosphäre, in der vor allem die Stimme von Margaret ein diffuses Gefühl von Beistand liefert, das parallel in den unteren Schichten sogleich von einer intellektuellen Distanziertheit gebrochen wird. Eine elektronische Version von Tortoise spielt Songs von den Cocteau Twins, vielleicht?! Man weiß eigentlich nie so genau, woran man bei "Sounds Of The Satellites" ist, aber ich würde alles daran setzen, dieser Platte mein Herz auszuschütten.

Für die überzeugt melancholisch gefärbten Momente des Lebens. 


P.S.: Die Band benannte sich nach der Hündin, die als erstes Lebewesen von Menschen ins Weltall befördert wurde und gestaltete auch ihre Albumcover mit entsprechenden Verweisen. Wer die Geschichte nicht kennt und gleichzeitig den Impuls verspürt, sich mal so richtig schön traurig zu fühlen, liest hier weiter


Vinyl und so: Es sind leider keine Reissues der Laika-Alben in Sicht. Kopien der Originalpressung von "Sounds Of The Satellites" werden aktuell ab ca. 80 Euro gehandelt. CDs gibt es in Europa zwischen 10 und 15 Euro. 







Erschienen auf Too Pure, 1997.

06.09.2025

My Nineties Were Better Than Your Nineties - #182: Unida - Coping With The Urban Coyote




UNIDA - COPING WITH THE URBAN COYOTE


“Since the terms "aggression" and "terrorism" are inadequate, some new term is needed for the sadistic and cowardly torture of people caged with no possibility of escape, while they are being pounded to dust by the most sophisticated products of U.S. military technology.” (Noam Chomsky)


Unida waren das zweitbeste Post-Kyuss-Projekt von Sänger John Garcia (über das Beste sprechen wir zu einem späteren Zeitpunkt) und auch wenn festzuhalten bleibt, dass Kyuss größer als die Summe der einzelnen Teile waren und mit ihrer Vita und Diskografie wenigstens in meiner Welt völlig unantastbar sind - man kommt um die quadratquatschigen Vergleiche einfach nicht herum. Ich kann nix dafür, Freunde. Hier singt eben John fucking Garcia. Und wer nicht an Kyuss denkt, wenn John fucking Garcia singt, hat nie im Leben jemals Kyuss gehört. Und bevor es zu Missverständnisse kommt: that's not a good thing. 

Garcias prägnante Stimme, die praktisch ab der Stunde Null nicht nur das ganze Stonerrock-Gewächshaus zum Qualmen brachte, sondern auch tausenden Stonerinnen und Stonern durch's abgestandene Bongwasser in die Glieder fuhr, hält ganz selbstverständlich auch auf Unidas Debutalbum aus dem Jahr 1999 alle Fäden in der Hand. Es ist wie Heimkommen. Dabei ist das Innendesign in der Casa Unida ein bisschen rustikaler und schnörkelloser ausgefallen als die verwaschene, verdrogte, psychedelische Wüsten-Ambiance von Alben wie "Sky Valley". Im Prinzip spielt die Band einen dreckigen, lauten, fuzzigen Bluesrock mit übergroßem 70er Mandat, der nur im fast zehnminütigen Höhepunkt des Albums "You Wish" mit dynamischen Psychedelic-Eskapaden aufgebrochen wird. Die weiteren Hits dieser Platte "Black Woman" und "If Only Two" sind längst im Kanon des Stonerrock eingelassen und dort bombensicher verplombt - sie sind aus dem Set der mittlerweile in veränderter Besetzung - ohne Garcia - wieder live spielenden Kapelle nicht mehr wegzudenken. 

"Coping With The Urban Coyote" ist eines jener Alben, bei denen die nostalgisch gefärbten Aspekte in der Auseinandersetzung 26 Jahre nach der Veröffentlichung eine größere Rolle für mich einzunehmen scheinen, als bei anderen Platten aus dieser Zeit. Der "Pull" von Garcias Stimme ist real. Wahnsinn, wie nah all das bei mir blieb. 



Vinyl und so: Die via Cargo Records erschienene Erstpressung kostet gibt es derzeit ab 70 Euro, für die seit 2014 veröffentlichten Reissues von Cobraside Distribution Inc. - als erweiterte Doppel-LP im Gatefold mit gut klingenden Liveaufnahmen aus dem Jahr 2013 - liegt die Preisspanne je nach Erscheinungsjahr und Vinylfarbe zwischen 40 und 100 Euro. Wer keinen gesteigerten Wert auf die Originalpressung legt, wird damit bestens bedient, zumal Pressung und Sound hervorragend sind.




Erschienen auf Mans Ruin Records, 1999.

03.09.2025

My Nineties Were Better Than Your Nineties - #183: Living Colour - Stain




LIVING COLOUR - STAIN


"I don't want your life, I've got my own needs / A life of my own, a chance to be free / Everything that I want, isn't it everything that you've got?" (Living Colour, "Ausländer")


"Stain" wurde das Etikett angehängt, seiner Zeit voraus gewesen zu sein. Das wird im Rückblick gemeinhin über Platten gesagt, die sich beim Publikum nicht so recht durchsetzen konnten und in erster Linie von Musiknerds nicht selten genau dafür geliebt werden. Dabei hat es oft durchaus Gründe, warum so manches Werk nicht zum Megaseller wurde, selbst wenn die Vorzeichen gar nicht so trübe aussahen. Manche Platten sind einfach schwierig. Manche Platten passen nicht in ihre Zeit. Und "Stain" ist schwierig. Ungewöhnlich. Couragiert. Ich weiß nicht, ob es seiner Zeit voraus war, weil das ja irgendwie bedeutet, dass diese "richtige" Zeit mal kommen wird. Ich frage mich nur, welche Zeit das sein soll?! 

Living Colour hatten mit dem von Mick Jagger co-produzierten Debut "Vivid", ihrem flinken Locker-Wie-Frischkäse-Funkrock und vor allem der Hitsingle "Cult Of Personality" die Tür zum Mainstreamerfolg schon ziemlich weit aufgestoßen, produzierten dann allerdings mit "Time's Up" einen überraschend harten Nachfolger, auf dem schon der Hit fehlte - und gaben mit "Stain" zwei Jahre später endgültig keinen feuchten Flutschi mehr auf Erwartungshaltungen, den Mainstream, Normen und Grenzen. Die Quittung: "Stain" schaffte es als erstes Living Colour-Album nicht in die Top 20 der US-amerikanischen Billboard-Charts und sollte für ganze zehn Jahre das letzte Album der Band sein.

Living Colour hatten in einen höheren Gang geschaltet und riskierten damit, dass ihnen nicht jeder folgen konnte. Es begann beim Albumcover, das auf ihr flippiges Bandlogo und die bunten, knalligen, fröhlichen Farben verzichtete. Damit wurde das erste Signal gesetzt. Es wird dunkel. Es wird ernst. Produzent Ron St.Germain und die Band inszenierten "Stain" klanglich folgerichtig irgendwo zwischen der Metal-Ästhetik eines Neil Kernon und Steve Albini, roh, intim, laut, verletzlich, unmittelbar. Und für Herrn und Frau Ottonormalrock ist der Ofen schon im Opener "Go Away" aus: ein knüppelhartes und übel groovendes Riff, Thrash Metal Vibes, und ein Text, mit dem man sich als schwarze Rockband im Amerika der frühen Neunziger, milde ausgedrückt, nicht nur Freunde macht:


I see the starving Africans on TV
I feel it has nothing to do with me
I sent my twenty dollars to live aid
I've aided my guilty conscience to go away

Now go away
Now go away
Now go away
Go away

I don't want anybody to touch me
I think everybody has aids
What's the point in caring for you?
You're gonna die anyway


Anschließend singen Living Colour in "Bi" über Bisexualität - Gitarrist Vernon Reid dazu: "I'm really proud of the band for taking the song on. To even go there. It was very risky." - "Ausländer" erzählt aus der Sicht eines Flüchtlings, wie es sich anfühlt entwurzelt in einem fremden Land und in einer fremden Kultur gestrandet zu sein und ständig ausgegrenzt und angefeindet zu werden. "Wall" ruft zur Gemeinschaft und Versöhnung auf und will Mauern zwischen den Menschen einreißen. "Postman", selbst auf dem insgesamt düsteren Album der mit einigem Abstand unheimlichste und verstörendste  Song, thematisiert Waffengewalt in den USA aus der Perspektive des Schützen. 

In welche Zeit soll "Stain" nun also passen? So ganz allmählich dämmert's.



Vinyl und so: Das Album war wegen eines von Jon Stainbrook initiierten Rechtsstreits für über 15 Jahre out of print, erst 2013 gab es die erste Nachpressung auf CD. Music on Vinyl veröffentlichten das Album ab 2018 in mehreren Versionen auf farbigem und schwarzem Vinyl, die aktuell manchmal für sogar unter 20 Euro zu haben sind. Die Erstpressung gibt es für etwa 35 bis 40 Euro, mit etwas Glück kommt man auch günstiger davon.


 



Erschienen auf Epic, 1993.