31.10.2017

Eine Schwalbe macht doch einen Sommer



WINDHAND

Die Chance, dass ich mit meinen 40 Jahren und einer recht weit fortgeschrittenen Allergie für Metal neueren Datums, die  Entdeckung einer Band wie Windhand feiern darf, steht in der Wahrscheinlichkeitstabelle knapp hinter des Empfangs des Nobelpreises für Physik. Dass ich indes zu der Party locker fünf Jahre zu spät komme, bon - aber das kommt eben davon, wenn einerseits das eigene Mäuerchen im Bregen fröhlich zugespachtelt wurde, andererseits ja aber nicht ohne Grund: über die vielen, vielen Unzulänglichkeiten des Heavy Metal der letzten 20 Jahre habe ich mich auf diesem Blog nicht erst ein Mal ausgelassen, und auch wenn meine allerliebsten Lieblingsleser sich das vielleicht wünschen würden, werde ich noch lange nicht müde, immer wieder auf diesen gigantischen Kackhaufen aus unverdauten Nietenarmbändern, Schlagerschwulst, blanker Verarsche und bodenloser Ideenlosigkeit hinzuweisen, der mir fast jeden Spaß an der Musik genommen hat. 

"HIER! RUNTER VON DEM RASEN! HIER WIRD KEIN FUSSBAL GESPIELT!"

"Schöner Krückstock, Oppa! Aussem Kriech?"

Aber eben nur fast. Nun standen Windhand tatsächlich schon seit ein paar Jahren auf meiner Liste, ganz besonders ihr in einschlägigen Kreisen mittlerweile als Klassiker gehandeltes Zweitwerk "Soma", nachdem Herr "Krach Und So..." auf meine eigene Anfrage einen Anlauf nahm, mir ein paar aktuelle Metalbands vorzustellen. Ich erinnere mich daran, dass ich nicht lange überlegen musste, das Album auf dem Wunschzettel vorzumerken, denn: da war eine Stimme. Da war eine Stimme, die sang. So richtig mit Melodie. Call me fucking old-fashioned, aber sowas kann ja Wunder wirken. 

Es dauerte dennoch bis zum Sommer 2017, bis ich endlich die Kohlen über den virtuellen Tresen warf, und was im ersten Moment für Skepsis sorgen dürfte, ist genauer betrachtet nur logisch. Ich habe für gewöhnlich ein ganz gutes Näschen für den richtigen Moment, in dem mich eine Band, ein Album oder ein Song packen können - und erkenne es mittlerweile auch ganz gut, wenn die Zeit noch nicht reif sein sollte. Manches vergesse ich über die Jahre, manches kommt aber wieder. Und was zuvor vielleicht nur ganz nett oder wenigstens interessant war, trifft plötzlich genau ins Herz- und Seelenzentrum. 


So tastete ich mich im Falle Windhand in den Sommermonaten zunächst über ein Livealbum heran, aufgenommen auf dem prestigeträchtigen Roadburn Festival im Jahr 2014, und war ob des konsequenten Willens zur Nicht-Perfektion sofort angefixt. Das klingt despiktierlicher, als es gemeint ist: Windhand spielen gut und diszipliniert, aber da ist Leben im tiefen Wummern, da brodelts im bassigen Klangmatsch, in den über Minuten ausgerollten Feedbackorgien zwischen den Songs, die einem sowohl Ansagen als auch für die nächsten Lebensjahre so oder so überflüssigen Nervenballast ersparen. Auf "Soma", dem nach dieser Erweckung ziemlich umgehend und also endlich besorgten zweiten Album, strahlen Leben, Abfuck, Drogensumpf, Bassmatsch, Mystik, Waldmenschen, Groovewalzen, Pimmeltattoos und Intimbehaarung mit einem Schluck aus Dave Wyndorfs Zaubertrankfläschchen zu "Dopes To Infinity" Zeiten um die Wette. Dabei ist die Rezeptur ihres Sounds so stumpf und, pardon: billig, dass mir anfänglich durchaus Zweifel kamen: trägt die Idee, praktisch jeden Song mit dem Hauptriff einzuleiten, es danach durch minutenlanges Wiederholen zum Vakuum auszusaugen, eine kurze Variation für den...wasweißich...Refrain durch die Bong zu jagen, wieder zum Hauptriff zurückzuehren, um dann eine Brechung (Takt, Riff, Stimmung) im hinteren Drittel anzustoßen, wirklich über drei ganze Studioalben? Wird das nicht irgendwann öde?

Nach einem besuchten Konzert im Wiesbadener Kesselhaus, das mich mit seinem charmant angeranzten Charakter und seinem Schmutz tadellos an meine großen Metalkonzerterlebnisse aus den neunziger Jahren erinnerte, und dem anschließenden tage-, ja wochenlangen Durchhören der beiden übrigen Alben gibt es nur eine Antwort: ja, es trägt. Weil es nämlich bumsegal ist. Alles wird bumsegal, wenn die Irre am Mikro beschwörend und kilometertief im Klangdickicht vergraben ihre großartigen Melodien in diesen Morast hinein säußelt, der Groove Dich gegen die Wand und die Wand anschließend in ein anderes Universum drückt. Irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem man sich ergeben muss. An dem Du nur noch die Wellen des Sounds empfangen willst. An dem Du Dir auch als sattelfester, mit rosafarbenem Polohemd im Spießergolf sitzender und mit dem mentalem Krückstock herumwedelnden vierzigjähriger mit Hilfe eines schwarzen Eddings ein umgedrehtes Kreuz auf die langsam grau gefärbte Brustbehaarung schmieren und im Rewe ein Pfund Dackelblut (vegan!) kaufen willst. Re-Illuminierung.




"Windhand", "Soma" und "Grief's Infernal Flower" sind auf Relapse erschienen.

09.10.2017

Haut und Knochen




RIVERDOGS - BONE


"Bone" ist das beste Melodic Rock Album, von dem Du noch nie gehört hast. Aber das lässt sich ja zum Glück ändern. 

Es erinnert mich außerdem regelmäßig an meine überraschenderweise immer noch bumsfidel vor sich hinquietschende Liebe zu klassischem, teils vom Blues beeinflusstem Hardrock, der auch die jahrelange Auseinandersetzung mit Jazz und avantgardistischem Elektrogeplucker nichts anhaben konnte: zu Great Whites "Can't Get There From Here", Magnums "Goodnight L.A." und Badlands' "Voodoo Highway" falle ich auch über 20 Jahre später noch ehrfurchtsvoll in den Staub, beziehungsweise in die Spandex-Sammlung. "Bone" passt locker in die Reihe der großen musikalischen Pornoschnorres der 1980er Jahre, ist dabei stilistisch bedeutend näher an sagenwirmal: Whitesnake oder den beiden Großtaten von Badlands als an den zumindest in Teilen diskussionswürdigen Sleaze- und Glam-Rockern wie Mötley Crüe oder Poison. Der Clou: "Bone" erschien im Jahr 1993 und damit nach dem Großreinemachen des Grunge. Als Cobain, Cornell und Vedder als menschliche Laubbläser durch die Flure der Majorlabels sausten und gleich einen ganzen Wald an alten Helden kahl pusteten, schien diese Truppe bereits geschlagen: das 1990 veröffentlichte und etwas leichtgewichtige Debut "Riverdogs" brachte auch unter der Führung des Gitarrensupermanns Vivian Campbell nicht den gewünschten Erfolg, sodass zunächst das Label und anschließend Campbell die Segel strichen. Wundersänger Rob Lamothe und der nach dem Ausstieg Campbells vom Bass zur Gitarre gewechselte Nick Brophy gaben indes nicht klein bei, sondern luden zunächst eine Handvoll Fans, Freunde, Journalisten und Labelvolk zu einer nächtlichen Aufnahmesession in einen Proberaumkomplex im Norden Hollywoods ein und begaben sich mit dem dort mitgeschnittenen und im Anschluss veröffentlichten Livealbum "Absolutely Live" auf die Suche nach einer neuen Plattenfirma.

"Bone" erschien ein Jahr später auf dem deutschen Dream Circle Label (damalige Heimat von u.a.  Psychotic Waltz, Enchant und den wahnsinnigen Civil Defiance) - und ging erwartungsgemäß völlig unter. Selbst die Lobet-und-Preiset-Rezension von Holger "Alternative Zappelbude" Stratmann im Rock Hard - Zitat:"die RIVERDOGS sind nun mal die beste und unterbewertetste Band unserer Zeit" - änderte daran nichts. Die Welt war im Grunge-Fieber, und Musik, die so klang als hätte der Sänger durchgängig einen melancholisch erigierten Penis, wenn er mit ordentlich Fellatio Falsetto in der Unterhose "Love Is Not A Crime" bis zur Beinahe-Bewusstlosigkeit schmetterte, hatte in diesem musikalisch derart radikal veränderten Klima weniger Erfolgsaussichten als eine Intellektuelle auf dem Parteitag der Jungen Union. Oder eine vegetarische Bratwurst auf dem Grillfestival "Augen, Hirn und Hals - der Darm erhalt's!". Es kam also, wie es kommen musste: die Riverdogs lösten sich auf. Brophy und Lamothe verfolgten in den kommenden Jahren Solokarrieren, Vivian Campbell hatte es schon längst zum lukrativen Engagement bei Def Leppard gezogen. 

"Bone" ist ernsthafter, erwachsener und von absoluten Vollprofis ausgedachter Monster-Feeling-Hardrock, der selbst unter "stengen Maßstäben" (Schäuble) locker in der Champions League kicken sollte, wenn nicht müsste: Lamothe und Brophy haben ein todsischeres Gespür sowohl für klischeefreie Melodien und Hooklines, als auch für die Notwendigkeit, bei aller Gelassenheit den Drive von der Leine zu lassen, wenn denn der Song erfordert. Der flotte Opener "The Man Is Me" oder das mit großem Refrain ausgestattete "Two Birds" sind in diesem Sinne prächtige Paradebeispiele für stilvolles Songwriting aus Kraftfutterhausen. Mein persönliches Highlight ist indes "Revolution Man" mit seinem betörenden Groove, der auch nicht zuletzt dank der Lagerfeuer-In-Der-Wüste-Aura Erinnerungen an die ersten drei Tribe After Tribe-Klassiker weckt. 

Die Riverdogs machen seit 2011 und dem Comebackalbum "World Gone Mad" wieder gemeinsame Sache und veröffentlichten im Sommer 2017 gar den Nachfolger "California". Als Einstieg empfehle ich jedoch dieses vergessene Juwel aus einer anderen Zeit - freilich vorausgesetzt, es liegt eine grundlegende Affinität zu solchen Sounds vor. Und sei sie auch nur mit dem Elektronenmikroskop erkennbar: das hier ist für Dich. 




P.S.: Leider gibt es "Bone" nicht auf Vinyl und es ist angesichts der überschaubaren Erfolgsaussichten sehr unwahrscheinlich, dass sich an diesem Zustand in der Zukunft etwas ändern wird. Wer immer noch auf Haptik und so steht, muss für die (längst aus der Produktion genommene) CD-Version für gewöhnlich etwa 20 bis 25 Schleifen investieren. 


Erschienen auf Dream Circle Records, 1993. 


03.10.2017

Methadon



Seit acht Jahren rutsche ich sowohl auf diesem Blog als auch auf anderen Kanälen wie Twitter oder Instagram auf meinen Knien herum, um eine der besten existierenden Rockbands irgendwie dazu zu bewegen, sich in ein Flugzeug zu setzen, um im Kartoffelland wenigstens eine Show auf hiesigen Bühnen zu spielen - eine Deutschlandtournee des Spacerock-Alternative-Power Trios The Life And Times scheint trotz einer gewissen und wenigstens von meiner Seite fortwährend zur Schau gestellten Zähigkeit (die Band würde es wohl eher salopp eine "Belästigung" nennen) völlig utopisch zu sein. Ich weiß nicht, wie viele Alben die Kapelle in Deutschland tatsächlich verkauft, und in Zeiten des ubiquitären Streamings spielt das wohl auch gar keine so arg große Rolle mehr; es wäre indes arg optimistisch, die Zahl der Eingeweihten auch nur auf 100 zu taxieren - und wer klettert dafür schon in ein Flugzeug? Die Chancen, die Band jemals live zu sehen, tendieren also gegen eine stattliche Null.

And that's fucked up.

Nach der Veröffentlichung ihres aktuellen, selbst betitelten Albums zu Beginn des Jahres, erneut ein starkes Stück emotionaler und klischeefreier Rockmusik mit im Vergleich zu früheren Werken etwas gestrafften Arrangements, legt mir die Band nun via Bandcamp zumindest ein kleines Fläschchen auraler Ersatzdroge in die frisch gewechselte Erwachsenenwindel: ihre am 6.September 2017 aufgenommene Audiotree-Session mit immerhin fünf Stücken vom neuen Album gibt es nun als kostenpflichtigen 5-Dollar-Download zu erwerben. Oder eben auch kostenlos als Stream. 

And that's fuckin' A.

Einzig an den mutmaßlichen Queens Of The Stone Age-Tribut "Out Through The In Door" mit seinem klar erkennbaren melodischen Überhangmandat zur vielleicht überbewertesten Rockband der letzten 20 Jahre, muss ich mich immer noch gewöhnen. Der Rest ist strahlendes Musikgold.

Enjoy.