25.07.2008

I Feel New Beats, I Hear New Sounds



Eine ganz und gar bemerkenswerte Platte, und das gleich in mehrfacher Hinsicht, ist "Home For An Island", das zweite Album der New Yorker Band The Exit, und es stimmt mich von Zeit zu Zeit etwas nachdenklich, dass ich dieses Juwel ohne mein ehemaliges Dasein als Hobby-Musikjournalist wohl niemals entdeckt hätte.

Das sind wohl die guten Seiten eines Jobs, bei dem ich mir manchmal nicht sicher bin, ob ihm überhaupt auch nur eine gute Faser einer nicht ganz so schlechten Seite innewohnt, und dabei beziehe ich mich ausdrücklich sowohl auf die Rolle des Lesers, als auch auf die des Schreibers selbst. Aber das ist wieder so ein ganz anderes Thema, darüber können wir uns gerne auf der nächsten Popkomm unterhalten, wenn die halbnackten Bitches, sorry: Hostessen, uns am Visions-Stand die Caipi-Schirmchen ins Haar flechten. Jedenfalls: meine grundlegende Skepsis gegenüber aktueller Rockmusik hat mich seit einiger Zeit so fest im Griff, dass sie mich heutzutage, ganz salopp geschrieben, eigentlich einen Scheiß interessiert. Ich suche auch nicht mehr danach. Wenn mir jedoch mehr oder weniger zufällig etwas vor die Füße rutscht, das mich totz meiner "Iiiih, Du bist immer so anti"-Haltung zunächst verwirrt und dann umso stärker mitreißt, so dass ich selbst zwei Jahre nach der Veröffentlichung dieses kleinen Wunders noch ein helles Funkeln in die Augen bekomme und in himmelhochjauchzende Lobhudeleien verfalle, die sogar mit jedem weiteren Durchlauf noch himmelhochjauchzender Lobhudeln, dann bin ich ein sehr glücklicher Mensch.

The Exit spielen auf "Home For An Island"...Rockmusik. Rockmusik, zu der mir interessanterweise jeder Vergleich fehlt, obwohl die Assoziationen zu der Musik des Trios nur so aus den Poren sprühen. Rockmusik, die sich zwischen The Police, The Clash und den Wurzeln des Punkrock bewegt. Rockmusik, die so sackperfekt produziert wurde, dass ich seit Jahren keinen besseren Sound mehr auf einer Rockplatte gehört habe. Rockmusik, die angesichts ihrer durchaus mainstreamigen Ausrichtung das Zeug dazu gehabt hätte, zu einem legendären Klassiker zu werden, selbst in einer Zeit, in der die Menschen selbige gar nicht mehr fänden, um einen Meilenstein überhaupt noch als solchen zu erkennen/entdecken/feiern. Hausfrauen hätten "Let's Go To Haiti" oder den Titeltrack nach monatelanger Heavy Rotation in Funk und Fernsehen mitpfeifen, ach was: mitsingen können, Schulkinder würden ihre Eltern nicht eher in Ruhe lassen, bis sie Gitarren-, Bass- und Schlagzeugunterricht gleichzeitig bezahlt bekämen, und der große alte Mann des Fickel-Hardrocks, Jon Bon Jovi, der immer noch so jung aussieht und so wunderbare Schmuseballaden schreibt, die ans Herz und in die Hose gehen, würde seinen Fotografen zuraunen:"Make me look like The Exit."

Und dann wache ich auf und sehe, dass alles ganz anders kam. The Exit haben eine vergleichsweise niedrige Anzahl von MySpace-Profilaufrufen, ihre Major-Homepage ist vom Netz genommen, sie wurden trotz des ulkigen Label-Stickers, der sie groß als "Must Hear Artist" deklarierte, zu einem "Must Be Dropped Artist", und diese Platte hier, die ist fast vergessen. Ich möchte an dieser Stelle nicht wie einer der furchtbaren Zeitgenossen klingen, die jeden zurecht unbekannten Schmonz mit einem "In einer besseren Welt wären diese Jungs hier Superstars" kommentieren; dass eine mit solchem Potential gesegnete Scheibe jedoch nahezu keine Sau juckt...das darf mich einfach nur ein bisschen Erstaunen. Darf es nicht?

"Home For An Island" von The Exit ist im Jahre 2005 bei Wind-Up Records erschienen.

15.07.2008

It's In The Mix, Stupid!



Für gewöhnlich bin ich den Arbeiten von Kieran Hebden ja durchaus wohlgesonnen: seine Postrock-Spielwiese Fridge, seine vielseitigen Four Tet-Tüfteleien, die mitunter sehr respektvoll die Einflüsse des 29-jährigen Musikers in den Vordergrund rücken, oder eben sein seit einigen Jahren laufendes Projekt mit dem Jazzdrummer Steve Reid, all das konnte mich im Grunde immer überzeugen. Vor allem das Hebden/Reid-Debut "The Exchange Sessions Vol.1" hat mich seinerzeit kräftig mitgerissen. Hebden hatte schon zu schwebenden Fridge-Zeiten großen Wert auf vertrackte Rhythmuskonstruktionen gelegt, und "Everything Ecstatic", seine großartige Four Tet-Platte aus dem Jahr 2005 baute diesen Groove-Fokus gar noch weiter aus, umgarnte ihn mit seinen typischen Wuschi-Deluxe-Sounds, frisch gemopst aus der großen Rappelkiste eines Musikverrückten. Die Kollaboration mit Steve Reid, einem freien Geist des Jazz, der in den sechziger und siebziger Jahren mit Sun Ra genauso arbeitete wie mit Miles Davis, lag als nächster logischer Schritt auf der Hand.

Während die ersten beiden Ergebnisse dieser Partnerschaft "The Exchange Sessions 1+2" sich ausbreitenden, diffusen Electro-Freejazz boten, wählte man für das dritte Werk "Tongues" offensichtlich einen luftigeren Ansatz. Durchschnittlich viereinhalb Minuten benötigen die beiden Musiker, um zu demonstrieren, dass improvisierte Musik eben auch mal bedeuten kann, dass es - Pardong! - in die Hose geht. Was grundlegend völlig in Ordnung ist. Aber mein Gefühl sagt mir auch nach dem achten Durchlauf, dass Hebden und Reid sich hier leicht verhoben haben. Reids afrikanisch beeinflusstes Schlagzeugspiel rückt auffallend weit in den Hintergrund, die Schnittstellen mit Hebdens Gezischel und Gerappel wurden so unkenntlich gemacht, dass sich bei Licht betrachtet hier nur einer austobt, und das ist Kieran Hebden. Trotzdem pendelt er lediglich zwischen zwei Extremen umher: einerseits wummert er viel Potential überraschend uninspiriert in Grund und Boden, andererseits lässt er hier und da süßliche Melodien durchblitzen, die viel zu undefiniert sind, als dass sie eine Stimmung erzeugen können, die die Songs tragen kann. Und wer jetzt irritiert die Augenbrauen anhebt und sich fragt "Moment mal, Songs??", der fragt sich das mit Recht: mir erschließt sich schon der grundlegende Gedanke hinter "Tongues" nicht, vierminütige Momentaufnahmen in einen ursprünglich uferlosen Kontext zu pressen. "Tongues" wirkt dadurch unangenehm unfertig, beeindruckend trivial und zerstäubt schneller aus dem Gedächtnis als eine Bundestagsrede von Dirk "Wirsing" Niebel.

"Tongues" von Kieran Hebden und Steve Reid ist im März 2007 auf Domino Records erschienen.

06.07.2008

(R)evolution



"When ever I have a conversation about what's wrong with the jazz business, I always start out by saying, 'Where is Grachan Moncur?'"

Jackie McLean

Manche Wahrheiten benötigen Zeit. Manche Musik benötigt Zeit. Und wenn Wahrheit und Musik aufeinandertreffen, dann können schon mal ein paar Dekaden vergehen, bevor sie aus nebligem Dickicht gezerrt und entdeckt werden. Eine sehr scheue Kombination, scheinbar. Bei Grachan Moncur III stießen die beiden Faktoren mehr als nur einmal aufeinander, und es macht den Eindruck, als habe sich in nahezu gleicher Frequenz sein Image als merkwürdiger Kauz immer weiter in die Jazzwelt hineingebohrt. Sowas kann zu einem prächtigen Boomerang werden.

Als einer der wenigen Posaunisten, die sich in der Free Jazz/Avantgarde-Welt bewegen, erscheint er mir besonders in den letzten Monaten als einer der inspiriertesten Jazzmusiker aller Zeiten. Auch wenn sich Moncur nach eigener Aussage gar nicht in der Avantgarde-Ecke zuhausefühlt ("To me, it wasn't avant-garde per say for what the avant-garde was really standing for at that time to me. The avant-garde at that time was dealing with the idea of being revolutionary music. I had no thoughts in my mind of this being revolutionary."), so gelten besonders sein Blue Note-Debut als Leader "Evolution",  und das mit Jackie McLean als Leader aufgenommene "Destination...Out!"(beide 1963 erschienen) als sehr außergewöhnlich und innovativ. Für mich begann das Phänomen Moncur mit einer Aufnahme aus dem Jahr 1969, "New Africa", aufgenommen im Rahmen einer Session für das legendäre französische BYG Actuel-Label. Die hier enthaltenen vier Songs zählen für mich mittlerweile zu den großen Sternstunden des Jazz: der ausufernde, aber zu jeder Sekunde mit glasklarer Struktur versehene Titeltrack, der sich in den ersten Minuten so traumhaft durch eine simple Klaviermelodie schleppt, das nervös-sirrende, dunkle und unheilverkündende "Space Spy", oder "Exploration", das seinem Name mit sehr freien Solos alle Ehre macht, und zu guter Letzt "When", einem mit dunklen Swing ausgestatteten Wohlfühlmonster; Moncurs Songwriting ist zu jeder Sekunde eine glatte Offenbarung, sein Stil völlig einzigartig. Zugegeben, ich bin immer noch nicht vollständig hinter sein Geheimnis gekommen. Dafür ist der Mann viel zu wendig, seine Brüche und Sprünge so fix, sein Motive so strange & beautiful, das ich sie - ganz ehrlich gesagt - auch einfach nur genießen möchte. In einem Interview mit Allaboutjazz.com sagte er über seine Art Songs zu schreiben:"I was trying to look at writing at that point the way a painter would paint. You put your thing on the easel and you sketch something and you come back to it the next day or a couple of days. That's how I was trying to think musically. I wasn't trying to finish anything. I still don't do that. I don't try to write anything that I consider a complete piece, especially now. It is always a work in progress. I don't change anything, but I add." Moncur balanciert für meine Begriffe genau an der Schnittstelle eines eher traditionellen Jazzmodells wie dem Hardbop und den Anfängen des Free Jazz in den frühen sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Hier hat er seinen Platz gefunden, fokussiert sich aber in Sachen Songwriting besonders auf Stimmungen und Kontraste. 
Möglicherweise ist speziell dieses Merkmal der springende Punkt seiner 
Musik.

Trotz seiner Zusammenarbeit mit Blue Note zählt Grachan Moncur III bis heute zu den eher unbekannteren Jazzmusikern, obwohl er bis heute Platten veröffentlicht, wenn auch in sehr unregelmäßigen Zeitabständen. In dem weiter oben erwähnten, sehr spannenden, Interview nimmt Moncur zu diesen und anderen Themen Stellung, oftmals auf eine Art und Weise, die mir alleine beim Lesen seiner Sätze den Herzschlag beschleunigt. Es ist, als könne ich seine Worte hören. Sie klingeln regelrecht in den Ohren.

"New Africa" von Grachan Moncur III ist 1969 auf BYG Actuel erschienen.

21.06.2008

"But this time, I wanna hear you scream. In pain." -"Play some Jazzrock."



Es gibt Momente, in denen ich die musikalischen siebziger Jahre gerne zusammengeknüllt in einer Biotonne liegen lassen würde, obgleich vieles aus dieser Dekade noch nicht mal kompostierbar, sondern geradewegs hochgiftig klingt. Das erste Album des hochgelobten Keith Jarrett Quartetts mit Chalie Haden (Bass), Dewey Redman (Tenor Sax) und Paul Motian (Drums) stammt aus dem Jahre 1971, und auch wenn man sich da gerade mal am Anfang des Jahrzehnts befand: "Birth" atmet bereits erstaunlich oft den Muff einer Dekade, in der so mancher Musiker auf Teufel komm raus in einer Art und Weise experimentierte, die man mit viel Wohlwollen gerade noch als naiv bezeichnen könnte, zumindest aus heutiger Sicht. "Birth" ist jedoch aus zwei Gründen nicht uninteressant, zeigt es doch erstens (nicht nur) mit Jarrett einen Musiker, der hörbar auf der Suche nach Herausforderungen war und mit vielen - ihm eigentlich fremden - Instrumenten nach einem neuen Sound forschte und zweitens einen überraschend sauberen Schnitt zwischen Tradition, Avantgarde und Jarretts künftigem ECM-Sound, der sich in erster Linie beim Opener und beruhigend-fließenden Titelstück zu erkennen gibt. Ein durchaus ungewöhnlicher Einstieg in eine ebenso ungewöhnliche, heterogene Platte, deren Ausrichtung im Folgenden wesentlich freier in Erscheinung tritt. Hier fallen besonders das rockige, fusionlastige "Mortgage On My Soul (Wah-Wah)", sowie das sehr freie, experimentelle "Spirit" auf. Während die Band bei letzterem mit allerlei Percussioninstrumenten hörbar entrückt knapp unter der Studiodecke herumfliegt, wenn nicht -albert, präsentiert sich "Mortgage On My Soul" als dick geknüpfter Rockteppich, der leider viel Charme in sich aufsaugt und ihn partout nicht mehr freigeben will, sodass ein verzerrter Charlie Haden-Bass unwidersprochen auf ihm herumtollen und noch einen Nachschlag in Sachen "Geschmacklosigkeit" bieten kann.

Damit hätten wir den Tiefpunkt dieser Platte auch schon hinter uns gelassen; danach geht es spürbar bergauf. Vor allem der Schlusspunkt "Remorse" (Jarrett an den Steel Drums und am Banjo) zeigt in seinen elf Minuten ein beeindruckendes Wechselspiel der Musiker und birgt insbesondere in Jarretts blitzschnell an- und abschwellenden Crescendos einen feinen Ausblick auf seine Arbeiten in den kommenden Jahren.

Eine seltsame Platte, auf der weißgott nicht alles Gold ist, was glänzt, die es jedoch problemlos auf drei Prachtstücke bringt. Reicht völlig aus.

"Birth" von Keith Jarrett ist im Jahre 1971 auf Atlantic Records erschienen.

13.06.2008

Lasst Es Baumeln



Auf einmal war es da, das dritte Soloalbum des Broken Social Scene-Gitarristen Jason Collett. Keine großen Ankündigungen, kein großes Trara. Damit steht die Veröffentlichungspolitik in einer Reihe mit der Musik des Kanadiers. Wie schon auf dem fantastischen Vorgänger "Idols Of Exile" steht die ungeheure Lässigkeit der Songs im Vordergrund: eine Band, die über die kompletten 47 Minuten klingt, als läge sie kollektiv in einer übergroßen Hängematte, findet man wahrlich nicht an jeder Straßenecke. Ich weiß auch beim besten Willen nicht, wie sie das immer wieder hinbekommen, zu jedem Zeitpunkt derart laid back zu agieren.

Collett und seine Buben bieten stilistisch nichts Neues zu den beiden Vorgängern und pendeln immer noch zwischen den Beatles (deren Einfluss einen fast schon körperlich anspringt), den Stones und kanadischem Folk- und Indierock hin und her und haben immer noch eine feine Nase für echte Highlights. Auch wenn für den Moment "Idols Of Exile" noch die Nase vorn hat, sind feine, mit sicherem Händchen geklöppelte Songs wie "Out Of Time", "No Redemption Song", "Papercut Hearts", "Not Over You" oder "Charlyn, Angel Of Kensington" überragende Beispiele für das Songwritingtalent Colletts. Dass er mit der Begleitband Paso Mino Musiker gefunden hat, die seine Songs mit soviel Hingabe und Selbstverständlichkeit spielen, ist jedoch sein größter Coup. Letztendlich ist diese Qualität für mich der springende Punkt an seinen Arbeiten. Die Songs rücken in die zweite Reihe, auf die sonnenüberflutete Veranda an einem Sonntagnachmittag. Es gibt Erdbeerkuchen und Kaffee. Und Strohhüte...Strohhüte gibt es auch.

"Here's To Being Here" von Jason Collett ist im Februar 2008 auf Arts & Crafts Productions erschienen.



01.06.2008

"Bei Christiansen musst du aufpassen....die wehrt sich!"



"Ein Autor, der nur ein einziges Theaterstück geschrieben hat, das nur ein einziges Mal auf dem seiner Meinung nach besten Theater der Welt, und genauso seiner Meinung nach nur von dem besten Inszenator auf der Welt, und genauso seiner Meinung nach nur von den besten Schauspielern auf der Welt aufgeführt werden durfte, hatte sich, schon bevor der Vorhang zur Premiere aufgegangen war, auf dem dafür am besten geeigneten, aber vom Publikum überhaupt nicht einsehbaren Platz auf der Galerie postiert und sein eigens für diesen Zweck von der Schweizer Firma Vetterli konstruiertes Maschinengewehr in Anschlag gebracht, und nachdem der Vorhang aufgegangen war, immer jenem Zuschauer einen tödlichen Schuss in den Kopf gejagt, welcher seiner Meinung nach an der falschen Stelle gelacht hat. Am Ende der Vorstellung waren nur noch von ihm erschossene, und also tote Zuschauer im Theater gesessen. Die Schauspieler und der Direktor des Theaters hatten sich während der ganzen Vorstellung von dem eigenwilligen Autor und von dem von ihm verursachten Geschehen nicht einen Augenblick stören lassen."(*)


Georg Schramms Wut, seine Radikalität, sein Mut, seine Verzweiflung, seine Brillianz, seine Moral und nicht zuletzt sein Humor haben mich erst innerhalb der letzten zwei Monate erreicht und begeistert. Seither verging kaum ein Tag, ohne seine Beiträge zu politischen oder gesellschaftlichen Schweinereien gehört oder gelesen zu haben. Das ist manchmal anstrengend, aber ich weiß auch um die reinigende Wirkung seiner Worte. Und ich weiß, dass ich nicht alleine bin.

"Thomas Bernhard Hätte Geschossen" von Georg Schramm ist im Jahre 2006 erschienen.



(*): "Ein eigenwilliger Autor" aus: "Der Stimmenimitator", Thomas Bernhard, 1978


16.05.2008

Nein, Diese Marimba...!



Ich wollte schon lange ein paar Sätze über dieses Album schreiben. Das SF Jazz Collective ist nämlich über Umwege für meine nunmehr seit drei Jahren anhaltende Jazz-Leidenschaft verantwortlich, und das war ursprünglich gar nicht so gedacht. Es war mal wieder ein Blindkauf, und ich hatte im Grunde keine Ahnung, wofür ich hier Geld ausgegeben hatte. Die Scheibe stand im "Electronica"-Regal des örtlichen Blödmannladens, hatte ein buntes, psychedelisches Cover, auf dem (unter anderem) das Wort "Jazz" stand. Ich zählte eins und eins zusammen und erwartete wohl einen den offensichtlichen Gegebenheiten entsprechenden Stilmischmasch, vielleicht etwas in der Jazzanova-Liga, zumal ich wenige Tage zuvor deren "In Between" kaufte und recht angetan war.

Als Teenager schaute ich nachts, nach dem Kneipenbesuch und vor dem Tiefschlaf, gerne noch ein wenig Fernsehen und immer wenn auf 3Sat vornehmlich alte, schwarze Männer Jazz spielten, blieb ich am Ball und war umgehend wieder hellwach (und nüchtern). Ich hielt nie nach solcher Musik ernsthaft Ausschau, in erster Linie, weil ich keinen blassen Dunst hatte, wo und wie ich danach suchen sollte. Aber ich war schon damals Feuer und Flamme.

Als die CD des von Joshua Redman angeführten Kollektivs in den Player schnurrte und ich gespannt darauf wartete, was ich mir da zusammenkaufte, und die ersten Marimba-Klänge von Bobby Hutcherson erklangen, die "Lingala" einleiten, hatte ich einerseits die Platte schon nach wenigen Takten ins Herz geschlossen und andererseits endlich einen Ansatzpunkt gefunden, wie ich an solche Musik komme. Ich hatte Namen, Songtitel und erstmals einen kleinen Schimmer von dem, was es da draußen noch geben könnte. Ich kannte zu dieser Zeit noch keinen Ornette Coleman, dessen Kompositionen "Peace", "When Will The Blues Leave" und "Una Muy Bonita" auf dieser Platte interpretiert werden, ich kannte keinen Joshua Redman und seinen Vater schon gleich gar nicht und keinen Bobby Hutcherson, der mit "March Madness" vertreten ist. Dennoch: ich war so glücklich.

Von hier aus entstand eigentlich alles. Heute kenne ich Bobby Hutcherson, Dewey Redman, Ornette Coleman und viele, viele mehr. Heute ist das Entdecken von alten Jazzplatten ein großes Abenteuer, das Hören derselben manchmal ein genüssliches Abtauchen, manchmal ein irrer Ritt. Immer ist es inspirierend.

So gesehen habe ich dieser Platte einiges zu verdanken, aber auch davon abgesehen ist dieses Debut eine launige Angelegenheit. Das erwähnte "Lingala" (Miguel Zenón) ist mittlerweile sicherlich eines meiner liebsten Jazzstücke, der Beitrag von Pianistin Renee Rosnes "Of This Day's Journey" ein gefühlvolles, sich prächtig entwickelndes Stück Modern Jazz, in dem die Kanadierin sich als wieselflinke und beseelte Musikerin zeigt, während vor allem die Coleman-Interpretationen, allen voran "Peace", nahezu perfekt den spröden Charme der Kompositionen einfangen und die trotzdem mit einiger Leichtigkeit in diese, ja, man darf es ruhig aussprechen, Big Band-Formation eingefügt werden. Ich empfinde es als durchaus respekteinflößend, wenn man Coleman-Songs erkennt, ohne zuvor das Original gehört zu haben. Man weiß einfach, dass diese kauzige Art, dieses wie-auf-stelzen-laufen nur von ihm kommen kann.

So gab also das San Francisco Jazz Collective den Startschuss in meine Jazzkarriere. Noch heute kehre ich gerne an diesen "Ursprung" zurück...für mich ist es eine ganz besondere Platte.


Das Debut des SF Jazz Collective ist im Jahre 2005 auf Nonesuch erschienen.

09.05.2008

"Verzeihung, ich wollte nicht stören...?!"


Ich bin untröstlich ob meiner mehrwöchigen, virtuellen Abwesenheit (ehrlich!), , habe aber gute Neuigkeiten: der Blog lebt noch, sein Autor erstrecht und hier geht es bald weiter.

Zugeschaut und mitgebaut!

05.04.2008

Neues Aus Den Anderen Räumen

Weil es möglicherweise den ein oder anderen Leser interessiert, möchte ich auf ein neues Radioprojekt von Frank Schindelbeck, dem Motor hinter den Seiten Jazzpages und Jazzblogger, hinweisen.

Das Musikportal Laut.de bietet neuerdings die Möglichkeit an, sich eine eigene kleine Radiostation zusammen zu basteln. Frank hat daraufhin das Jazzradio installiert, und vielleicht hat der ein oder andere ja Lust, mal ein Ohr zu riskieren.

Jazzradio


Und wo wir gerade bei Entdeckungen sind: Freund Phirnis schrieb einen schönen Nachruf auf Klaus Dinger, dem am 20.März verstorbenen Gründungsmitglied von NEU! und La Düsseldorf.

Nachruf auf Klaus Dinger


Der Ethik-Schniedel

Mir fiel kürzlich wieder die Polemik "Ein Mann Wird Kälter - Wenn Schniedel auspacken: Über den Erfolgsethiker Hans-Olaf Henkel" von Titanic-Redakteur Stefan Gärtner in die Hände, und ich nehme diesen freudigen Fund zum Anlass, mein "ich-schreibe-nur-und-ausschließlich-über-musik"-Konzept mal schön über den Haufen zu werfen, jedenfalls für den heutigen Tag.

Der Text ist einer meiner liebsten Sternstunden der Titanic und immer, wenn sich die Gelegenheit bietet, lese ich ihn grundsätzlich von Anfang bis Ende durch und stehe dabei laut applaudierend auf dem Schreibtisch. Aus diesem Grund mache ich ihn an dieser Stelle für Euch verfügbar, vielleicht reicht es ja für einen amüsanten Lesespaß in den kommenden Minuten.

"Ich halte die Globalisierung neben Aufklärung und Menschenrechtserklärung für die größte Errungenschaft der Menschheitsgeschichte."




02.04.2008

Ridicule Is Nothing To Be Scared Of

Wenn es nicht so furchtbar egal wäre, dass sich die tattrigen 90er Jahre "Trip-Hop" (Musikexpress)-Rochen von Portishead "wiedervereinigt" (H.Kohl) haben, man müsste fast ein bisschen verärgert darüber sein, dass dieses "erbärmliche Gestümper" (Portishead, "Machine Gun") das Tageslicht erblickt hat. Spätestens bei der Terminator-Melodie zum Schluss hatte ich den schönsten "Lachflash" (Markus Maria Profitlich) seit dem Anblick eines Running Wild Bandfotos von 1998.

(Okay, ist gelogen. Lag schon nach 30 Sekunden unter dem Tisch.)


01.04.2008

Auf Einem Fuß



Als neulich mein Auge über den begehbaren CD-Schrank wanderte, fiel mir eine Platte auf, die ich schon seit längerem nicht mehr hörte. Das trifft sicherlich auf mehrere der dort herumstehenden Exemplare zu, und meine Ignoranz hatte auch ganz bestimmt und irgendwann mal einen Grund, aber mich ließ der Gedanke nicht mehr los: die musst du nochmal hören.

Charles Lloyd ist ein weiterer Musiker, dem ich eigentlich mehr Aufmerksamkeit schenken müsste, aber wie so oft benötigte ich einige Zeit, um mich in neuen, seltsamen Klanguniversen zurecht zu finden. Das heißt übersetzt: ich war anfangs nicht wirklich berauscht von "Sangam", übrigens Lloyds erstes Livealbum für das Münchener ECM-Label. Ich kann aus heutiger Sicht nur noch partiell nachvollziehen, was mich zu diesem Standpunkt brachte, vermute allerdings, dass ich mit den falschen Erwartungen an diese Platte herantrat, und auch das ist ja bekanntermaßen nichts Neues im Hause Florian. Aus heutiger Sicht ist vieles an "Sangam" ganz außergewöhnlich und spannend. Dazu zählt zum einen die Besetzung: Lloyd spielt mit dem zum Zeitpunkt der Aufnahme gerade mal 28-jährigen Drummer Eric Harland und dem Tablaspieler Zakir Hussain mit zwei Perkussionisten zusammen, was sich auf dem Papier möglicherweise recht spröde liest, auf Plastik jedoch mit irrsinnigen Farben, Funken und Fischbrät überzeugt. Vielleicht flattert vor allem Hussains Solospiel dem ein oder anderen zu weit in die Schnittstelle World Music (für Diskussionen über den Genrebegriff bitte die 110 wählen) hinein, die Erwähnung seines Engagements in John McLaughlins Band Shakti reicht für die Zielgruppe vermutlich aus, um wundervolle Migräneattacken begrüßen zu dürfen. Davon abgesehen möchte man ein ums andere Mal kräftig mit der Zunge schnalzen (oder wenigstens die Hose öffnen): es gibt Momente, in denen sich das Trio förmlich ins Nirwana groovt, vor allem Harland weiß ganz genau, was er hier zu leisten hat. Das Webzine All About Jazz formulierte es in einem ungewohnten Ausbruch wie folgt:"This album captures the three grooviest motherfuckers in the world." und ich möchte ihnen nur ungern widersprechen. Lloyds Spiel hat eine unglaubliche Übersicht, ist hochspirituell und immer auf dem Sprung, immer auf der Suche nach neuen Pfaden. Der 1938 geborene Saxofonist trieb sich zunächst in der Bluesszene um B.B.King herum, bevor er in den 50er Jahren mit Avantgardisten wie Eric Dolphy, Ornette Coleman oder Bobby Hutcherson zusammenarbeitete. Ähnlich wie Sonny Rollins zog sich auch Lloyd zum Teil jahrelang komplett aus der Musikszene zurück und triumphierte in der Folge mit beeindruckenden Comebacks.

"Sangam" ist meines Wissens die erste und bis heute einzige Veröffentlichung des Trios. Aufgenommen bereits im Jahre 2004, ließen die drei Musiker direkt beim ersten Gig einfach mal das Band mitlaufen. Das Ergebnis ist nicht nur bedingt durch diesen Umstand eine mystische, nebulöse Musik. Klar von einer reißenden Spontanität geprägt, aber gleichzeitig auch geerdet und wohlüberlegt. Indes teilt sie ein Schicksal mit vielen anderen "neuen" Jazzplatten: "Sangam" ist mit über 70 Minuten Spielzeit einfach viel zu lang geraten. Vielleicht der einzige Makel an einer berauschenden Platte.

"Value For Money" ist ein Irrtum!


"Sangam" von Charles Lloyd ist im April 2006 auf ECM erschienen.

27.03.2008

Mac Benedikt mampft Whopper Knut



Weißes Grundrauschen und flimmern in der Kiste. Nix passiert, aber bloß nix verpassen.

Das Berliner Trio Rechenzentrum um Marc Weiser, Christian Conrad und den Videokünstler Lillevan hat mit dieser DVD eine ganz schön harte Nuss veröffentlicht, die sich nicht damit knacken lässt, dass man sie hier und da mal durch die Lauscher kullern lässt und auf den lieben Gott wartet, der einem dann mal schön den Weg zum Licht weist. Wobei, Gott ist gar nicht so verkehrt: "Silence" ist inspiriert von den Heiligendarstellungen des russischen Ikonenmalers Andrej Rjublev und versteht sich mit Lillevans meist schwarz-weiß gehaltenen Visuals als nach innen blickendes, meditatives Energieknäuel, das sich langsam seinen Weg durch den Raum kugelt. Der Sound ist elektronisch, mal noisig-verpixelt, perkussiv-jazzig, mal reichlich, opulent und (fast ein bisschen zu sehr) füllend. Erinnerungen an Dead Can Dance werden besonders in den ersten Tracks geweckt, wenn sich die Band sehr sakral und majestätisch einen Überblick über das weite Feld verschafft. Indes, nicht immer gelingt die Fortführung der Stille. Es gibt Momente, in denen mir Rechenzentrum völlig ohne Not zu schroff werden, etwa, wenn in "Rublevs Refugium" nach eineinhalb Minuten des Schwebens plötzlich ein deplatzierter Clubbeat Konservendosen zusammennagelt.

Anfangs war ich davon überzeugt, dass die Musik untrennbar mit den Bildern verbunden ist. Zu beeindruckend war das Zusammenspiel der Klänge mit Lillevans Visionen und Strukturen, zu dicht war die Naht, die dieses ganze Projekt am Laufen zu halten schien. Mit der Zeit jedoch wich meine Fixierung auf das tête-à-tête von Bild und Klang und verschob sich tatsächlich eher in Richtung der Musik, die plötzlich auch ohne die Krücken der Visualisierung laufen konnte. Und dennoch halte ich das Gesamtkonzept für überaus lobenswert: "Silence" ist in dieser Form und mit dieser Voraussetzung ein angemessener Gegenspieler in einer kulturellen Landschaft, die den Kunst- und Künstlerbegriff am liebsten in ein vor sich hin fettendes Cheeseburger-Tütchen einwickeln würde. Alles für einen Euro, und die Tüte ist der Star. Rülpsihasi.


"Silence" ist im Oktober 2007 bei Weiser Musik erschienen.