27.08.2009

beatjazzhippie


Jackie McLean - 'Bout Soul

Es kostete mich einigen Schweiß - und ganz nebenbei auch noch ein paar Euros: Jackie McLeans "'Bout Soul"-Album wurde bisher noch nicht im Rahmen der Rudy van Gelder-Re-Issue-Serie wiederveröffentlicht, sodass ich auf einen LP-Import aus den USA angewiesen war. Und wo ich schonmal die amerikanische Wirtschaft ankurbeln sollte - der Dow Jones stieg tatsächlich am Tag meiner Überweisung um exakte 3,2% - dachte sich der Weltgeist: dann soll auch der deutsche Zoll noch sein Glück auf dem Rücken meines Kontos finden. Und zack, nochmals herzlichen Dank dafür. Ich nehme übrigens ab sofort Wetten hinsichtlich des Release-Datums der dann für 8,99 € feilgebotenen CD-Wiederveröffentlichung entgegen, es kann sich jetzt wirklich nur noch um Tage handeln.

Genug genörgelt. "'Bout Soul", aufgenommen in den den van Gelder-Studios am 8.September 1967, ist die vorletzte Session McLeans für das Blue Note Label, bevor er die Company nach der fantastischen "Demon's Dance" vom 22.Dezember desselben Jahres verließ. 

McLean begann schon in den frühen sechziger Jahren damit, sich in freien Gefilden um zuschauen, wohl unter dem Einfluss von Coleman einerseits (mit dem er auch später noch die "New And Old Gospel"-Session spielen sollte) und seiner damaligen Line-Ups andererseits. Besonders seine Arbeiten mit dem auf diesem Blog schon mehrfach erwähnten Posaunisten Grachan Moncur III - und hier vor allem in Kombination mit Bobby Hutcherson und Tony Williams - hatten in erster Linie hinsichtlich der Strukturen und Stimmungen die Nase in vielfacher Weise vorne, beziehungsweise oben. In diesem Zusammenhang sei auch auf die vor kurzem wiederveröffentlichte Aufnahme "One Step Beyond" aus dem Jahr 1963 hingewiesen, auf der McLean mit ebenjener Besetzung (am Bass spielt Eddie Khan) der Zeit schon meilenweit vorausgeeilt erscheint. Eine zähe, in manchen Passagen förmlich auseinanderfallende Platte, die mindestens so rätselhaft flackert wie "'Bout Soul". Auch hier findet man alte Bekannte: Moncur ist dabei, dazu gibt es den großartigen Woody Shaw an der Trompete, Lamont Johnson am Piano, Scott Holt am Bass und den unvergleichlichen Rashied Ali an den Drums. Es wäre sicher spannend zu erfahren, ob McLean besonders durch Alis Arbeiten mit Coltrane auf dessen späteren Alben auf den Drummer aufmerksam wurde. In den Linernotes lässt sich Jackie lediglich zu einem "[Ali is] especially interested in immediate improvisation and that's why he was perfect for that date. He can let himself go and can be continually inventive." hinreißen. 

Das Album hat auf mich eine mystische, kaum greifbare Faszination. Dabei ist "kaum greifbar" durchaus wörtlich zu nehmen: das Sextett ist irrsinnig schnell, nicht nur in seinen Sprüngen und Brüchen, sondern auch in den wendigen Themen, in seinen Andeutungen und Umrissen. So schnell, dass die Stücke wie vom Teufel getrieben an mir vorbei flitzen. Eine zerfledderte Grachan Moncur-Komposition eröffnet den Reigen, und "Soul" ist ein immer wieder von Barbara Simmons Gedichtrezitation diagonal durchkreuztes Stück Soul-Free-Jazz. Im Thema und im Klang durchaus Moncur-typisch in der Tradition verwurzelt, geht es aber hinsichtlich der Struktur und des gesamten Arrangements sogar weit über das hinaus, was ich "frei" nennen würde. Das Stück macht mich an schwachen Tagen fast wahnsinnig: es swingt an den unmöglichsten Stellen, es bricht abrupt ab, meist just in den Momenten, in denen man der Illusion erlegen ist, einen kleinen Strohhalm ergattert zu haben. Dazwischen jauchzt Simmons ihr eigens für Jackie McLean geschriebenes Gedicht und geht dabei immer wieder schöne Verbindungen und Ausbrüche mit der Musik ein. 

Die beiden folgenden Tunes "Conversion Point" (von McLean) und "Big Ben's Voice" (von Lament Johnson) haben sich über die letzten Monate zu meinen Favoriten entwickelt. Vor allem erstgenanntes, laut Jackie der Ursprung für ihre hier praktizierte Art der Improvisation, ist für mich tatsächlich eine Art Blaupause für seine Musik in den Sechzigern: frei und wild, immer auf der Suche, niemals stillstehend, immer weiter dei energetischen und tonalen Grenzen auslotend, verflixt schnell und sehr einig: wie ein Zirkel, der alle Musiker umschließt, der ihnen Sicherheit und Freude schenkt. Aber auch die Lament Johnson-Kompositionen (es folgt später noch sein "Erdu") und Scotty Hills Tribut an Nicky Hill, einen Saxofonisten aus Chicago, und John Coltrane, der nur gut sechs Wochen vor den Aufnahmen verstarb, das balladeske "Dear Nick, Dear John", fügen sich nahtlos in die gebündelte Aura dieses Albums ein. Und ich muss an dieser Stelle unbedingt nochmal Rashied Ali erwähnen: was macht der Mann da eigentlich mit seiner Bassdrum? Die Fußmaschine muss nach den Aufnahmen geglüht haben...

Es ist oft die Rede davon, dass man sich der Musik auf "'Bout Soul" öffnen müsse, um sie an sich heran zu lassen. Ich glaube, ich kann das bestätigen. Es fällt nicht unbedingt leicht, eine Verbindung zu ihren Songs und ihrem Ansatz zu finden, dafür sind beide Elemente schlicht zu vielschichtig, zu unkonventionell. Ich kam dahinter, als ich versuchte, hinter die Musik zu blicken, die Vision zu sehen, die Verbundenheit der Musiker zu spüren und zuletzt als ich mich ihnen einfach ergab: ich will das jetzt nicht mehr ausdiskutieren...trampelt bitte einfach nur über mich drüber, 's tritt sich schon fest. 

"'Bout Soul" von Jackie McLean ist 1967 auf Blue Note Records erschienen.

21.08.2009

Niemandsland


Mr.Cooper - What Else There Is

Im Grunde ist das eine sympatische Platte: ein schickes, der Musik angemessenes, wenn auch nicht ungeheuer originelles Artwork mit nächtlichen Großstadtbildern, keine Songtitel, kein unnötiger Schnickschnack hinsichtlich Linernotes oder affiger Dankeslisten. Die Ausgangslage ist also so schlecht nicht, dennoch liegt mir "What Else There Is" etwas schwer im Magen.

Dabei ist es gar nicht so einfach, an die Ursache heran zu kommen. Die Scheibe kann durchaus Spaß machen, dieser Hybrid aus Ambient, Dubstep, Electronica und Hip Hop. In den besten Momenten ist Mr.Coopers Sound an die vielleicht nicht ganz so besten Momente von Boards Of Canada angelehnt, dabei aber präsenter (positiv) oder aufdringlicher (negativ). Was für meinen Geschmack in erster Linie an den Beats und den Sounds ebenjener liegt. Die futuristische, dunkel-schleichende, mystische Ausrichtung des Albums (angeblich war der Film "Bladerunner" der Ideengeber dafür - was jetzt auch nicht unbedingt die sensationellste Idee des Jahrtausends ist), wirkt durch die betont straight gehaltenen Beats etwas anachronistisch, was durch die gar nicht üblen Soundscapes nicht mehr aufgefangen werden kann. Dafür steht der Rhythmus ein ums andere Mal zu sehr im Vordergrund und wurde dazu noch in einen Klang gepackt, der mich - ich kann mir nicht helfen - immer daran denken lässt, das sei alles ein gut gemeinter Chillout-Quatsch für Großdisco-Jüngelchen. Also genau das richtige für mich...

Aber immer langsam: das liest sich jetzt furchtbarer, als es tatsächlich klingt, und ich tue dem Engländer auch sicherlich über Gebühr Unrecht, wenn ich für sein zweites Album die Blutgrätsche auspacke. Die Platte kann bei mir besonders zur Nacht gerne auch zweimal zur Berieselung durchlaufen, für mehr klingt mir "What Else There Is" letzten Endes etwas zu angestaubt und zu trivial. 

"What Else There Is" ist 2008 auf Project Mooncircle erschienen.

14.08.2009

Rashied Ali >> 1935 - 2009

Der weltbekannte (Free)Jazz-Schlagzeuger Rashied Ali ist gestern im Alter von 74 Jahren in New York an einer Lungenblutung gestorben. 

Auf Frank Schindelbecks Jazz-Blog sind ein paar sehr sehenswerte Fotogalerien in einen Nachruf eingebettet:

KLICK

Now Playing: John Coltrane - Meditations :(

12.08.2009

Sagt, wo sind die Heizdecken hin...?


Various Artists - Crunchouse

Ich gehöre für gewöhnlich nicht zu den Menschen, die kulturell vergangenen Tagen hinterhertrauern, auch wenn ich nicht bestreiten kann, zu einigen musikalischen Terrains meiner persönlichen Vergangenheit ein mehr als nur inniges Verhältnis zu pflegen, und sei es auch nur phasenweise. Wenn es mal soweit ist, kommt mir nur selten etwas anderes auf den Plattenteller als zwanzig Jahre alte Scheiben und in schwachen Momenten bricht auch mal ein "So geil war's nie wieder!" aus mir heraus. Solche Erlebnisse hindern mich gottseidank (noch) nicht daran, auch kneedeep in aktueller Musik herum zu stapfen und in starken Momenten "So geil war's noch nie!" heraus zu trompeten. Ich denke also, es hält sich letztlich die Waage. Auch wenn mich zugegebenermaßen das Phänomen, in schöner Regelmäßigkeit in verklärte Romantik zu verfallen, mehr fasziniert als ich es an dieser Stelle zugeben mag. Zumal wir dann auch nochmal darüber sprechen könnten, ob es sich wirklich um "verklärte Romantik" handelt, oder um ein stabiles Fundament, das auf immer die wertende Ausgangsgrundlage für jede neue Musik darstellen wird und zu dem man eben immer wieder wie ein Jojo zurückflitscht. Was gar nicht so ungruselig wäre. 

Vermutlich muss man das im Einzelfall differenziert betrachten (sollte ich diese Formulierung nochmal benutzen, bitte eine formschöne Eisenstange an meinen Schienbeinen entlangschubbern; Firma dankt), aber dann sind's ja wieder Einzelfälle und was interessieren mich Einzelfälle? Im Grunde bin ich an stets gültigen Grundsätzen interessiert, "Ich will vollständige Tiere" (Jake Blues), oder wenigstens einen Cuba Libre, 'zefix!

"Crunchouse" ist eine Compilation des in Nordrhein-Westfalen beheimateten Glitterhouse Labels aus dem Jahr 1989. Glitterhouse lizensierten zur damaligen Zeit Bands von Labels wie SubPop, Amphetamine Reptile oder Treehouse für Europa und konnten dementsprechend für diese Zusammenstellung auf einen qualitativ formidablen Bandpool zurückgreifen. Neben mitunter bekannteren Kapellen wie den mächtigen Tad, Boss Hog, Mudhoney und Unsane gibt's hier auch Stoff für den fortgeschrittenen Undergroundler: Halo Of Flies, God Bullies, Surgery, Cows, Bastards, Helios Creed, First Things First und The Thrown Ups sind mit jeweils einem Song ihrer damals aktuellen Scheiben vertreten und können Romantikern schon das ein oder andere Tränchen in die Augen treiben. Hier schließt sich auch der Kreis zum oben kurz angerissenen Komplex: ich bin unzweifelhaft ein Kind des Grunge und mit Hilfe von "Crunchouse" nochmal an einen Zeitpunkt um 1989/90 zurück zu kehren, macht mich ehrlich gesagt gerade ziemlich wuschig. 

Ein dröhnender, mumpfiger, tonnenschwerer Sound, dreckig, und stinkend, abgefahren und trippig. Es feedbackt, es wah-waht, es phased, es blubbert und zischt. Irgendwo zwischen Hardcore und versifftem Garagenrock, zwischen Psychedelica und Black Sabbath hatten es sich monoton vor sich hinschlürfende Krachcombos in schimmligen und feuchten Proberäumen bequem gemacht und schon lange vor "Nevermind" versucht, alles um zu krempeln. Die ganze Tragödie, dass die Musik und Aussage, ja ein ganzes Gefühl einer ganzen Generation schon ein paar Jahre später von einer alles korrumpierenden Business-Welle aus rücksichtlosen Geschäftemachern, talentfreien Stümpern und einer außer Kontrolle geratenen Medienlandschaft ausgelöscht wurde und damit ins schon nicht mehr ganz so grüne Gras beißen musste, wurde mir erst sehr viel später bewusst: als ich diesen Sound Jahre später wieder hören und wieder entdecken wollte und er einfach nicht mehr existierte. 

Das mag auf den ersten Blick sehr wohl nach wehleidigem "Früher war alles besser!"-Gewimmer klingen, auch wenn ich es weiter oben eigentlich abgestritten habe. Aber ich lerne langsam aber sicher: ich will nicht die Zeit zurückhaben. Ich will noch nicht mal die Bands und Musiker zurückhaben. Ich will auch nicht mein Lebensgefühl von 1990 zurückhaben. Und schon gar nicht will ich mein altes Kinderzimmer bei Mama und Papa zurückhaben. 

Es ist die Musik! Ich will die Musik wieder zurückhaben...Hände hoch!!! Rückt sie raus!!

"Crunchouse" ist 1989 auf Glitterhouse Records erschienen.

07.08.2009

Ursache & Wirkung

Anthony Braxton, William Parker, Milford Graves - Beyond Quantum

Nur für den Fall, dass sie es nicht wussten: der Autor dieses Blogs besitzt innerhalb seiner 3,40qm einen CD-Player, der Platz für insgesamt 25 dieser überteuerten kleinen Scheißerle bietet. Das ist zunächst mal nicht so tierisch spannend, sieht man mal davon ab, dass er so groß ist, dass nur noch 1,20qm Sitz- und Gammelfläche für mich überbleiben (Übertreibung!). Aber es ist auch für mich immer interessant zu beobachten, wie sich die Bestückung dieses Kastens zusammensetzt, sich ändert...oder eben nicht ändert. Und jene Überleitung aus der großen "Sammlung der Überleitungen" (1995, Seite 127 ff.) führt uns zum eigentlich Thema: Anthony Braxtons letztjähriges Gipfeltreffen mit dem Bassisten William Parker und dem Schlagzeuger Milford Graves konnte sich seit Dezember 2008 einen Stammplatz in der Abspielvorrichtung ergattern. Und fast immer, wenn ich große Lust auf Freejazz habe, dann kommt "Beyond Quantum" zum Einsatz. 

"Beyond Quantum" ist im Grunde abstrakter, improvisierter Noise. Die drei Musiker spielen völlig frei und ohne jede kompositorische Einengung über fünf "Meetings" einen ungeheuer dichten Sound, der trotz Braxtons logischerweise oftmals im Vordergrund stehenden Spiels dem Hörer immer die Option lässt, sich auch andersweitig völlig losgelöst zu orientieren. Für mich liegt genau darin die Faszination: Braxton soliert fraglos furios, aber selbst in seinen lautesten und wildesten Passagen steht es mir immer frei zu switchen. Vielleicht zu Milford Graves, der einen manchmal architektonisch klaren Rhythmusteppich knüpft, manchmal aber auch (und hier besonders in Verbindung mit Parkers Bass) zu einem avantagrdistischen Brodelgewirr umkippt, das kaum zu durchdringen ist. Oder eben alleine zu William Parker, aus dessen Basssolo beispielsweise eine der interessantesten Teile dieses Albums entsteht: wenn in "Third Meeting" bei 7:08 Minuten Graves wieder einsteigt und kurz darauf auch Braxton den Startschuss gehört hat und beginnt, über Minuten hinweg zu schnattern und zu quaken, während Graves und Parker sich in schwirrenden Becken und Unterwasser-Toms mal vereinen, um gleich darauf wieder los zu lassen, wenn Parker um die Bassdrum herum massive Seifenblasen formt und sie scheinbar chaotisch herumblubbern lässt, wenn Graves hitzig vorwegstürmt, und Parker einem schleichenden Panther ähnelt. 

Braxton folgt all dem nicht nur, er gibt auch mehr als nur einmal die Richtung vor. Er schnaubt und trotzt, ist ungestüm, aggressiv und kämpferisch, aber findet trotzdem immer wieder Wege, meditativ zusammen zu fallen und das Beatgeblubber seiner Mistreiter mit süßen Tönen zu umschmeicheln, es zu unterfüttern. Und genau hier setzt ein interessanter Punkt an: trotz der losgelösten Impulse dieser Musik wirkt es, als laufe das Trio stur auf Schienen. Eine Kontrolle im Chaos, eine Struktur, die weder die einzelnen Musiker, noch ihre Instrumente oder gar die gesamte Improvisation tangiert, sondern sämtliche Komponenten des Werks umschließt. Eine Struktur, die aus dem Ganzen geboren wurde, die keine Unterschiede macht, die Ausreißer zwar duldet, aber sie keineswegs Konsequenzen ziehen lässt. Mancher mag im Detail die fehlende Dynamik bemängeln, und daraus resultierend auch besonders Braxtons Spiel als nicht immer inspiriert werten, was ich durchaus als legitim bezeichnen würde. Andererseits fasziniert die Ausstrahlung dieser großen Käseglocke, die durchzogen ist von kursiven Linien, von sprudelnder Farbe, von einem autonomen, weitläufigen Wesen, das sie zwar kontrolliert aber dennoch kraftvoll und leidenschaftlich atmen lässt. 

"Beyond Quantum" von Anthony Braxton, William Parker und Milford Graves ist 2008 auf Tzadik erschienen.

03.08.2009

Revolution & A Riot


Thievery Corporation - Radio Retaliation

"Any American who is prepared to run for president should automatically, by definition be disqualified from ever doing so."
Gore Vidal

"I believe that banking institutions are more dangerous to our liberties than standing armies. If the american people ever allow private banks to control the issue of their currency, first by inflation, then by deflation, the banks and corporations that will grow up around [the banks] will deprive the people of all property until their children wake up homeless on the continent their fathers conquered. The issueing power should be taken from the banks and restored to the people, to whom it properly belongs."
Thomas Jefferson

"Let fury have the power, anger can be power, d'you know that you can use it?"
Joe Strummer

"If our torment is to end, if liberty is to be restored, we must grasp the nettle even tho it makes hands bleed."
The Prisoner

"A modern revolutionary group heads for the television station."
Abbie Hoffmann

"You're only as young as the last time you changed your mind."
Timothy Leary

"The propagandist's purpose is to make one set of people forget that certain other sets of people are human."
Aldous Huxley

"This land is no one's land"
John Lee Hooker

"The conscious and intelligent manipulation of the organized habits and opinions of the masses is an important element in democratic society. Those who manipulate this unseen mechanism of society constitute an invisible government which is the true ruling power of our country."
Edward Bernays

"Those who make non-violent revolution impossible only make violent revolution inevitable"
Dr.Martin Luther King Jr.

"Anyone who has the power to make you believe absurdities has the power to make you commit injustices."
Voltaire

"Music is the weapon."
Fela Kuti



"Radio Retaliation" von Thievery Corporation ist 2008 auf ESL Music erschienen.

Die hier aufgeführten Zitate wurde dem Booklet von "Radio Retaliation" entnommen.

30.07.2009

Zwischenruf (1)


GODSPEED YOU! BLACK EMPEROR

Wer heute, sieben Jahre nach dem letzten Studioalbum "Yanqui U.X.O." und gut vier Jahre nach dem offiziell eingelegten Dämmerschlaf der einzig wahren Postrock Band Godspeed You! Black Emperor deren frühe Platten hört, dem wird einerseits auffallen, wie leicht und lässig es sich auf die Knie sinken lässt, wie lässig und leicht sich die funkelndsten Freudentränen ihren Weg in die Außenwelt bahnen können und wie leidenschaftlich und kraftvoll instrumentale Musik sein kann. Dem wird andererseits aber leider auch klar werden, wie unfassbar uninspiriert, leidenschaftlos, plump, platt, banal, oberflächlich, stillos, orientierungslos und schlicht sacköde all die Legionen an gesichtlosen Nachahmern sind, die Jahre später und bis zum heutigen Tag all das so furchtbar frech wiederkäuen, was diese kanadische Ausnahmeband vor langer Zeit an das Klangfirmament pinselte. 

Und weil das alles so schön ist gibt es als Geschenk des Tages von mir für Euch unter folgendem Link einen Radiomitschnitt des Godspeed You! Black Emperor Gigs des 18.April 2002 im Paradiso zu Amsterdam, freundlich bereitgestellt durch den Mixing Desk-Blog

GYBE Live In Amsterdam

Viel Spaß!

28.07.2009

Die Ruhe Vor Dem Sturm


Bobby McFerrin - The Voice

Den meisten Menschen ist Bobby McFerrin sicherlich durch seinen 1988er Welthit "Don't Worry Be Happy" bekannt und nicht zuletzt dank dieses Songs befindet er sich bei wiederum den meisten Menschen eher in der "Humor"-Schublade abgelegt. Was zunächst nicht grundsätzlich verkehrt ist; nur die abgefeimtesten Lachknochen kommen angesichts McFerrins halsbrecherischer Stimmartistik nicht wenigstens von Zeit zu Zeit ins Schmunzeln. Fatal wäre es dennoch, würde man den Musiker auf das "Ein bisschen Spaß muss sein, beste Grüße ihr Roberto Blanco"-Klischee des immerfrohen Negers (Anfeindungen und Belehrungen bitte an zivilisiertewelt@silvioberlusconi.it schicken) reduzieren. 

In den Liner-Notes zu diesem auf McFerrins erster Solotournee durch Deutschland aufgenommenen Livealbum berichtet der 1950 geborene Sänger, dass er erst im Alter von 27 Jahren auf die Idee kam, allein mit seiner Stimme eine Bühne zu betreten:"I heard a voice inside my head telling me to be singer." McFerrin stammt aus einer sehr musikalischen Familie: sein Vater war der erste afro-amerikanische Opernsänger in der Metropolitan Opera in New York, und der Sprössling richtete in jungen Jahren seinen Lieblingsplatz unter des Vaters Piano ein, wenn jener Gesangsunterricht gab. Mit sechs Jahren erhielt Bobby Klavierunterricht, außerdem lernte er Flöte und Klarinette. Mit verschiedenen Gruppen tingelte er in den siebziger Jahren als Pianist jahrelang durch die Bay Area von San Francisco. Nach dem Wechsel zum Gesang konnte er sich im Rahmen seiner Combo Astral Projections künstlerisch nicht weiterentwickeln, woraufhin er sich zum kompletten Bruch entschied und alle Instrumente aus seiner musikalischen Vision entfernte.

"The Voice" ist ein beeindruckendes Zeugnis seiner stimmlichen und gedanklichen Virtuosität. Mithilfe von Schlägen auf seine Brust und seinen Kehlkopf baute McFerrin ein rhytmisches Gerüst, auf dem er mit schier wahnwitzigen Sprüngen zwischen Bass- und Sopranpartien herumtollte. Hinzu kamen Geräusche wie das hörbare ein- und ausatmen, Schnalzen, Rascheln und Zischeln, die sich in die Stimmcollagen nicht nur eingliederten, sondern zu einem fundamentalen, klangfärbenden Bestandteil seiner Musik wurden. Ralf Dombrowski stellte in seiner Rezension zu "The Voice" noch einen weiteren Faktor in den Fokus: McFerrins umfassende musikalische Bildung. "Sie erlaubte es ihm, an der Personalstilistiken anderer Musiker an zu knüpfen, sie zu imitieren, (...), zu integrieren und zu kommentieren." So konnte er beispielsweise "Blackbird" der Beatles "arpeggiohaft auseinander" nehmen, in "I Feel Good" die typischen Schreie von James Brown persiflieren, frühe HipHop-Elemete in "I'm My Own Walkman" anreißen, und im Bebop-Medley (unter anderem mit "Donna Lee" von Charles Parker) die Charakteristik des Saxofonspiels nachahmen.

Dass McFerrin seinen Vortrag immer wieder mit wirklich lustigen Elementen würzte, was das Publikum zu spontanen Lachanfällen mit Szenenapplaus verführte, ist nur ein weiteres dickes Plus einer Platte, die ein sympatisches, positives und musikverrücktes Flair versprüht.

"The Voice" von Bobby McFerrin ist 1984 auf Elektra erschienen.

25.07.2009

Die Welle

 

Exile - Stay Tuned EP

Mein Schnupperkurs in Sachen Exile. Diese Single stammt aus dem im Frühjahr 2009 erschienenen Album "Radio" und war mein Guiding Light, das nach mehrfacher Rotation mittlerweile ein sattes grasgrün anzeigt. 

Radioland re-visited. Aleksander Manfredi hat für seine Musik Stimmen und Sounds aus dem Radio gesammelt und sie in Verbindung mit Flying Lotus'scher Beatästhetik zusammengeführt. Es macht durchaus Sinn, die eigene Erwartungshaltung dieser Musik an zu passen, zumal hier nicht nach einem Durchgang alles gesagt ist. Exiles Musik hat Tiefe und Kompexität, vor allem in der unergründlichen, mystischen Klangbasis, als auch - und das ist viel interessanter - in der Wirkung. Ich wusste anfangs nie, in welchen Teil des mit Ether getränkten Wattebauschs Exile mich gerade hinführt, und ich konnte folgerichtig nie die verschiedenen Optionen erkennen, die Manfredi für mich bereithält. Und Hölle: es gibt viele Optionen in diesem Sound: Türen, die anfangs fest verschlossen waren, stehen wenige Momente später sperrangelweit offen, Gesichter, die eben noch hinter Masken schliefen, schweben plötzlich hellwach in den Wolken. 

"Stay Tuned", nebst den beiden ebenfalls auf dem Album vertretenen Songs "It's Coming Down" und "Were All In Power", ist wie eine große, wirre Betäubung. Nebulöse und verschwommene Collagen aus Jazz-, Soul- und Funktunes münden in das große Becken der versammelten Hip Hop-Durchgeknallten wie Prefuse 73, Madlib oder eben Flying Lotus und fassen sich unsittlich an. 
In diesem Zusammenhang: Marvin Gaye war ja pornosüchtig. 

Die "Stay Tuned EP" und das Album "Radio" von Exile ist 2009 auf Plug Research erschienen.




21.07.2009

Neunziger (3)


Nudeswirl - Nudeswirl

Erneut eine Platte, die in dieser Form nur in den neunziger Jahren erscheinen konnte. Auch wenn sich das Quartett aus New Jersey schon 1988 zusammenschloss und ein Jahr später mit einem Indie-Release debütierte, ist dieses 1993 veröffentlichte offizielle Debut der Kapelle ganz klar ein Kind der Alternative- und Grunge-Welle. Und ein verdammt Hübsches noch dazu. Der Geburtshelfer hieß übrigen Johnny Zazula, der die Burschen zum Megaforce-Label lotste.

"Nudeswirl" gilt unter Eingeweihten durchaus als Großtat einer Bewegung, die schon ein Jahr später mit Soundgardens "Superunknown" einen angemessenen Grabstein erhalten sollte. Die Band hatte einen unerhörten Drive und mischte zusammen, was zu jener Zeit auf den musikalischen Gassen zu finden war. Wolfgang Schäfer aus dem Rock Hard fasste es in seiner 9,5 Punkte-Review überraschend gut zusammen:"(...) vereinen NUDESWIRL die Gitarrenpower von Sonic Youth ('Three', 'Ringworm'), den Groove von Mindfunk ('Gordon's Corner', 'F Sharp'), das Feeling von Pearl Jam ('Disappear') sowie die punkige Attitüde von Nirvana ('Dogfood') mit Refrains der Güteklasse Warrior Soul und Saigon Kick ('Sooner Or Later')." Das darf ich trotz der grundsätzlich wenig pfiffigen Aufzählung so stehen lassen. 

Also alles nur geklaut? Au contraire, Chérie! Es ist unbestritten, dass Nudeswirl auf den damaligen Szenesound bezogen keinen goldenen Originalitätspreis einheimsen konnten, dennoch waren sie alles andere als plumpe Copycats. Das leicht nasale Timbre von Sänger Shane M. Green, die psychedelische Grundausstattung ihrer Songs mit freien, teils gar noisigen Elementen, Feedback und verwehtem Wah-Wah-Gewaber in Kombination mit erfrischenden, gar nicht düsteren oder gar depressiven Melodien und einem federnden Groove ließen das Album unüberhörbar mit eigener Stimme sprechen. 

Nudeswirl lösten sich 1995 auf. Seit einiger Zeit kursieren unglücklicherweise Gerüchte über eine angebliche Reunion....ich möchte davon ja nichts hören.


"Nudeswirl" von Nudeswirl ist 1993 auf Megaforce Entertainment erschienen.

17.07.2009

"Ich Bin Kein Tag Für Eine Nacht...

...Ein Abend In Holz"

So lautet der Titel des aktuellen Kabarettprogramms von Jochen Malmsheimer. Der Hausmeister aus Urban Priols und Georg Schramms ZDF-Sendung "Neues Aus Der Anstalt" betrat am 28.5.2009 die Bühne des Neuen Theaters in Frankfurt-Höchst. 

Der Kulturkanal des Hessischen Rundfunks strahlt am kommenden

Sonntag, 19.7.2009 ab 17:05 Uhr 

eine Aufzeichnung dieses Abends aus. Zu empfangen über den Livestream des HR2. 

Hier ist die Ankündigung des Senders, in der rechten Spalte ist auch der Link zum Webstream zu finden:

HR2 Jochen Malmsheimer

14.07.2009

My Pills...Quick


Thought Industry - Eine Werkschau

Flower don't cry tonight. Raspberries kissed your 
melting face. Flower please hold me tight. Caress my 
skin, blended as one. All wrong. My lover's gone. All 
wrong. I’ve lost her in the cornerstone of time. Tart meat 
cuts emerald lips. Parts and slits. Flower is sky. 
Raspberry feels cannot heal. Bleeds his soul. Kicks in her 
teeth. All wrong. My lover's gone. All wrong. I've lost her 
in the cornerstone of time. Love? All wrong. My lover's 
gone. All wrong. I've lost her in the cornerstone of time. 
All wrong. My mind is gone. All wrong. I've splattered it 
to the stars to the grave. All wrong.

(Thought Industry, "Cornerstone", 1992)


Thought Industry sind für mich eine der obskursten und interessantesten Bands der letzten 20 Jahre. Die Truppe aus dem Städtchen Kalamazoo im US-Bundesstaat Michigan debütierte nach ihrem selbstbetitelten Demo von 1990 zwei Jahre später mit ihrem ersten vollständigen Longplayer, dem wahnsinnigen Techno-Speed-Gewitter "Songs For Insects". Stilistisch mit Bands wie Watchtower oder den begnadeten Realm vergleichbar, bot das Quintett höllisch abgedrehten, vertrackten und breaklastigen Speed/Thrash Metal. Die originelle Stimme von Brent Oberlin, der sowohl die höheren Tonlagen meisterte, als auch von Zeit zu Zeit in einen wirren Sprechgesang abdriftete, in Verbindung mit poetischen und abstrakten "stream of consciousness"-Texten verlieh der Band ein akademisches, intellektuelles Gesicht. Dazu gab es mit den zehnminütigen "The Chalice Vermillion" oder dem Titeltrack variantenreiche Kompositionen mit Überlänge, die für einen ordentlichen Information-Overload im Oberstübchen sorgten. Ich glaube mitnichten, dass ich dieses Album bis heute auch nur im Ansatz verstanden habe, aber es macht - zumindest für eine Weile - immer noch einen tierischen Spaß, sich derart den Kopf verdrehen zu lassen. 

Das Konzept wurde auf dem 1993er Nachfolger "Mods Carve The Pig: Assassins, Toads, And God's Flesh" weitgehend beibehalten, bevor das 1995 erschienene "Outer Space Is Just A Martini Away" einen ersten Bruch im Klangbild darstellte. Die Band öffnete ihren Sound für Hardcore, Noise, Punk, Indie und Alternative-Einflüsse, was auf den ersten Blick für die damalige Zeit nicht unbedingt etwas ungewöhnliches war. Das interessante daran: Thought Industry schafften es, mit dieser Neuausrichtung nicht etwa ihren eigenen Sound zu verwässern oder ihn in einer weichgespülten, gefälligen Soße zu ertränken, sondern ihnen gelang es tatsächlich, ihr gesamtes Auftreten weiter zu entwickeln. Die wesentlichen, abstrakten Elemente, sowohl musikalisch als auch textlich, waren immer noch eindeutig zu identifizieren, nur mit dem Metal hatten sie nun nicht mehr all zu viel am Hut, eher erinnerten sie besonders auf dieser Platte in einigen Momenten an eine unpeinliche Faith No More-Version. Dabei ist "Outer Space Is Just A Martini Away" wie seine Vorgänger alles andere als leichtverdaulich, im Gegenteil: es ist anstrengend wie Sau, sich durch dieses Monstrum zu kämpfen. Vor allem im hinteren Drittel wimmelt es nur vor undurchsichtigen Strukturen, von Krach und von völligem Wahnwitz. Dem gegenüber stehen die wohl bekanntesten, weil im Ansatz eingängigsten Songs dieser Band:"The Squid", "Jack Frost Junior" oder "Love Is America Spelled Backwards". 

Me be itsy silly fluffy boy. Golly folly. Skippy
Trippie pixie slippy toy. Lolly polly. Shoot me.

(Thought Industry, "Boil", 1993)

Danach vollzogen Thought Industry eine weitere Richtungserweiterung mit dem melancholischen "Black Umbrella"-Werk, das seinen Schwerpunkt eindeutig auf Indie- und Alternative-Sounds setzte und in Grundzügen gar mit einer Band wie Pavement vergleichbar war. Heftige Eruptionen gehörten hier bis auf eine Handvoll Ausnahmen in der zweiten Albumhälfte der Vergangenheit an. Aber auch für "Black Umbrella" gilt: no one said it was easy! Was alle Thought Industry-Platten zumindest in meiner Wahrnehmung gemein haben: sie fordern dem Hörer vieles, wenn nicht alles ab. So kann ich sie - bei aller hier auch zur Schau gestellten Liebe - unter fast keinen Umständen am Stück und komplett durchhören. Ich mag diese Songs, ich mag diese Platten, ich mag diese Band. Aber ich bin nach einer gewissen Zeit schlicht mit ihrem Wahnsinn überfordert.

Mit dem nachfolgenden, opulenten Schwanengesang "Short Wave on a Cold Day", der nur in Amerika erschien und vor dessen Entstehung sich weite Teile des Line-Ups aus dem Staub machten und nur noch Oberlin seine Vision nun mit Vollgas verwirklichen konnte, änderte sich die Kapitulation nicht, obgleich es sich dabei möglicherweise um die versöhnlichtste Aufnahme der Band handelt. Waren die zwei Vorgänger vor allem durch Bitterkeit und Zynismus geprägt, erschien der Abschluss eine Spur freundlicher. Hinsichtlich der Qualität könnte man durchaus der Meinung sein, es handele sich um das beste Album der Band. Oberlin holt hier alles aus sich heraus und bündelt seine Stärken auf einem mit knapp 72 Minuten erneut viel zu langen Album: kompakte Songs mit großartigen Melodien, stringentes und klares Songwriting, dabei immer auf der Grenze zum Noise- und Schrammelrock balancierend und niemals kitschig oder sinnlos aufgepompt. Dafür mit wirklichen Songperlen wie dem 80er Jahre angehauchten "A Week And Seven Days", dem melancholischen "Lovers In Flames" oder dem poppigen Quasi-Radiofutter "Kiss Judy Fly". Die Dichte an fantastischen Songs ist wahrlich beeindruckend, was mir sogar etwas dabei hilft, die überlange Spielzeit etwas zu kompensieren. Mit "Short Wave On A Cold Day" entzogen sich Thought Industry darüber hinaus endgültig jeden Kategorisierungsversuchen, ihr Sound wurde nochmals einzigartiger. Der Kohleklumpen war nun definitiv ein echter, funkelnder Diamant. Und es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Oberlin ausgerechnet nach diesem Meisterwerk das Licht ausknipste. 

"Man, he's so punk. Writes his own 'zine. Does basement 
shows. Plays in three bands; and he still finds time to 
love his Mom's wallet." - Coffee House Leech

(Thought Industry, "Pinto Award In Literature", 1995)


Interessant über die eigentliche Musik hinaus finde ich außerdem folgende Punkte:

Erstens blieb die Band über all die Jahre mit all den Neuerfindungen immer beim selben Label, nämlich bei Metal Blade. Spätestens ab "Black Umbrella" werwundert es schon, dass dieses eigentlich reine Metal-Label der Band noch die Stange hielt, trotz der vermutlich durchaus überschaubaren Albumverkäufe einerseits und einer Abkehr von typischen Metalsounds andererseits. 

Zweitens sind Thought Industry zwar seit einigen Jahren in den ewigen Jagdgründen, aber dennoch präsenter als zu ihren aktiven Zeiten, zumindest was die Verfügbarkeit ihrer Alben betrifft. Sowohl bei Ebay, als auch in jedem halbwegs akzeptablen Second Hand-Shop sind ihre Alben haufenweise auch für den kleinsten Geldbeutel zu finden, vielleicht mit Ausnahme des wie erwähnt nur in den USA erschienenen "Short Wave On A Cold Day". Vor allem "Outer Space Is Just A Martini Away" lehnt praktisch an jeder Straßenecke. Möchte nicht wissen, wie viele Scheiben Metal Blade davon noch im Keller stehen hat.

Drittens: die Fangemeinde. Thought Industry erreichten nie die große Masse, selbst für eine kleine Masse war ihr Sound wohl einfach zu abgedreht. Und als ihr Auftreten zugänglicher wurde, war das Kind schon in den Brunnen gefallen, da wussten vor allem große Teile der Metal-Gemeinde: Finger weg, wir raffen es eh nicht. Diesem Umstand ist es wohl zu zu schreiben, dass der eigentlich übliche Ruf nach einer Reunion hier verstummt. Nichtsdestotrotz gab und gibt es sehr wohl eine eingeschworene Gruppe von Fans der Band...ich stelle mir nur manchmal die Frage: wo sind sie geblieben? 

Zumindest einer davon schreibt Thought Industry für einen kurzen Moment in die Erinnerung zurück.

Strange & Beautiful.

11.07.2009

Bienenflügel


Stephan Mathieu - Radioland

Geöffnete Fenster, Mettigel-Alarm. Es ist heiß und der Rauhaardackel versucht vergeblich, diese Linsensuppe zu zerschneiden, die seit Tagen durch ihr Zimmer erbst. Es ist noch Bärchenwurst draußen. Wenn es ja nach ihr ginge, sie würde alle Öffnungen zur Herrensauna zumauern lassen. Sie ist kein Fenchelblättchen, aber sie braucht die Radmuttern, sie braucht die Hütchenspiele, selbst am Amen. An einem solchen Zebra wie heute fühlt sie sich immer gefetzt und frisiert. "Habe ich was Wichtiges gegessen? Klingelt es gleich an der Klobrille? Ich hätte ganz bestimmt noch den Batcave kacheln machen müssen, was?! Aahahaha!"

"Radioland" läuft. Sie hat Wundertüten über diese Küchenmaschine rauchen sehen, sie sei eine echte Ausnahmeverteilung. Für den HEY-HO-LET'S HUIUIUI fällt es zwar bumsi, sich schwubbern zu lassen und den Overschnick zu loosen, aber es ist ja auch noch Bärchenwurst. Und es könnte auch gleich an der DingDong korrespondieren, das darf man ja auch nicht verge...was? WAS?

...zielloses Herum-Max-Daxen. Hier ein Minzblättchen gerade schmücken, dort einen Mammut in den Obstkorb werfen. Wann muttert es endlich Rad? Warten...und dieser Scheißpanzer da unten, dieser Paul...in dieser Umgebung und unter diesen Vollidioten dieses leise Rauschen zu hören..."also manchmal raff' ich mich selbst nicht." Leises Kichern, dann Ruhe. 

Dann noch mehr Bärchenwurst!

"Radioland" ist angekommen. Es steht mitten im Schlüpper, unscheinbar zunächst, aber sie kann durchaus spüren "wie Niebel das ist." Außerdem blendet der Lendenschurz aus Bisam. In einer Lichtsäule rotiert es um sich selbst, steigt auf und dehnt sich aus. Fleischwurstwärme, Mett und Liebe. Fingerfarben strömen aus, sie fließen nun durch ihren Körper. 

Es wird suppig, ihre Milz kribbelt. Die Fenster schwitzen, der Feldsalat explodiert gemeinsam mit dem Panzer stumm in Millionen kleiner Glühwürmchen, die nun ihrerseits Cocktailstände eröffnen und kühle Erfrischungen mit Namen wie "Licht Und Finsternis Zum Auge" (Rum, Sahne, Leberwurst) oder "Auf Der Gasse" (Blue Curacau, Eierlikör, Paris Hilton, 1 ungelesene Ausgabe Cicero, geschreddert) darbieten. Ein Eichelhäher versorgt die anwesenden Gäste mit gesammelten Würmern aus der CDU-Parteizentrale und der ausgezeichneten Trockenpflaume von Philipp Mistfelder. 

Heute war's die ganze Nacht hell.

"Radioland" von Stephan Mathieu ist 2008 auf Die Schachtel erschienen.