07.08.2009

Ursache & Wirkung

Anthony Braxton, William Parker, Milford Graves - Beyond Quantum

Nur für den Fall, dass sie es nicht wussten: der Autor dieses Blogs besitzt innerhalb seiner 3,40qm einen CD-Player, der Platz für insgesamt 25 dieser überteuerten kleinen Scheißerle bietet. Das ist zunächst mal nicht so tierisch spannend, sieht man mal davon ab, dass er so groß ist, dass nur noch 1,20qm Sitz- und Gammelfläche für mich überbleiben (Übertreibung!). Aber es ist auch für mich immer interessant zu beobachten, wie sich die Bestückung dieses Kastens zusammensetzt, sich ändert...oder eben nicht ändert. Und jene Überleitung aus der großen "Sammlung der Überleitungen" (1995, Seite 127 ff.) führt uns zum eigentlich Thema: Anthony Braxtons letztjähriges Gipfeltreffen mit dem Bassisten William Parker und dem Schlagzeuger Milford Graves konnte sich seit Dezember 2008 einen Stammplatz in der Abspielvorrichtung ergattern. Und fast immer, wenn ich große Lust auf Freejazz habe, dann kommt "Beyond Quantum" zum Einsatz. 

"Beyond Quantum" ist im Grunde abstrakter, improvisierter Noise. Die drei Musiker spielen völlig frei und ohne jede kompositorische Einengung über fünf "Meetings" einen ungeheuer dichten Sound, der trotz Braxtons logischerweise oftmals im Vordergrund stehenden Spiels dem Hörer immer die Option lässt, sich auch andersweitig völlig losgelöst zu orientieren. Für mich liegt genau darin die Faszination: Braxton soliert fraglos furios, aber selbst in seinen lautesten und wildesten Passagen steht es mir immer frei zu switchen. Vielleicht zu Milford Graves, der einen manchmal architektonisch klaren Rhythmusteppich knüpft, manchmal aber auch (und hier besonders in Verbindung mit Parkers Bass) zu einem avantagrdistischen Brodelgewirr umkippt, das kaum zu durchdringen ist. Oder eben alleine zu William Parker, aus dessen Basssolo beispielsweise eine der interessantesten Teile dieses Albums entsteht: wenn in "Third Meeting" bei 7:08 Minuten Graves wieder einsteigt und kurz darauf auch Braxton den Startschuss gehört hat und beginnt, über Minuten hinweg zu schnattern und zu quaken, während Graves und Parker sich in schwirrenden Becken und Unterwasser-Toms mal vereinen, um gleich darauf wieder los zu lassen, wenn Parker um die Bassdrum herum massive Seifenblasen formt und sie scheinbar chaotisch herumblubbern lässt, wenn Graves hitzig vorwegstürmt, und Parker einem schleichenden Panther ähnelt. 

Braxton folgt all dem nicht nur, er gibt auch mehr als nur einmal die Richtung vor. Er schnaubt und trotzt, ist ungestüm, aggressiv und kämpferisch, aber findet trotzdem immer wieder Wege, meditativ zusammen zu fallen und das Beatgeblubber seiner Mistreiter mit süßen Tönen zu umschmeicheln, es zu unterfüttern. Und genau hier setzt ein interessanter Punkt an: trotz der losgelösten Impulse dieser Musik wirkt es, als laufe das Trio stur auf Schienen. Eine Kontrolle im Chaos, eine Struktur, die weder die einzelnen Musiker, noch ihre Instrumente oder gar die gesamte Improvisation tangiert, sondern sämtliche Komponenten des Werks umschließt. Eine Struktur, die aus dem Ganzen geboren wurde, die keine Unterschiede macht, die Ausreißer zwar duldet, aber sie keineswegs Konsequenzen ziehen lässt. Mancher mag im Detail die fehlende Dynamik bemängeln, und daraus resultierend auch besonders Braxtons Spiel als nicht immer inspiriert werten, was ich durchaus als legitim bezeichnen würde. Andererseits fasziniert die Ausstrahlung dieser großen Käseglocke, die durchzogen ist von kursiven Linien, von sprudelnder Farbe, von einem autonomen, weitläufigen Wesen, das sie zwar kontrolliert aber dennoch kraftvoll und leidenschaftlich atmen lässt. 

"Beyond Quantum" von Anthony Braxton, William Parker und Milford Graves ist 2008 auf Tzadik erschienen.

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