Stephan Mathieu - Radioland
Geöffnete Fenster, Mettigel-Alarm. Es ist heiß und der Rauhaardackel versucht vergeblich, diese Linsensuppe zu zerschneiden, die seit Tagen durch ihr Zimmer erbst. Es ist noch Bärchenwurst draußen. Wenn es ja nach ihr ginge, sie würde alle Öffnungen zur Herrensauna zumauern lassen. Sie ist kein Fenchelblättchen, aber sie braucht die Radmuttern, sie braucht die Hütchenspiele, selbst am Amen. An einem solchen Zebra wie heute fühlt sie sich immer gefetzt und frisiert. "Habe ich was Wichtiges gegessen? Klingelt es gleich an der Klobrille? Ich hätte ganz bestimmt noch den Batcave kacheln machen müssen, was?! Aahahaha!"
"Radioland" läuft. Sie hat Wundertüten über diese Küchenmaschine rauchen sehen, sie sei eine echte Ausnahmeverteilung. Für den HEY-HO-LET'S HUIUIUI fällt es zwar bumsi, sich schwubbern zu lassen und den Overschnick zu loosen, aber es ist ja auch noch Bärchenwurst. Und es könnte auch gleich an der DingDong korrespondieren, das darf man ja auch nicht verge...was? WAS?
...zielloses Herum-Max-Daxen. Hier ein Minzblättchen gerade schmücken, dort einen Mammut in den Obstkorb werfen. Wann muttert es endlich Rad? Warten...und dieser Scheißpanzer da unten, dieser Paul...in dieser Umgebung und unter diesen Vollidioten dieses leise Rauschen zu hören..."also manchmal raff' ich mich selbst nicht." Leises Kichern, dann Ruhe.
Dann noch mehr Bärchenwurst!
"Radioland" ist angekommen. Es steht mitten im Schlüpper, unscheinbar zunächst, aber sie kann durchaus spüren "wie Niebel das ist." Außerdem blendet der Lendenschurz aus Bisam. In einer Lichtsäule rotiert es um sich selbst, steigt auf und dehnt sich aus. Fleischwurstwärme, Mett und Liebe. Fingerfarben strömen aus, sie fließen nun durch ihren Körper.
Es wird suppig, ihre Milz kribbelt. Die Fenster schwitzen, der Feldsalat explodiert gemeinsam mit dem Panzer stumm in Millionen kleiner Glühwürmchen, die nun ihrerseits Cocktailstände eröffnen und kühle Erfrischungen mit Namen wie "Licht Und Finsternis Zum Auge" (Rum, Sahne, Leberwurst) oder "Auf Der Gasse" (Blue Curacau, Eierlikör, Paris Hilton, 1 ungelesene Ausgabe Cicero, geschreddert) darbieten. Ein Eichelhäher versorgt die anwesenden Gäste mit gesammelten Würmern aus der CDU-Parteizentrale und der ausgezeichneten Trockenpflaume von Philipp Mistfelder.
Heute war's die ganze Nacht hell.
"Radioland" von Stephan Mathieu ist 2008 auf Die Schachtel erschienen.
11.07.2009
Bienenflügel
06.07.2009
"...And This Is A Microphone"
Ursprünglich wollte ich ja an dieser Stelle eine kurze Aufzählung der absoluten Highlights aus nachfolgendem Video vor- wenn nicht 'runterbeten, bevor mir beim wiederholten Angucken dieses Schnipsels aus einer scheinbar anderen Galaxie klar wurde: das ist ja alles zu "schön", um "wahr" zu "sein". Aus diesem Grunde sei nur der kleine Hinweis gestattet, dass ab 2:16 nichts als laute Jubelschreie durch Wiesbaden hallen...
03.07.2009
Der Delta-Quadrant Macht Das Licht Aus
Voivod - Infini
Der Vorhang fällt. Mit "Infini" begeben sich die Großmeister des Science-Fiction Metal auf eine letzte Rundreise durch ihr Revier. Mit im Gepäck: die finalen Gitarrenaufnahmen ihres 2005 verstorbenen Gitarristen Denis D'Amour aka "Piggy". Nach dem Vorgänger "Katorz" das zweite Album mit einer etwas anderen Arbeitsweise. Die Band zerrte Piggys Riffs in den Mittelpunkt und baute die Songs um seine typischen, schrägen und verwehten Shreds herum auf. So entstanden 13 neue Tracks für die kleine, aber eingeschworene Fangemeinde. Also auch für mich.
Zugegeben, meine Einschätzung des Vorgängers "Katorz" fiel im Nachhinein möglicherweise etwas zu euphorisch aus. So ist das eben im ersten Moment, wenn man als Fanboy etwas in den Händen hält, von dem man dachte, es würde niemals das Tageslicht erblicken. "Katorz" war aus heutiger Sicht von der wörtlich zu nehmenden Zerissenheit der Band und des grundsätzlichen Vorgehens hinsichtlich des Songwritings geprägt, ein Risiko, dessen sich die Band sicherlich bewusst war. Hinzu kommt, dass die Kanadier seit ihrem selbstbetitelten Comebackalbum aus dem Jahr 2003 die Redundanz zum Prinzip erkoren haben. Die Fixpunkte suchen sie nicht wie früher in der Zukunft (womit sie der Metal-Konkurrenz immer leicht und locker drei Schritte voraus waren), sondern in der eigenen Historie: "The Outer Limits" und "Angel Rat" mit ätherischen Nuancen des Klassikers "Nothingface" müssen seitdem als musikalische Salatbar herhalten. Es gibt beileibe schlechtere Auswahloptionen, aber von einer Band wie Voivod, die sich immer wieder so radikal und kompromisslos neu entdeckte, erwarte ich einfach kein Aufbrühen alter Schinken (wie das wohl schmeckt...?!).
Auch "Infini" bricht leider nicht mit dieser Entwicklung. Die Ausrichtung wird nachwievor von der frühneunziger Phase der Band bestimmt, dazu gesellen sich nun noch die beiden Vorgänger "Voivod" und "Katorz" als Referenz. Man weiß also mittlerweile sehr genau, was man bekommt. Diesem Umstand ist es letztendlich auch zu "verdanken", dass Voivod heute weitaus weniger abgefahren, innovativ und genresprengend klingen, wie es besonders in Szenekreisen immer wieder angeführt wird. Klar, im Vergleich zur tumben Power Metal Band ist das hier geradezu avantgardistisch, aber letzten Endes - machen wir uns nichts vor - reden wir immer noch von einer Metalband. Einer originellen Metalband, meinetwegen. Aber eben nicht mehr.
Folgerichtig sind es auf "Infini" in erster Linie die ob ihrer Anlage etwas aus der Reihe fallenden Songs, die eine Spur beeindruckender ausgefallen sind, als der Rest. Das zurückgenommene "Room With A V.U." beispielsweise, das vor allem soundtechnisch wie eine aufgepimpte Version eines "Angel Rat"-Songs klingt. In die gleiche Kerbe schlägt "In Orbit", bei dem es der Band hervorragend gelungen ist, eine melancholisch-entrückte Stimmung zu malen, ähnliches gilt für das klaustrophobische "Morpheus". Dazu gibt es noch zwei, drei gar nicht ungroßartige punkige, mit räudiger Motörhead-Note unterfütterte Brecher ("From The Cave", "Volcano"). Das klingt für den ersten Moment nicht schlecht, aber wir kommen ja noch zum Rest. Der ist in meinen Augen musikalisch durchschnittlicher Voivod-Metal von der Stange mit einem Spritzer Banalität, der mich eher kalt lässt, als dass er mich ärgert, textlich jedoch bisweilen kaum aus zu halten ist. Letztgenanntes ist vor allem deshalb unglücklich, weil man sich immer auf ihre spannenden Sci-Fi-Geschichten verlassen konnte, diesmal aber mit Banalitäten wie "Blah Blah Blah is all you say" oder "God Phones" abgespeist wird. Das ist schade. Musikalisch ist die Durchschnittsware allerdings pures Gift für das Gesamtbild des Albums: es ist viel zu lang. Insgesamt gibt es knappe 60 Minuten Musik zu hören, was gut 20 Minuten zu viel ist. Möglicherweise wollte man alle Reste, die Piggy hinterlassen hat auf diesem letzten Album verwenden, was einerseits legitim ist, andererseits der Sache einiges an Durchschlagskraft und Relevanz nimmt. Ein gerne unterschätzter Punkt, aber er ist der Nummer Eins-Kandidat bei der Beantwortung der Frage, was das Album als Kunstform an den Rande der Bedeutungslosigkeit getrieben hat.
Was bleibt ist ein bisschen Traurigkeit. Ich hätte der Band für ihr letztes Album ein glücklicheres Händchen gewünscht, andererseits habe ich zum Abschluss immerhin fünf, an guten Tagen gar sechs neue Voivod-Lieblingssongs geschenkt bekommen. Die verminderte Erwartungshaltung hat zudem für die Band gespielt: man erwartet heute einfach keine großen Voivod-Platten mehr. "Solide" wäre früher blanke Blasphemie gewesen, um eines ihrer Werke zu beschreiben, heute passt es. Schon verrückt, das alles.
"Infini" von Voivod ist 2009 auf Nuclear Blast erschienen.
30.06.2009
*brööööötz*
Paul Flaherty - Aria Nativa
Das geradewegs unanständig schöne Coverartwork von Ken Hill brachte mich in Verbindung mit dem abgebildeten rauschebärtigen Saxofonspieler auf dem Backcover zu dieser schönen Entdeckung. Paul Flaherty ging mir bis zu der Veröffentlichung von "Aria Nativa" durch die Lappen; angesichts der hier präsentierten Musik ist es andererseits kein Wunder, dass Flaherty bisher wohl nur einer überschaubaren Zuhörerschaft bekannt ist.
"Aria Nativa" ist freies Saxofonspiel. Sonst nichts. Das ist in diesem Fall schon eine ganze Menge: von einer Herausforderung zu sprechen, wäre sowohl für den Musiker selbst, als auch für den Hörer als Understatement zu werten. Stilistisch in seiner Attacke durchaus mit Peter Brötzmann vergleichbar, wirbelt der 1948 geborene Flaherty durch vier furiose Liveaufnahmen, freie Improvisationen, deren Ausdruck durch Unruhe, Hast und ansprechende Garstigkeit geprägt sind. Flaherty zieht sich nur selten in kurze, meist nur angedeutete und ruhigere Themen zurück, bevor er sich wieder aufbäumt und die Intensität nach oben schraubt. Keine Brüche. In Flahertys Spiel sind keine Brüche erkennbar, sein Spiel ist der Bruch. Viel Wut, viel Bitterkeit, aber auch viel Reflektion: seine Stimme zeigt eine Vision, die aus einer in Teilen versöhnlichen Weisheit emporwächst, die sich aber in gleichem Maße aus nackter Rebellion speist. Nicht umsonst sahen sich seine frühen, herben Improvisationen zu Beginn der siebziger Jahre heftiger Reaktionen des Publikums ausgesetzt, was Flaherty veranlasste, anstatt weiterer Band-Engagements mehr private Solo-Sessions zu spielen.
"Aria Nativa" ist völlig kompromisslos, aufbrausend, in manchen Teilen gar zerstörerisch. Der britische Wire schrieb über das Album:"(...), Flaherty starts with one melodic idea, and chases it at maximum speed, wherever it seem to lead him, channeling body and soul into his lines. It's thunderous, passionate, declamatory.".
Hier wird das Stück "I Don't Live Here Anymore" als kostenloser Download angeboten.
"Aria Nativa" von Paul Flaherty ist 2008 auf Family Vineyard erschienen.
22.06.2009
Freedom Swing
Grachan Moncur III - Inner Cry Blues
"Inner Cry Blues", ein Tribut. Untertitel:"Dedication Album Vol.1". Moncur hat für Louis Armstrong, Sonny Rollins, Duke Ellington, seinen langjährigen Partner Jackie McLean und seine verstorbene Tochter komponiert und ihnen auf dieser sehr relaxten, ungewöhnlichen Session gedacht. Reichhaltig in Blues und Soul getränkt, an der Oberfläche manchmal jedoch heiter aufblitzender Swing. Ein Balanceakt für die Sensitiven.
Nach langen Jahren der Funkstille tauchte der Posaunist 2004 für viele überraschend mit einem großen Ensemble und dem feinen Album "Exploration" wieder auf. Moncur veröffentlichte seine Musik seit jeher sehr unregelmäßig, zumindest jene, die unter seinem eigenen Namen lief. Vor allem ließ er sich immer ausreichend Zeit: in den siebziger Jahren erschienen nach seiner Zeit beim französischen BYG Actuel-Label gerade mal zwei Alben, von denen eines sogar exklusiv in Japan veröffentlicht wurde (und heute einen halben Bausparvertrag verschlingt, wenn man die Originalversion käuflich erwerben möchte) und danach erstmal lange Zeit gar nichts. Dass drei Jahre nach seinem Comeback gleich das nächste Album erscheint, lässt für die Zukunft mit weiteren Soloplatten hoffen.
Ich muss zugeben, dass ich einige Zeit benötigte, um mir den musikalischen Ansatz von "Inner Cry Blues" zu vergegenwärtigen. Ich war zu geprägt von Moncurs freien Aufnahmen, von seinen beeindruckenden Songgemälden, die immer so ungewöhnlich, so unverwechselbar klangen und vor allem immer so monumental erschienen. "Inner Cry Blues" geht etwas auf Distanz zu seinem Image als Vertreter der Avantgarde (zu der er sich nach eigener Aussage ja eh nie zählte). Der Einstieg mit "G Train (for Duke Ellington)" gerät dermaßen laid back und swingend, dass ich mich in einem 35°C heißen Sommertag in einer Hängematte flözend auf der Veranda wähne. Der Sound ist ziemlich Low-Budget, wenn auch grundlegend präsent. Man könnte es vermutlich "authentisch" nennen. Trotzdem vermitteln die ersten Minuten ganz und gar nicht das, was ich mir von "Inner Cry Blues" erwartete.
Von Moncurs Begleitband dürfte Vibraphonist Ben Adams der bekannteste Musiker sein, veröffentlichte er doch bisher drei Alben auf seinem Lunar Module-Label, auf dem auch "Inner Cry Blues" erschien. Hinzu kommen Erik Jekabson (Trompete), Mitch Marcus (Tenor Sax), Lukas Vesely (Bass) und Sameer Gupta an den Drums. Die Buben müssen es draufhaben, schließlich weiß man von Moncurs Pingelichkeit hinsichtlich der Interpretationen seiner Songs. Und tatsächlich: sie swingen sich - Verzeihung! - den Arsch ab. Am besten gefällt mir diesbezüglich, na klar, die Rhythmusfraktion Vesely/Gupta. Vor allem ersterer slappt, tappt, schlurft und hüpft wie ein junges Reh durch den Percussionnebel Guptas, und wartet darüber hinaus in dem abschließenden "Sonny's Back (for Sonny Rollins)" mit einem coolen Solo auf.
Der Titeltrack stößt am ehesten in "alte" Gefilde vor, ein Bluesstück mit einem langgezogenen, fast kriechenden Thema und viel Platz und Freiraum. Leicht verdustert, aber immer noch megarelaxed und positv. "Hilda", Moncurs verstorbener Tochter gewidmet, ist überraschend hell und zuversichtlich, aber hier setzt dann der oben angekündigte Balanceakt in voller Pracht ein: die Dunkelheit schwingt immer mit, vor allem in Moncurs Ton. Ich habe manchmal den Eindruck, als wolle er mit aller Macht versuchen, nicht traurig zu klingen. Er kämpft regelrecht darum. Es gelingt ihm nicht, er klingt traurig.
Der beste Moment auf der Platte ist, abgesehen von Moncurs sehr, sehr coolen Gesangseinlagen (!!!) auf "A For Pops (for Louis Armstrong)" und "Sonny's Back", erwartbar seine Verneigung vor seinem langjährigen partner in crime Jackie McLean, der ein knappes Jahr vor den Aufnahmen zu dieser Platte verstorben ist. Die typischen Stop & Go Bläsersätze aus McLeans und Moncurs gemeinsamer Zeit Anfang bis Mitte der sechziger Jahre gipfeln in einem schnellen, die Fäden zusammenführenden Post-Hard Bop-Stück und dem damit eindeutig wildesten Song dieser Session.
"Inner Cry Blues" von Grachan Moncur III ist 2007 auf Lunar Module Records erschienen.
14.06.2009
Feel Like Making Love
The Life And Times - The Magician
The Life And Times sind für mich eine der coolsten Bands der letzten 10 Jahre und aus zwei Gründen mittlerweile etwas ganz Besonderes. Zum einen führte ich mein allererstes Interview als, ähem, Musikjournalist mit Allen Epley, seines Zeichen Gitarrist und Sänger des Trios aus Kansas City, zum anderen ist ihr Debutalbum "Suburban Hymns" (die "The Flat Of The Earth"-EP klammere ich an dieser Stelle aus) aus dem Jahr 2005 seit ihrem Erscheinen zu einem wirklich großen Album herangewachsen. Da solche Entwicklungen angesichts der Veröffentlichungsflut und der damit einhergehenden Unübersichtlichkeit und schlichten Durchschnittlichkeit immer seltener werden, ist es durchaus an der Zeit, die Kapelle kurz in den Fokus dieses Blogs zu zerren.
The Life And Times entstanden nach dem Split der Kansas-Institution Shiner, die Epley bis dato ein Zuhause als Gitarrist schenkte. Shiner standen bis dato für schweren und noisigen Indierock und wurden immer mit dem D.C.-Sound in Verbindung gebracht. Unter anderem veröffentlichte die Band 1997 eine Single auf Sub Pop ("Sleep it Off/Half Empty"), und spätestens jetzt sollte klar sein, welcher Sound hier zu erwarten ist. Epley formierte Anfang des Jahres 2005 The Life And Times zusammen mit Eric Abert am Bass und Chris Metcalf am Schlagzeug und nahm unter der Regie des ehemaligen Shiner-Bassisten die Songs für "Suburban Hymns" auf, die anschließend von J.Robbins fitgemischt wurden. Das Ergebnis ist eine dunkle, epische Verneigung vor einem Sound, den man nur noch selten zu hören vermag: er schrammelt, ist hymnisch, melancholisch, umarmend, wärmend, dabei alles andere als anspruchslos und ungeheuer kraftvoll in seinen Bildern. Vor allem letzte Komponente wird offensichtlich, wenn man sich mit den beiden zappendusteren Melancholiemonstern "Skateland" oder "Muscle Cars" beschäftigt.
"The Magician" ist nun eine 2006 nachgeschobene und nur in Japan veröffentlichte EP mit fünf Stücken, die die Qualität tatsächlich nochmal nach oben schrauben konnten. Nach Erhalt dieses Schätzchens war mein Plattenspieler für ein paar Tage beschäftigt. The Life And Times klingen auf "The Magician" einerseits eine Spur noisiger und dreckiger, haben es dabei aber andererseits geschafft, den hymnenhaften Charakter ihrer Songs zu bewahren und damit ihren sehr eigenen, originellen Sound noch weiter zu definieren. Das Trio wirkt erstaunlich selbstbewusst, aber sorry: kein Wunder bei diesen Songs! Über die komplette B-Seite mit den Sternstunden "Ave Maria" und "The Sound Of The Ground" könnte ich hysterisch kreischend Gänsehautpickel zählen. Dazu kommt mit "Killing Them Softly" eine mögliche Unterwasser-Aufnahme eines möglichen Alice In Chains-Songs, den die Alice allerdings möglicherweise niemals auf die, haha, Kette bekommen hätte. Kurz gesagt: ich heule vor Ergriffenheit.
Vor kurzem haben The Life And Times ihr neues Album "Tragic Boogie" veröffentlicht. Ich mache sowas normalerweise nicht, aber diesmal gibt's ne Ausnahme: bitte hier kaufen. Die Band steckt Vinyls in eine Pizzaschachtel einer Pizzeria aus Boston, bedankt sich artig für den Kauf und kann ein paar Kröten sicherlich ganz gut gebrauchen.
[pathos]Tut es für die Musik![/pathos]
"The Magician" von The Life And Times ist 2006 auf Stiff Slack Records erschienen.
11.06.2009
A Voice From The Past
Philip Jeck - Suite: Live In Liverpool
Vinyl-Langspielplatten sind selten auf dem britischen Avantgardelabel Touch Records, umso mehr freue ich mich, das aktuelle Werk des Tüftlers Philip Jeck in den Händen zu halten und an dieser Stelle präsentieren zu können. Sein Vorgängeralbum "Sand" war mir schließlich gar einen Eintrag in meine Bestenliste 2008 wert, und wie Menschen, die in der Metalszene groß wurden so sind, stehe ich offensichtliche auf mehr oder minder komplette Diskografien. Ich arbeite an diesem Makel, aber es könnte sich noch etwas ziehen. Das nur als Vorwarnung.
Dabei könnte man ebensogut und gerade vor diesem Hintergrund darüber diskutieren, ob es denn wirklich notwendig ist, ein weiteres Album von Jeck zu hören oder zu kennen, wenn er mit seiner Musik letztendlich in seinem abgesteckten Rahmen bleibt und man auch hier durchaus ahnt, wie "Suite: Live In Liverpool" klingen wird, wenn seine letzten Veröffentlichungen bekannt sind. Ohne die gefühlte Qualität der "Suite" zu bewerten: kann sie "Sand" etwas beifügen? Können wir von einem Schritt nach vorne sprechen, oder doch eher von einem zur Seite? Spricht "Suite" eine andere Sprache, zeigt es andere Wege, hat es eine andere Wirkung? Im Grunde hat all das nur wenig mit Philip Jeck zu tun, vielmehr sind es eher fragende Mosaiksteinchen in einem größeren Antwortbild von Musik und Musikern nebst deren Selbstverständnis, Erwartungshaltung und Hörverhalten.
Wer braucht alles von jedem?
Ich für meinen Teil komme langsam ins Grübeln: will ich wirklich die zwanzigste Techno-/Houseplatte hören, die exakt so klingt, wie die neunzehn Exemplare davor? Will ich wirklich die x-te Touch Veröffentlichung hören, auf der angenehmes Rauschen mit unangenehmen Rauschen verbunden wird, wenngleich nicht selten sehr geschmackvoll und hochwertig? Vor einigen Jahren habe ich mir die Frage für Rockmusik selbst beantwortet: ich wollte es nicht. Oder wenigstens nicht mehr so oft. Ist es möglich, eklatante Unterschiede unter den Künstlern und ihrer Musik zu erkennen, oder ist es letztlich nur ein großer Haufen Instantsuppe, zu welcher jeder ein Körnchen beisteuert? Und welche Rolle spielen die Labels in dieser Diskussion? Ein "Labelsound" ist gut und schön, aber wird man mit der Zeit nicht einfach satt, fühlt es sich nach einigen Jahren nicht so fett und aufgeblasen und bequem an? Oder schützt hier am Ende die generelle Distinktion der veröffentlichten Musik, die die Abgrenzung als Deckmäntelchen für Stillstand und Bequemlichkeit deutet, gar missversteht?
Dabei ist es ziemlich unfair, das Thema angesichts der Jeck'schen "Suite" an zu schneiden, denn auch wenn das Album dem Vorgänger nicht wirklich neue Richtungen hinzufügt, sondern sich in den Grenzen dessen bewegt, was man rein klanglich gewohnt ist, kann ich mich nur schwer gegen die aus seiner Musik strömenden Faszination wehren. Wie gehabt modelliert Jeck seine Zusammenstellung in erster Linie auf eigentlich ausgemusterten alten Plattenspielern aus den sechziger Jahren zurecht, auf denen er schleierhafte 7-Inch Singles auf den Geschwindigkeiten 33, 45, 75 und 16rpm abspielt. Schleierhaft ist dabei ein gutes Stichwort: warum das alles dann so klingt, wie es klingt, bleibt wenigstens mir im Verborgenen und vielleicht ist das auch der magische Faktor seiner Musik. Nicht die Frage hinsichtlich des technischen Handwerks, sondern in Hinblick auf die Sounds, die Echos, die Verschiebungen und Verwischungen, der aufkommende Nebel, die plätschernden Glocken, die schwingenden und schleifenden Stürme und die schließlich einkehrende Ruhe.
Jeck spielt die Töne für das Leben und den Tod, für das Vergangene und Vergessene, für die Stimmen die verstummt sind und die Stimmen, denen er mit seinem Werk neues Leben einhaucht. Vielleicht ist es dieser schmale Grat, das Spiel mit dem was war und dem was wird, was die Auseinandersetzung mit "Suite: Live In Liverpool" so befriedigend macht. Demzufolge kann ich die Frage, ob es Sinn macht, sich mit dem Album eingehender zu beschäftigen, klar positiv beantworten.
"Suite: Live In Liverpool" von Philip Jeck ist 2008 auf Touch Music erschienen.
07.06.2009
Britzeln Und Brodeln
Clifford Thornton - Ketchaoua
Ich begann vor einiger Zeit damit speziell nach Jazz-Aufnahmen mit Beteiligung von Grachan Moncur III zu suchen. Sowohl seine Soloplatten, als auch die Werke, bei denen er als Sidekick auftritt (beispielsweise an der Seite von Jackie McLean), gehören für mich zu den großen Sternstunden des Jazz. Diese Suche trieb mich in die Arme von "Ketchaoua" des US-amerikanischen Trompeters Clifford Thornton, erschienen 1969 auf BYG Actuel. Moncur bildet hier gemeinsam mit Legenden wie Archie Shepp, Sunny Murray, Arthur Jones und Dave Burrell praktisch eine All-Star-Band.
Thorntons zweites Soloalbum (sein einziges für das französische Label) ist dabei ein durchaus guter Indikator für die Struktur von Jazzmusik zur damaligen Zeit. Gleich der Titeltrack und Opener ist Alles und Nichts: Jazz, kein Jazz, Kammerjazz und Folkjazz, Tradition und Moderne, Avantgarde und Roots. Ein zersplittertes, freies, gar psychedelisches, gut zwölfminütiges Werk, wie gemacht für einen Moncur. Seine Posaune setzt das erste Ausrufezeichen in einem flächigen, weit auseinanderdriftenden Ansatz. Diese Kraft und Dominanz. Diese Leidenschaft, dieses Selbstvertrauen. Wie üblich geht ihm nach einigen unfassbar fetten, langgezogenen Tönen die Luft aus....aber, mein Gott, dieser Einsatz!! Es klingelt noch Stunden später in den Ohren.
Die zweite Seite beginnt mit einem flackernden Orkan: "Brotherhood", diesmal mit Thornton, Jones, Beb Guerin, Earl Freeman, und Drummer Claude Delcloo, der alles aus sich heraus zu holen scheint, ist tosender Free Jazz, unbequem, überlagernd, höllisch laut und intensiv. Und es macht großen Spaß, diese Kakophonie zu hören. Wie Guerin am Bass und Delcloo harmonieren, wie sie sich letztendlich zu einem Ton formen und sich dabei auftürmen, wie sie zu einem ganz zentralen Element dieser Musik erwachsen. Großen Anteil an dieser Fokussierung hat sicher auch der Sound des Albums und besonders des Schlagzeugs: seltsam satt und dumpf, aber auch ungeheuer räumlich und offen. Bei dieser Bassdrum können Häuser einstürzen. Und wer abschließend eine knappe Zusammenfassung über "Ketchaoua" lesen möchte, was dieses Album darstellt, wie es sich anfühlt und schmeckt: der Rausschmeißer heißt "Speak With Your Echo (and call that a dialogue)" und besteht aus einem improvisierenden Bass-Duo (Freeman und Guerin) und einem solierenden Thornton an der Trompete. Das war's. Das hört sich nicht nur ungewöhnlich an, das klingt auch so. Und das fasst gut zusammen, was "Ketchaoua" ist: ungewöhnlich, suchend, und ziemlich mutig.
"Ketchaoua" von Clifford Thornton ist im Jahre 1969 auf BYG Actuel erschienen.
02.06.2009
Wattecouch
Flying Lotus & Declaime - Whole Wide World EP
Irrlichtes Flackern zwischen Dopebeats und -qualm. Flying Lotus zimmert für die kratzigen Raps von Declaime ein federndes, Valium-Dilla Schunkelamüsemang (sic!) zusammen, das bis jetzt tatsächlich der Track des Jahres sein könnte. Pattie Blingh steuert als Krönung ihre angriffslustige Soulstimme drauf. Es kann ja alles so einfach sein.
Die B-Seite schlägt mit "Lit Up" in die skizzenhafte Song-Kerbe von FlyLos "Los Angeles"-Longplayer aus dem letzten Jahr, ein kurzer Ausbruch mit einem ganzen Sampelarsenal und schwankendem Dröselbeat (7,3 Promille). "Keep It Turning" ist dann erheblich zugänglicher und angenehmer, mit feinem Souljazzvibe und schlurfendem, doch höchst präsentem Beat. Eine Single zum Reinlegen, echt jetzt.
"Whole Wide World" von Flying Lotus & Declaime ist 2009 auf Ramp erschienen.
24.05.2009
Neunziger (2)
Bad Religion - Recipe For Hate
Über Bad Religion Platten zu schreiben, mag auf den ersten Blick weder sonderlich originell noch anderweitig gewinnbringend sein. Seit über 25 Jahren werkelt die Band nun schon an ihrem Punkrock-Entwurf ("...what I think is Punkrock"- G.Graffin), und auch wenn ich die alte Leier von "die haben doch eh nur einen Song" mit Schmackes in die nächste Tonne treten könnte, wo nicht müsste, kann ich andererseits nur schwerlich behaupten, die Kapelle gehe mit maximaler Abwechslung vor. Man weiß eben, was man bekommt. Dass ihre Songs seit spätestens 1998 dabei immerhin qualitativen Schwankungen unterliegen, ist gemessen an den Großtaten Ende der achtziger und Anfang der neunziger Jahre geschenkt. Dennoch ist die Tatsache bemerkenswert, dass in ihrem stilistisch sehr begrenzten Rahmen mit "Recipe For Hate" im Jahre 1993 eine durchaus ungewöhnliche Platte erschien, die trotz ihres Kontrasts zum sonstigen Oevre weitgehend unterschätzt, wenn nicht übergangen wird. "Recipe For Hate" ist ein Kind seiner Zeit, was man der Platte mit etwas Abstand geradewegs beeindruckend schnell anhören kann. Vor allem hinsichtlich der Produktion fällt eine zeitliche Zuordnung gar nicht so schwer: die Gitarren dick wie Sirup und verschwommen vor sich hin blubbernd, mit einem Weichzeichner in die Breite gedrückt und mit Feedback in Bob Mould-Sphären schwebend, eine extrem räumlich klingende, massiv im Vordergrund stehende Stimme Greg Graffins und insgesamt eine Soundästhetik, die zur Krönung in 1992er Alternative Rock-Gold getaucht wurde. So klangen Bad Religion nie wieder. Für meine Begriffe ist das klangliche Experiment geglückt und zu meiner großen Überraschung ist "Recipe For Hate" bei Weitem nicht so schlecht gealtert, wie es vielen anderen Alben aus den neunziger Jahren passiert ist. Auch das Songwriting stellt eine Zäsur zwischen den früheren Klassikern und dem Spätwerk dar. Zum einen gaben sich Bad Religion experimentierfreudig wie nie, öffneten ihren Sound passend zur Hochzeit Seattles für Grunge-Elemente ("Struck A Nerve"), ließen fast schon progressive Strukturen erkennen ("All Good Soldiers") und wagten sich für "Man With A Mission" gar auf Folk und Country-Terrain. Zum anderen klangen selbst die eher klassischen Uptempobrecher wie "Skyscraper" oder der fantastische Titelsong zwar immer noch klar nach Bad Religion, präsentierten sich aber viel durchdachter, gereifter, vielleicht auch abgeklärter. Es war plötzlich nahezu unmöglich, dass einer dieser Tracks auf einem der Vorgängeralben hätte stehen können, allerhöchstens "My Poor Friend Me" erweckt den gefühlten Anschein, ein Überbleibsel der "Generator"-Sessions zu sein. So positioniert sich "Recipe For Hate" rückblickend als (experimentelles) Bindeglied zwischen dem schnellen, unbekümmerten Punkrock eines "Against The Grain" und den späteren, kontrollierteren Alben wie "Stranger Than Fiction" oder "The Gray Race" und ist dennoch viel mehr als das. Seine eigene Substanz und Relevanz erhält "Recipe For Hate" gerade durch die deutliche Abgrenzung gegenüber den übrigen Bad Religion-Alben und der damit einhergehenden Polarisierung der Fans, die es auslöste. Im Grunde genommen alles klare Kennzeichen für einen Klassiker. So sei es.
"Recipe For Hate" von Bad Religion ist im Jahre 1993 auf Epitaph Records erschienen.
22.05.2009
Mittendrin
Sam Rivers - Dimensions & Extensions
Selten zuvor klang Atonalität wärmer. Den Satz habe ich mir zugegebenermaßen aus Robert Palmers Linernotes zu Sam Rivers' viertem Album für Blue Note stibitzt; er erschien mir als Einleitung durchaus angemessen. "Dimensions & Extensions" kann natürlich ziemlich viel mehr sein als lediglich "warm" und "atonal", als Zusammenfassung stehen die beiden Begriffe jedoch stellvertretend für einen Jazz, der sich zwischen der Avantgarde und dem Hardbop bewegt und angesichts seiner ausgerissenen, reduziert wirkenden Strukturen dennoch als erstaunlich zugänglich präsentiert.
Rivers war ein Jazz-Spätstarter. Erst mit 41 Jahren nahm er seine erste Platte als Leader für Blue Note auf ("Fuchsia Swing Song", 1964), womit er gleichzeitig zu einer der letzten Neuentdeckungen der klassischen Label-Ära gehörte. Als Blue Note 1966 an Liberty Records verkauft wurde, saß dessen Gründer Alfred Lion zwar noch in der Produktionskette, und obwohl er diese letzte Aufnahmesession Rivers' für das Label im Jahr 1967 noch begleitete, ihr einen Titel, eine Katalognummer und gar ein Cover auf den Leib schneiderte, blieb "Dimensions & Extensions" für viele Jahre unveröffentlicht. Erst 1987/88 durfte das Werk als eigenständige Ausgabe das Licht der Welt erblicken, nachdem es bereits 1976 an ein Andrew Hill-Album ("Involution") gekoppelt war und als Doppel-LP-Set erschien.
Ob Alfred Lion sein Veto einlegte und damit für die Verzögerungen sorgte, weil ihm einige neue Strömungen im Jazz, wie kolportiert wird, nicht mehr zusagten, ist mir nicht bekannt. Schließlich ist "Dimensions & Extensions" eine echte Herausforderung. Alleine der Blick auf die Zusammensetzung der Band sorgt für die ein oder andere hochgezogene Augenbraue: ein Sextett ohne Piano, dafür aber mit nicht weniger als vier Bläsern, deren Auswahl ebenfalls überraschen musste, wenngleich sie ein guter Indikator für Rivers Hardbop-Verwurzelung auf der einen und seinen konzeptionell-freien Ansatz auf der anderen Seite ist: Donald Byrd (Trompete), Julian Priester (Posaune), James Spaulding (Altosaxofon, Flöte) und Sam Rivers selbst an der Flöte und am Alto- und Tenorsaxofon. Hinzu kommen Cecil McBee am Bass und Steve Ellington am Schlagzeug.
Und es ist in erster Linie das Brass-Quartett, das dem Affen ordentlich Zucker gibt. Spätestens im wilden, ungestümen "Effusive Melange" brechen alle Dämme, ein Gebrodel aus Überblasungen, aus ineinander verwirbelten Stimmen, aus animalischen Schreien. Dazu ein entfesselter Ellington, der die Töne seiner Becken wie Gischt durch eine dunkle Nacht sprühen lässt und der sich an manchen Stellen sicherlich selbst fragt, ob er schon im Speed Metal angekommen ist. Dagegen erscheint das Eingangsduo "Precis" und "Paean" fast schon handzahm, obwohl auch hier die Funken sprühen: das gebrochene Solo Byrds im Opener, die schiere Wahnsinnsposaune von Julian Priester im Eröffnungssolo von "Paean" und die Komplexität in den atonalen Bläserarrangements mit vielen versteckten Harmonien (besonders in Verbindung mit den harmonischen Sprüngen eines McBee) machen großen, großen Spaß. Hier zahlt sich die Entscheidung Rivers' aus, auf das Piano zu verzichten. Die so entstandenen Freiheiten werden von den Musikern beeindruckend genutzt. Außerdem hilft der Tastenrückzug dabei, die Konturen dieses Albums zu schärfen. "Dimensions & Extensions" klingt reich und voll, die Themen und Motive sind klar und trotz all des freien Spiels mit Raum und Zeit, in denen sich Rivers übrigens im verwehten und suchenden "Afflatus" fast verläuft, handelt es sich um ein homogenes, versöhnliches Werk. Springlebendig, rasant, risikoreich und ungemein kraftvoll.
16.05.2009
Welcome To The End
Wie sehr mich dieser Name schon zur Verzweiflung trieb. Mittlerweile ist es einfacher, die Internet-Suchmaschine mit dem Begriff "The Music" zu füttern und umgehend auf der Homepage der Band zu landen. Noch vor ein paar Jahren war es nahezu unmöglich, ihre Videos auch nur auf Youtube zu finden. Vergleichbar mit der Frankfurter Punkband "Pornoheft", da gestaltet sich die Suche ähnlich abenteuerlich, wenn auch - je nach Neigung - etwas frivoler.
Ist man nach nervenaufreibenden Youtube-Minuten dann endlich auf Videos dieser britischen Kapelle gestoßen und liest dazu die Kommentare der User - was man jedoch und ganz grundlegend niemals tun sollte, wenn einem die eigene Magenschleimhaut lieb ist - stößt man nicht selten auf Äußerungen wie
"Most underrated band EVER!!!"
oder
"It's a shame no one notices how awesome this band is!"
Immerhin: mir ist es aufgefallen. Seit ihrem selbstbetitelten Debut bin ich quasi "Fan", und wenn ich tief in mich gehe, dann erscheinen mir The Music als die talentierteste Disco/Rave/New Wave-Band der letzten fünfzehn Jahre. In erster Linie liegt das an Sänger Robert Harvey, einem schmächtigen Spargeltarzan, der gemessen an den Bandvideos die Ausstrahlung eines offenen Frischepacks mit Trockenpflaumen besitzt und im besten Fall als schüchtern durchgeht, hinsichtlich seiner Stimme und vor allem seiner immer wieder umwerfenden Gesangslinien jedoch locker in der Weltklasse mitmischt. Dass seine Stimmfarbe nicht jedermanns Sache ist, und sich die einschlägigen Musikmagazine besonders auf Harvey einschossen, bevor sie sich in spektakulären Verrissen suhlten, muss man wohl hinnehmen. Fallhöhe und so.
Das musikalische Gerüst im Hintergrund ist britischer, stylisher Rave-Pop für den Club, hoch melodisch, leicht psychedelisch, (fast) immer mitreißend und mit einem gar nicht mal so dünnen House-Pinselstrich verfeinert. Dabei sind The Music nicht dirty, dark und cool wie ihre Kollegen von Kasabian, oder zumindest deren Debut, geben sich stattdessen melancholischer, vielleicht auch etwas ernster und erdiger als die Konkurrenz. Vor allem auf dem schlimm unterbewerteten zweiten Album "Welcome To The North" aus dem Jahr 2004 enttarnte sich darüber hinaus auch ein veritabler Led Zeppelin-Vibe in ihrer Musik. Auf "Strength In Numbers", der dritten Langspielplatte nach einer gut zweijährigen Pause, ist der Geist von Robert Plant und Jimmy Page immer noch wenigstens als homöopathische Dosis, in der Aura des Albums, verfügbar. Allerdings straffte das Quartett hörbar seine Kompositionen, die jetzt noch straighter, melodisch noch ausgereifter und grundlegend tanzbarer erscheinen. Und auch wenn man blöderweise mit dem Titeltrack die durchschnittlichste Nummer als erste Single veröffentlichte, haben The Music allerspätestens mit "Strength In Numbers" ihren tatsächlich sehr eigenen Sound gefunden.
Trotz meiner Einschätzung, dass es sich bei "Strength In Numbers" um das bis dato beste Album der Band aus Leeds handeln könnte, habe ich den Eindruck, als ginge den Burschen langsam die Luft aus. Nicht unbedingt qualitativ, aber die Frage, ob ein viertes Album wirklich und unbedingt notwendig ist, schwebt einigermaßen unheilvoll im Raum. Hat man mit den drei Scheiben alles gesagt, oder geht da noch mehr? Die Entwicklung der Band ist zweifellos bemerkenswert, und es schlummert sicherlich noch Potential in den Köpfen und Finger der vier Briten, aber ich bezweifle, dass The Music ihrem Gesamtwerk künftig tatsächlich noch ein entscheidendes Stückchen hinzufügen können. Da kann sich auch mal die Erkenntnis durchsetzen, dass es genug ist. Zumal die Band auf ihr bisheriges Schaffen durchaus mit Stolz zurückblicken darf.
Update 2016: Ich hatte leider recht, die Band hat sich 2011 aufgelöst. Es gab kein viertes Album. "Strength In Numbers" ist eines der zehn besten Alben der 2000er Jahre.
"Strength In Numbers" von The Music ist im Juni 2008 auf Polydor erschienen.
01.05.2009
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Couch - Profane
Jeder kennt die ...But Alive-Textzeile mit Musik und Architektur und tanzen und schreiben und auch wenn es mittlerweile vielleicht eine Spur zu peinlich ist, den vollständigen Satz im Wortlaut in einem Text über Musik unter zu bringen (file under "Kopfkino"), braucht's für "Profane" zumindest einen kleinen Schubser in diese Richtung. Das vierte Studioalbum der Münchener Band ist sowas wie die Antithese zu obigem Fast-Zitat: hier tanzt man tatsächlich zur Architektur. Und man fühlt sich gut dabei.
Es ist verblüffend, welche Assoziationen sich ergeben. Jeder Song scheint sich sein eigenes Heim zu bauen. Es geht um Linien und Strukturen, es geht um eine große Klarheit, um Begrenzungen, um Halt, um Stil und Design. Luft und Raum, ohne eine Leere zu entwickeln. Es geht um orangene Plastikschalenstühle, es geht um einen Sommerurlaub auf Cran Canaria im August 1975. Keine Ausschweifung. Eher eine gewisse Rohheit, die sich aus einer freien Disziplin speist. "Was Alles Hält" zeichnet im Zeitlupentempo aus Strichen und Skizzen ganze Studentenwohnheime zusammen. Maximal minimaler Postrock, Reichtum im Verzicht. Immer nur vage Andeutungen, aber sie erschaffen im Kontext Großes.
Rational musikalisch (wtf?) eher an Chicago als an Montreal orientiert, dabei den Tortois'schen Jazz-Anteil durch einen stärkeren Fokus auf Notwist'schen Indierock ersetzend, entfernten sich Couch auf ihrem fünf Jahre später erschienenen Nachfolger "Figur 5" von ihren klaren Gebilden und ließen stickige Heizungsluft in ein deutsches Eiche-Rustikal-Wohnzimmer des Jahres 1978. Das war schwer, das war bemüht und das war damit das genaue Gegenteil von der kühlen Brise, die dank "Profane" durch das Oberstübchen weht.
"Profane" von Couch ist im Jahre 2001 auf Kollaps erschienen.