22.06.2009

Freedom Swing


Grachan Moncur III - Inner Cry Blues

"Inner Cry Blues", ein Tribut. Untertitel:"Dedication Album Vol.1". Moncur hat für Louis Armstrong, Sonny Rollins, Duke Ellington, seinen langjährigen Partner Jackie McLean und seine verstorbene Tochter komponiert und ihnen auf dieser sehr relaxten, ungewöhnlichen Session gedacht. Reichhaltig in Blues und Soul getränkt, an der Oberfläche manchmal jedoch heiter aufblitzender Swing. Ein Balanceakt für die Sensitiven.

Nach langen Jahren der Funkstille tauchte der Posaunist 2004 für viele überraschend mit einem großen Ensemble und dem feinen Album "Exploration" wieder auf. Moncur veröffentlichte seine Musik seit jeher sehr unregelmäßig, zumindest jene, die unter seinem eigenen Namen lief. Vor allem ließ er sich immer ausreichend Zeit: in den siebziger Jahren erschienen nach seiner Zeit beim französischen BYG Actuel-Label gerade mal zwei Alben, von denen eines sogar exklusiv in Japan veröffentlicht wurde (und heute einen halben Bausparvertrag verschlingt, wenn man die Originalversion käuflich erwerben möchte) und danach erstmal lange Zeit gar nichts. Dass drei Jahre nach seinem Comeback gleich das nächste Album erscheint, lässt für die Zukunft mit weiteren Soloplatten hoffen.

Ich muss zugeben, dass ich einige Zeit benötigte, um mir den musikalischen Ansatz von "Inner Cry Blues" zu vergegenwärtigen. Ich war zu geprägt von Moncurs freien Aufnahmen, von seinen beeindruckenden Songgemälden, die immer so ungewöhnlich, so unverwechselbar klangen und vor allem immer so monumental erschienen. "Inner Cry Blues" geht etwas auf Distanz zu seinem Image als Vertreter der Avantgarde (zu der er sich nach eigener Aussage ja eh nie zählte). Der Einstieg mit "G Train (for Duke Ellington)" gerät dermaßen laid back und swingend, dass ich mich in einem 35°C heißen Sommertag in einer Hängematte flözend auf der Veranda wähne. Der Sound ist ziemlich Low-Budget, wenn auch grundlegend präsent. Man könnte es vermutlich "authentisch" nennen. Trotzdem vermitteln die ersten Minuten ganz und gar nicht das, was ich mir von "Inner Cry Blues" erwartete. 

Von Moncurs Begleitband dürfte Vibraphonist Ben Adams der bekannteste Musiker sein, veröffentlichte er doch bisher drei Alben auf seinem Lunar Module-Label, auf dem auch "Inner Cry Blues" erschien. Hinzu kommen Erik Jekabson (Trompete), Mitch Marcus (Tenor Sax), Lukas Vesely (Bass) und Sameer Gupta an den Drums. Die Buben müssen es draufhaben, schließlich weiß man von Moncurs Pingelichkeit hinsichtlich der Interpretationen seiner Songs. Und tatsächlich: sie swingen sich - Verzeihung! - den Arsch ab. Am besten gefällt mir diesbezüglich, na klar, die Rhythmusfraktion Vesely/Gupta. Vor allem ersterer slappt, tappt, schlurft und hüpft wie ein junges Reh durch den Percussionnebel Guptas, und wartet darüber hinaus in dem abschließenden "Sonny's Back (for Sonny Rollins)" mit einem coolen Solo auf. 

Der Titeltrack stößt am ehesten in "alte" Gefilde vor, ein Bluesstück mit einem langgezogenen, fast kriechenden Thema und viel Platz und Freiraum. Leicht verdustert, aber immer noch megarelaxed und positv. "Hilda", Moncurs verstorbener Tochter gewidmet, ist überraschend hell und zuversichtlich, aber hier setzt dann der oben angekündigte Balanceakt in voller Pracht ein: die Dunkelheit schwingt immer mit, vor allem in Moncurs Ton. Ich habe manchmal den Eindruck, als wolle er mit aller Macht versuchen, nicht traurig zu klingen. Er kämpft regelrecht darum. Es gelingt ihm nicht, er klingt traurig. 

Der beste Moment auf der Platte ist, abgesehen von Moncurs sehr, sehr coolen Gesangseinlagen (!!!) auf "A For Pops (for Louis Armstrong)" und "Sonny's Back", erwartbar seine Verneigung vor seinem langjährigen partner in crime Jackie McLean, der ein knappes Jahr vor den Aufnahmen zu dieser Platte verstorben ist. Die typischen Stop & Go Bläsersätze aus McLeans und Moncurs gemeinsamer Zeit Anfang bis Mitte der sechziger Jahre gipfeln in einem schnellen, die Fäden zusammenführenden Post-Hard Bop-Stück und dem damit eindeutig wildesten Song dieser Session. 

"Inner Cry Blues" von Grachan Moncur III ist 2007 auf Lunar Module Records erschienen.

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