ELEMENT OF CRIME - MORGENS UM VIER
"Das Leben ohne Liebe ist nicht so einfach, wie Du glaubst." (Sven Regener)
Im vergangenen Juni starb unser Hund Fabbi. Er war unser erster Hund und war seit August 2009 in unserer Mitte, gerettet aus einem spanischen Tötungslager und mit einem Mercedes-Transporter in einem über 20 Stunden dauernden Ritt auf eine Waldlichtung bei Würzburg gebracht. Fabbi wurde 19 Jahre alt.
Die acht Monate vor seinem Tod waren... - ich habe jetzt ein paar Minuten über das passende Wort nachgedacht, aber ich finde keines. Fabbi wurde im Oktober 2022 krank, und was zunächst nach einer nicht unbedingt ungewöhnlichen, wenn auch unschönen Magen/Darm-Episode aussah, entwickelte sich über einige Wochen zu einem Dauerzustand. Er hörte nichts mehr, er fraß nur noch unregelmäßig, die Demenz verschlimmerte sich zusehends, sein rechtes Hinterbein knickte nach innen weg, weil der Rücken, so oder so geschwächt von einem Bandscheibenvorfall aus dem Jahr 2019, offenbar nicht mehr genug Kraft hatte, ihn hinten gerade zu halten. Alina und ich taten in dieser Zeit alles, um sein Leben so leicht und unbeschwert wie nur irgend möglich zu machen - die Frage, ob es für ihn das leichte und unbeschwerte Leben denn unter diesen Umständen überhaupt noch geben kann, war sowohl ständiger Begleiter wie auch eine ständige Erinnerung an das Ende. Und an die Entscheidung über Leben und Tod, die wir irgendwann treffen mussten. Er würde es uns nicht ersparen können, das war klar. Die Wahrheit aber ist: ich konnte ihn nicht gehen lassen.
Wir schliefen über diese acht Monate keine einzige Nacht durch. Wir beruhigten ihn, wenn er nachts wie ein Getriebener durch das Schlafzimmer irrte, wir schliefen mit ihm auf dem Boden, vor seinem Bettchen, streichelten ihn, nahmen ihn in unsere Arme, beschützten ihn, küssten seinen Kopf. Traten um 3 Uhr nachts mit ihm auf die leeren Straßen Sossenheims, damit er nochmal pissen oder kacken konnte. Ich lief manchmal eine ganze Abendrunde um den Block zu ihm heruntergebeugt, damit er hinten nicht wegknicken und damit besser laufen konnte. Verbrachte Stunden mit ihm vor seinem gefüllten Fressnapf, um ihn irgendwie zum Fressen zu bewegen. War zu Tode betrübt, wenn es mal wieder nicht klappte und dann wieder fast schmerzhaft unangemessen euphorisch, wenn er aus dem Nichts plötzlich damit anfing, sein Futter geradewegs zu inhalieren. Ich war am Boden zerstört, wenn er seinen sonst so geliebten Plüschknochen nur mit leerem Blick hinterherschaute und weinte vor Freude, wenn er ihm mal drei Meter hinterhersprang und dann versuchte, ihn mir zurückzubringen. Dann war es für wenige Minuten so wie früher. Dann erkannte ich unseren Fabbi wieder. Vielleicht erkannte er sich in jenen Momenten auch selbst wieder, erinnerte sich an das Herumtollen, die Belohnungen, sein geliebtes Nasch-Nasch, die Streicheleinheiten. Aber die Momente wurden seltener. Und dann noch seltener. Und am Ende, da gab es sie schlicht nicht mehr.
Ich weiß auch nicht, wie das gehen sollIch bin schon viel zu lang' alleinMein Mut ist klein, mein Herz ist kaltDoch mit dir zu sein ist wundervoll
Emotional und körperlich war ich im absoluten Ausnahmezustand. Und ich muss das so deutlich sagen: ich war ein ferngesteuertes, auseinanderfallendes Wrack. Und für Fabbi hielt ich das Wrack auf Kurs, um jeden fucking Preis. Denn die Wahrheit ist: ich konnte ihn nicht gehen lassen.
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Ab dem 22.Juni 2023 waren Alina und ich alleine in unserem Haus. Zum ersten Mal seit 1999 waren wir nur noch zu zweit. Unsere Katzen Kleini und Schnuffel mussten uns schon früher verlassen, Fabbi war der letzte vierbeinige Mitbewohner. Und wie sehr uns sein Sterben wirklich mitgenommen hatte, wie erloschen wir waren, das erkannten wir eigentlich erst so richtig in den kommenden Wochen und Monaten, als wir uns langsam wieder aufrappeln mussten und feststellten, dass das Loch, in dem wir saßen, sogar noch tiefer war als zunächst befürchtet.
Ende August musste ich als Businesskasper zu einem Termin in Hamburg reisen. Wir entschieden, dass wir die Gelegenheit nutzen und zwei Tage auf eigene Faust anhängen, um mal rauszukommen, um etwas anderes zu sehen, Luft reinzulassen, vielleicht zur Abwechslung auch mal wieder ein bisschen Licht. An einem leicht bewölkten, trüb-sonnigen Sonntagmittag setzten wir uns ins Auto und fuhren von Hamburg nach Timmendorfer Strand an die Ostsee. Fabbi liebte den Strand. Unvergessen sind die vielen Momente dieses komplett durchdrehenden Fellballs, wenn er am Meer war. Als Soundtrack für unsere Reise wählten wir "Morgens Um Vier" von Element Of Crime...
...und ich habe die gut 60 Minuten dauernde Fahrt praktisch durchgeheult.
Hier sei gesagt: Ich bin nicht unbedingt glühender Fan von Element Of Crime. Ich bin der Band grundlegend sehr zugeneigt, einige ihrer Songs hinterließen ihre Spuren in meinem Leben, andere laufen schnurstracks an mir vorbei, ohne eine Berührung zu verursachen. Wenn jedoch "Morgens Um Vier" seine Kreise zieht, steht mein Gefühlszentrum im Vollbrand. Es mag am berüchtigten Set und Setting des Erstkontakts gelegen haben, dass ich so entflammbar war, so empfänglich für diese in purer Schönheit, subtilem Humor, alternativlosem Optimismus und hedonistischer Kapitulation gebatikte Melancholie. Und es mag der wenigstens in dieser Causa noch halbwegs funktionierenden Erinnerung an diese Autofahrt zu verdanken sein, dass es mich auch an einem frühlingshaften Tag im März des Folgejahres noch immer beinahe zerreißt.
Die Magnolie wird blühnUnd der Rasen wird grünUnd der Flieder die Bienen verzaubernUnd die Vögel singen im Vogelbeerbaum ihre LiederUnd dann kommst du wiederUnd gehst nie wieder fortVon hier
In die unnachahmliche Mischung aus Indierock, Chansons, Pop und Jazz, meisterhaft inszeniert sowohl für eine kammermusikalische Aufführung wie für die Grandezza der Elbphilharmonie, mit einem nahezu perfekten Gespür für die eleganten und schwärmerischen Arrangements, setzt Sänger und Texter Sven Regener mit seiner typischen, leicht ruppigen Art seine Worte über die Liebe, das Altern, das Zweifeln, die Furcht, die Sehnsucht, das Erkalten...die Entzündungen des Lebens.
Im zaudernden, beinahe torkelnden "Wieder Sonntags" singt Regener:
Wer braucht alte Sofas, wenn du nicht draufsitztWer braucht schöne Lieder, wenn du sie nicht singstEin Lächeln von dir war schon immer Gottes größtes WunderUnd den Himmel versprach schon immer die Liebe, die du bringstJetzt bin ich ganz allein und sehne mich nach dirEs ist wieder Sonntag und du fehlst mir so sehr
Und was soll ich bitte dazu noch sagen?
Erschienen auf Vertigo, 2023.
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