CHRIS CORNELL - EUPHORIA MOURNING
Im September 1999 begann ich eine Ausbildung zum Verlagskaufmann bei der Frankfurter Rundschau. Ich hatte fast arschlange Haare, die mal rot, blau oder grün waren, trug ausschließlich Shirts meiner Lieblingsbands mit halboffenen Karohemden und hielt Schröders SPD und Fischers Grüne tatsächlich für die politische Zukunft Deutschlands, wofür man mir heute "nach strengen Maßstäben" (Schäuble) noch eine reinhauen müsste, aber ich war jung, doof und hatte offenbar als logische Konsequenz eine rot-grüne Hirnwasserabsenkung. Jedenfalls: im selben Monat veröffentlichte der Frontmann der zwischenzeitlich aufgelösten Grungepioniere Soundgarden sein Solodebut. Ich kaufte es, weil ich am 3.6.1999 eine Frau kennenlernte, die Chris Cornell den Reißverschluss seiner superenganliegenden Jeans mit den Zähnen hätte aufmachen können, hätte man sie in seine Nähe gelassen. Vermutlich wäre Cornell auch einfach nur die Hose weggeflogen, hätten ihre Blicke ihn getroffen, und weil ich erstens so ein kleines bisschen spätpubertär eifersüchtig war und zweitens in ihre Jubelarien einstimmen wollte - weniger wegen seiner der Inhalt seiner Jeans, als wegen seiner, man sieht's mir nach: Musik - studierte ich "Euphoria Mourning" in den kommenden Wochen sehr eingehend.
Diese Frau, der trainierte Leser ahnt es, ist auf den heutigen Tag genau für sage und schreibe 13 Jahre mit dem Autor dieses Blogs verheiratet, und selbst wenn sie Cornell tatsächlich heute immer noch den Reißverschluss mit ihren Zähnen aufmachen wollen würde, und davon ist bei Gott oder sonstwem ziemlich sicher auszugehen, liebe ich sie noch immer. Und immer mehr.
Dass diese Platte eine ganz besondere Bedeutung für uns hat, ergibt sich aus der langen Odyssee, die wir hinter uns bringen mussten, bis wir uns am 6.12.1999 erstmals am Nürnberger Hauptbahnhof hochoffiziell in den Armen lagen; eine Odyssee, deren Verlauf schmerzhaft war und vor allem von großer Unsicherheit geprägt wurde, und die wir mit "Euphoria Mourning" als heilenden Soundtrack begingen. Unvergessen die trüb-verschwommenen Tage in den Büros der Rundschau, in deren Bürofluren ich tatsächlich zum ersten Mal mit IHR telefonierte, die Nervenzusammenbrüche, weil um mich herum alles zusammenbrach, die schlaflosen Nächte, die Zigaretten, der Alkohol, das Chaos in meinem Kopf. Ebenso unvergessen sind die durchgechatteten, durchgemailten und durchtelefonierten Nächte voller Liebe und Verzweiflung, in denen zwischen totaler Agonie und funkensprühender Euphorie jede Emotion ihren Platz fand. Und der herzzerreißend gesungene Titelsong im Hintergrund, der einerseits die schwache Hoffnung auf einen in ferner Zukunft auftauchenden Funken Licht versprach, andererseits natürlich auch bestens dazu geeignet war, sich in seinem Leid zu suhlen.
Seltsamerweise haben wir beide das Album schon länger nicht mehr gehört und erst kürzlich, als es erstmals auf Schallplatte erschien, kam es wieder, zeitlich durchaus angemessen, ins Bewusstsein zurück. Es ist auch 16 Jahre später noch eine beeindruckende Sammlung von intensiven und dabei sehr ungewöhnlich komponierten Songs.
Untrennbar mit der Vergangenheit verbunden. Untrennbar mit dem Leben verbunden. Untrennbar mit der Liebe verbunden.
Erschienen auf Interscope, 1999.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen